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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 7. Juni 2017

Klassiker-Rezension: SCHOCK-KORRIDOR (1963)

Originaltitel: Shock Corridor
Regie und Drehbuch: Samuel Fuller, Musik: Paul Dunlap
Darsteller: Peter Breck, Constance Towers, Gene Evans, Hari Rhodes, James Best, William Zuckert, Larry Tucker, John Matthews, Philip Ahn, Chuck Roberson, Neyle Morrow, Paul Dubov, Rachel Romen
Schock-Korridor
(1963) on IMDb Rotten Tomatoes: 94% (7,9); FSK: 12, Dauer: 98 Minuten.
Johnny Barrett (Peter Breck, TV-Serie "Big Valley") hat ein klares Ziel: Er will den Pulitzer-Preis für investigativen Journalismus gewinnen, indem er einen Mord in der Nervenheilanstalt von Dr. Cristo (John Matthews, "Goldfieber") aufklärt – wofür er sich selbst als Patient einweisen läßt! Das hat er vorbereitet, indem er von Dr. Fong (Philip Ahn, TV-Serie "Kung Fu") – einem Freund seines Chefs Swanson (William Zuckert, "Ace Ventura") – penibel darauf trainiert wurde, von den Ärzten wirklich als behandlungsbedürftig akzeptiert zu werden. Auslöser der Einweisung ist die (jedoch widerwillige) Anzeige seiner Freundin Cathy (Constance Towers, "Der letzte Befehl", TV-Serie "General Hospital") bei der Polizei, die sich dort als Johnnys Schwester ausgibt und behauptet, von ihm sexuell angegriffen worden zu sein. Johnnys Plan funktioniert und er landet in der Anstalt, wo er sich sogleich daran macht, mit den drei Patienten zu sprechen, die Zeuge des Mordes wurden, aufgrund ihres geistigen Zustandes aber schwer zugänglich sind. Dennoch macht Johnny Fortschritte bei seinen heimlichen Ermittlungen, muß aber auch feststellen, daß er selbst immer stärker mit seiner gespielten Rolle zu verschmelzen droht …

Kritik:
Obwohl Samuel Fuller ("Ardennen 1944", "The Big Red One") niemals große, teure Hollywood-Produktionen drehte, zählt er zweifellos zu den großen, bedeutenden Filmemachern Amerikas. Das liegt vor allem an seinem unverwechselbaren Stil als Regisseur wie auch als Drehbuch-Autor, denn Fuller war kein Freund von Subtilität. Stattdessen setzte er auf übertriebene, nicht selten sensationalistische Geschichten, die er jedoch häufig mit beißender Gesellschaftskritik verband und trotz in der Regel geringen Budgets formal innovativ inszenierte – nicht ohne Grund nennt jemand wie Quentin Tarantino Samuel Fuller als eine seiner Inspirationsquellen. Der mit Euripides-Zitaten beginnende und endende "Schock-Korridor" ist ein Musterbeispiel für Fullers Werke: Nicht nur, daß die Geschichte eines Reporters, der sich als verrückt ausgibt, um in einer Nervenheilanstalt einen Mörder zu finden, perfekt auf die Titelseite jeder Boulevardzeitung passen würde, nein, Fuller verbindet sie noch plakativ (aber wirkungsvoll) mit damals aktuellen gesellschaftlichen Themen und verstärkt die Wirkung auf das Publikum durch technische und stilistische Spielereien. Somit ist "Schock-Korridor" im Endeffekt ein aufregender Psychothriller mit starken Noir- und Horrorelementen, der trotz seiner Dialoglastigkeit und der weitgehenden Beschränkung auf einen Schauplatz die Spannungsschraube immer stärker anzieht – wobei die Spannung vor allem darin besteht, ob Johnny seinen Verstand verlieren wird oder nicht …

Um das gleich klarzustellen: Wer eine authentische Darstellung von psychischen Krankheiten und dem Innenleben einer Nervenheilanstalt sucht, der wird bei "Schock-Korridor" eher nicht fündig werden und sollte sich lieber "Einer flog über das Kuckucksnest" oder "Durchgeknallt" anschauen (wobei das Anstaltspersonal interessanterweise in "Schock-Korridor" fast besser wegkommt – naja, zumindest die Ärzte). Ich bin zwar kein Psychiater, aber ich mir sehr sicher, daß viel von dem hier Gezeigten keinesfalls dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht und bereits Anfang der 1960er Jahre nicht übermäßig akkurat war – wenngleich eine gewisse psychologische Unterfütterung von Fullers Drehbuch unverkennbar ist. Speziell die zumindest stark angedeutete (und von Cathy von Anfang an vertretene) Theorie, wonach Irrsinn letztlich ansteckend sei, ist sehr problematisch, wenngleich der Film durchaus andere Interpretationen zuläßt – schließlich wird Johnny von Beginn an als ein obsessiver Charakter gezeichnet und da ist es wohl nicht unglaubwürdig, daß seine Obessionen durch die Undercover-Ermittlung noch deutlich verstärkt werden. Generell wirkt die Darstellung des Lebens in der Anstalt nicht sehr glaubwürdig. Mir ist zwar klar, daß Fuller das Drehbuch bereits um 1940 schrieb (ursprünglich sollte es Fritz Lang verfilmen) und damit zu einer Zeit, in der man die Lobotomie für eine tolle Idee hielt und weibliche psychische Beschwerden noch vereinzelt unter dem Begriff "Hysterie" zusammenfaßte – trotzdem ist es schwer vorstellbar, daß es damals tatsächlich so zuging wie hier in Dr. Cristos Anstalt.

Das ändert aber nichts daran, daß Fullers übertriebene, durch teils wilde Kamerafahrten über den langen Korridor, auf dem sich die Patienten meist aufhalten, verstärkte Darstellung äußerst wirkungsvoll ist. Manche Szenen mögen heutzutage unfreiwillig komisch wirken (wie ein Raum voller hysterischer Nymphomaninnen, die sich auf den unvorsichtigen Johnny stürzen …), doch sind sie von Fuller so geschickt und intensiv in Szene gesetzt, daß sich für den Zuschauer ein immer stärkeres Gefühl der Verunsicherung einstellt. Dafür sorgt außerdem die Tonkulisse: Fuller setzt gezielt auf Mißtöne, er entfacht immer wieder eine buchstäblich ohrenbetäubende Kakophonie aus Geschrei und Gesang (Johnnys Zimmergenosse Pagliacci – der ursprüngliche Name der in Deutschland als "Der Bajazzo" bekannten Oper von Ruggero Leoncavalli singt ständig Opernarien), die mit Johnnys zunehmenden psychischen Problemen einhergeht und sie wohl durchaus auch verstärken kann. Grundsätzlich geht es Fuller aber sowieso nicht um eine realistische Darstellung geistiger Krankheiten, sondern um deren offensichtliche symbolische Bedeutung. Daran läßt speziell Johnnys Befragung der drei Mordzeugen keinerlei Zweifel, denn deren psychische Probleme stehen mit damals aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang: Stuart (James Best, "Die fünf Vogelfreien", TV-Serie "Ein Duke kommt selten allein") wurde als Soldat im Koreakrieg gefangengenommen und gehirngewaschen und nach seiner Freilassung in den USA als Verräter und Kommunistenfreund gebrandmarkt, Trent (Hari Rhodes, "Eroberung vom Planet der Affen", TV-Serie "Daktari") hielt dem Druck nicht stand, als er nach der Aufhebung der Rassentrennung an Schulen durch das Oberste Gericht im Jahre 1954 einer der ersten schwarzen College-Studenten war, Boden (Gene Evans, "Unternehmen Petticoat") war an der Entwicklung von Atom- und Wasserstoffbombe beteiligt, was dazu führte, daß er jetzt das Gemüt eines kleinen Kindes hat. Ihre Geschichten sind auch dank des von Fuller forcierten Overactings der Darsteller beim Erzählen – von einer Kamera eingefangen, die ganz nah an die aufgeregten Gesichter herangeht – beklemmend, verstörend, empörend, was Fuller noch dadurch unterstreicht, daß er ihre fiebrigen Erinnerungen/Träume/Halluzionationen mit schnell zusammengeschnittenem, im Gegensatz zum übrigen Film farbigem Archivmaterial unterstreicht.

Zuverlässige Zeugen sind das nicht gerade, aber der Mordfall interessiert Fuller sowieso nicht, das wird einem schnell klar; er ist ein klassischer "MacGuffin", der die Handlung vorantreibt, ohne selbst von Belang zu sein. Insofern ist es nur konsequent, daß Johnny gar nicht wirklich ermittelt, er erfährt bei seinen Befragungen eher zufällig immer genau so viel Neues, wie nötig ist, um die Story voranzutreiben – bei der aber eigentlich klar die kritische Auseinandersetzung mit besagten gesellschaftlichen Themen im Vordergrund steht sowie Johnnys zunehmender psychischer Verfall. Es ist eine wahrhaftige, zunehmend enthemmte Reise in den Wahnsinn, die in ihrer atmosphärischen Intensität eines John Carpenters ("Die Mächte des Wahnsinns") würdig wäre. Peter Breck hält dabei gekonnt die Balance zwischen den seltener werdenden "normalen", wachen Momenten und den immer häufigeren paranoiden, wenn er beispielsweise einen surrealen Traum von seiner Freundin Cathy – mit deren Beruf als strippender Sängerin in einem Nachtclub er nicht wirklich glücklich ist – hat oder es nach einer speziellen Behandlung einige panische Momente lang einfach nicht schafft, seine Gedanken laut auszusprechen. Das spiegelt übrigens geschickt den Beginn des Films wider, bei dem wir ebenfalls Johnnys – da noch ziemlich überheblichen und sorglosen – Gedanken zuhören, während er den Ärzten seine Rolle vorspielt und das Ganze tatsächlich für ein Spiel zu halten scheint, Cathys eindringliche Einwände geflissentlich ignorierend. Welch Fehler das war, mußte er in der Zwischenzeit bitter lernen. Angesichts der damaligen Zensurvorgaben in den USA ist es übrigens bemerkenswert, wie viel Fuller in seinem Film zeigen durfte – man sollte aber im Hinterkopf behalten (wie bei allen US-Filmen dieser Ära mit entsprechend gewalthaltiger und/oder sexueller Thematik), daß er noch viel weitergehende Geschehnisse in mehr oder weniger subtile Andeutungen verkleidet. Wenn man sich das vor Augen hält und und einzelne Szenen entsprechend interpretiert, dann hat Samuel Fuller einen wahren Horrorfilm geschaffen, einen unbequemen und relativ schwer zugänglichen, aber umso eindrucksvolleren Vorläufer des Exploitationkinos der 1970er Jahre – ohne daß die Zensoren das begriffen hätten …

Fazit: Samuel Fullers "Schock-Korridor" ist ein aufwühlender Low Budget-Psychothriller, der die dünne Story als Vorwand nutzt für eine bewußt reißerische, jedoch ungemein intensive und kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und Ängsten der 1950er und frühen 1960er Jahre und zugleich seinen überehrgeizigen und psychisch anfälligen Protagonisten gnadenlos in seinen ganz persönlichen Alptraum schickt. Ein unbequemes, aber unvergeßliches Genrejuwel!

Wertung: 8,5 Punkte.

Anmerkung: "Schock-Korridor" lief am 5. Juni 2017 im Originalton mit deutschen Untertiteln bei Arte (eine Sychronfassung scheint es nicht zu geben, auch auf DVD ist der Film nur als OmU erhältlich) und wird dort in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni um 1.20 Uhr wiederholt.


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