Regie: Luca
Guadagnino, Drehbuch: David Kajganich, Musik: Thom Yorke
Darsteller:
Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Lutz Ebersdorf (= Tilda Swinton),
Angela Winkler, Sylvie Testud, Ingrid Caven, Renée Soutendijk, Alek Wek,
Elena Fokina, Doris Hick, Jessica Batut, Jessica Harper
FSK: 16, Dauer: 152 Minuten.
Berlin, 1977: Während die geteilte deutsche Hauptstadt vom
Terror der RAF durchgerüttelt wird, kommt die aus einer Mennonitengemeinde im
ländlichen Ohio "geflohene" junge Amerikanerin Susie Bannion
(Dakota Johnson, "Black Mass") in dieser Stadt an, von der sie schon
lange geträumt hatte. Genau genommen hofft sie auf einen Platz in der von der berühmten Madame Blanc (Tilda Swinton, "Moonrise Kingdom") geleiteten Tanzschule – und
obwohl sie keinerlei Referenzen vorweisen kann, überzeugt Susie beim Vortanzen
so sehr, daß sie aufgenommen wird. Da der Schule jüngst mit der
verschwundenen Patricia
(Chloë Grace Moretz, "Kick-Ass") eine erstklassige Tänzerin abhanden
gekommen ist, füllt die hochtalentierte, selbstsichere und ungemein engagierte Susie diese
Lücke schnell aus und übernimmt die ursprünglich Patricia zugedachte Hauptrolle in der
nächsten Aufführung. Doch Susie merkt auch, daß mysteriöse Dinge in der Schule
vorgehen: Nicht nur Patricia ist verschwunden, auch deren Freundin Olga (Ballettänzerin Elena Fokina) hat die Schule unter schweren Vorwürfen gegen die
Lehrerinnen verlassen, zudem meint Susie, eine geheimnisvolle Präsenz unter dem
Tanzboden zu spüren. Dann taucht auch noch Patricias greiser Psychiater Dr.
Klemperer (Lutz Ebersdorf alias Tilda Swinton) mit der Bitte um Unterstützung
bei Susie und ihrer Zimmernachbarin Sara (Mia Goth, "Nymphomaniac")
auf – er macht sich Sorgen um seine Patientin, da ihr Gerede von finsteren
Hexenumtrieben in der Schule angesichts ihres spurlosen Verschwindens nicht mehr ganz
so weit dahergeholt erscheint …
Kritik:
Bekanntlich gibt es wenig, was unter (vielen) Filmfans für
entrüstetere Aufschreie sorgt als die Ankündigung eines Remakes eines
Kinoklassikers. Das war bei "Suspiria", dem Kult-Horrorfilm des
italienischen Giallo-Meisters Dario Argento nicht anders. Und doch gab es eine
Sache, die zumindest bei Cineasten mit Arthouse-Faible die spontane
Entrüstung in vorsichtige Neugierde, wenn nicht gar gespanntes
Interesse umschlagen ließ: der Name des Regisseurs. Denn Dario Argentos Landsmann
Luca Guadagnino hat sich spätestens mit seinem im Jahr 2010 OSCAR- und Golden Globe-nominierten
"I Am Love" einen Namen gemacht als Schöpfer
anspruchsvoller Dramen mit dem 2018 OSCAR-prämierten Liebesfilm "Call Me
By Your Name" als vorläufigem Höhepunkt. Mit anderen Worten: Es gibt kaum
einen Filmemacher, den man weniger als den Regisseur eines Horrorfilms erwarten würde.
