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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 20. April 2017

MOONLIGHT (2016)

Regie und Drehbuch: Barry Jenkins, Musik: Nicholas Britell
Darsteller: Alex R. Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes, Naomie Harris, Mahershala Ali, Janelle Monáe, Jaden Piner, Jharrel Jerome, André Holland, Patrick Decile
Moonlight
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 98% (9,0); weltweites Einspielergebnis: $65,2 Mio.
FSK: 12, Dauer: 111 Minuten.

Miami in den 1980er Jahren: Der neunjährige Afroamerikaner Chiron (Alex Hibbert) hat es nicht leicht, denn seine alleinerziehende Mutter Paula (Naomie Harris, "Skyfall") ist cracksüchtig und er selbst ist in der Schule ein Außenseiter, da er schmächtig ist und nicht mehr als nötig redet. Ausgerechnet in dem kubanischstämmigen Drogendealer Juan (Mahershala Ali, "Die Tribute von Panem: Mockingjay"), der beobachtet, wie "Little" – so Chirons Spitzname – von mehreren Jungs gejagt wird, findet er einen unerwarteten Freund. Bei Juan und seiner Freundin Teresa (Janelle Monáe, "Hidden Figures") kann Little fortan auch übernachten, wenn seine Mutter – die ihre Drogen ironischerweise bei Juans Leuten kauft – wieder mal indisponiert ist. Sieben Jahre später hat sich – obwohl er deutlich in die Höhe geschossen ist – an Chirons (Ashton Sanders) Außenseiterstatus nicht viel geändert, in Kevin (Jharrel Jerome) hat er nur einen Freund, dafür wird er von Großmaul Terrel (Patrick Decile) und dessen Freunden noch stärker schikaniert als früher. Daß Chiron tiefere Gefühle für Kevin entwickelt, macht seine gesellschaftliche Position im Mikrokosmos Highschool nicht einfacher …

Kritik:
Seit der Jahrtausendwende war ich immer wieder nicht allzu glücklich mit der Wahl des "Bester Film"-Gewinners bei den OSCARs – Beispiele dafür sind "No Country for Old Men", "Departed – Unter Feinden" oder "L.A. Crash" –, und nachdem ich in den letzten Jahren recht zufrieden war mit "Birdman" und "Spotlight", entspricht die Wahl von "Moonlight" 2017 wieder nicht ganz meinen Vorstellungen. Zwar ist Barry Jenkins' günstig produzierte Coming of Age-Geschichte fraglos ein guter Film – aber besser als "Manchester by the Sea" oder "La La Land"? Meiner Ansicht nach nicht. Andererseits ist dies vermutlich ein Fall, bei dem man die übergeordnete Bedeutung miteinberechnen muß. Das ist zwar nicht ganz fair gegenüber den Konkurrenten, aber letztlich ist ein positiver gesellschaftlicher Einfluß vermutlich doch etwas wichtiger als rein künstlerische Überlegungen – und als mehr oder weniger politische Veranstaltung sehen sich die Academy Awards ja schon seit langer Zeit. Tatsächlich ist es natürlich bemerkenswert, daß ein ambitionierter Film über einen in ärmlichen Verhältnissen und ohne große Aufstiegschancen aufwachsenden homosexuellen Afroamerikaners entstanden ist, von einem schwarzen Autor und Regisseur und mit einer bis auf wenige Komparsen komplett schwarzen Besetzung. Denn im immer noch von "weißen Themen" dominierten Hollywood-Kino ist das bedauerlicherweise bis heute eine Seltenheit. Zugegeben, gerade im Jahr 2016 gab es gleich mehrere Vertreter, die ebenfalls bei den OSCARs im Rennen waren ("Fences", "Hidden Figures") und meiner Ansicht nach mindestens genauso gelungen sind, doch während die in der Vergangenheit spielen, ist "Moonlight" der "aktuellste" Film, der sich zudem noch stärker solchen Menschen widmet, die sonst nur selten ihren Platz im Kino finden. In einer Gesellschaft wie der aktuellen in den USA, die von Spaltung und zunehmenden Spannungen zwischen den Gruppen geprägt ist, kann die Wichtigkeit einer so einfachen und alltäglichen, doch zu selten erzählten Geschichte wie der von "Moonlight" nicht unterschätzt werden – ähnliches galt 2006 für "Brokeback Mountain", der dabei half, Homosexualität (unter Weißen) zu "normalisieren", bei den OSCARs dann jedoch überraschend gegen "L.A. Crash" verlor. Der (wie "Fences") auf einem Theaterstück basierende "Moonlight" ist diesen zusätzlichen Schritt gegangen und konnte den "Bester Film"-OSCAR für sich entscheiden. Wie gesagt, künstlerisch bin ich damit nicht wirklich zufrieden, aber wenn es hilft, afroamerikanische Themen (und Künstler) im "Mainstream" zu etablieren, soll es mir recht sein.

Der erst 38 Jahre alte Filmemacher Barry Jenkins hat die Handlung seines ersten größeren Films in drei Kapitel unterteilt, die nach dem jeweils bevorzugten Rufnamen des Protagonisten benannt sind: In "Little" lernt der schweigsame Neunjährige seinen väterlichen Freund Juan und dessen Freundin Teresa kennen, in "Chiron" geht es um seine schwere Highschool-Zeit und die ersten sexuellen Erfahrungen und in "Black" ist der Mittzwanziger (Trevante Rhodes, TV-Serie "If Loving You Is Wrong") ein gestandener und vor allem äußerlich von der Realität gestählter Mann, in dem aber immer noch die alten Emotionen und Ängste schlummern, wie ihm durch das Wiedersehen mit seinem Schulfreund Kevin (André Holland, "Selma") bewußt wird. Die wohl größte Leistung von Barry Jenkins ist es, diese drei Abschnitte erstens inhaltlich trotz großer Personalwechsel erstaunlich flüssig ineinander übergehen zu lassen und zweitens eine nahezu perfekte dreifache Besetzung für Hauptfigur Chiron zu finden. Alex Hibbert als kleiner, großäugiger Little, Ashton Sanders als hochgewachsener, aber schmaler Chiron und Trevante Rhodes als taffer und muskulöser Black unterscheiden sich auf den ersten Blick so deutlich voneinander, daß man kaum glaubt, daß sie die gleiche Figur in verschiedenen Altersstufen darstellen sollen. Doch wenn man ihnen nur wenige Minuten zusieht und zuhört, dann erkennt man, wie makellos Jenkins' Auswahl der drei Darsteller war. Sie zeigen Chirons charakterliche und körperliche Entwicklung, vor allem aber auch jenes, das sich nicht ändert: die inhärente Schüchternheit und Unsicherheit; die von seiner in der Umgebung, in der er lebt, überwiegend verpönten sexuellen Neigung ausgehende Identitätssuche; der traurige, sehnsüchtige Blick in die Ferne. Chirons Entwicklung ist logisch, nachvollziehbar, glaubwürdig und auch angesichts des von Kriminalität und Armut geprägten Umfelds, in dem er wie so viele reale Afroamerikaner aufwächst, geradezu schmerzvoll konsequent – was insofern aber natürlich auch nicht allzu verwunderlich ist, als Jenkins in seiner Geschichte auf Außergewöhnliches verzichtet. Er zeigt ein normales Aufwachsen eines jungen Afroamerikaners aus ärmlichen Verhältnissen (wenn auch verkompliziert durch sein Schwulsein), weshalb der Rufname "Black" im finalen Kapitel mit Sicherheit zweideutig gemeint ist.

Damit wären wir dann allerdings auch schon bei einem Problem: Es geschieht eben nicht so wirklich viel in "Moonlight" und durch die große Zeitspanne, die in den drei Kapiteln abgedeckt wird, kommt zu selten ein richtiger Erzählfluß zustande. Das liegt wohl vor allem daran, daß es nur wenige Konstanten in Chirons Leben gibt: Außer ihm sind nur seine Mutter Paula und sein Freund Kevin immer mit dabei, wobei deren Wichtigkeit schwankt (Kevin hat im ersten Kapitel im Grunde genommen nur einen Gastauftritt, Paula im dritten). Am besten hat mir eigentlich das erste Kapitel gefallen, in dem man die Personen kennenlernt und das mit dem mit dem Nebenrollen-OSCAR prämierten Mahershala Ali glänzt. Der lange Zeit weitgehend auf TV-Rollen ("Crossing Jordan", "The 4400", "Alphas", "House of Cards") festgelegte Kalifornier zeigt als Juan eine einfühlsame Leistung, die mit etlichen poetischen, dabei teils sogar improvisierten (Littles "Taufe" im Meer) Momenten beeindruckt. Grundsätzlich ist "der nette Drogendealer von nebenan" natürlich keine ganz unproblematische Figur, aber Jenkins achtet darauf, ihn nicht zu heroisieren, sondern die Folgen seines Handelns darzulegen, ohne dabei wiederum zu plakativ vorzugehen. Und es läßt sich eben nicht leugnen, daß Juan (und Teresa) großen Einfluß auf Chiron und seinen Werdegang ausübt – auch wenn der nicht ausnahmslos so positiv ausfällt, wie Juan selbst sich das wahrscheinlich vorstellt (wie man vor allem in Kapitel 3 erfährt). Eine mindestens ebenso wichtige, wenn auch sogar noch deutlich problematischere Bezugsgröße ist natürlich Chirons Mutter Paula (OSCAR-Nominierung für Naomie Harris), die sich (nicht nur, aber wohl vor allem) dank ihrer Drogensucht nicht gerade vorbildlich um ihren Sohn kümmert. Dementsprechend kann es kaum verwundern, daß Chiron einmal Juan erzählt, er hasse seine Mutter – daß das nicht die ganze Wahrheit ist, weiß er vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt selbst, später wird es aber speziell in einer Schlüsselszene des dritten Kapitels deutlich.

So überzeugend, teilweise gar anrührend der erste Akt gelungen ist, so mittelmäßig empfand ich den zweiten. Die Story des gemobbten Highschool-Außenseiters hat man einfach schon zu oft gesehen und Jenkins gewinnt ihr nicht wirklich neue Facetten ab. Für Chirons Werdegang ist diese Lebensphase (und ganz besonders die finale Entwicklung des Kapitels) natürlich sehr wichtig, dennoch ist Kapitel 2 in meinen Augen das schwächste des Films. Besser sieht es dann wieder im Schlußkapitel aus, das zwar formal und inhaltlich sehr reduziert daherkommt und sich größtenteils auf Chirons Wiedersehen mit dem inzwischen als Koch in einem Diner arbeitenden Kevin konzentriert – beide hatten seit der Highschool keinen Kontakt –, dafür aber die intensivsten und innigsten Charaktermomente zu bieten hat. Die vielgelobte Kameraführung von James Laxton ("Tusk") kommt hier zwar aufgrund der statischen Szenerie nicht so gut zur Geltung wie in den ersten beiden Kapiteln, in denen immer wieder die Handkamera Verwendung findet und eine besondere Nähe zum Protagonisten vermittelt, dafür spielt die gefühlvolle, von Streichinstrumenten dominierte und wie auch Kamera und Schnitt OSCAR-nominierte Musik von Nicholas Britell ("The Big Short") umso überzeugender auf. Ich bleibe dabei: "Moonlight" ist nicht der beste Film des Jahres 2016 – aber er ist ein guter und vor allem ein wichtiger Film.

Fazit: "Moonlight" erzählt die authentische Coming of Age-Geschichte eines homosexuellen Afroamerikaners, was inhaltlich nicht gerade spektakulär ausfällt, dafür aber mit vielen intimen Charaktermomenten glänzt und zudem innovativ gefilmt und stark gespielt ist.

Wertung: 7,5 Punkte.


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