Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 25. Juni 2020

Klassiker-Rezension: MALCOLM X (1992)

Regie: Spike Lee, Drehbuch: Arnold Perl und Spike Lee, Musik: Terence Blanchard
Darsteller: Denzel Washington, Angela Bassett, Al Freeman Jr., Albert Hall, Delroy Lindo, Kate Vernon, Spike Lee, Theresa Randle, Lonette McKee, Tommy Hollis, Roger Guenvuer Smith, Wendell Pierce, Leonard L. Thomas, James McDaniel, Christopher Plummer, Veronica Webb, Debi Mazar, Karen Allen, Giancarlo Esposito, Nicholas Turturro, John Sayles, Martin Donovan, John David Washington, Michael Imperioli, Vincent D'Onofrio, Richard Schiff, William Kunstler, Terence Blanchard, Bobby Seale, Al Sharpton, Nelson Mandela
 Malcolm X
(1992) on IMDb Rotten Tomatoes: 88% (7,5); weltweites Einspielergebnis: $48,2 Mio.
FSK: 12, Dauer: 202 Minuten.
In den 1940er Jahren wächst der Afroamerikaner Malcolm Little (Denzel Washington, "Fences") nach dem Ku-Klux-Klan-Mord an seinem als Prediger tätigen Vater bei einer Pflegefamilie in Detroit auf, wo er als junger Erwachsener mit seinem Freund Shorty (Spike Lee) den großen Macker raushängen läßt und im Grunde genommen so leben will wie ein Weißer – inklusive weißer Freundin namens Sophia (Kate Vernon, TV-Serie "Battlestar Galactica"). Mit schlecht bezahlten Hilfsarbeiten (obwohl er Klassenbester war, erscheint für ihn wegen seiner Hautfarbe mehr kaum möglich) läßt sich ein solcher Lebensstil nicht auf Dauer finanzieren, weshalb er seine Tätigkeit als Kellner aufgibt und sich in New York unter die Fittiche des Gangsters West Indian Archie (Delroy Lindo, "Da 5 Bloods") begibt. Diese Episode endet für Malcolm allerdings im Gefängnis, in dem er von seinem Mithäftling Baines (Albert Hall, TV-Serie "Ally McBeal"), einem überzeugten Mitglied der radikalen "Nation of Islam", zum Islam konvertiert wird. Nach seiner Entlassung wird der charismatische Malcolm – der seinen "Sklavennamen" abgelegt hat und sich nun schlicht "Malcolm X" nennt – schnell zu einem der einflußreichsten Prediger der vom selbsternannten Propheten Elijah Muhammad (Al Freeman Jr., TV-Serie "One Life to Live") angeführten Nation of Islam, die für die strikte Trennung von schwarzer und weißer Gesellschaft mit schwarzer Vorherrschaft eintritt …

Kritik:
Es gibt einen ganz speziellen Grund, warum ich fast 30 Jahre brauchte, um mir Spike Lees für zwei OSCARs nominiertes Bürgerrechtler-Biopic "Malcolm X" anzuschauen – und damit meine ich nicht die Laufzeit von fast dreieinhalb Stunden, wenngleich die fraglos abschreckend wirken kann. Nein, der Grund ist folgender: In der deutschen Synchronfassung von "Malcolm X" wurde Titeldarsteller Denzel Washington nicht von seinem langjährigen Stammsprecher Leon Boden vertont, sondern zum einzigen Mal von Randolf Kronberg – besser bekannt als die äußerst markante deutsche Stimme von Eddie Murphy. Und ein Malcolm X, der klingt wie der "Beverly Hills Cop", das hat für mich  überhaupt nicht funktioniert, mich vielmehr dermaßen irritiert, daß ich den Film abbrach, sobald mir klar war, daß es nicht nur eine Frage der Gewöhnung ist. Im Streaming-Zeitalter ist es aber natürlich viel leichter geworden, sich Filme und Serien in der Originalfassung anzusehen (was ich sowieso präferiere), und so konnte ich dieses cineastische Versäumnis endlich nachholen und das passenderweise in einer Zeit, in der die globalen "Black Lives Matter"-Proteste des Jahres 2020 beweisen, daß sich in mancher Hinsicht so richtig viel seit der Zeit von Malcolm X und Martin Luther King leider doch nicht nachhaltig geändert hat. "Malcolm X" ist also nahezu drei Dekaden nach seiner Entstehung sowie 55 Jahre nach der Ermordung des strittigen Bürgerrechtlers noch immer ein sehr aktueller Film – der sich beim Erzählen seiner Geschichte allerdings arg viel Zeit nimmt, dabei strukturell recht konventionell vorgeht und erst in der sehr politischen zweiten Hälfte zu großer Form aufläuft.

Die Crux fast aller konventionellen Biopics – also jene, die sich nicht wie etwa "Steve Jobs", "Die dunkelste Stunde" oder "Dolemite Is My Name" nur auf spezielle Schlüssel-Momente im Leben der Portraitierten beschränken, sondern versuchen, dem ganzen Leben ihrer jeweiligen Hauptfigur gerecht zu werden – ist bekanntlich, daß sich eine gewisse Anekdotenhaftigkeit in der Erzählweise nur schwer vermeiden läßt. Der von Terence Blanchards ("BlacKkKlansman") klangvollem Score und zeitgenössischen Hits von Stars wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Aretha Franklin oder Ray Charles begleitete "Malcolm X" macht da keine Ausnahme, obwohl durch die epische Länge dieses Films die einzelnen Episoden ausführlicher behandelt werden können als üblich und die Anekdotenhaftigkeit deshalb nicht ganz so offensichtlich sein sollte. Ist sie aber, weil es dem damals noch recht unerfahrenen Mittdreißiger Spike Lee nicht wirklich gelingt, diese Abschnitte harmonisch miteinander zu verbinden. Vielmehr wirken die Übergänge in der ersten Hälfte sogar ziemlich abrupt, was den Eindruck des wenig inspirierten Abhakens einer Streichliste von Dingen, die nach Ansicht des Regisseurs und Autors einfach irgendwie thematisiert werden müssen, unterstreicht – daß das nicht alleine eine Frage der Erfahrung ist, beweist allerdings Lees fast 30 Jahre später veröffentlichtes Vietnamveteranen-Drama "Da 5 Bloods", in dem der gleiche Streichlisten-Aspekt zum Tragen kommt, wenn es auch dort etwas unauffälliger geschieht. Dazu kommt, daß Lee die jungen Jahre des Malcolm Little nicht sehr spannend und auch nur leidlich unterhaltsam gestaltet, obwohl das Potential für mehr eindeutig vorhanden gewesen wäre. Aber Malcolm und seinem von Spike Lee selbst verkörperten Kumpel Shorty 30 Minuten lang zuzusehen, wie sie einen auf möchtegernweißen Obermacker in albernen Zuhälter-Klamotten und mit weißer Freundin machen, ist einfach zu viel des Guten, ebenso die folgende halbe Stunde mit Malcolms eher klischeehaftem Ausflug in die Unterwelt von Harlem.

Zweifellos sind beide Stationen auf Malcolms Lebensweg bedeutsam für das Verständnis dieser überlebensgroß erscheinenden, bis heute kontrovers diskutierten Persönlichkeit, angesichts der mehr als überschaubaren Originalität des Gezeigten und der Gesamtdauer des Films hätte Lee sich hier aber deutlich kürzer fassen können und sollen. Die so eingesparte Zeit hätte Lee stattdessen verwenden können, um Malcolms Konvertierung zum Islam im Knast glaubwürdiger zu gestalten, denn der radikale Wandel vom weltoffenen Lebemann zum fanatischen Gläubigen und Prediger geht doch arg schnell vonstatten. Somit fällt auch Malcolms Gefängnisaufenthalt – trotz einiger guter Einfälle wie der aus Malcolms Perspektive gefilmten Zeit in der Isolations- und Dunkelhaft – weniger fesselnd und erhellend aus als es möglich gewesen wäre. Zum Glück geht es mit Malcolms Rückkehr in die Freiheit qualitativ rasant bergauf. In dieser Phase begeht Spike Lee nicht den Fehler, Malcolm X zu verklären, sondern er schildert dessen Tätigkeiten als Mitglied der Nation of Islam weitgehend objektiv, womit er die Ambivalenz der Persönlichkeit Malcolm X unterstreicht. Der ist im Grunde genommen idealistisch und kämpft für Gerechtigkeit (respektive gegen die jahrhundertelange Ungerechtigkeit gegenüber Schwarzen vor allem, aber nicht nur in den USA), allerdings tut er das so fanatisch, daß er auch den offenen Rassismus – alle Weißen werden zu "Teufeln" erklärt – und Sexismus der Nation of Islam ungehemmt und ungefiltert propagiert. Beim Protagonisten eines dreieinhalbstündigen Films ist das ziemlich viel, was das Publikum schlucken muß, doch dank Denzel Washingtons OSCAR-nominierter, so energetischer wie charismatischer Darbietung gelingt diese Gratwanderung. Wenn man (wie ich) zu jung ist, es selbst erlebt zu haben, ist es vielleicht gar nicht so einfach zu verstehen, warum neben dem für friedlichen Wandel einstehenden Dr. Martin Luther King auch der im Gegensatz zu King so radikal und unversöhnlich erscheinende Malcolm X eine der prägendsten Figuren der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre wurde. Beispielhaft dafür ist eine Szene, in der eine enthusiastische weiße Studentin Malcolm fragt, was sie tun könne, um zu helfen, und dieser sie mit einem lapidaren "Gar nichts" auflaufen läßt – sympathisch ist anders! Doch entscheidend für den Erfolg von Malcolm X waren eben nicht Freundlichkeit oder Friedfertigkeit, sondern sein Charisma, Redegewandtheit, Leidenschaft und seine Überzeugungskraft, und das alles vermittelt Denzel Washington den Zuschauern ungemein überzeugend. So gegensätzlich sie in ihren Methoden auch gewesen sein mögen, hätten womöglich weder King noch Malcolm X ohne ihren ungeliebten Widerpart diese aufrüttelnde Wirkung erzielen können, die locker bis ins 21. Jahrhundert ausstrahlt.

