Regie: Spike Lee, Drehbuch: Arnold Perl und Spike Lee,
Musik: Terence Blanchard
Darsteller: Denzel Washington, Angela Bassett, Al Freeman
Jr., Albert Hall, Delroy Lindo, Kate Vernon, Spike Lee, Theresa Randle, Lonette
McKee, Tommy Hollis, Roger Guenvuer Smith, Wendell Pierce, Leonard L. Thomas,
James McDaniel, Christopher Plummer, Veronica Webb, Debi Mazar, Karen Allen, Giancarlo
Esposito, Nicholas Turturro, John Sayles, Martin Donovan, John David Washington, Michael
Imperioli, Vincent D'Onofrio, Richard Schiff, William
Kunstler, Terence Blanchard, Bobby Seale, Al Sharpton, Nelson Mandela
FSK: 12, Dauer: 202 Minuten.
In den 1940er Jahren wächst der Afroamerikaner Malcolm
Little (Denzel Washington, "Fences") nach dem
Ku-Klux-Klan-Mord an seinem als Prediger tätigen Vater bei einer Pflegefamilie
in Detroit auf, wo er als junger Erwachsener mit seinem Freund Shorty (Spike
Lee) den großen Macker raushängen läßt und im Grunde genommen so leben will wie
ein Weißer – inklusive weißer Freundin namens Sophia (Kate Vernon,
TV-Serie "Battlestar Galactica"). Mit schlecht bezahlten
Hilfsarbeiten (obwohl er Klassenbester war, erscheint für ihn wegen seiner Hautfarbe mehr kaum möglich) läßt sich ein solcher Lebensstil nicht auf Dauer
finanzieren, weshalb er seine Tätigkeit als Kellner aufgibt und sich in New
York unter die Fittiche des Gangsters West Indian Archie (Delroy Lindo,
"Da 5 Bloods") begibt. Diese Episode endet für Malcolm allerdings im
Gefängnis, in dem er von seinem Mithäftling Baines (Albert Hall, TV-Serie
"Ally McBeal"), einem überzeugten Mitglied der radikalen "Nation
of Islam", zum Islam konvertiert wird. Nach seiner Entlassung wird der
charismatische Malcolm – der seinen
"Sklavennamen" abgelegt hat und sich nun schlicht "Malcolm X" nennt
– schnell zu einem der einflußreichsten Prediger der vom selbsternannten
Propheten Elijah Muhammad (Al Freeman Jr., TV-Serie "One Life to
Live") angeführten Nation of Islam, die für die strikte Trennung von
schwarzer und weißer Gesellschaft mit schwarzer Vorherrschaft eintritt …
Kritik:
Es gibt einen ganz speziellen Grund, warum ich fast 30 Jahre
brauchte, um mir Spike Lees für zwei OSCARs nominiertes Bürgerrechtler-Biopic
"Malcolm X" anzuschauen – und damit meine ich nicht die
Laufzeit von fast dreieinhalb Stunden, wenngleich die fraglos abschreckend
wirken kann. Nein, der Grund ist folgender: In der deutschen Synchronfassung
von "Malcolm X" wurde Titeldarsteller Denzel Washington nicht von
seinem langjährigen Stammsprecher Leon Boden vertont, sondern zum einzigen
Mal von Randolf Kronberg – besser bekannt als die äußerst markante deutsche
Stimme von Eddie Murphy. Und ein Malcolm X, der klingt wie der "Beverly
Hills Cop", das hat für mich überhaupt nicht funktioniert, mich
vielmehr dermaßen irritiert, daß ich den Film abbrach, sobald mir klar war, daß
es nicht nur eine Frage der Gewöhnung ist. Im Streaming-Zeitalter ist es aber
natürlich viel leichter geworden, sich Filme und Serien in der
Originalfassung anzusehen (was ich sowieso präferiere), und so konnte ich
dieses cineastische Versäumnis endlich nachholen und das passenderweise in
einer Zeit, in der die globalen "Black Lives Matter"-Proteste des Jahres
2020 beweisen, daß sich in mancher Hinsicht so richtig viel seit der Zeit von
Malcolm X und Martin Luther King leider doch nicht nachhaltig geändert hat.
"Malcolm X" ist also nahezu drei Dekaden nach seiner Entstehung sowie 55
Jahre nach der Ermordung des strittigen Bürgerrechtlers noch immer ein sehr
aktueller Film – der sich beim Erzählen seiner Geschichte allerdings arg viel
Zeit nimmt, dabei strukturell recht konventionell vorgeht und erst in der sehr
politischen zweiten Hälfte zu großer Form aufläuft.
Die Crux fast aller konventionellen Biopics – also jene, die
sich nicht wie etwa "Steve Jobs", "Die dunkelste Stunde"
oder "Dolemite Is My Name" nur auf spezielle Schlüssel-Momente im
Leben der Portraitierten beschränken, sondern versuchen, dem ganzen Leben ihrer
jeweiligen Hauptfigur gerecht zu werden – ist bekanntlich, daß sich eine
gewisse Anekdotenhaftigkeit in der Erzählweise nur schwer vermeiden läßt. Der
von Terence Blanchards ("BlacKkKlansman") klangvollem Score und zeitgenössischen Hits von Stars wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Duke
Ellington, Aretha Franklin oder Ray Charles begleitete "Malcolm X"
macht da keine Ausnahme, obwohl durch die epische Länge dieses Films die einzelnen Episoden
ausführlicher behandelt werden können als üblich und die Anekdotenhaftigkeit
deshalb nicht ganz so offensichtlich sein sollte. Ist sie aber, weil es dem
damals noch recht unerfahrenen Mittdreißiger Spike Lee nicht wirklich gelingt, diese Abschnitte harmonisch miteinander zu verbinden. Vielmehr wirken die Übergänge in der
ersten Hälfte sogar ziemlich abrupt, was den Eindruck des wenig
inspirierten Abhakens einer Streichliste von Dingen, die nach Ansicht des
Regisseurs und Autors einfach irgendwie
thematisiert werden müssen, unterstreicht – daß das nicht alleine eine Frage der
Erfahrung ist, beweist allerdings Lees fast 30 Jahre später veröffentlichtes
Vietnamveteranen-Drama "Da 5 Bloods", in dem der gleiche
Streichlisten-Aspekt zum Tragen kommt, wenn es auch dort etwas unauffälliger
geschieht. Dazu kommt, daß Lee die jungen Jahre des Malcolm Little nicht
sehr spannend und auch nur leidlich unterhaltsam gestaltet, obwohl das
Potential für mehr eindeutig vorhanden gewesen wäre. Aber Malcolm und seinem von Spike
Lee selbst verkörperten Kumpel Shorty 30 Minuten lang zuzusehen,
wie sie einen auf möchtegernweißen Obermacker in albernen Zuhälter-Klamotten
und mit weißer Freundin machen, ist einfach zu viel des Guten, ebenso die
folgende halbe Stunde mit Malcolms eher klischeehaftem Ausflug in die Unterwelt
von Harlem.
Zweifellos sind beide Stationen auf Malcolms Lebensweg bedeutsam für das Verständnis dieser überlebensgroß erscheinenden, bis heute
kontrovers diskutierten Persönlichkeit, angesichts der mehr als
überschaubaren Originalität des Gezeigten und der Gesamtdauer des Films hätte
Lee sich hier aber deutlich kürzer fassen können und sollen. Die so eingesparte Zeit
hätte Lee stattdessen verwenden können, um Malcolms Konvertierung zum Islam im
Knast glaubwürdiger zu gestalten, denn der radikale Wandel vom weltoffenen
Lebemann zum fanatischen Gläubigen und Prediger geht doch arg schnell
vonstatten. Somit fällt auch Malcolms Gefängnisaufenthalt – trotz einiger guter
Einfälle wie der aus Malcolms Perspektive gefilmten Zeit in der Isolations- und
Dunkelhaft – weniger fesselnd und erhellend aus als es möglich gewesen wäre. Zum Glück geht es mit Malcolms Rückkehr in die Freiheit qualitativ
rasant bergauf. In dieser Phase begeht Spike Lee nicht den Fehler, Malcolm X
zu verklären, sondern er schildert dessen Tätigkeiten als Mitglied der Nation
of Islam weitgehend objektiv, womit er die Ambivalenz der Persönlichkeit
Malcolm X unterstreicht. Der ist im Grunde genommen idealistisch und kämpft
für Gerechtigkeit (respektive gegen die jahrhundertelange Ungerechtigkeit
gegenüber Schwarzen vor allem, aber nicht nur in den USA), allerdings tut er
das so fanatisch, daß er auch den offenen Rassismus – alle Weißen werden zu
"Teufeln" erklärt – und Sexismus der Nation of Islam ungehemmt und ungefiltert
propagiert. Beim Protagonisten eines dreieinhalbstündigen Films ist das
ziemlich viel, was das Publikum schlucken muß, doch dank Denzel Washingtons
OSCAR-nominierter, so energetischer wie charismatischer Darbietung gelingt
diese Gratwanderung. Wenn man (wie ich) zu jung ist, es selbst erlebt zu haben,
ist es vielleicht gar nicht so einfach zu verstehen, warum neben dem für
friedlichen Wandel einstehenden Dr. Martin Luther King auch der im Gegensatz zu
King so radikal und unversöhnlich erscheinende Malcolm X eine der prägendsten
Figuren der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre wurde. Beispielhaft dafür ist
eine Szene, in der eine enthusiastische weiße Studentin Malcolm fragt, was sie
tun könne, um zu helfen, und dieser sie mit einem lapidaren "Gar
nichts" auflaufen läßt – sympathisch ist anders! Doch entscheidend für den
Erfolg von Malcolm X waren eben nicht Freundlichkeit oder Friedfertigkeit,
sondern sein Charisma, Redegewandtheit, Leidenschaft und seine
Überzeugungskraft, und das alles vermittelt Denzel Washington den Zuschauern ungemein
überzeugend. So gegensätzlich sie in ihren Methoden auch gewesen sein mögen,
hätten womöglich weder King noch Malcolm X ohne ihren ungeliebten
Widerpart diese aufrüttelnde Wirkung erzielen können, die locker bis ins 21.
Jahrhundert ausstrahlt.
Seine Spannung bezieht "Malcolm X" in dieser
starken zweiten Hälfte jedoch nicht nur aus Malcolms Konflikt mit der
"weißen Gesellschaft", sondern auch aus den internen Spannungen in
der Nation of Islam. Die rühren in erster Linie daher, daß Malcolm so
unglaublich erfolgreich ist und deshalb etliche seiner Mitstreiter in der
Nation of Islam fürchten, er könne – gezielt oder ungewollt – dem
"Propheten" Elijah Muhammad den Rang ablaufen. In Spike Lees Film ist es
eindeutig so, daß Malcolm keine unlauteren Absichten hat, sondern er der
einzige aufrechte Glaubensstreiter unter den hochrangigen Nation of
Islam-Vertretern ist, während die anderen als Heuchler gezeigt werden, denen es
in Wahrheit doch vor allem um Wohlstand und Ruhm geht. Inwiefern diese eher
einseitige Darstellung der historischen Wahrheit entspricht, kann ich nicht
beurteilen, es soll an dieser Stelle aber nicht verschwiegen werden, daß das
Drehbuch des Films auf Malcolms Autobiographie basiert (sowie
auf dem Dokumentarfilm "Malcolm X" aus dem Jahr 1972, dessen Regisseur
und Drehbuch-Autor Arnold Perl offiziell als Lees Koautor dieses Films
genannt wird) und Lee auf dessen Witwe Betty Shabazz (im Film
verkörpert von Angela Bassett aus "Black Panther") als Beraterin zurückgriff –
außergewöhnlich objektiv kann es also kaum sein. Das ändert aber nichts daran,
daß die Darstellung der Konflikte im Film gut funktioniert und glaubwürdig
rüberkommt – daß einige Mitstreiter mit Eifersucht und Intrigen auf Malcolms
großen öffentlichen Erfolg reagierten, glaubt man jedenfalls gern. Auch die
Trennung von der Nation of Islam und die Hinwendung zu einem etwas reiferen,
weniger kompromißlosen und radikalen Bürgerrechtskämpfer als Folge einer zweiten
"Offenbarung" bei seinem Besuch in Mekka (die erste hatte er im
Gefängnis) sind nachvollziehbar. Übrigens: "Malcolm X" war die erste
US-Produktion und der erste Nicht-Dokumentarfilm, der tatsächlich in der
"heiligen Stadt" Mekka drehen durfte (jedoch nicht Lee selbst, da
er kein Muslim ist)! Nach beinahe dreieinhalb Stunden läßt der, als er auf sein
unvermeidlich tragisches Ende zuläuft (dessen Hintergründe, anders als im Film suggeriert, aber immer noch nicht restlos aufgeklärt sind), immer besser werdende "Malcolm
X" sein Publikum atemlos und ob der bedauernswerten Zeitlosigkeit
seiner Thematik nachdenklich zurück – auch dank eines Epilogs, der gekonnt die
zeitlose Bedeutung von Malcolm X vermittelt und in dem sogar Nelson Mandela
noch einen Kurzauftritt als weiser Schullehrer hat.
Fazit: "Malcolm X" ist ein überlanges
Biopic der umstrittenen Bürgerrechtsikone, das in seiner wenig aufregenden ersten Hälfte
einige Straffungen hätte vertragen können, in der fesselnden zweiten Hälfte
aber zu ebenso großer Form aufläuft wie Hauptdarsteller Denzel Washington.
Wertung: Gut 7 Punkte.
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