Regie und Drehbuch: Wes Anderson, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: Owen
Wilson, Benicio del Toro, Adrien Brody, Léa Seydoux, Tilda Swinton,
Tony Revolori, Frances McDormand, Timothée Chalamet, Lyna Khoudri,
Jeffrey Wright, Bill Murray,
Mathieu Amalric, Liev Schreiber, Elisabeth Moss, Bob Balaban, Henry Winkler, Lois Smith, Denis
Menochet, Morgane Polanski, Christoph Waltz, Cécile de France,
Stéphane Bak, Rupert Friend, Guillaume Gallienne, Willem Dafoe,
Edward Norton, Saoirse Ronan, Stephen Park, Hippolyte Girardot,
Damien Bonnard, Jason Schwartzman, Fisher Stevens, Griffin Dunne,
Wally Wolodarsky, Pablo Pauly, Antonia Desplat, Bruno Delbonnel,
Jarvis Cocker, Anjelica Huston (Stimme)
FSK: 12, Dauer: 108
Minuten.
Als Arthur Howitzer
Jr. (Bill Murray, "Lost in Translation"), der Gründer und Chefredakteur des Magazins "The
French Dispatch", unerwartet verstirbt, bedeutet dies das
Ende der Publikation – denn in seinem Testament hat Howitzer
verfügt, den "French Dispatch" nach seinem Tod mit einer
Abschiedsausgabe einzustellen. Und so wird diese letzte Ausgabe nicht
nur ein Nachruf auf Howitzer, sondern ebenso auf den "French
Dispatch" selbst mit seinen unkonventionellen Journalisten. Für
die finale Ausgabe wird ein Best-of zusammengestellt, das die Vielseitigkeit des Magazins betont. So berichtete der radelnde
Reporter Herbsaint Sazerac (Owen Wilson, "Inherent Vice") einfühlsam über die
Kleinstadt Ennui-sur-Blasé, Sitz der Redaktion, während die Kritikerin J.K.L. Berensen (Tilda
Swinton, "Suspiria") ausführlich von dem genialen, jedoch sehr
eigenwilligen Künstler Moses Rosenthaler (Benicio del Toro, "Sicario") und
seiner Muse Sabine (Léa Seydoux, "Mission: Impossible – Phantom Protokoll") berichtet. Die Politikexpertin
Lucinda Krementz (Frances McDormand, "Nomadland") wiederum begleitete die
französische Studentenrevolte, wobei "begleitet"
angesichts ihres großen Einflusses auf den Studentenführer Zeffirelli
(Timothée Chalamet, "Dune") eigentlich zu tief gegriffen ist. Und
schließlich erfahren wir vom Food-Journalisten Roebuck Wright
(Jeffrey Wright, "Die Tribute von Panem – Catching Fire"), wie ihn sein geplanter Bericht über den Koch
Nescaffier (Stephen Park, "Snowpiercer") ins Zentrum eines echten Krimis bringt,
als der Sohn des Polizeipräsidenten (Mathieu Amalric, "Adéle und das Geheimnis des Pharaos") entführt wird
...
Kritik:
Der
gebürtige Texaner Wes Anderson ist nicht einfach nur ein
Filmemacher. Er ist noch nicht einmal "nur" ein siebenfach
OSCAR-nominierter Filmemacher. Wes Anderson ist im Grunde
genommen sein eigenes Genre. Zwar gibt es etliche Regisseure,
die auf die eine oder andere Weise einen relativ leicht erkennbaren
eigenen Stil haben – von Charles Chaplin über Stanley Kubrick und
Martin Scorsese bis hin zu Quentin Tarantino oder Michael Bay –,
doch glaube ich nicht, daß es einen Filmemacher gibt, dessen Werke
man so leicht auf einen Blick als seine oder ihre identifizieren kann
wie es bei Anderson der Fall ist. Das beginnt naheliegenderweise
bei der kunterbunten, pastellfarbenen und
artifiziell wirkenden Puppenhausoptik, setzt sich fort mit der von
Mark Mothersbaugh (von "Durchgeknallt" bis "Die
Tiefseetaucher") oder Alexandre Desplat (seit "Der
fantastische Mr. Fox") verantworteten einprägsamen und
verspielten Musik ("Darjeeling Limited" hat keinen
klassischen Score) und manifestiert sich inhaltlich vor allem in einem ausgesprochen skurrilen Humor, der sich zum Beispiel dergestalt ausdrückt, daß die Schauspieler selbst absurdeste
Situationen bierernst ausspielen. Apropos Schauspieler:
Über die Jahre hat sich Anderson auch seine eigene, beständig
wachsende "Schauspieler-Familie" zusammengestellt, deren
Mitglieder wie Bill Murray, Owen Wilson, Anjelica
Huston, Jason Schwartzman, Willem Dafoe, Adrien Brody, Edward Norton oder Tilda Swinton
in fast jedem neuen Film dabei sind, wenn auch teilweise lediglich in
Minirollen. Mit seinen Filmen kann Wes Anderson zwar nur in Ausnahmefällen
die Mainstream-Kinos erobern ("Grand Budapest Hotel" konnte
als einziger Anderson-Film weltweit mehr als $100 Mio. einspielen),
züchtet sich aber eine eingeschworene und loyale Fangemeinde heran,
zu der auch der Autor dieser Zeilen zählt. "The French
Dispatch" ist Andersons neues Werk, eine Ode an den
klassischen Journalismus und insofern etwas Neues im Œuvre
des Texaners, als es sein erster echter Episodenfilm ist. Etwas
Anekdotisches haben ja viele Anderson-Filme an sich, aber "The
French Dispatch" ist ausdrücklich in vier Episoden (zuzüglich
einer Rahmenhandlung) unterteilt, die jeweils einen der besten
Artikel aus der langen Historie des Magazins bebildern. Das ist dem
Erzählfluß nicht unbedingt dienlich und nicht nur in meinen Augen
ist "The French Dispatch" ein schwächeres
Anderson-Werk, aber für gute, intelligent und absurde Unterhaltung mit einem hochkarätigen Ensemble sorgt er auch hier wieder.
Die
Rahmenhandlung von "The French Dispatch" ist "Obituary"
betitelt und dreht sich um die Mitarbeiter des
Magazins, die die Abschiedsausgabe vorbereiten. Das ist inhaltlich
weitgehend unspektakulär geraten, bringt aber zumindest einige
Gastauftritte von u.a. Elisabeth Moss ("Der Unsichtbare")
und Jason Schwartzman ("Moonrise Kingdom") mit sich, als
Erzählerin fungiert derweil Anjelica Huston. Die erste richtige
Episode hört auf den Namen "The Cycling Reporter"
und ist die mit Abstand kürzeste. Im Grunde genommen passiert darin
auch nicht mehr als es der Titel vermuten läßt: Owen Wilson radelt
als Reisejournalist Sazerac durch die Kleinstadt Ennui-sur-Blasé und
stellt diese samt ihrer bemerkenswerten Orte und historischen
Ereignisse dem Publikum kurz vor. Eine nette und amüsante Einleitung –
nicht mehr und nicht weniger. Richtig los geht es mit "The
Concrete Masterpiece". Tilda Swinton erzählt als Kunstkritikerin Berensen die
merkwürdige Geschichte des geistig instabilen Künstlers Moses
Rosenthaler, der auch dank seiner Muse Simone zum neuen Star der
Kunstszene wird. Die Episode hat einen kleinen Twist, der sogar
ziemlich früh kommt, dennoch möchte ich ihn nicht verraten, weil
ich die Enthüllung ausgesprochen amüsant fand. Dadurch kann ich nicht viel über "The Concrete Masterpiece" schreiben,
aber es ist eine unterhaltsame Parodie auf das Kunstgeschäft, in der
Adrien Brody ("Brothers Bloom") eine weitere Rolle als Kunsthändler Julien Cadazio
spielt.
Weiter
geht es mit "Revisions to a Manifesto":
Frances McDormand berichtet als Politreporterin Lucinda Krementz von
den französischen Studentenunruhen, verliert dabei aber bald die nötige
Distanz und kommt inhaltlich und emotional dem
charismatischen Studentenanführer Zeffirelli (Timothée Chalamet)
näher. Obwohl sie immer wieder betont, wie wichtig ihr
die "journalistische Neutralität" sei, wird sie sogar eine
treibende Kraft der revolutionären Bewegung, indem sie Zeffirelli
bei der Ausarbeitung seines Manifests hilft. Die ganze Episode –
in der Christoph Waltz einen kurzen Gastauftritt als Freund von
Zeffirellis Eltern hat – erinnert etwas an Woody Allens
Revolutionskomödie "Bananas" und macht nicht zuletzt dank
McDormands Performance viel Spaß. Schließlich bleibt noch "The
Private Dining Room of the Police Commissioner",
die besonders stark auf Andersons visuelle Markenzeichen
zurückgreift, allen voran in einer herrlich wahnwitzigen
Verfolgungsjagd durch die nächtliche Stadt (inklusive animierter Passagen), bei der Andersons
berühmt-berüchtigte und akribisch gestaltete Puppenhausoptik gut zur Geltung kommt. Generell
fällt die Geschichte des Essensjournalisten Roebuck Wright (Jeffrey
Wright), der eigentlich nur die Kochkunst des vielgerühmten, für
die Polizei tätigen Starkochs Nescaffier (Stephen Park) überprüfen
will, gewohnt absurd aus. Wie sich aus dem einfachen Essen beim
Polizeipräsidenten ein so verzwickter wie verzweigter Entführungsfall
mit mehreren Wendungen ergibt, ist wunderbar kauzig und
schwarzhumorig geschildert. Gastauftritte haben in der finalen Episode Willem Dafoe ("Der Leuchtturm", als Unterwelt-Buchhalter), Edward Norton ("Das Bourne Vermächtnis", als
Entführer) und Saoirse Ronan ("Little Women", als Nortons Helferin). Insgesamt ist
"The French Dispatch" mit seiner Episodenstruktur nicht
harmonisch genug, um durchgehend zu überzeugen, funktioniert aber
dennoch als liebevolle, detailverliebte Hommage an den
Journalismus, der sich für die Zuschauer in der Tat ein wenig so
anfühlt, als würden sie eines dieser im besten Sinne altmodischen,
von ausführlichen Reportagen zu verschiedensten Themen geprägten
Magazine durchblättern. Es fehlt ein roter Faden, die Themenwechsel
sind teils ziemlich abrupt und die Qualität der Artikel variiert,
aber am Ende fühlt man sich trotzdem gut unterhalten.
Fazit:
"The French Dispatch" ist stilistisch und humortechnisch
ein typischer Wes Anderson-Film mit hochkarätigem Ensemble, der
durch die Episodenstruktur recht unfokussiert wirkt.
Wertung:
7,5 Punkte.
Einzelwertungen:
"The Cycling
Reporter": 7
"The Concrete
Masterpiece": 7,5
"Revisions
to a Manifesto": 7,5
"The Private
Dining Room of the Police Commissioner": 8,5
"Obituary":
7
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