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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 17. November 2022

CAUSEWAY (2022)

Regie: Lila Neugebauer, Drehbuch: Ottessa Moshfegh, Luke Goebel und Elizabeth Sanders, Musik: Alex Somers
Darsteller: Jennifer Lawrence, Brian Tyree Henry, Linda Emond, Jayne Houdyshell, Frederick Weller, Stephen McKinley Henderson, Will Pullen
Causeway (2022) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,1); Altersempfehlung: ab 12, Dauer: 96 Minuten.
Nachdem die junge US-Soldatin Lindsay (Jennifer Lawrence, "mother!") in Afghanistan einen Anschlag schwer verwundet überlebt hat, quält sie sich zurück in den USA durch die Reha. Schließlich ist sie gesund genug, um in ihren Heimatort zurückzukehren, wo sie zunächst wieder bei ihrer Mutter Gloria (Linda Emond, "Across the Universe") einzieht. Die freut sich über Lindsays Rückkehr und möchte ihr über eine Freundin einen guten Bürojob verschaffen – doch Lindsay will nach ihrer vollständigen Genesung zurück zur Army und nimmt deshalb nur einen Übergangsjob von Rick (Frederick Weller, TV-Serie "In Plain Sight") als Pool-Reinigerin an. Als Lindsay auf den einbeinigen Automechaniker James (Brian Tyree Henry, "Godzilla vs. Kong") trifft, verstehen sie sich auf Anhieb gut. Kein Wunder, denn beide haben ein traumatisches Erlebnis in der jüngeren Vergangenheit hinter sich, das sie stark prägt. Vor allem Lindsay, der es generell schwer fällt, sich anderen gegenüber zu öffnen, tut die platonische Freundschaft (sie ist lesbisch) gut und sie blüht in James' Gegenwart regelrecht auf. Doch sie ahnt nicht, daß James' Trauma mindestens so schwer auf ihm lastet wie Lindsays auf ihr – er kann es nur besser verbergen ...

Kritik:
Angesichts ihres Superstar-Status vergißt man gerne, daß Jennifer Lawrence ihre Kino-Karriere im Independent-Bereich begann. Nicht wenige Kritiker betrachten ihre Rolle als Jugendliche aus armen Verhältnissen auf der Suche nach dem verschwundenen Vater in "Winter's Bone" (2010) als ihre bis heute beste Leistung – und ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Als sie daraufhin in Hollywood gleich in zwei Multi-Millionen-Dollar-Franchises als Actionheldin durchstartete ("Die Tribute von Panem" und "X-Men"), wurde die Zeit für kleinere, unabhängige Produktionen immer knapper, trotzdem streute sie immer wieder welche ein und wurde dafür mit ihrem OSCAR für David O. Russells Tragikomödie "Silver Linings" (2012) belohnt. Ende der 2010er Jahre schloß Jennifer Lawrence ihren zweifachen Franchise-Lauf ab (2015 erschien der letzte "Die Tribute von Panem"-Film, 2019 das finale "X-Men"-Abenteuer), doch so richtig gut funktionierten ihre Folgeprojekte in Hollywood nicht: Sowohl die SciFi-Romanze "Passengers" (2016) als auch der Spionage-Thriller "Red Sparrow" (2018) schnitten bei Kritik und Publikum nur mittelmäßig ab und auch Adam McKays bitterböse Gesellschaftssatire "Don't Look Up" (2021) erregte trotz großen Erfolges kontroverse Reaktionen. So ist es verständlich, daß sich Lawrence mit dem von AppleTV+ und dem erfolgsverwöhnten Indie-Studio A24 ("Hereditary") produzierten, auf den ersten Blick unscheinbaren "Causeway" auf ihre Wurzeln besinnt. Das erweist sich als gute Idee, denn das leise und unaufgeregte Drama der US-amerikanischen Theater-Regisseurin Lila Neugebauer gibt Lawrence die Gelegenheit, sich buchstäblich ungeschminkt und fernab des üblichen Hollywood-Glamours zu präsentieren und zu zeigen, daß sie schauspielerisch immer noch mehr drauf hat als die meisten anderen Schauspielerinnen.

Die Geschichte, die "Causeway" erzählt, ist von Anfang bis Ende unspektakulär und vermutlich auch ziemlich alltäglich – zumindest in den USA mit den unzähligen Veteranen, von denen viele unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden und nur unzureichend von Militär und Behörden unterstützt werden. Zwar baut Regisseurin Neugebauer etwas Spannung auf, indem sie die genaue Ursache für Lindsays schwere Verwundung zunächst nicht nennt, sondern nur ein paar recht vage Hinweise gibt – doch die Enthüllung setzt nicht wirklich ein Ausrufezeichen, sondern ist eigentlich nur konsequent und dementsprechend glaubwürdig. Ähnlich sieht es bei James aus, dem man sein Trauma zunächst – abgesehen von der allerdings bemerkenswert unauffälligen Beinprothese – kaum ansieht, da er nicht so traurig aus der Wäsche schaut wie Lindsay und deutlich redseliger ist. Auf diese Weise fällt es dem Publikum sogar leichter, sich mit James zu identifizieren und in ihn einzufühlen, da Lindsay lange braucht, um sich endlich etwas zu öffnen. Bis dahin empfindet man zwar Mitgefühl mit der jungen Veteranin, da ihr Leid offensichtlich ist, aber eine echte emotionale Verbindung entwickelt sich eher nicht. Das ist jedoch vermutlich so gewollt, gerade als Kontrast zum umgänglicheren James, und mit einer Schauspielerin vom Kaliber einer Jennifer Lawrence funktioniert es ziemlich gut.

Generell harmonieren Lawrence und der ungemein charismatische Brian Tyree Henry sehr gut miteinander. Man nimmt dem auf den ersten Blick ziemlich ungleichen Duo die sich sachte entwickelnde Freundschaft ab, die sich ebenso auf ihre erlittenen Traumata begründet wie auf eine grundsätzliche Sympathie zwischen ihnen. Wie sie sich durch das bloße Miteinander, das gemeinsame Reden und Trinken und manchmal auch Kiffen nicht nur einander öffnen, sondern auch bereit sind, sich selbst die eigenen Probleme einzugestehen, ist anrührend mitanzusehen – und das vielleicht sogar gerade deshalb, weil es so leise und unaufdringlich, aber dafür so authentisch geschieht. Daß "Causeway" daneben ein paar zwischenmenschliche Konflikte einbaut – etwa zwischen Lindsay und ihrer Mutter, aber auch einen unerwartet explosiven Streit zwischen Lindsay und James – wirkt dramaturgisch fast unnötig, unterstreicht aber natürlich die Lebensnähe des Gezeigten (denn wessen Leben verläuft schon ohne zwischenmenschliche Konflikte?). Da der Film ganz auf Jennifer Lawrence und Brian Tyree Henry zugeschnitten ist, spielen die weiteren Figuren keine große Rolle. Durch eine gute, paßgenaue Besetzung tragen aber auch einige von ihnen wie Lindsays bewundernswert geduldige Reha-Betreuerin Sharon (Jayne Houdyshell, "Little Women") oder ihr Arzt Dr. Lucas (Stephen McKinley Henderson, "Dune") zum Gelingen des Films bei. Es bleibt zu hoffen, daß Jennifer Lawrence in Zukunft vermehrt zwischen Independent-Produktionen und Hollywood-Blockbustern pendelt, denn sie beherrscht beide Sparten zu gut, um eine davon aufzugeben.

Fazit: "Causeway" ist ein leises, unspektakuläres und langsam erzähltes Independent-Drama, das ganz von seinen beiden fein gezeichneten und großartig gespielten Hauptfiguren lebt.

Wertung: 7,5 Punkte.

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