Dementsprechend ist sein dem Grundgerüst von Argentos Film zwar lange ziemlich
eng folgendes, insgesamt aber dennoch eher loses Remake ein faszinierendes Werk
geworden, das bereits bei seiner Premiere in Cannes Kritiker wie auch zahlendes
Publikum polarisierte. Während die einen ein das inhaltlich eher nihilistische Original
locker übertrumpft sahen, fühlten sich andere tödlich gelangweilt und sahen
Luca Guadagninos Talente verschwendet. Ich zähle mich eher zur ersten Gruppe – zwar
würde ich nicht sagen, daß Guadagninos "Suspiria" Argentos Original
deutlich überlegen ist, schwächer ist es jedoch keinesfalls. Beide Filme können meines
Erachtens sehr gut nebeneinander existieren, da sie ganz andere Aspekte der
Geschichte betonen, sich stilistisch stark voneinander unterscheiden und
letztlich unterschiedliche Zuschauergruppen ansprechen. Zu behaupten, daß sie sogar als einander ergänzende Komplementäre
funktionieren, wäre vermutlich übertrieben, aber zweifellos haben beide Versionen ihren Reiz und für mich
zählt Guadagninos "Suspiria" definitiv nicht zur großen Schar der
überflüssigen Remakes.
Wenig überraschend ist, daß Guadagnino auf Grundlage des
Drehbuches von David Kajganich (mit dem er bereits für das erotische Drama "A Bigger
Splash" zusammenarbeitete und der mit "Friedhof der Kuscheltiere"
noch ein weiteres Horror-Remake in seinem Lebenslauf stehen hat) deutlich größeres
Gewicht auf Handlung, Figuren und auch den historischen Hintergrund
legt als Argento 40 Jahre zuvor. Der hatte sich wie in den meisten seiner Filme
vor allem auf die sich immer bedrohlicher zuspitzende Atmosphäre und das in Deutschland
zu einer Indizierung (die erst 2014 endete) führende finale Blutbad konzentriert. Atmosphärisch kann
das Remake dennoch locker mithalten, wenn es auch erheblich künstlerischer
daherkommt und einen nicht mit der rohen Wucht und der Kakophonie von Farben
(dominiert von "blutrot") und Klängen bei Argento
überrollt. Generell kann sich Luca Guadagnino aufgrund der um eine Stunde
längeren Laufzeit mehr Zeit lassen, um seine Figuren zu etablieren und einige Nebenhandlungsstränge einzubauen. Interessanterweise wird hier aber im
Grunde genommen gleich zu Beginn enthüllt, daß es um Hexenumtriebe geht
(auch wenn Dr. Klemperer das zuerst als Wahnvorstellungen abtut), wohingegen
Argentos Film lange eher wie ein klassischer Giallo mit wahnsinnigem Killer
wirkt und erst im apokalyptischen letzten Drittel die Hexen enthüllt (zumindest
soweit ich mich erinnere). Gerade angesichts der Länge des neuen
"Suspiria" ist dies meines Erachtens eine gute Entscheidung, denn
während man bei einem 90-Minüter ruhig das Publikum zwei Drittel lang im
Unklaren lassen kann, würde der gleiche Anteil hier bedeuten, daß die Handlung
erst nach 100 Minuten zum Kern vordringen würde – was ein bißchen arg spät
wäre. Guadagninos Ansatz funktioniert auch deshalb, weil er die Existenz der
Hexen nicht einfach nur früh enthüllt, sondern die Offenbarung dazu nutzt,
einen neuen Handlungsfaden über einen Konflikt innerhalb des Hexenzirkels
aufzubauen. Der Zirkel ist nämlich annähernd 50:50 gespalten zwischen den Anhängern
der relativ rational agierenden Madame Blanc und denen der offiziell verstorbenen
Schulgründerin Helena Markos (erst spät zu sehen und dann in wunderbar ekligem
Makeup die dritte Swinton-Rolle im Film), die zu den in Hexenkreisen
verehrten, uralten "drei Müttern" zählt. Durch diesen Konflikt
gewinnt nicht nur Madame Blanc mehr Profil, sondern vor allem auch die übrigen
Lehrerinnen/Hexen, die zum Teil von namhaften Schauspielerinnen wie Angela Winkler ("Die verlorene Ehre der
Katharina Blum", "Die Blechtrommel"), Sylvie Testud
("Jenseits der Stille"), Ingrid Caven ("Welt am Draht")
oder Renée Soutendijk ("Abwärts") verkörpert werden.
Ebenfalls weitgehend neu ist die Geschichte des
schuldgeplagten Psychiaters Dr. Klemperer (nur an der etwas zu femininen Stimme kann man erkennen,
daß der vorgebliche Darsteller Lutz Ebersdorf in Wirklichkeit Tilda Swinton in
beeindruckender Maske ist), dem auch deshalb das Verschwinden seiner
vermeintlich hysterischen Patientin Patricia keine Ruhe läßt, weil er nie
erfahren hat, was seiner jüdischen Ehefrau Anke (Jessica Harper,
die Hauptdarstellerin von Argentos "Suspiria", in einem Gastauftritt) im
Zweiten Weltkrieg widerfuhr. Da er sein sowieso schon geplagtes Gewissen nicht
noch mit einem weiteren ungeklärten Schicksal einer ihm in gewisser Weise
anvertrauten Person belasten will, geht er zur Polizei (die beiden Polizisten
sind übrigens die einzigen nennenswerten Rollen, die von Männern gespielt
werden) und gerät somit selbst ins Visier des Hexenzirkels. Ebenso wie die
"Hexenpolitik" steht auch dieser neue Aspekt der Story gut zu
Gesicht, er verleiht dem Film mehr Tiefe und Emotionalität, wenn beide
natürlich auch für ungeduldigere Zuschauer die Handlung etwas ausbremsen mögen.
Letztlich könnte man sogar argumentieren, daß Dr. Klemperers Geschichte der
wahre Hauptstorystrang ist, jedenfalls hat er bei mir wohl den stärksten
Eindruck hinterlassen (und die melancholische Musik von Radiohead-Frontmann
Thom Yorke in seinem Filmscore-Debüt paßt perfekt dazu). Doch "Suspiria"
beläßt es nicht allein bei Dr. Klemperers Art der Vergangenheitsbewältigung,
sondern zeigt die Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft der 1970er Jahre auf (speziell im
wortwörtlich zerrissenen Berlin), die den selbstverschuldeten und verlorenen
Krieg noch lange nicht richtig aufgearbeitet hat und vom RAF-Terror erschüttert
wird – mutmaßlich war genau das der Grund dafür, die Handlung vom beschaulichen
Freiburg aus Argentos Version in die geteilte Hauptstadt Berlin zu verlegen.
Und obwohl die politischen Geschehnisse im Film nicht direkt thematisiert
werden, sondern eher als Hintergrundrauschen dienen, fügen sie der
Handlung eine interessante Facette hinzu – wenn man auch kritisieren kann, daß
dies vielleicht etwas subtiler hätte geschehen können. Interessant ist der
politische Aspekt auch als Kontrast zu dem, was hinter den Türen der
Tanzschule passiert – denn im Vergleich zu Flugzeugentführungen
und sonstigem Terror wirken die blutigen, örtlich streng begrenzten Hexenumtriebe beinahe schon wieder harmlos …
Man könnte noch einiges mehr zu bestimmten Elementen von
"Suspiria" (etwa der Frage, ob er feministisch oder, wie von manchen postuliert, gar
anti-feministisch ist – letzteres halte ich für albern) oder auch zu den
Gemeinsamkeiten und den Unterschieden zu Argentos Original (in dem es
beispielsweise um klassisches Ballett geht, während das Remake ganz bewußt auf
modernen Tanz setzt) schreiben, aber ich will nicht zu viel verraten.
Deshalb mache an dieser Stelle Schluß mit der konkreten inhaltlichen Analyse,
zumal andere Aspekte alles andere als unwichtig sind. Wie bereits erwähnt, kommt
auch in Guadagninos Version das Grauen nicht zu kurz, es verbreitet allerdings weniger unmittelbaren Schrecken und betont eher einen gewissen Ekelfaktor. Das
liegt daran, daß die entsprechenden Sequenzen genußvoll ausgespielt werden
(wenn etwa Susies Tanzvorführung in der Schule höchst unkonventionelle, von ihr
unbemerkte Nebenwirkungen zeitigt) und die Inszenierung weniger auf
schieren Terror als auf künstlerische Abgründigkeit setzt. Bedauerlicherweise
verfestigt sich lange der Eindruck, Guadagnino zügele sich und seine etwas an
"Alien"-Designer H.R. Giger erinnernden dunklen Phantasien selbst, denn wiewohl es immer wieder, z.B. in Susies Alpträumen, spannende
Ansätze gibt, werden die nur ganz selten voll ausgespielt. Man wünscht sich,
Guadagnino würde einfach mal richtig die Sau rauslassen und auf Altersfreigaben
oder sonstige kommerzielle Bedenken pfeifen. Und erfreulicherweise zeigt sich
schließlich, daß er genau das zumindest einigermaßen macht, er hat es sich nur aufgespart für ein
wahrlich denkwürdiges, deutlich von Argento abweichendes
Finale, das ich inhaltlich keinesfalls spoilern werde! Schauspielerisch hat
sich Tilda Swinton in ihren drei Rollen selbstredend ein großes Lob verdient,
auch Hauptdarstellerin Dakota Johnson macht ihre Sache gut und geht speziell in
den eindrucksvoll choreographierten, teils erotisch aufgeladenen Tanzszenen
mutig aus sich heraus – in den ruhigeren Momenten bleibt sie aber manchmal
etwas blaß. Da wirkt ihre von Mia Goth ausdrucksstark verkörperte Freundin
Sara, die im Mittelteil sogar mehr zu tun bekommt als Susie, deutlich nahbarer.
Und Chloë Grace Moretz hat zwar nur ein besseres Cameo, hinterläßt dabei aber
ebenso Eindruck wie Angela Winkler als Madame Blancs rechte Hand Miss Tanner. Diese Neuinterpretation von "Suspiria" mag also sicher nicht makellos sein, aber sie ist absolut sehenswert und bleibt im Gedächtnis; man muß nur etwas Geduld auf Aufgeschlossenheit mitbringen.
Fazit: Luca Guadagninos eher loses Remake von
"Suspiria" ist ein inhaltlich wie künstlerisch faszinierender
Arthouse-Horrorfilm, der sich reichlich Zeit läßt, um seine zahlreichen Figuren und
Handlungsstränge auszuloten und dabei eher auf vage Abgründigkeit als auf puren
Terror setzt.
Wertung: 8 Punkte.
"Suspiria" ist am 4. April 2019 von capelight pictures auf DVD und Blu-ray sowie im Mediabook mit DVD, Blu-Ray und einer weiteren Blu-ray mit umfangreichem Bonusmaterial erschienen. Am 18. April folgt eine limitierte, luxuriöse "Ultimate Edition", die auf 10 Discs Argentos und Guadagninos Film mitsamt Soundtrack-CDs und noch mehr Bonusmaterial vereint sowie einen 64-seitigen Bildband umfaßt. Am 13. Juni erscheint schließlich eine Limited Steelbook Edition, die quasi der Ultimate Edition abzüglich der vier Argento-Discs entspricht. Da sollte also jeder die Veröffentlichung finden, die sie oder ihn glücklich macht ... Mir wurde von capelight pictures freundlicherweise ein Rezensionsexemplar (nur des Films) zur Verfügung gestellt.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
"Suspiria" ist am 4. April 2019 von capelight pictures auf DVD und Blu-ray sowie im Mediabook mit DVD, Blu-Ray und einer weiteren Blu-ray mit umfangreichem Bonusmaterial erschienen. Am 18. April folgt eine limitierte, luxuriöse "Ultimate Edition", die auf 10 Discs Argentos und Guadagninos Film mitsamt Soundtrack-CDs und noch mehr Bonusmaterial vereint sowie einen 64-seitigen Bildband umfaßt. Am 13. Juni erscheint schließlich eine Limited Steelbook Edition, die quasi der Ultimate Edition abzüglich der vier Argento-Discs entspricht. Da sollte also jeder die Veröffentlichung finden, die sie oder ihn glücklich macht ... Mir wurde von capelight pictures freundlicherweise ein Rezensionsexemplar (nur des Films) zur Verfügung gestellt.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Screenshots: © capelight pictures
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen