Originaltitel: Shock Corridor
Regie und Drehbuch: Samuel Fuller, Musik: Paul Dunlap
Darsteller:
Peter Breck, Constance Towers, Gene Evans, Hari Rhodes, James Best, William Zuckert, Larry
Tucker, John Matthews, Philip Ahn, Chuck Roberson, Neyle
Morrow, Paul Dubov, Rachel Romen
Johnny Barrett (Peter Breck, TV-Serie "Big Valley")
hat ein klares Ziel: Er will den Pulitzer-Preis für investigativen
Journalismus gewinnen, indem er einen Mord in der Nervenheilanstalt
von Dr. Cristo (John Matthews, "Goldfieber") aufklärt – wofür er sich selbst als Patient einweisen läßt! Das hat er
vorbereitet, indem er von Dr. Fong (Philip Ahn, TV-Serie "Kung Fu") –
einem Freund seines Chefs Swanson (William Zuckert, "Ace Ventura") – penibel
darauf trainiert wurde, von den Ärzten wirklich als behandlungsbedürftig
akzeptiert zu werden. Auslöser der Einweisung ist die (jedoch widerwillige) Anzeige
seiner Freundin Cathy (Constance Towers, "Der letzte Befehl",
TV-Serie "General Hospital") bei der Polizei, die sich dort als
Johnnys Schwester ausgibt und behauptet, von ihm sexuell angegriffen worden zu
sein. Johnnys Plan funktioniert und er landet in der Anstalt, wo er sich sogleich
daran macht, mit den drei Patienten zu sprechen, die Zeuge des Mordes wurden,
aufgrund ihres geistigen Zustandes aber schwer zugänglich sind. Dennoch macht
Johnny Fortschritte bei seinen heimlichen Ermittlungen, muß aber
auch feststellen, daß er selbst immer stärker mit seiner gespielten Rolle zu
verschmelzen droht …
Kritik:
Obwohl Samuel Fuller ("Ardennen 1944", "The
Big Red One") niemals große, teure Hollywood-Produktionen drehte, zählt er
zweifellos zu den großen, bedeutenden Filmemachern Amerikas. Das liegt vor
allem an seinem unverwechselbaren Stil als Regisseur wie auch als
Drehbuch-Autor, denn Fuller war kein Freund von Subtilität. Stattdessen setzte
er auf übertriebene, nicht selten sensationalistische Geschichten, die er jedoch
häufig mit beißender Gesellschaftskritik verband und trotz in der Regel
geringen Budgets formal innovativ inszenierte – nicht ohne Grund nennt jemand wie
Quentin Tarantino Samuel Fuller als eine seiner Inspirationsquellen. Der mit Euripides-Zitaten beginnende und endende "Schock-Korridor"
ist ein Musterbeispiel für Fullers Werke: Nicht nur, daß die Geschichte eines
Reporters, der sich als verrückt ausgibt, um in einer Nervenheilanstalt einen
Mörder zu finden, perfekt auf die Titelseite jeder Boulevardzeitung passen
würde, nein, Fuller verbindet sie noch plakativ (aber wirkungsvoll) mit
damals aktuellen gesellschaftlichen Themen und verstärkt die Wirkung auf das Publikum
durch technische und stilistische Spielereien. Somit ist "Schock-Korridor" im Endeffekt ein
aufregender Psychothriller mit starken Noir- und Horrorelementen, der trotz
seiner Dialoglastigkeit und der weitgehenden Beschränkung auf einen Schauplatz die Spannungsschraube immer stärker anzieht –
wobei die Spannung vor allem darin besteht, ob Johnny seinen Verstand verlieren
wird oder nicht …
Um das gleich klarzustellen: Wer eine authentische Darstellung von
psychischen Krankheiten und dem Innenleben einer Nervenheilanstalt sucht, der
wird bei "Schock-Korridor" eher nicht fündig werden und sollte sich lieber "Einer flog über das Kuckucksnest" oder
"Durchgeknallt" anschauen (wobei das Anstaltspersonal
interessanterweise in "Schock-Korridor" fast besser wegkommt – naja,
zumindest die Ärzte). Ich bin zwar kein Psychiater, aber ich mir sehr sicher,
daß viel von dem hier Gezeigten keinesfalls dem aktuellen Stand der
Wissenschaft entspricht und bereits Anfang der 1960er Jahre nicht übermäßig
akkurat war – wenngleich eine gewisse psychologische Unterfütterung von Fullers
Drehbuch unverkennbar ist. Speziell die zumindest stark angedeutete (und von
Cathy von Anfang an vertretene) Theorie, wonach Irrsinn letztlich ansteckend
sei, ist sehr problematisch, wenngleich der Film durchaus andere
Interpretationen zuläßt – schließlich wird Johnny von Beginn an als ein
obsessiver Charakter gezeichnet und da ist es wohl nicht unglaubwürdig, daß seine
Obessionen durch die Undercover-Ermittlung noch deutlich verstärkt werden.
