Regie und Drehbuch: Hugo Blick, Musik: Federico Jusid
Darsteller: Emily
Blunt, Chaske Spencer, Tom Hughes, Rafe Spall, Stephen Rea, Steve Wall, Valerie
Pachner, Malcolm Storry, Nicholas Aaron, Miguel Alvarez,
Julian Bleach, Gary Farmer,
Kimberly Guerrero, William Belleau, Tonantzin Carmelo, Ciarán Hinds, Toby Jones
USA, 1890: Die Britin Lady Cornelia Locke (Emily Blunt, "Jungle Cruise")
ist aus ihrer Heimat nach Amerika gereist mit einem ganz speziellen
Ziel: Sie will den Mann töten, den sie für den Tod ihres Sohnes
verantwortlich macht. Kurz nach ihrer Ankunft trifft Cornelia auf den
Pawnee-Krieger Eli Whipp (Chaske Spencer, "Twilight"-Reihe),
der viele Jahre lang als Scout für die US-Armee tätig war und nun
auf dem Weg ist, jenes Stück Land für sich zu beanspruchen, das Armee-Veteranen
von der Regierung versprochen wurde. Der Pawnee und die wohlhabende Britin helfen sich
gegenseitig aus einer mißlichen Situtation und entschließen sich
angesichts eines lange gemeinsamen Weges zur gemeinsamen Weiterreise.
Dabei haben sie zahlreiche interessante bis gefährliche Begegnungen
und lernen einander immer besser kennen. Derweil untersucht in dem
neugegründeten Ort Hoxem Sheriff Robert Marshall (Stephen Rea,
"Black 47") einige merkwürdige, möglicherweise
zusammenhängende Vorkommnisse. So wurden die wertvollen Tiere des
Rinderzüchters Thomas Trafford (Tom Hughes, TV-Serie "Victoria")
brutal massakriert und auch der Tod des Ex-Soldaten Timothy
Flynn (Miguel Alvarez, Amazon-Serie "Das Rad der Zeit") –
nachdem er seine eigene Frau ermordet hatte – wirft Fragen auf ...
Kritik:
Der Western ist und
bleibt als Genre unkaputtbar. Zwar ist die Hochzeit der Western –
die in der Mitte des 20. Jahrhunderts in massiver Anzahl für Kino
und TV produziert wurden – lange vorbei, doch gibt es auch im 21.
Jahrhundert noch gelegentliche Highlights wie die TV-Serien
"Deadwood" (2004-2006) und "Hell on Wheels"
(2011-2016) sowie richtig gute Kinofilme wie "Django Unchained",
"True Grit" oder "The Ballad of Buster Scruggs".
Meiner Ansicht nach erreicht aber keine dieser Produktionen die Qualität der
besten, epischsten Western-Miniserie, die ich je gesehen habe:
"Der Ruf des Adlers" (auch unter dem Originaltitel
"Lonesome Dove" bekannt) aus dem Jahr 1989. Der Brite Hugo
Blick, bekannt für hochwertige TV-Miniserien wie "The Shadow
Line", "The Honourable Woman" oder "Black Earth
Rising" kommt mit seinem Sechsteiler "The English"
jedoch nahe an "Der Ruf des Adlers"
heran. Eine Top-Besetzung, eine emotionale, wendungsreiche,
glaubwürdig erzählte Story, die sensationelle Kameraarbeit des
Spaniers Arnau Valls Colomer ("Der beste Film aller Zeiten")
und die deutlich von Western-Großmeistern wie Ennio Morricone
inspirierte, dennoch eigenständige Musik des Argentiniers
Federico Jusid ("In ihren Augen") ergeben eine großartige
Miniserie, die von Anfang bis Ende packt und nur durch ein recht
unspektakuläres Finale an der Höchstwertung vorbeischrammt.
Im
Zentrum von "The English" steht die sich
entwickelnde Beziehung zwischen Cornelia und Eli. Beide, der
stoische, schweigsame Krieger und die resolute Adlige, könnten auf
den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein, haben bei genauerer
Betrachtung allerdings durchaus einige Gemeinsamkeiten. Die auffälligste
ist zweifellos, daß beide Außenseiter sind. Eli
hat sich als amerikanischer Ureinwohner der US-Armee angeschlossen
und dieser jahrelang treu als Scout gedient, obwohl sie in dieser
Zeit in erster Linie gegen diverse Stämme vorging –
und das alles andere als skrupellos, vielmehr sogar mit einigen
äußerst unrühmlichen Massakern. Obwohl sich Eli durchaus den
Respekt seiner zumeist weißen Armeekameraden erarbeitet hat, ist er
doch immer bis zu einem gewissen Grad ein Außenseiter geblieben –
und erwartungsgemäß betrachten ihn andere Ureinwohner auch nach seinem
Austritt aus der Armee noch mindestens mißtrauisch. Er ist also
letztlich auf sich gestellt und kann sich nur auf sich selbst
verlassen. Bei Cornelia mag das in ihrer Heimat anders
aussehen – trotz recht ausführlicher Rückblicke erfahren wir
darüber nur wenig, da diese thematisch sehr verengt sind –, aber
in Amerika ergeht es ihr noch schlimmer als Eli. Auch sie ist eine Außenseiterin, die sich mit ihrem Verhalten und ihrer
gehobenen Sprache deutlich von den meisten Amerikanern unterscheidet – aber
sie ist zusätzlich auch noch vollkommen fremd und hat nur wenig
Ahnung von den hiesigen Sitten und Gebräuchen (oder auch nur von der
Geographie). Beide sind folglich zu Beginn von "The English"
ganz auf sich gestellt, allerdings hat nur Eli das Potential, auf
diese Weise länger zu überleben, während Cornelia eigentlich
hoffnungslos verloren ist.
Das
ändert sich durch ihr zufälliges Aufeinandertreffen, bei dem sie
sich gegenseitig retten und dadurch den Beginn eines immer dicker
werdenden Bandes zwischen ihnen knüpfen, das sie zu Reisegefährten,
dann zu Freunden und irgendwann vielleicht sogar zu mehr macht.
Obwohl Cornelia und Eli das schlagende Herz von "The English"
sind, zeichnet Regisseur und Autor Blick ein deutlich
tiefer gehendes Bild des "Wilden Westens" im ausgehenden
19. Jahrhundert. Dafür bedient er sich einerseits teils langer
Prologe in den einzelnen Episoden, die in der Regel in Hoxem spielen
und das Publikum nach und nach mit den Bewohnern der jungen Ortschaft
bekanntmachen, aber auch mit den Ermittlungen des Sheriffs. Das wirkt
zunächst recht ziellos, nach und
nach offenbaren sich jedoch die Verbindungen dieses Neben-Handlungsstrangs zur
Hauptgeschichte von Cornelia und Eli. Andererseits entwirft Blick sein Sittenbild auch durch die Begegnungen, die Cornelia
und Eli während ihrer langen Reise haben. Diese anekdotenhaften Ereignisse zeichnen sich meist durch eine illusionslose, die Ungerechtigkeiten der damaligen Gesellschaft aufzeigende Grimmigkeit
aus,
aber ebenso durch eine gewisse Skurrilität, die an die Filme der
Coen-Brüder erinnert (allen voran deren bereits erwähnte Western-Anthologie "The
Ballad of Buster Scruggs"). Ob unser sympathisches Duo auf
Banditen trifft, auf mennonitische Siedler, einen
Cheyenne-Häuptling auf Rachefeldzug oder auf einen Ex-Offizier, der
Ureinwohner "selbstlos" zu braven, loyalen Dienern erzieht
– selten enden diese kleinen Geschichten gut, stattdessen fließt
regelmäßig Blut und die Gewalt regiert (wobei diese zumeist nur
angedeutet wird, weshalb allein die Auftaktepisode eine
Altersempfehlung ab 16 Jahren erhielt, alle anderen ab 12).
