Gleich drei Karrieren wären womöglich ganz anders verlaufen, hätte es den für lediglich $4 Mio. realisierten "Lost in Translation" nicht gegeben: Sofia Coppola wurde nach dem hochverdienten OSCAR-Gewinn für das Drehbuch ihres zweiten Langfilms (ihr Debüt "The Virgin Suicides" war ebenfalls ein veritabler Kritikererfolg, flog aber doch ziemlich unter dem Radar der Öffentlichkeit) fortan nicht mehr primär als "Tochter von Francis Ford Coppola" wahrgenommen, sondern als ernstzunehmende Filmemacherin mit ganz eigenem, unverkennbaren Stil. Die für ihren ersten Golden Globe nominierte Jungschauspielerin Scarlett Johansson, die zuvor vorwiegend als eine vielversprechende Nebendarstellerin in "Der Pferdeflüsterer", "Ghost World" oder "The Man Who Wasn't There" in Erscheinung trat, tat mit gerade einmal 17 Jahren einen ersten großen Schritt zu einer Hauptdarstellerin, die im Blockbuster-Kino ("The Avengers") ebenso begehrt ist wie bei Independent-Produktionen ("Under the Skin", "Vicky Cristina Barcelona", "Marriage Story") und zu einem der größten Filmstars der Welt avancierte. Und der OSCAR-nominierte Bill Murray, bis dahin ein beliebter Komiker, wurde von nun an als großartiger Schauspieler auch und ganz besonders in dramatischen oder tragikomischen Rollen (wie in den Filmen von Wes Anderson und Jim Jarmusch, zu deren Stammensembles er zählt) wahrgenommen. Das sind also drei sehr gute Gründe, für die Existenz von "Lost in Translation" dankbar zu sein. Der mit Abstand wichtigste ist aber natürlich: Es ist eine unfaßbar gute Tragikomödie, die leichtfüßig zwischen Dramatik, Melancholie, höchst amüsanten Einlagen und subtiler Romantik changiert. Kurzum: "Lost in Translation" ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme!
Völlig unaufgeregt macht uns Sofia Coppola zu Beginn des Films mit den beiden Hauptfiguren bekannt, die auf den ersten Blick überhaupt nichts gemein haben, aber doch so etwas wie Seelenverwandte zu sein scheinen. Coppolas Drehbuch verwendet gar nicht viele Worte, um uns Bob und Charlotte näherzubringen, sondern setzt auf relativ banale, aber aussagekräftige Situationen, welche die Verlorenheit der beiden Charaktere schnell offenbar machen. Ob nun Charlotte versucht, ihren Mann von seinem mehrtägigen beruflichen Trip abzubringen und nach Johns Abreise alleine durch Tokio zieht und sich einige Sehenswürdigkeiten anschaut oder ob Bob an den durch den Übersetzer offensichtlich unzureichend wiedergegebenen, wortreichen Anweisungen des Regisseurs seines Werbespots verzweifelt und abends in seinem Zimmer pflichtschuldig mit seiner Frau in den USA telefoniert: Es ist klar, daß beide nicht glücklich sind, daß ihnen irgendetwas fehlt. Vielleicht ist das ja einfach ein Freund, ein Leidensgenosse, ein Seelenverwandter. Und so finden sie sich in einer wunderbaren Szene im Hotelaufzug, wo Bob schon ob seiner Körpergröße hervorsticht und sich beider Blicke treffen, wobei Charlotte ihm ein schüchternes Lächeln schenkt. Der Auftakt einer wundervollen … ja, was eigentlich: Freundschaft? platonischen Liebe? Oder einer echten Romanze? Die Antwort bleibt letztlich der Vorstellungskraft und dem Einfühlungsvermögen des Publikums überlassen und vielleicht bestimmen auch ganz persönliche Erfahrungen eines jeden Zuschauers die Interpretation, die der Film durch die vieldiskutierte, interessanterweise improvisierte Abschiedsszene, in der Bob Charlotte etwas nur für sie Verständliches ins Ohr flüstert, bewußt offenläßt.
Eigentlich ist die genaue Natur dieser unwahrscheinlichen
Beziehung zwischen der ziellosen, zurückhaltenden Uni-Absolventin und dem von
Leben und Beruf desillusionierten, stark zum Zynismus neigenden Hollywood-Altstar
aber auch unerheblich. Was zählt, ist die Zeit, die sie während ihres
Aufenthalts in Tokio ohne jede Eile miteinander verbringen und wir mit ihnen.
Und diese von perfekt ausgesuchten, verträumt-sanften Indie-Songs z.B. von Air,
Phoenix oder The Jesus and Mary Chain untermalte Zeit ist einfach nur wunderbar.
Wenn das ungleiche Duo die jetlag-bedingte und enervierende Schlaflosigkeit mit philosophischen
nächtlichen Diskussionen verbringt, beschert das dem Publikum ebenso großes
Vergnügen wie wenn sie mit einigen japanischen Freunden von Charlotte das Tokioter
Nachtleben unsicher machen – umwerfende Karaoke-Einlagen inklusive – oder sich
Bob im Krankenhaus trotz Sprachbarriere angeregt mit einer alten, von Bob
offensichtlich sehr vergnügten Japanerin debattiert, während Charlotte ihren
verletzten Zeh behandeln läßt. Sowohl Bob als auch Charlotte wirken wie echte
Personen mit echten Problemen, die letztlich doch nur auf der Suche nach dem
Glück sind. Menschen wie du und ich, die Fehler haben und Fehler machen, aber
jederzeit sympathisch bleiben und als Identifikationsfiguren fürs Publikum
einwandfrei funktionieren. Es gab beim Filmstart übrigens vereinzelte Stimmen,
die bemängelten, der Film stelle Tokio und die Japaner zu klischeehaft und
negativ dar – ein Vorwurf, den ich absolut nicht verstehen kann, denn Tokio ist
in "Lost in Translation" der dritte Hauptdarsteller und in mir weckte
der Film jedenfalls den Wunsch, auch einmal diese geschäftige
Millionen-Metropole zu besuchen. Und solange ich das nicht schaffe, kann ich ja
zum x-ten Mal "Lost in Translation" genießen – denn diese
wunderbare, zeitlose Tragikomödie verliert auch nach vielen Jahren nichts von
ihrem Charme und ihrem Zauber.
Fazit: "Lost in Translation" ist eine wunderbare Tragikomödie über zwei von Bill Murray und Scarlett Johansson grandios verkörperte einsame Seelen, die in der Anonymität eines Tokioter Hotels zueinanderfinden.
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