Generell wirkt die Darstellung des Lebens in der Anstalt nicht sehr glaubwürdig.
Mir ist zwar klar, daß Fuller das Drehbuch bereits um 1940 schrieb
(ursprünglich sollte es Fritz Lang verfilmen) und damit zu einer Zeit, in der
man die Lobotomie für eine tolle Idee hielt und weibliche psychische
Beschwerden noch vereinzelt unter dem Begriff "Hysterie"
zusammenfaßte – trotzdem ist es schwer vorstellbar, daß es damals tatsächlich
so zuging wie hier in Dr. Cristos Anstalt.
Das ändert aber nichts daran, daß Fullers übertriebene,
durch teils wilde Kamerafahrten über den langen Korridor, auf
dem sich die Patienten meist aufhalten, verstärkte Darstellung äußerst
wirkungsvoll ist. Manche Szenen mögen heutzutage unfreiwillig
komisch wirken (wie ein Raum voller hysterischer Nymphomaninnen, die sich auf
den unvorsichtigen Johnny stürzen …), doch sind sie von Fuller so geschickt und intensiv in
Szene gesetzt, daß sich für den Zuschauer ein immer stärkeres Gefühl der
Verunsicherung einstellt. Dafür sorgt außerdem die Tonkulisse: Fuller setzt gezielt auf Mißtöne, er entfacht immer wieder eine
buchstäblich ohrenbetäubende Kakophonie aus Geschrei und Gesang (Johnnys
Zimmergenosse Pagliacci – der ursprüngliche Name der in Deutschland als "Der Bajazzo" bekannten Oper von Ruggero Leoncavalli – singt ständig Opernarien), die mit Johnnys zunehmenden
psychischen Problemen einhergeht und sie wohl durchaus auch verstärken kann.
Grundsätzlich geht es Fuller aber sowieso nicht um eine realistische
Darstellung geistiger Krankheiten, sondern um deren offensichtliche symbolische
Bedeutung. Daran läßt speziell Johnnys Befragung der drei Mordzeugen keinerlei
Zweifel, denn deren psychische Probleme stehen mit damals aktuellen
gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang: Stuart (James Best, "Die
fünf Vogelfreien", TV-Serie "Ein Duke kommt selten allein") wurde als Soldat im Koreakrieg gefangengenommen und gehirngewaschen und nach seiner Freilassung in den USA als Verräter und Kommunistenfreund gebrandmarkt, Trent (Hari Rhodes,
"Eroberung vom Planet der Affen", TV-Serie "Daktari") hielt
dem Druck nicht stand, als er nach der Aufhebung der Rassentrennung an Schulen
durch das Oberste Gericht im Jahre 1954 einer der ersten schwarzen
College-Studenten war, Boden (Gene Evans, "Unternehmen Petticoat")
war an der Entwicklung von Atom- und Wasserstoffbombe beteiligt, was dazu
führte, daß er jetzt das Gemüt eines kleinen Kindes hat. Ihre Geschichten sind auch
dank des von Fuller forcierten Overactings der Darsteller beim Erzählen
– von einer Kamera eingefangen, die ganz nah an die aufgeregten Gesichter
herangeht – beklemmend, verstörend, empörend, was Fuller noch dadurch
unterstreicht, daß er ihre fiebrigen Erinnerungen/Träume/Halluzionationen mit
schnell zusammengeschnittenem, im Gegensatz zum übrigen Film farbigem
Archivmaterial unterstreicht.
Zuverlässige Zeugen sind das nicht gerade, aber der Mordfall
interessiert Fuller sowieso nicht, das wird einem schnell klar;
er ist ein klassischer "MacGuffin", der die Handlung vorantreibt,
ohne selbst von Belang zu sein. Insofern ist es nur konsequent, daß Johnny
gar nicht wirklich ermittelt, er erfährt bei seinen Befragungen eher zufällig
immer genau so viel Neues, wie nötig ist, um die Story voranzutreiben – bei der
aber eigentlich klar die kritische Auseinandersetzung mit besagten
gesellschaftlichen Themen im Vordergrund steht sowie Johnnys zunehmender
psychischer Verfall. Es ist eine wahrhaftige, zunehmend enthemmte Reise in den
Wahnsinn, die in ihrer atmosphärischen Intensität eines John Carpenters
("Die Mächte des Wahnsinns") würdig wäre. Peter Breck hält dabei gekonnt die Balance zwischen den seltener werdenden
"normalen", wachen Momenten und den immer häufigeren paranoiden, wenn
er beispielsweise einen surrealen Traum von seiner Freundin Cathy – mit deren
Beruf als strippender Sängerin in einem Nachtclub er nicht wirklich glücklich
ist – hat oder es nach einer speziellen Behandlung einige panische Momente lang
einfach nicht schafft, seine Gedanken laut auszusprechen. Das spiegelt übrigens
geschickt den Beginn des Films wider, bei dem wir ebenfalls Johnnys – da noch
ziemlich überheblichen und sorglosen – Gedanken zuhören, während er den Ärzten
seine Rolle vorspielt und das Ganze tatsächlich für ein Spiel zu halten
scheint, Cathys eindringliche Einwände geflissentlich ignorierend. Welch Fehler
das war, mußte er in der Zwischenzeit bitter lernen. Angesichts der damaligen
Zensurvorgaben in den USA ist es übrigens bemerkenswert, wie viel
Fuller in seinem Film zeigen durfte – man sollte aber im Hinterkopf behalten
(wie bei allen US-Filmen dieser Ära mit entsprechend gewalthaltiger und/oder
sexueller Thematik), daß er noch viel weitergehende Geschehnisse in mehr oder weniger
subtile Andeutungen verkleidet. Wenn man sich das vor Augen hält und und
einzelne Szenen entsprechend interpretiert, dann hat Samuel Fuller einen wahren Horrorfilm geschaffen, einen unbequemen und relativ schwer zugänglichen, aber umso eindrucksvolleren Vorläufer des Exploitationkinos der 1970er Jahre – ohne daß die Zensoren das begriffen hätten
…
Fazit: Samuel Fullers "Schock-Korridor" ist
ein aufwühlender Low Budget-Psychothriller, der die dünne Story als Vorwand
nutzt für eine bewußt reißerische, jedoch ungemein intensive
und kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und Ängsten der
1950er und frühen 1960er Jahre und zugleich seinen überehrgeizigen und psychisch
anfälligen Protagonisten gnadenlos in seinen ganz persönlichen Alptraum schickt. Ein
unbequemes, aber unvergeßliches Genrejuwel!
Wertung: 8,5 Punkte.
Anmerkung: "Schock-Korridor" lief am 5. Juni 2017 im Originalton mit deutschen Untertiteln bei Arte (eine Sychronfassung scheint es nicht zu geben, auch auf DVD ist der Film nur als OmU erhältlich) und wird dort in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni um 1.20 Uhr wiederholt.
Anmerkung: "Schock-Korridor" lief am 5. Juni 2017 im Originalton mit deutschen Untertiteln bei Arte (eine Sychronfassung scheint es nicht zu geben, auch auf DVD ist der Film nur als OmU erhältlich) und wird dort in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni um 1.20 Uhr wiederholt.
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