Originaltitel: Le vieux fusil
Regie: Robert Enrico, Drehbuch: Pascal Jardin, Claude Veillot, Robert
Enrico, Musik: François de Roubaix
Darsteller: Philippe Noiret, Romy Schneider, Jean Bouise, Joachim Hansen, Robert Hoffmann, Catherine Delaporte, Karl Michael Vogler

Im Jahr 1944 arbeitet der Chirurg
Julien Dandieu (Philippe Noiret, "Cinema Paradiso", "Der
Postmann") im hoffnungslos überfüllten und
unterversorgten Krankenhaus der französischen Kleinstadt Montauban. Die
Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland nähert sich ihrem Ende, sowohl Franzosen
als auch Deutsche wissen das. Zwar fürchtet Julien die Möglichkeit von
Verzweiflungstaten der deutschen Soldaten, doch eigentlich ist er optimistisch,
daß er, seine Frau Carla (Romy Schneider, "Die letzte Metro") und seine 13-jährige Tochter Florence
(Catherine Delaporte) den Krieg unbeschadet überstehen werden. Aber eines Tages
wird er bei einem Besuch in seinem Heimatdorf Zeuge eines entsetzlichen
Kriegsverbrechens der Nazis – und in seinem Inneren zerbricht etwas.
Ausgerüstet nur mit einem alten Gewehr und dem unschätzbaren Vorteil seiner Ortskenntnis
will er die aufgrund eines Panzerdefekts noch anwesenden SS-Soldaten einen nach
dem anderen umbringen ...
Kritik:
Im Grunde genommen sollte man "Abschied in der Nacht" sehen, ohne – abgesehen von der Grundkonstellation – auch nur das geringste über den Inhalt dieses Films zu wissen. Leider kann man jedoch kaum eine Rezension verfassen, ohne zumindest sehr allgemein auf den Handlungsverlauf und konkret die dramatische Wende nach dem ersten Filmdrittel einzugehen. Das ist bereits in der obigen kurzen Inhaltsangabe geschehen, weitere Spoiler werde ich im folgenden zu vermeiden versuchen.
Im Grunde genommen sollte man "Abschied in der Nacht" sehen, ohne – abgesehen von der Grundkonstellation – auch nur das geringste über den Inhalt dieses Films zu wissen. Leider kann man jedoch kaum eine Rezension verfassen, ohne zumindest sehr allgemein auf den Handlungsverlauf und konkret die dramatische Wende nach dem ersten Filmdrittel einzugehen. Das ist bereits in der obigen kurzen Inhaltsangabe geschehen, weitere Spoiler werde ich im folgenden zu vermeiden versuchen.
Gesagt werden muß jedoch, daß die
angesprochene Wende (selbst in der leicht geschnittenen alten westdeutschen Fassung) eine der grauenerregendsten und
markerschütterndsten Szenen ist, die ich je in einem Film gesehen habe. Dabei
spielt sich der Großteil des Geschehens in dieser Sequenz nur im Kopf des
Zuschauers ab und das Grauen, das man dabei empfindet, spiegelt sich im Gesicht Philippe Noirets in seiner Rolle als Julien, als dieser begreift, welch schreckliche Szenerie sich seinem
entsetzten Blick offenbart. Die Regieführung von Robert Enrico ("Die
Abenteurer", "Die französische Revolution") in dieser Szene ist
schlicht meisterhaft bis hin zum Sadismus, mit einfachsten Mitteln (und
mithilfe Noirets intensiver Ausdruckskraft) dringt er viel tiefer in die Psyche
des Publikums ein, als dies jedem noch so blutigen und brutalen Horrorschocker gelingen könnte. Noch verstärkt wird die Wirkung dieses Wendepunkts sowie
der folgenden gut 60 Minuten, die Juliens Rachefeldzug begleiten, durch
die von Enrico trotz des Krieges beinahe idyllisch inszenierte erste halbe Stunde. Zwar ist der Kriegshintergrund jederzeit spürbar und bleibt stets gedanklich präsent, doch eigentlich führt Julien ein ziemlich glückliches
Familienleben und die Vorfreude auf die bereits absehbare Zeit nach
dem Krieg prägt die Grundstimmung dieses ersten Filmdrittels. Und selbst nach
Juliens Entdeckung des schändlichen Kriegsverbrechens wird die Handlung immer
wieder durch kurze, betont fröhliche Rückblicke auf seine Vergangenheit vor dem
Krieg wirkungsvoll gebrochen, wodurch der Film auch zu einer beklemmenden Psychostudie Juliens wird. Möglicherweise übertreibt es Enrico ein kleines
bißchen mit der Anzahl dieser Rückblenden, grundsätzlich erfüllen diese jedoch
ihre Funktion – die übrigens im Grunde die gleiche ist wie die des
"Rückwärtserzählens" in Gaspar Noés höchst kontroversem Drama
"Irreversibel" aus dem Jahr 2002.
Während Julien und seine Familie den
Zuschauern auf diese Weise überzeugend nahegebracht werden und man sich
angesichts der schieren Unmenschlichkeit des von Julien entdeckten Kriegsverbrechens
problemlos mit ihm identifizieren kann, bleibt die Charakterisierung der
Deutschen ziemlich oberflächlich. Die Soldaten scheinen keine Probleme mit
ihren Taten zu haben, lediglich die Offiziere zeigen so etwas wie Bedauern über
die Sinnlosigkeit des ihnen befohlenen Massakers. Und selbst das trifft nur auf
die veränderte westdeutsche Version zu, in der ungeschnittenen französischen
Originalfassung (und auch in der DDR-Fassung unter dem Titel "Das alte Gewehr") zeigen sie sich vollkommen skrupellos. Man kann natürlich über
Sinn und Zweck dieses Eingriffs diskutieren – so wirkt es doch ziemlich
befremdlich, daß man offenbar noch in den 1970er Jahren meinte,
Kriegsverbrechen der Nazis für das (west)deutsche Publikum leicht entschärfen beziehungsweise
relativieren zu müssen. In dramaturgischer Hinsicht funktioniert die deutsche Alternativszene jedoch
einwandfrei, da die Nazis auf diese Weise etwas glaubwürdiger wirken. Dennoch kritisierten deutsche Rezensenten beim Filmstart, die SS-Soldaten seien
bloße Karikaturen echter Menschen, wohingegen "Abschied in der Nacht" in
Frankreich hochgelobt wurde, mit deutlich über drei Millionen Zuschauern ein großer Publikumserfolg war und mit drei Césars
ausgezeichnet wurde. Es stimmt schon, die Nazis sind hier einfach nur
Bösewichte, die Grauenvolles tun und allesamt kaum oder gar kein Mitgefühl
zeigen. Aber angesichts all dessen, was wir über die Greueltaten wissen, die
während der Zweiten Weltkrieges verübt wurden; angesichts der Tatsache, daß die
Soldaten 1944 durch jahrelange Indoktrination und Kriegserlebnisse mit
Sicherheit bereits abgestumpft waren; angesichts der bevorstehenden Niederlage
des von ihnen verehrten "Führers" – ist die Darstellung der
SS-Soldaten durch Enrico da wirklich so unglaubwürdig? Ich befürchte nicht,
aber wirklich beurteilen kann das wohl nur, wer selbst einen ähnlich grausamen
Krieg erlebt hat.
Davon abgesehen ist eine komplexere
Darstellung der Nazis in "Abschied in der Nacht" auch gar nicht
vonnöten, denn diese und ihre Untat dienen letztlich nur als Katalysator für
Enricos eigentliches Anliegen: die Unmenschlichkeit des Krieges zu zeigen. Inwiefern sein Vorhaben, mit "Abschied in der
Nacht" einen Antikriegsfilm zu drehen, funktioniert hat, ist letztlich Ansichtssache. Man kann
durchaus argumentieren, daß Juliens amoklaufartiger Rachefeldzug wohl kaum zu dieser
hehren Intention passe. Aber auf der anderen Seite: Wie kann ein Film, der seinem
Publikum mit dermaßen schmerzhafter Intensität vor Augen führt, daß der Krieg
letztendlich alle Beteiligten um ihre Menschlichkeit, ja sogar um ihren
Verstand bringt ... wie kann ein solches Werk KEIN Antikriegsfilm sein?
Fazit: "Abschied in der
Nacht" ist ein meisterhaft inszenierter, ja, Antikriegsfilm, dessen
zentrale Szene wohl niemand, der sie gesehen hat, je wieder vergessen wird.
Robert Enricos meisterhafte Regie, das großartige Schauspiel von Romy Schneider
und vor allem Philippe Noiret, das effektiv aufgebaute Drehbuch sowie die
erstklassige technische Umsetzung lassen problemlos über die im Kern schlichte
Dramaturgie und die schablonenhafte Darstellung der SS-Soldaten hinwegsehen.
Wertung: 9 Punkte.
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