Seine Spannung bezieht "Malcolm X" in dieser starken zweiten Hälfte jedoch nicht nur aus Malcolms Konflikt mit der "weißen Gesellschaft", sondern auch aus den internen Spannungen in der Nation of Islam. Die rühren in erster Linie daher, daß Malcolm so unglaublich erfolgreich ist und deshalb etliche seiner Mitstreiter in der Nation of Islam fürchten, er könne – gezielt oder ungewollt – dem "Propheten" Elijah Muhammad den Rang ablaufen. In Spike Lees Film ist es eindeutig so, daß Malcolm keine unlauteren Absichten hat, sondern er der einzige aufrechte Glaubensstreiter unter den hochrangigen Nation of Islam-Vertretern ist, während die anderen als Heuchler gezeigt werden, denen es in Wahrheit doch vor allem um Wohlstand und Ruhm geht. Inwiefern diese eher einseitige Darstellung der historischen Wahrheit entspricht, kann ich nicht beurteilen, es soll an dieser Stelle aber nicht verschwiegen werden, daß das Drehbuch des Films auf Malcolms Autobiographie basiert (sowie auf dem Dokumentarfilm "Malcolm X" aus dem Jahr 1972, dessen Regisseur und Drehbuch-Autor Arnold Perl offiziell als Lees Koautor dieses Films genannt wird) und Lee auf dessen Witwe Betty Shabazz (im Film verkörpert von Angela Bassett aus "Black Panther") als Beraterin zurückgriff – außergewöhnlich objektiv kann es also kaum sein. Das ändert aber nichts daran, daß die Darstellung der Konflikte im Film gut funktioniert und glaubwürdig rüberkommt – daß einige Mitstreiter mit Eifersucht und Intrigen auf Malcolms großen öffentlichen Erfolg reagierten, glaubt man jedenfalls gern. Auch die Trennung von der Nation of Islam und die Hinwendung zu einem etwas reiferen, weniger kompromißlosen und radikalen Bürgerrechtskämpfer als Folge einer zweiten "Offenbarung" bei seinem Besuch in Mekka (die erste hatte er im Gefängnis) sind nachvollziehbar. Übrigens: "Malcolm X" war die erste US-Produktion und der erste Nicht-Dokumentarfilm, der tatsächlich in der "heiligen Stadt" Mekka drehen durfte (jedoch nicht Lee selbst, da er kein Muslim ist)! Nach beinahe dreieinhalb Stunden läßt der, als er auf sein unvermeidlich tragisches Ende zuläuft (dessen Hintergründe, anders als im Film suggeriert, aber immer noch nicht restlos aufgeklärt sind), immer besser werdende "Malcolm X" sein Publikum atemlos und ob der bedauernswerten Zeitlosigkeit seiner Thematik nachdenklich zurück auch dank eines Epilogs, der gekonnt die zeitlose Bedeutung von Malcolm X vermittelt und in dem sogar Nelson Mandela noch einen Kurzauftritt als weiser Schullehrer hat.

Fazit: "Malcolm X" ist ein überlanges Biopic der umstrittenen Bürgerrechtsikone, das in seiner wenig aufregenden ersten Hälfte einige Straffungen hätte vertragen können, in der fesselnden zweiten Hälfte aber zu ebenso großer Form aufläuft wie Hauptdarsteller Denzel Washington.

Wertung: Gut 7 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen