Regie und Drehbuch: Aron Lehmann, Musik: Boris Bojadzhiev
Darsteller: Robert Gwisdek, Jan Messutat, Rosalie Thomass,
Thorsten Merten, Michal Fuith, Eckhard Greiner, Luise Lähnemann, Heiko
Pinkowski, Peter Trabner
FSK: 6, Dauer: 93 Minuten.
Nach dreijähriger Planungs- und Vorbereitungszeit kann der
junge Regisseur Lehmann (Robert Gwisdek, "13 Semester") endlich mit
den Dreharbeiten seiner aufwendigen Verfilmung der Heinrich von Kleist-Novelle
"Michael Kohlhaas" beginnen. Der erste Tag ist wunderbar gelaufen,
Lehmann entsprechend euphorisch, als er abends im Hotel einen Anruf erhält: Die
Produzenten sind ganz kurzfristig abgesprungen, die erwarteten staatlichen
Fördergelder gibt es auch nicht! Als Lehmann am nächsten Morgen der Filmcrew
die neue Situation erklärt, gelingt es ihm, einen Teil davon trotz vorhandener
Skepsis zu überzeugen, dennoch weiterzumachen. Mit Hilfe der Bewohner des
Dorfes, in dem die Dreharbeiten stattfinden, wird also auf Teufel komm raus
improvisiert – statt auf einem Pferd muß Kohlhaas (Jan Messutat,
TV-Film "Mogadischu") beispielsweise auf einem Ochsen reiten, gekämpft wird pantomimisch. Die Schwierigkeiten werden bei allem Einfallsreichtum jedoch
nicht weniger, der Hauptdarsteller droht immer wieder mit seinem Abgang. Doch
Lehmann ist wild entschlossen, den Film zu Ende zu drehen …
Kritik:
In Sachen DVD-Bonusmaterial gibt es ja unter den Zuschauern
zwei große Fraktionen: Die einen interessieren sich überhaupt nicht dafür, sie
wollen nur den Film oder die Serie sehen. Für die anderen sind sie ein
entscheidender Kaufgrund, denn warum sollten sie auch für die DVD (oder Blu-ray) Geld ausgeben,
wenn sie kaum Mehrwert gegenüber einer TV-Ausstrahlung hätte? Wer sich das
Bonusmaterial tatsächlich anschaut, der ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch
schon mal auf ein Video-Tagebuch gestoßen, das im Idealfall die gesamten
Dreharbeiten begleitet und dokumentiert. Genau so ist der auf mehreren
deutschen Festivals prämierte Genre-Mix "Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der
Mittel" aufgebaut: Wir verfolgen die absurden Geschehnisse aus der
Perspektive desjenigen, der per Handkamera die
Dreharbeiten dokumentiert, die aufgrund der Umstände wesentlich ungewöhnlicher ausfallen
als ursprünglich erwartet.
Das ist eine nette, zudem sehr kostensparende Idee, wenn
auch keine brandneue (außerdem wirkt sie sich leider mitunter auf die akustische Verständlichkeit der Dialoge aus). Allerdings dient sie Regisseur und Drehbuch-Autor Aron
Lehmann in seinem Langfilm-Debüt sowieso eher als genereller Aufhänger und wird
nicht konsequent durchgezogen. Stattdessen entwickelt sich eine Zweiteilung
zwischen den quasi-dokumentarischen Handkamera-Sequenzen und den mit statischer
Kamera aufgenommenen "echten" Kohlhaas-Filmszenen, die mit der melodiösen Musik von Boris Bojadzhiev unterlegt sind. Auf diese Weise folgt der
Film dann auch noch grob der von Kleist erdachten Geschichte eines
Pferdehändlers mit extremem Gerechtigkeitssinn, der nach ungerechter und
willkürlicher Behandlung durch den Adel eine handfeste Revolution anzettelt. Je
länger Lehmanns Werk dauert, desto stärker vermischen sich die beiden Ebenen,
zusätzlich gibt es sogar noch ein paar "Visions-Szenen" des Regisseurs.
Im Großen und Ganzen gelingt diese Vorgehensweise recht gut,
trotz der an das Theater erinnernden Improvisationen entwickelt "Kohlhaas
oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel" gegen Ende gerade dank dieser
Vermengung der erzählerischen Ebenen und der zunehmenden Besessenheit des von
Robert Gwisdek sehr überzeugend verkörperten Regisseurs Lehmann echte
cineastische Qualitäten. Der Weg dorthin gestaltet sich allerdings etwas
holprig. Szenen voller gelungener Situationskomik – als Lehmann auf seinem Pferd eine
flammende Rede für die Fortführung des Films auch ohne Geld hält, wird er von
einem jungen Mann mit den Worten "Das Pferd müßte ich auch mitnehmen, das
gehört uns" unterbrochen, was seinen Appell natürlich ziemlich
konterkariert – wechseln sich immer wieder ab mit Fremdschäm-Momenten vor allem
im Umgang des Filmteams mit den Dörflern. Es gibt sicherlich Zuschauer, die
genau das schätzen, schließlich haben TV-Serien wie "Shameless", "The Office" oder "Stromberg" viele Anhänger – meinen
Humorgeschmack trifft das allerdings nicht; ich finde jedoch generell, daß die
entsprechenden Szenen tonal nicht so richtig in diesen Film hineinpassen.
Davon abgesehen jedoch präsentiert der "echte"
Regisseur Aron Lehmann immer wieder wunderbar amüsante Momente, die gleichzeitig als Ode
an das Filmemachen mit begrenzten Mitteln wie auch als selbstironische,
schwarzhumorige Parodie der ichbezogenen Parallelwelt Film funktionieren. Ein
Paradebeispiel dafür: Während einer Schlüsselszene der Dreharbeiten ertönt
plötzlich die Feuerwehr-Sirene des Dorfes, woraufhin viele Komparsen sofort vom
Set eilen, da sie allesamt der freiwilligen Feuerwehr angehören! Aber damit
noch nicht genug, denn Lehmann fordert seine Crew auf, mitzukommen – es könnte
ja tatsächlich irgendwo brennen, und mit etwas Glück könnte man das Feuer
filmen und dann sozusagen als Double für den Brand Leipzigs in Kleists Novelle
verwenden, für dessen Nachstellung der Produktion natürlich das Geld fehlt …
Auch die Gegenüberstellung eines mit klassischer Filmmusik unterlegten,
improvisierten Angriffs des Filmteams im Wald – mit dem Lehmann an die
Phantasie aller Beteiligten appelliert – mit kurzen Umschnitten zu den gleichen Szenen ohne Musik und
cineastische Kameraführung, wodurch sie einfach nur albern wirken, sorgt für
einen gelungenen Aha-Moment. Daß die 1994 verstorbene, höchst eigenwillige
Independent-Ikone Derek Jarman ("Caravaggio", "Edward II.") Lehmann als Inspiration diente, kann man an solchen Momenten gut erkennen.
Nur sind sie etwas zu spärlich zwischen einigen zäheren, manchmal sogar
anstrengenden Sequenzen verstreut.
Wie bereits erwähnt, zeigt Robert Gwisdek in der Hauptrolle
des Regisseurs Lehmann eine sehr gute Leistung. Er bringt den etwas naiv wirkenden,
aber ehrlichen Enthusiasmus des Filmemachers ebenso hervorragend zur Geltung
wie dessen unerschütterliche Zielstrebigkeit, die sich selbst von den
zahlreichen Rückschlägen kaum beeinträchtigen läßt. Für Lehmann ist
Regisseur nicht einfach nur ein Beruf, er ist offensichtlich eine Obsession,
die einerseits durch die widrigen Umstände seine Kreativität beflügelt –
brillant die Idee, die Verwandlung von Kohlhaas' edlem Rappen, der von dem
Junker von Tronka als Pfand einbehalten und durch harte Feldarbeit bis zur
Wertlosigkeit geschunden wird, durch den Wechsel des ursprünglich als
"Pferd-Ersatz" genutzten Ochsen zu einer Ziege zu symbolisieren –, ihn
aber auch immer wahnhafter werden läßt. Das passende Gegenstück dazu gibt der
von Jan Messutat ebenfalls authentisch gespielte Kohlhaas-Darsteller, der ewig
mit den Widrigkeiten der Produktion sowie seiner Rolle hadert und stets kurz
davor steht, alles hinzuschmeißen.
Fazit: "Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit
der Mittel" ist eine amüsante und clevere Farce über die Kunst des
Filmemachens, die immer wieder mit brillanten Momenten voll absurder Komik
aufwartet, phasenweise aber auch ziemlich anstrengend ist und für meinen
Geschmack etwas zu viele Fremdschäm-Momente beinhaltet.
Wertung: Knapp 7 Punkte.
Das Rezensionsexemplar wurde von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
Das Rezensionsexemplar wurde von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen