Originaltitel:
Ég man pig
Regie:
Óskar Thór Axelsson, Drehbuch: Ottó Geir Borg und Óskar Thór Axelsson
Darsteller:
Jóhannes Haukur Jóhannesson, Anna Gunndís Gudmundsdóttir, Thor Kristjansson, Sara Dögg
Ásgeirsdóttir, Ágústa Eva Erlendsdóttir, Amar Páll Hardarson
FSK: 16, Dauer: 106 Minuten.
Da die Pathologin des Ortes gerade unterwegs ist, wird als Ersatz Psychiater Freyr (Jóhannes Haukur Jóhannesson, "Atomic Blonde") von Polizistin Katrín (Anna Gunndís Gudmundsdóttir) in die Kirche einer
isländischen Kleinstadt gerufen, wo sich eine alte Frau das Leben genommen hat.
Das ist an sich nicht besonders ungewöhnlich, allerdings stellt sich heraus,
daß der Dame auf ihrem Rücken diverse Kreuze eingeritzt wurden, was offenbar
über Jahre hinweg geschah. Katrín bemerkt Verbindungen zu einigen anderen
Todesfällen, die allesamt als Unfälle abgehakt wurden, bei genauerer
Betrachtung aber doch ziemlich merkwürdig sind. Gemeinsam mit Freyr forscht sie
nach – und irgendwie scheinen die Vorkommnisse mit dem seit einiger Zeit
spurlos verschwundenen kleinen Sohn des Psychiaters zusammenzuhängen. Derweil versuchen Dagný (Sara Dögg Ásgeirsdóttir, "Kaltes
Licht") und Gardar (Thor Kristjansson, "Dracula Untold"), ihre
nach einem Schicksalsschlag stark kriselnde Ehe zu retten, indem sie mit der
gemeinsamen Freundin Lif (die frühere recht kontroverse Eurovision Song Contest-Teilnehmerin Ágústa
Eva Erlendsdóttir, "Der Tote aus Nordermoor") ein heruntergekommenes
Haus auf einer verlassenen kleinen Insel restaurieren. Doch vor allem Dagný wird
wiederholt Zeugin merkwürdiger, rational kaum erklärbarer Geschehnisse in und
um das Haus herum …
Kritik:
Wer im 20. Jahrhundert an skandinavische Kino- und
TV-Produktionen dachte, dem kamen mit ziemlicher Sicherheit als erstes visionäre Filmemacher wie der dänische Stummfilmpionier Carl Theodor Dreyer
("Die Passion der Jungfrau von Orleans", "Das Wort),
der Schwede Ingmar Bergman ("Das siebente Siegel", "Wilde
Erdbeeren", "Szenen einer Ehe") oder das dänische Enfant
terrible Lars von Trier ("Hospital der Geister", "Breaking the
Waves", "Dancer in the Dark") in den Sinn. Wer im Jahr 2018 an
skandinavische Kino- und TV-Produktionen denkt, dem fallen vermutlich nicht
zuerst einzelne Namen ein, sondern eher ein Begriff wie "Scandic
Noir" oder auch eine Qualitätsserie wie "Borgen – Gefährliche
Seilschaften". Ja, es ist in der Tat erstaunlich, in welchem Ausmaß die
Skandinavier speziell nach der Jahrtausendwende mit ihren hochkarätigen, häufig
ziemlich düsteren und intelligenten Stoffen die Welt erobert haben – selbst die
Wikinger wären neidisch! Vor allem mit den zahllosen Krimis und
Serienkiller-Storys á la "Wallander", "Die Brücke",
"Kommissarin Lund" oder den für das Kino produzierten Jussi
Adler-Olsen-Thrillern ("Erbarmen") schaffen die Skandinavier einen Erfolg nach dem nächsten,
doch auch Mysterystoffe wie "Jordskott" oder "Hellfjord" sind beliebt. In diese
Kategorie fällt der Grusel-Thriller "I Remember You", der –
basierend auf einem Bestseller von Yrsa Sigurdadóttir – zum
zweiterfolgreichsten Film des Jahres 2017 in den isländischen Kinos wurde, nur
knapp distanziert von "Star Wars Episode VIII: Die letzten Jedi". Daß
es in Deutschland und fast allen übrigen Ländern trotzdem nicht zu einem
regulären Kinostart gereicht hat, hat allerdings seinen Grund: "I Remember
You" ist trotz einer wunderbar gruseligen Atmosphäre (und des für mich
überraschend verliehenen "Fresh Blood"-Zuschauerpreises beim Fantasy
Filmfest) eine recht mittelmäßige Geistergeschichte.
Allerdings ist diese Einschätzung wahrscheinlich auch wieder
einmal eine Frage der Erfahrung. Wer noch nicht viele Mystery- oder Gruselfilme
kennt, dem wird der kompetent gemachte "I Remember You" wohl deutlich
besser gefallen als jemandem wie mir, der bereits mindestens Dutzende Filme
dieser Machart gesehen hat – darunter etliche deutlich bessere. Und da ich dem
Fantasy Filmfest-Publikum bestimmt nicht mangelnde Genreerfahrung vorwerfen will,
ist es offensichtlich auch eine Frage persönlicher Gewichtung. Wem die
Atmosphäre über alles geht – was ich durchaus nachvollziehen kann –, der ist
mit diesem melancholischen Grusler gut bedient. Wer Wert legt auf glaubwürdig
agierende Figuren und zumindest auf einen Hauch von Originalität, der wird mit
"I Remember You" weniger glücklich werden. Dabei fängt alles so
vielversprechend an: Die zentralen Charaktere sind gut gezeichnet, vor
allem der grambeladene Psychiater Freyr nimmt das Publikum schnell für sich
ein. Zudem sorgt der Wechsel zwischen den beiden inhaltlich scheinbar
unverbundenen Schauplätzen für Neugier. Zwar wird die Ménage à trois auf der
verlassenen Insel einigermaßen klischeehaft ausgespielt, aber die Figuren sind
interessant genug, daß man sich auf sie einläßt. Dazu kommt diese
typisch skandinavische, melancholisch-gruselige Atmosphäre, die durch stimmungsvolle Aufnahmen der kargen, wilden isländischen Landschaften noch unterstrichen
wird.
Bedauerlicherweise wird das alles konterkariert durch den auffälligen Mangel an Subtilität. Das beginnt bei der (nicht
genreuntypisch) aufdringlichen Klangkulisse, die speziell bei wichtigen
(Geister-)Szenen viel zu dominant Anwendung findet, obwohl man deren Bedeutung
auch ohne oder zumindest mit etwas weniger Dröhnen problemlos begreifen würde –
stattdessen lenken die lauten Klänge eher ab und berauben die an sich
effektiv in Szene gesetzten Momente ein Stück weit ihrer Wirkung. Eigentlich
ein klassischer Anfängerfehler, jedenfalls ausgesprochen nervig. Wenig subtil
kommen im Handlungsverlauf auch die Charaktere daher, deren Handeln
immer unglaubwürdiger und teilweise (vor allem bei der Dreiecksgeschichte)
schlicht dümmer wird. Das erfüllt wohl auch einen gewissen
Ablenkungszweck, denn wenngleich die zentralen Handlungsstränge rund um die geheimnisvollen Todesfälle und Freyrs verschwundenen Sohn ziemlich sauber aufgelöst
werden, bleiben doch einige Rätsel unerklärt, ebenso die Motivation, die hinter
manchen Taten steckt. Somit läßt das Ende einen nicht gänzlich befriedigt
zurück; es bleibt das Gefühl, daß man aus der gruseligen, durchaus geschickt
verschachtelten (aber weitgehend überraschungsfreien) Story sowie der eisigen, bedrückenden Atmosphäre und dem guten Schauspielensemble weit mehr hätte herausholen können.
Fazit: Der in Deutschland später auch "Geisterfjord" betitelte "I Remember You" ist ein solider
isländischer Gruselthriller, der in Sachen Atmosphäre viel richtig macht, ob einer zu plakativen Inszenierung sowie zunehmend unglaubwürdig agierender Figuren
aber letztlich nur gehobenes Genre-Mittelmaß ist.
Wertung: 6 Punkte.
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