Regie:
Oliver Blackburn, Tom Vaughan und Sandra Goldbacher, Drehbuch: Daisy Goodwin
und A.N. Wilson, Musik: Martin Phipps und Ruth Barrett
Darsteller:
Jenna Coleman, Tom Hughes, Rufus Sewell, Catherine Flemming, Adrian Schiller, Daniela Holtz, Eve
Myles, Ferdinand Kingsley, Nell Hudson, Nigel Lindsay, Margaret Clunie, David
Oakes, Peter Firth, Alex Jennings, Paul Rhys, Anna Wilson-Jones,
Peter Bowles, Basil Eidenbenz, David Bamber
Großbritannien im Sommer 1837: Als König William IV. ohne regulären
Thronerben stirbt, fällt die Königswürde seiner 18 Jahre alten Nichte
Victoria (Jenna Coleman, TV-Serie "Doctor Who") zu. Die aus dem Haus
Hannover stammende neue Königin ist durchaus froh, auf diese Weise endlich der
strengen Erziehung durch ihre Mutter (Catherine Flemming, "Hunger –
Sehnsucht nach Liebe") zu entkommen, die Victoria seit ihrer Geburt auf eine mögliche Thronbesteigung vorbereitete, dabei aber zu wenig Wert
darauf legte, ihre Tochter alltagstauglich zu machen. Bei aller
peniblen Vorbereitung ist Victoria natürlich komplett unerfahren, was ihr
Selbstbewußtsein zwar kaum schmälert, sie jedoch gerade deswegen auch zu
einigen schweren Fehlern verleitet. Zum Glück gibt es den verwitweten Lord
Melbourne (Rufus Sewell, "Hercules"), der zunächst zwar unwillig
ist, das Amt des Premierministers auch unter der neuen Königin zu bekleiden,
dann aber schnell eine innige Freundschaft zu der jungen Monarchin aufbaut und
ihr als nahezu unverzichtbarer Berater und Mentor dient. Ihre Beziehung sorgt jedoch schnell für Neider und böse Gerüchte, zumal Victoria
von allen Seiten bedrängt wird, schnellstmöglich standesgemäß zu heiraten und
einen Thronerben in die Welt zu setzen. Lord Melbourne kommt dafür nicht in
Frage, stattdessen gibt es drei geeignete Kandidaten: den charmanten russischen
Großfürsten (Daniel Donskoy), Prinz George (Nicholas Agnew, "Kingsman: The Secret Service") – den Sohn des machtbewußten Herzogs von Cumberland (Peter
Firth, TV-Serie "Spooks") – sowie Prinz Albert von Sachsen-Coburg und
Gotha (Tom Hughes, "Alles eine Frage der Zeit"), ein Neffe des belgischen
Königs Leopold (Alex Jennings, "Die Queen") …
Kritik:
Es gibt bereits mehrere Filme über die langjährige
britische Königin Victoria – zuletzt "Young Victoria" (2009)
mit Emily Blunt in der Titelrolle –, doch nun widmet sich erstmals eine TV-Serie der
Monarchin. Stoff genug für viele Staffeln gibt es mit Sicherheit (Victorias Thronrekord von 63 Jahren wurde erst 2015 von
Elizabeth II. gebrochen), die erste
deckt gerade einmal die Jahre 1837 (Thronbesteigung) bis 1840 (Geburt der
ersten Tochter) ab, was sich angesichts der recht geringen Episodenanzahl jedoch schon manchmal leicht gehetzt anfühlt. Zumindest in dieser ersten Staffel steht dabei stärker die private Person Victoria im Mittelpunkt als die Königin, es geht vor allem ihre
Eingewöhnung in das neue Amt sowie um Hofintrigen und Partnersuche. Die große
Politik spielt noch eine vergleichsweise kleine Rolle, was ich persönlich
bedauerlich finde – allerdings kann sich das ja in den folgenden Staffeln
ändern. In diesen ersten acht Episoden ist "Victoria" jedenfalls weit eher
mit "Downton Abbey" vergleichbar als beispielsweise mit "Die
Tudors". Daß Julian Fellowes' beliebter Serienhit den
"Victoria"-Schöpfern zumindest als Quell der Inspiration diente, kann
man auch daran erkennen, daß die Bediensteten am Königshof ein Gegengewicht zu
den Adelsbelangen bilden, wenngleich es im Gegensatz zu "Downton
Abbey" keine ausgeglichene Verteilung gibt, sondern in
"Victoria" doch die Namensgeberin dominiert und die
Handlungsstränge der Bediensteten vielleicht 20% der Zeit in Anspruch nehmen.
Das wirkt mitunter ein bißchen halbherzig, funktioniert alles in allem aber
gut.
Daß "Victoria" von Beginn an sehr für sich einzunehmen
weiß, liegt primär an zwei Personen: Victoria selbst und Lord Melbourne. Es ist
unglaublich, wie großartig Jenna Coleman und Rufus Sewell von der ersten Sekunde an miteinander harmonieren. Die selbstbewußte, aber bisweilen hitzköpfige und unerfahrene Neu-Monarchin – die es ganz besonders stört, wenn ihre
geringe Körpergröße thematisiert wird, was zu ihrem Leidwesen ständig geschieht und von ihr nicht zu Unrecht als Zeichen dafür gewertet wird, daß sie nicht ernstgenommen wird – und der erfahrene und geduldige, dabei
stets etwas melancholische Premierminister beherrschen die Szenerie in jeder
einzelnen gemeinsamen Minute. Ihre Dialoge sind amüsant
und einsichtsreich und selbst wenn sie nur mit Blicken kommunizieren, während
Victoria mit Thronangelegenheiten befaßt ist und Melbourne ihr im Hintergrund,
manchmal einfach nur durch seine Anwesenheit, behilflich ist, wird die tiefe,
innige Beziehung zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Menschen offenbar.
Da wundert es nicht, daß ihre Freundschaft für Gerede sorgt, zumal beiden
zumindest romantische Tendenzen kaum abzusprechen sind. Das Zusammenspiel von Victoria und Lord Melbourne ist so herausragend, daß ich eindeutig die erste Hälfte der Staffel bevorzuge,
denn im Storyverlauf wird Melbourne ab der Ankunft von Prinz Albert
zunehmend in den Hintergrund verbannt.
Inhaltlich ist die Staffel ziemlich streng in drei Akte
unterteilt: Im ersten geht es um die Intrigen derjenigen, die Victoria nicht
auf dem Thron sehen möchten beziehungsweise sie aufgrund ihrer Jugend einem
Regenten unterstellen möchten – das ist vor allem der Herzog von Cumberland
(wunderbar bärbeißig verkörpert vom britischen TV-Urgestein Peter Firth),
aber auch Victorias eigene Mutter, die Herzogin von Kent, die von ihrem engen
Berater Sir John Conroy (Paul Rhys, "From Hell") in eine Richtung gedrängt wird, die sie
immer weiter von ihrer Tochter entfernt. Der zweite Akt befaßt sich dann mit
der Suche nach einem passenden Ehepartner für die Königin, während der dritte
die frühen Tage ihrer Ehe und die Geburt ihrer ersten Tochter schildert. Wie
gesagt: Die private Seite der noch nach ihrer eigenen Ausprägung der Königsrolle suchenden, von Jenna Coleman ausnehmend sympathisch verkörperten
Monarchin steht überwiegend im Vordergrund, politisch wird "Victoria"
nur selten, wenn etwa Prinz Albert in dem Bemühen, nicht nur als Gemahl der Königin
gesehen zu werden, eine leidenschaftliche Rede für die weltweite Abschaffung der Sklaverei hält (die aber auch nur im Zeitraffer gezeigt wird).
Daß Albert in diese kurze politische Episode involviert ist, ist kein Zufall,
denn der deutsche Prinz – der für viele Briten nicht die erste Wahl als Gemahl
der ebenfalls deutschstämmigen Victoria war – ist eine interessante
Persönlichkeit. Er ist ganz anders als Victoria, weshalb sie sich anfangs
eher mit Antipathie begegnen; Albert ist steif und überheblich, er ist
ein Freund der schönen Künste, aber auch politisch und gesellschaftlich interessiert und gut informiert – was auf die Königin dank ihrer einseitigen
Erziehung kaum zutrifft. Das distanzierte Aufeinandertreffen von Victoria und
Albert bildet einen auffälligen Kontrast zu der "Freundschaft auf den
ersten Blick" zwischen Victoria und Lord Melbourne. Deren herausragende
Leinwandchemie können Coleman und Tom Hughes (noch) nicht entwickeln, dennoch
ist es fraglos amüsant mitanzusehen, wie sie sich – angesichts der kurzen
Staffellaufzeit dann doch ziemlich schnell und nicht ganz klischeefrei – näherkommen.
So deutlich Victoria also (nachvollziehbarerweise) im
Mittelpunkt der nach ihr benannten Serie steht, sind es doch auch die gut
ausgearbeiteten Nebenfiguren, die dafür sorgen, daß "Victoria"
durchgehend gut unterhält. Auf der Seite der Adligen gilt das neben den bereits
Genannten vor allem für Alberts leichtlebigen Bruder Ernst (David Oakes, TV-Miniserie "Die Säulen der Erde"), der dem ihm weit vorauseilenden Ruf als Frauenheld und Charmebolzen gerecht wird und auch Victoria
zunächst begehrenswerter erscheint als sein vergleichsweise blasser jüngerer Bruder. Später verdreht Ernst trotz Alberts wiederholter Mahnungen auch am britischen
Königshof einer Frau den Kopf, nämlich der (unglücklich) verheirateten
Herzogin Sutherland (Margaret Clunie). Die potentielle Romanze läuft aber
anders ab als erwartet und resultiert in einem der schönsten
Handlungsstränge dieser Staffel. Ähnliches gilt auf der
Bedienstetenebene für den italienischen Koch Francatelli (Ferdinand Kingsley,
"Dracula Untold"), der hartnäckig versucht, das Herz der
gewissenhaften neuen Zofe Eliza (Nell Hudson, TV-Serie "Outlander")
zu erobern. Doch nicht nur romantische Gefühle sorgen für gute Stimmung, sondern
auch die sich nach anfänglichen Differenzen unerwartet anbahnende Freundschaft zwischen Prinz Albert und dem
Anführer der Tories im Parlament (und damit designierten künftigen
Premierminister), Sir Robert Peel (Nigel Lindsay, "Four Lions").
Damit historische Stoffe authentisch wirken, kommt
Ausstattung und Kostümen naturgemäß eine überdurchschnittlich große Rolle zu, welche die entsprechenden Abteilungen in "Victoria"
tadellos erfüllen – wobei die vergleichsweise geringe Anzahl an Locations das
natürlich auch ein wenig vereinfacht. Weniger überzeugend, jedoch nicht wirklich störend,
sind die wiederholt zwischengeschnittenen Panorama-Aufnahmen des mittelalterlichen London, die gut erkennbar am Computer generiert wurden.
Interessant ist derweil, daß einige der zahlreichen deutschen Rollen
mit deutschsprachigen Darstellern besetzt wurden (allen voran Catherine Flemming als Victorias Mutter und Daniela
Holtz als Baronin Lehzen, engste Vertraute der Königin), während andere wie
die Prinzen Albert und Ernst oder (der deutsche) König Leopold von Belgien von
Briten verkörpert werden. Für die deutsche Synchronfassung ist das natürlich
ohne Belang, wer sich die Serie aber im Original ansieht, der erlebt neben
gelegentlichen hervorragenden kurzen deutschen Dialogen auch einige eher
holprige … Insgesamt tut das der Qualität der Serie aber kaum Abbruch, die selbstbewußt auf sechs Staffeln ausgelegt ist (Victoria müßte natürlich
irgendwann mit einer älteren Schauspielerin besetzt werden) und mit den ersten acht Folgen einen überzeugenden
Grundstein setzt, der aber auch noch reichlich erzählerisches Potential für die
Zukunft offenbart.
Fazit: Die erste Staffel von "Victoria" ist
eine gut besetzte, gewitzt geschriebene Historienserie auf den Spuren
von "Downton Abbey", die inhaltlich ruhig etwas mehr in die Tiefe
hätte gehen dürfen und bisweilen durch den steten Personalwechsel ein kleines bißchen gehetzt wirkt, aber Genreanhängern fraglos viel Freude bereitet.
Wertung: 7,5 Punkte.
Staffel 1 von "Victoria" ist am 31. März 2017 von Edel:Motion auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden. Neben der Standard-DVD ohne Bonusmaterial (auch ohne Untertitel) ist eine Deluxe Edition mit knapp 100 Minuten Bonusmaterial (Interviews, Behind the Scenes) erhältlich. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Glücksstern-PR zur Verfügung gestellt.
Staffel 1 von "Victoria" ist am 31. März 2017 von Edel:Motion auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden. Neben der Standard-DVD ohne Bonusmaterial (auch ohne Untertitel) ist eine Deluxe Edition mit knapp 100 Minuten Bonusmaterial (Interviews, Behind the Scenes) erhältlich. Das Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise von Glücksstern-PR zur Verfügung gestellt.
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