Regie: Jon Favreau, Drehbuch: Justin Marks, Musik: John
Debney
Darsteller: Neel Sethi, Ritesh Rajan
Sprecher
der Originalfassung: Idris Elba, Sir Ben Kingsley, Bill Murray, Christopher Walken, Lupita Nyong'o,
Scarlett Johansson, Giancarlo Esposito, Garry Shandling, Jon Favreau, Sam
Raimi
FSK: 6, Dauer: 106 Minuten.
Als der gutmütige Panther Baghira (Sir Ben Kingsley, "Hugo Cabret") ein Menschenkind allein im Dschungel fand, brachte er es
zu einem nahen Wolfsrudel. Dort kümmerte sich die Wölfin Raksha (Lupita
Nyong'o, "12 Years a Slave") um Mogli (Neel Sethi), als wäre er einer
ihrer Welpen. Inzwischen ist Mogli ganz selbstverständlich ein Teil des Rudels
und was ihm an Schnelligkeit gegenüber seinen neuen Brüdern und Schwestern
fehlt, macht er durch Athletik und ein schlaues Köpfchen wett. Alles ist
also im Lot – bis der tyrannische Tiger Shir Khan (Idris Elba, "Prometheus") von Mogli erfährt. Seit Shir Khan dereinst von einem Menschen mit Feuer
verbrannt wurde, hegt er einen unbändigen Haß gegen die Menschen und die
nur von ihnen beherrschte "rote Blume", und so fordert er die Wölfe um ihren Anführer Akela (Giancarlo Esposito, TV-Serie "Breaking Bad")
ultimativ auf, Mogli an ihn herauszugeben. Natürlich weigert sich Raksha, doch
unter den übrigen Rudelmitgliedern ist die Meinung geteilt, da Shir Khan als
gefährlichstes und bösartigstes Tier der Gegend gefürchtet ist. Da er nicht
will, daß seine neue Familie wegen ihm leidet, entscheidet Mogli
schließlich von sich aus, das Rudel zu verlassen und unter Baghiras Führung in
das nächstgelegene Menschendorf zu gehen. Shir Khan ist damit allerdings ganz
und gar nicht einverstanden, er will Mogli tot sehen …
Kritik:
Nein, sonderlich kreativ kann man die von Disney seit 2014
(bereits 2010, wenn man "Alice im Wunderland" mitzählt, der aber wenig
mit der 1951er-Version zu tun hatte) gefahrene Strategie der
Realneuverfilmungen alter Zeichentrickfilme sicher nicht nennen. Klar ist aber
auch: Bislang funktioniert sie vermutlich sogar besser, als die Studiomanager
sich das je hätten träumen lassen. "Alice im Wunderland" spielte
weltweit über $1 Mrd. ein, "Maleficent" über $700 Mio. und
"Cinderella" immerhin noch mehr als $500 Mio. – eine Reihung, die
übrigens insofern ungerecht ist, als "Cinderella" mit Abstand der
beste der drei Filme ist. Dem Abwärtstrend – der angesichts des
Megaerfolgs von "The Jungle Book" auch schon wieder beendet ist – zum Trotz war
aber natürlich das gesamte Trio ein riesiger kommerzieller Erfolg für Disney,
weshalb seitdem quasi im Akkord neue Adaptionen eigener Zeichentrick-Klassiker
angekündigt werden: "Die Schöne und das Biest", "Dumbo",
"Mulan", "Pinocchio", "Peter Pan" (samt Tinkerbell-Spin-Off),
"Aladdin" … und selbstverständlich kommen dazu noch
diverse Fortsetzungen der Remakes. Wenn die kommenden Disney-Filme den
bisherigen qualitativen Trend beibehalten, dann wird sich jedoch kaum ein Kinogänger
über die wenig kreative Strategie beschweren. Denn nachdem es mit
"Alice im Wunderland" sehr mäßig begann und auch "Maleficent"
trotz Angelina Jolies Glanzleistung in der Titelrolle einige Kritik
einstecken mußte, demonstrieren "Cinderella" und "The Jungle
Book", wie ungeheuer viel Freude diese aufwendig gestalteten Remakes bereiten
können. Und die Neuverfilmung des Dschungelbuchs kann sich neben dem hohen
Unterhaltungswert außerdem damit brüsten, einen neuen Standard in
Sachen 3D und CGI-Effekte gesetzt zu haben.
Vor allem der erste Akt der altbekannten Geschichte nach dem
Romanklassiker von Rudyard Kipling ist einfach überragend: Regisseur Jon
Favreau ("Iron Man") geht gleich in den ersten Minuten in die Vollen,
als sich alle möglichen Tiere des Dschungels angesichts eines infolge langanhaltender Trockenheit ausgerufenen traditionellen
"Wasserfriedens" an einem idyllischen Teich treffen: Wasserbüffel,
Flußpferde, Zwergwildschweine, Stachelschweine (eines übrigens
gesprochen von dem kurz vor Kinostart verstorbenen US-Komiker Garry Shandling),
Wölfe, Pfauen – sie alle trinken friedlich nebeneinander, zanken sich
freundschaftlich, tollen fröhlich umher. Ein beinahe utopisches Idyll, das ganz
nebenbei die herausragende Technik des Films demonstriert. Denn das
mit dem "Realfilm" ist bei "The Jungle Book" höchstens die
halbe Wahrheit, tatsächlich stammt nämlich fast alles außer dem jungen
Mogli-Darsteller Neel Sethi aus dem Computer! Das fällt allerdings kaum auf, da
sowohl die üppig bewachsene Dschungel-Umgebung als auch die Unmengen an Getier
so authentisch wirken, als wären sie aus Fleisch und Blut und stünden direkt
vor einem. Selbst daß viele der Tiere sprechen können, fällt einem zunächst
kaum als "unnatürlich" auf, da es ganz selbstverständlich geschieht und
die Mimik absolut glaubwürdig rüberkommt – die Frage, warum manche Tierarten
sprechen, andere aber nicht (z.B. die Elefanten), bleibt derweil leider
unbeantwortet. Wenn man bedenkt, wie albern noch in den 1990er Jahren
sprechende Tiere in Kino oder TV oft aussahen, dann ist es wirklich
beeindruckend, wie sehr sich die Technik seitdem entwickelt hat. Und "The
Jungle Book" ist selbst im Vergleich zu Gollum aus "Der Herr der
Ringe", Peter Jacksons "King Kong", den Na'vi aus
"Avatar" oder dem ebenfalls komplett computergenerierten (aber nicht
sprechenden) Tiger aus "Life of Pi" noch einmal ein großer Schritt nach vorne. Auch die 3D-Qualität ohne jegliche Geisterbilder oder andere noch immer
bei vielen 3D-Filmen die Immersion störende technische Mängel sowie die
gerade in mit Dolby Atmos ausgestatteten Sälen authentische Soundkulisse
gehören zum Besten, was das Kino bis zum Jahr 2016 hervorgebracht hat. Und so
sitzt man da und bestaunt an Moglis Seite das einträchtige Gewimmel von Beute- und Raubtieren, das es
auch an kindgerechtem (aber dankenswerterweise nie zu infantilem und so für Erwachsene ebenfalls amüsanten) Humor nicht fehlen
läßt.
Doch der Wasserfrieden, der diese technische Brillanz dem
Publikum erstmals in ihrer ganzen Pracht nahebringt, ist nicht von langer
Dauer. Denn Shir Khan trifft ein und er ist inszeniert wie eine Naturgewalt: Zunächst
sehen wir nur die Schattenumrisse, als der Tiger vor der gleißenden Sonne
langsam, majestätisch über einen Felsvorsprung in den Mittelpunkt des Bildes
schreitet … dann springt er mit einem mächtigen Satz zwischen all die anderen Tiere am Wasser und sofort
schlägt die ausgelassene Stimmung in kollektive Furcht, ja sogar Panik um. Selbst Shir Khan hält sich allerdings an die ungeschriebenen Gesetze des Dschungels und
respektiert den Wasserfrieden. Sobald dieser vorbei ist, so die
unheilvolle Warnung, wird er das Menschenkind jedoch töten. Shir Khan-Sprecher Idris
Elba (die deutsche Synchronfassung werde ich wohl auch noch anschauen und
dann einige Sätze zur Qualität der deutschen Stimmen nachtragen) transportiert
die tödliche Gefahr, die der durch seine frühere Begegnung mit dem Feuer leicht
entstellte Tiger versprüht, mit einer eindrucksvollen Intensität und schickt sich
nebenbei an, mit dem sonoren, bedrohlichen, aber durchaus charismatischen
Baß zum inoffiziellen Nachfolger des großartigen Sir Christopher Lee (z.B. in "Das letzte Einhorn" und "Extraordinary Tales") zu
werden als Sprecher sinistrer, geheimnisumwitterter Figuren.
Nach diesem erinnerungswürdigen Auftritt ist die anfängliche
Leichtigkeit der Handlung vorerst Geschichte. Mit Moglis mehr oder
weniger freiwilligem Aufbruch an Baghiras Seite beginnt der ernstere Part des Films – und dieser lange Mittelteil beinhaltet die einzige echte Schwäche
dieser ansonsten so überaus gelungenen Neuinterpretation von Wolfgang Reithermans
"Das Dschungelbuch" aus dem Jahr 1967. Denn es wird schnell offenbar,
daß Autor Justin Marks (dessen bisher einziges Kino-Drehbuch zum miesen "Street Fighter: The Legend of Chun-Li" Schlimmes für "The Jungle Book" befürchten ließ, nun aber vermutlich als Ausrutscher verbucht werden darf) die eigentlich nur von einer Tierbegegnung Moglis
zur nächsten springende Story nicht wirklich erweitert (und auch nicht an
Kiplings Vorlage angenähert) hat, sondern fast nur gestreckt. Geschickt gestreckt, aber gestreckt. Und wo diese
Anekdotenhaftigkeit bei dem nur etwa 75 Minuten langen Zeichentrickfilm kaum
negativ ins Gewicht fiel, fällt sie in dem eine halbe Stunde längeren "The
Jungle Book" durchaus auf. Zwar gibt es doch einige strukturelle
Änderungen: Affenkönig Louie hat eine etwas größere Rolle (und ist kein
Orang-Utan mehr, weil es die in Indien gar nicht gibt); die Schlange Kaa ist nun
weiblich und eher böse, hat aber leider nur noch eine Szene; die Elefanten sind durch die
Streichung "ihres" Songs "Colonel Hathi's March" auch
gebeutelt; die Geier spielen überhaupt keine Rolle mehr; und speziell das letzte Filmdrittel läuft ziemlich anders ab,
da Shir Khan in dieser Version Mogli nicht verfolgt, sondern dafür sorgt,
daß dieser zu ihm kommt. Dennoch: Im Kern bleibt es ein ziemlich geradliniger
"Jungle Trip" ohne nennenswerte Komplexität und da merkt man die 30
zusätzlichen Minuten deutlicher als es wünschenswert wäre. Eine echte
"Botschaft" wie im kurz zuvor gestarteten Disney-Animationsfilm
"Zoomania" gibt es übrigens auch nicht, abgesehen vom obligatorischen "Zusammen sind wir stark, wenn jeder seine individuellen
Stärken einbringt".
Daß der Mittelteil trotz besagter Längen
durchweg Laune macht, ist neben der überragenden Technik primär den ikonischen, immer noch unverschämt
sympathischen und unterhaltsamen Figuren zu verdanken sowie der begnadeten Sprecherwahl. Da jemanden extra hervorzuheben, wäre
ungerecht: Idris Elba habe ich ja bereits ausführlich gewürdigt, Sir Ben
Kingsley verleiht Baghira unaufgeregt Weisheit und Würde (auch wenn es zunächst etwas kurios wirkt, einen Panther mit distinguiertem britischen Akzent zu
hören ...), während Bill Murray ("Moonrise Kingdom") als bauernschlauer,
jovialer, stinkfauler, aber unerschütterlich loyaler Bär Balu glänzt und Lupita Nyong'o als Raksha ebenso
bedingungslos liebevolle Mütterlichkeit ausstrahlt wie unzähmbaren Kampfgeist.
Auf Seiten der Antagonisten fasziniert zudem Christopher Walken
("Hairspray") als King Louie, der eine Art mafiöser
Schutzgelderpresser ist, während Scarlett Johansson ("Lucy") in ihrem
leider zu kurzen Auftritt als verführerisch-bedrohliche Kaa nach
Spike Jonzes "Her" erneut ihre große Klasse als Sprecherin beweist. Entgegen
ursprünglicher Erwartungen hat Jon Favreau übrigens auch einige Songs aus dem
Original übernommen. Das ist eine Entscheidung, die durchaus kontrovers
diskutiert wird, da die musikalischen Einlagen natürlich ein Stück weit dem
sonstigen betont realitätsnahen Stil und der etwas düstereren Atmosphäre
zuwiderlaufen. Da lediglich die beiden größten Hits Verwendung finden –
Balus "The Bare Necessities" (sympathisch holprig vorgetragen von Bill
Murray) und King Louies "I Wanna Be Like You" – und speziell ersterer
harmonisch in die Story und die hörenswerte instrumentale Musik von John Debney
("Sin City") eingebettet ist, habe ich aber kein Problem damit. Zumal es einfach wunderbare Ohrwürmer sind, die einem auch in den neuen Fassungen
nicht so schnell aus dem Gehörgang entfleuchen. Erst während des Abspanns kommt mit
Scarlett Johanssons wunderbar hpynotischer Version von Kaas "Trust In Me"
ein dritter Song aus dem Zeichentrickfilm hinzu (auf den eine
bluesigere "The Bare Necessities"-Interpretation von Dr. John and The
Night Trippers folgt). Da Regisseur Favreau das alles mit leichter Hand
präsentiert und bei den humorvollen und den bedrohlichen Szenen eine gute Balance
findet und der Newcomer Neel Sethi ausgezeichnet mit seinen
computergenerierten Gefährten harmoniert, wird "The Jungle Book" nie
langweilig. Und wenn nach dem großen Finale der Abspann über die Leinwand
flimmert, kann man sich schon darüber freuen, daß bereits zwei
Fortsetzungen vom selben Team angekündigt worden sind …
Fazit: "The Jungle Book" ist zwar im
Mittelteil etwas zu sehr in die Länge gezogen, sorgt aber mit einer etwas
bedrohlicheren, jedoch stets beschwingten und überragend vertonten
Version der altbekannten Abenteuer von Mogli für glänzende
Familienunterhaltung und setzt zugleich die bisherige technische Meßlatte ein
gutes Stück höher.
Wertung: 8,5 Punkte.
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