Obwohl
durch den Roadmovie-Charakter von "The English" viele
Nebenfiguren nur in einer oder zwei Episoden zu sehen sind, wurden
sie teilweise namhaft besetzt. Beispielsweise ist Ciarán Hinds
("Die Frau in Schwarz") als skrupelloser Hotelbesitzer zu
sehen, Toby Jones ("Captain America") als Kutscher und Rafe
Spall ("Jurassic World 2") als sadistischer Ex-Soldat David
Melmont. Aber auch die weniger bekannten Nebendarsteller machen ihre
Sache sehr gut, etwa Nichola McAuliffe (TV-Serie "Coronation Street") als Banditin Black
Eyed Mog, William Belleau (TV-Serie "Frontier") als Cheyenne-Häuptling Kills on Water, die
Österreicherin Valerie Pachner ("The King's Man") als Rinderzüchterin in Hoxem oder
Gary Farmer ("Dead Man") und Kimberly Guerrero (TV-Serie "Reservation Dogs") als Ehepaar, das Eli und Cornelia
seine Unterstützung anbietet. Und das Beste: Fast alle Nebenfiguren sind glaubwürdig und interessant gezeichnet und
entziehen sich einem klaren Gut-Böse-Schema. Das trifft auch auf Eli
und Cornelia zu, die beide ihre Stärken und Schwächen haben und
deren Handeln man häufig kritisch reflektieren kann. Zudem ist Emily
Blunt natürlich eine tolle Schauspielerin, die Lady Cornelia in all
ihren Facetten höchst überzeugend verkörpert. Chaske Spencer ist
schauspielerisch nicht ganz so gefordert, da er nunmal einen Stoiker
vor dem Herrn spielt – aber das tut er mit Ausdruckskraft und
Charisma, und wenn Eli sich Cornelia gegenüber doch einmal öffnet,
dann spielt Spencer das richtig gut.
Einzige
echte Ausnahme unter den lebensechten und vielschichtigen (wenn auch nicht immer komplett
klischeefreien) Charakteren ist der große Bösewicht der Geschichte
– das Ziel von Cornelias Rache –, dessen Identität ich hier
nicht enthüllen werde, weil es auch in der Miniserie recht spät
geschieht. Verraten kann ich, daß mir dieser Antagonist etwas
zu sehr dämonisiert wird, zumal er den Erwartungen, die dergestalt über fünf Episoden hinweg geweckt werden, im auch deshalb
etwas unbefriedigenden Finale gar nicht gerecht werden kann. Das
ist zweifellos ein Wermutstropfen, der eine grandios inszenierte und
erzählte Geschichte ein Stück weit um ein würdiges Ende beraubt; jedoch ist die Reise bis hierhin so phantastisch, daß man
dennoch gut damit leben kann (zumal es keineswegs schlecht ist, nur eben
ziemlich unspektakulär und auch kurz). Großes Lob verdienen sich
über die gut fünf Stunden hinweg, wie bereits erwähnt, auch
Kameramann Arnau Valls Colomer und Komponist Federico Jusid. Western
fallen häufig bildgewaltig aus, weil sie von Haus aus
großartige Szenerien bieten – da bildet "The English" keine
Ausnahme. Allerdings hebt sich die Kameraarbeit hier von den meisten
Genrekollegen durch eine große Kunstfertigkeit aus. Valls Colomer
gelingt es immer wieder, großartige und aussagekräftige
Bildkompositionen zu erschaffen, wobei er viel mit Schatten und Licht
arbeitet. Die vielleicht beste diesbezügliche Szene zeigt aus großer
Entfernung und wie im Schattenriß, wie Eli und einige Cowboys wild
schießend aufeinanderzureiten – das klingt banal, sieht aber
sensationell und begeisternd aus! Die Musik von Federico Jusid trägt
noch zusätzlich dazu bei, solche magischen Momente passend zu
untermalen, wobei Jusids großartige, bewußt an die epischen
Western-Scores der 1960er und 1970er Jahre (von Elmer Bernstein bis
Morricone) erinnernde Vorspann-Musik unerreicht bleibt. Kurzum:
"The English" ist in fast jeder Hinsicht ein Triumph und
für mich eine der besten Western-Miniserien aller Zeiten!
Fazit:
"The English" ist eine grandiose Western-Miniserie mit
starker Besetzung, spannenden Charakteren und einer emotionalen
Geschichte, die zudem großartig aussieht und klingt – nur das
Finale enttäuscht leicht.
Wertung:
9 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen