Regie und Drehbuch: Rian Johnson, Musik: Nathan Johnson
Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Nora Zehetner, Lukas Haas,
Noah Fleiss, Emilie de Ravin, Matt O'Leary, Noah Segan, Meagan Good, Brian
White, Jonathan Cauff, Richard Roundtree
Brendan Frye (Joseph Gordon-Levitt, "Lincoln"), der sich an der Highschool von San Clemente im Bundesstaat Kalifornien in
seiner selbstgewählten Außenseiterrolle eingerichtet hat, erhält einen
verzweifelten Telefonanruf von seiner Ex-Freundin Emily (Emilie de Ravin,
"The Hills Have Eyes"). Diese bittet ihn dringend um Hilfe, legt aber offensichtlich
verängstigt auf, ehe sie Brendan Genaueres erklären kann. Tags darauf
entschuldigt sie sich in der Schule bei Brendan und versichert ihm, es sei nur
ein Mißverständnis gewesen. Einen weiteren Tag später ist Emily tot. Gemeinsam
mit seinem schlauen Freund "The Brain" (Matt O'Leary, "Death
Sentence") will Brendan den Mord an seiner Ex-Freundin aufklären und stößt
dabei auf mehrere potentielle Verdächtige: den brutalen, aber dämlichen
Football-Star Brad (Brian J. White, "The Cabin in the Woods"), den
charismatischen Drogendealer "The Pin" (Lukas Haas, "Inception"), dessen
unbeherrschten, aber ambitionierten Schläger Tugger (Noah Fleiss, "Beware the
Gonzo") und die undurchschaubare Femme fatale Laura (Nora Zehetner, TV-Serien
"Grey's Anatomy" und "Heroes") ...
Kritik:
"Brick" ist ein Paradebeispiel für einen Independentfilm und ein
echtes Liebhaberprojekt. Der Regie- und Drehbuchdebütant Rian Johnson hat das
Budget von gerade einmal $450.000 in mühevoller, über sechs Jahre erstreckter Bettelarbeit bei sämtlichen (teilweise glücklicherweise gut verdienenden) Familienangehörigen
und Bekannten eingesammelt, da den professionellen Geldgebern das Skript kommerziell nicht erfolgversprechend genug erschien. Die Schauspieler arbeiteten zudem quasi umsonst, den
innovativen Soundtrack komponierte Johnsons Cousin. Als ich den Film 2006 als
Teil des Fantasy Filmfests erstmals sah, betrat ich das Kino bereits mit einer
positiven Erwartungshaltung – schließlich wurde er als "Film noir an der
Highschool" beschrieben und ich liebe Film noirs. Zwar kannte ich damals
außer den Nebendarstellern Emilie de Ravin (aus der TV-Serie "Lost")
und Richard Roundtree ("Shaft") keinen einzigen der Beteiligten, doch
bei anderen Festivals war "Brick" sehr positiv aufgenommen worden, in
Sundance erhielt er gar den Spezialpreis der Jury. Was ich dennoch nicht
erwartet hatte, war das schlicht sensationelle Meisterwerk, das
"Brick" in meinen Augen ist!
Tatsächlich ist Johnsons Debüt im Grunde genommen ein
klassischer Film noir, nur eben mit höchst ungewöhnlichem Setting. Schließt man
die Augen und lauscht einfach nur eine Weile den wunderbar überstilisierten Dialogen
und der lässigen Art, wie sie geführt werden, dann könnte man tatsächlich meinen, man
würde Humphrey Bogart, Orson Welles, Rita Hayworth oder anderen Ikonen des Film
noir zuhören. Öffnet man dann die Augen wieder, sieht man, daß diese genialen
Dialoge von ... High-School-Schülern geführt werden. Ja, die Beschreibung ist zweifellos zutreffend: "Brick" ist ein Film noir an der Highschool – auch
wenn es kurioserweise keinerlei Unterrichtsszenen gibt, sondern das Geschehen eher an
Nebenschauplätzen der Schule (Pausenhof, Bibliothek) oder komplett außerhalb des Schulgeländes stattfindet. Das Geniale
an "Brick" ist dabei, mit welch radikaler Konsequenz diese
spannende Prämisse durchgezogen wird. Es ist mehr als offensichtlich, daß Regisseur Johnson
die Filme der "Schwarzen Serie" verehrt und in- und auswendig kennt,
denn fast jeder einzelne Dialog und jede Figur könnte direkt aus
einem Film von John Huston ("Asphalt Dschungel") oder aus einem Roman von Dashiell Hammett ("Der
Tag des Falken") stammen. Durch die höchst unkonventionelle Kreuzung des zeitgenössischen Highschool-Settings mit einem düsteren, melancholischen Noir-Mordlfall funktioniert
"Brick" allerdings nicht nur als Hommage, sondern auch als gewitzte Satire, wenn beispielsweise in ein konspiratives Treffen der
"Gangster" die Mutter des gastgebenden Anführers hereinplatzt und allen Anwesenden
fürsorglich ein leckeres Glas Milch anbietet ...
Doch Johnson begeht zum Glück nicht den Fehler, einfach nur seine geliebten Vorbilder zu kopieren oder parodieren. Stattdessen hat er eine ganz eigene, komplexe und spannende Story geschrieben und mit erstaunlich vielschichtigen Charakteren belebt, die immer in der Tradition seiner filmischen Vorbilder verhaftet, aber trotzdem hundertprozentig eigenständig ist. Das liegt auch daran, daß Johnson eigens einen speziellen Slang für seine Figuren geschaffen hat, der Elemente aus den "Hardboiled"-Romanen von Dashiell Hammett mit Begriffen aus den 1950er Jahren, den 1980er Jahren, der Zeit der Jahrtausendwende und vom Regisseur und Autor selbst erdachten Wörtern kombiniert. Das klingt ziemlich verwegen, ist es auch, aber es funktioniert perfekt, da sich daraus und aus dem oft genug stakkatoartigen Vortrag der Schauspieler ein beeindruckender Sprachfluß ergibt, ein ganz spezieller Rhythmus, der wunderbar zu den Geschehnissen paßt. Und so ganz nebenbei hebt dieser Slang das Geschehen auch noch auf eine andere formale Ebene und verdeutlicht ein für allemal, daß "Brick" keine realistische Highschool-Geschichte erzählen will. Entsprechend kann ich jedem mit entsprechenden Sprachkenntnissen nur dringend raten, sich den Film in der englischen Originalfassung mit (idealerweise englischen) Untertiteln anzusehen, denn die deutsche Synchronfassung kann diesem fabelhaften Slang bei aller Mühe und Professionalität zwangsläufig nur in Ansätzen gerecht werden. Und die englische Fassung ohne Untertitel dürfte eingedenk des hohen Tempos selbst Muttersprachler mitunter überfordern.
Dennoch könnte diese wundersame Melange aus Film Noir und
Highschool nicht so eine perfekte Symbiose eingehen, wenn nicht die Darsteller,
die die Dialoge vortragen, äußerst sorgfältig gecastet worden wären. Joseph
Gordon-Levitt, zur damaligen Zeit noch vor allem als jugendlicher Sitcom-Darsteller in
"Hinterm Mond gleich links" bekannt, war Johnsons absolute
Wunschbesetzung für die Hauptrolle des Brendan, und Gordon-Levitt darf ihm
dafür (und sich selbst für seine Entscheidung, bei einem solchen Low-Budget-Projekt
überhaupt mitzumachen) ewig dankbar sein. Auch wenn in Zukunft die meisten
Menschen den inzwischen durch Filme wie "Inception", "The Dark Knight Rises" oder auch Johnsons "Looper" im (anspruchsvollen)
Blockbuster-Mainstream-Kino angekommenen Schauspieler mit anderen Werken in
Verbindung bringen werden: In Wirklichkeit hat "Brick" Joseph
Gordon-Levitts eindrucksvolle Karriere (neu) gestartet. Und das vollkommen
zurecht, denn als Brendan ist Gordon-Levitt voll in seinem Element, sowohl von
der Körpersprache her als auch von der überstilisierten, manirierten
Sprechweise ist er der beste Humphrey Bogart seit Humphrey Bogart. Wie er seine
Rolle zugleich intensiv und unfaßbar cool, dann aber auch immer wieder herzergreifend
verletzlich verkörpert, ist wirklich atemberaubend. Ob er als Brendan (in
brillant, da innovativ inszenierten Kampfszenen, die sogar ein gewisses Slapstick-Element beinhalten) brutal verprügelt wird, mit der verführerischen Laura flirtet, mit dem Schuldirektor (Richard Roundtree) verhandelt oder versucht,
den Drogendealer "The Pin" zu überlisten – Gordon-Levitt
beherrscht stets die Szenerie und schafft es spielerisch, das ja eigentlich betont
unrealistische Geschehen vollkommen authentisch wirken zu lassen. Das ist
auch der einwandfreien Leinwandchemie mit seinen Kollegen geschuldet. Im
Zusammenspiel mit Emilie de Ravin wird die zarte, trotz ihrer Trennung noch
unübersehbar vorhandene Liebe zwischen Brendan und Emily offenbar,
während in den Szenen mit Nora Zehetner Brendans eher erotische, von körperlicher
Anziehungskraft geprägte Beziehung zu der geheimnisvollen Laura zum Ausdruck kommt. Und auch in den
rauheren Szenen mit den Bösewicht-Darstellern Lukas Haas und Noah Fleiss
harmonieren die Beteiligten ausgesprochen gut miteinander.
Ein weiteres Highlight von "Brick" ist der Soundtrack. Nathan Johnson hat die Filmszenen mit einer Musik unterlegt, die stilistisch naheliegenderweise ebenfalls erkennbar von den Filmen der Schwarzen Serie inspiriert ist, aber unter anderem aufgrund der Instrumentenauswahl etwas ganz Besonderes ist. Denn Johnson greift nicht nur auf "normale" Musikinstrumente wie Klavier, Geige oder Trompete zurück, sondern setzt an prominenter Stelle solch vermeintlich unmusikalische Hilfsmittel wie Weingläser ("Wine-o-phone") oder Küchenutensilien ein, die "Brick" eine ganz besondere, originelle Klangwelt verleihen. Und so unglaublich das klingen mag, die Wirkung, die Nathan Johnson damit erzielt, ist faszinierend – unweigerlich verbinden sich einzelne Szenen im Kopf des Zuschauers untrennbar mit den dazugehörigen, prägenden Klängen und simplen Melodien, die man so schnell nicht wieder vergißt.
Angesichts dessen, was ich bis hierher geschrieben habe, sollte es klar sein: "Brick" ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme, ich liebe ihn von der ersten bis zur letzten Minute und kann keinen einzigen Fehler oder Schwachpunkt an ihm identifizieren. Allerdings ist mir auch klar, daß "Brick" nicht unbedingt den Massengeschmack trifft. Die wohl am häufigsten geäußerten Vorwürfe gegen Johnsons Film sind der generell fehlende Realismus und das für ihr Alter unglaubwürdige Verhalten (samt Sprechweise) der handelnden Figuren. Das ist selbstredend vollkommen richtig. "Brick" IST unrealistisch und man wird wohl nie Schüler finden, die sich so verhalten oder so sprechen wie die in "Brick" (schon weil Johnson den Slang ja selbst erfunden hat ...). Nur sind das keine echten Schwachpunkte, da Johnsons Werk eben voll und ganz vom Film noir geprägt ist. Das soll nicht heißen, daß "Brick" nicht funktioniert, wenn man sich mit diesem Genre, dessen Hochzeit viele Jahrzehnte in der Vergangenheit liegt, nicht auskennt – aber in einem solchen Fall ist mit Sicherheit eine deutlich größere Aufgeschlossenheit für ungewöhnliche Stoffe vonnöten, als sie die Filmbranche normalerweise von ihrem Publikum einfordert.
Fazit: "Brick" ist eine fantastische Hommage an den Film noir, die dessen 1940er Jahre-Atmosphäre trotz des kontrastierenden modernen Highschool-Settings stilecht wiederaufleben läßt, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. Die ernste, berührende Story begeistert dabei ebenso wie das von Joseph Gordon-Levitt angeführte, inspiriert gecastete Schauspielensemble und die innovative, unverbrauchte Inszenierung durch Debütant Rian Johnson. Ein Meisterwerk.
Wertung: 10 Punkte.
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