Originaltitel: The Spy Who Came in from the Cold
Regie: Martin Ritt,
Drehbuch: Paul Dehn und Guy Trosper, Musik: Sol Kaplan
Darsteller: Richard
Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Peter van Eyck, Cyril Cusack,
Rupert Davies, Sam Wanamaker, George Voskovec, Beatrix Lehmann,
Michael Hordern, Robert Hardy, Anne Blake, Bernard Lee
FSK: 12, Dauer: 112
Minuten.
Als der berüchtigte
ostdeutsche Geheimdienstchef Hans-Dieter Mundt (Peter van Eyck, "Lohn
der Angst") erneut einen Informanten des britischen
Geheimdienstes enttarnt und beseitigt hat, beschließt MI6-Chef
"Control" (Cyril Cusack, "Fahrenheit 451"), zu drastischen Maßnahmen zu
greifen. Um Mundt endlich loszuwerden, wird der bisherige Leiter der
Berliner MI6-Station, Alec Leamas (Richard Burton, "Cleopatra"),
offiziell degradiert, was den Beginn eines drastischen sozialen
Abstiegs darstellt, an dessen Ende Leamas' Rekrutierung durch
die Stasi stehen soll. Diese soll er dann vorsichtig mit
Informationen füttern, die darauf hindeuten, Mundt könne ein für
die Briten arbeitender Doppelspion sein. Zunächst läuft alles
nach Plan, wenngleich nicht unbedingt vorgesehen war, daß der
irgendwann als Bibliotheks-Assistent arbeitende Leamas sich
in seine junge, naiv-idealistische Kollegin Nancy (Claire Bloom, "Die
Brüder Karamasov") verliebt. Doch schließlich wird Leamas
tatsächlich von der Stasi angeworben und von Mundts Stellvertreter
(und größtem internen Rivalen) Fiedler (Oskar Werner, "Jules
und Jim") befragt ...
Kritik:
Der Ende 2020 im
Alter von 89 Jahren verstorbene Brite John le Carré –
eigentlich David John Moore Cornwell – ist einer der
erfolgreichsten und bekanntesten Autoren von Spionageromanen
überhaupt und bildete eine Art Gegenpol zu James Bond-Schöpfer
Ian Fleming. Denn obwohl beide selbst als Geheimagenten aktiv waren
und daher genau wußten, worüber sie schrieben, entschied sich John le Carré
dazu, seine Erfahrungen in möglichst realitätsnahe Geschichten
umzusetzen – wogegen Fleming bekanntlich eher auf eine actionreiche
Fantasy-Version der Realität setzte. Beide Vorgehensweisen sind
legitim und haben sich als äußerst einträglich erwiesen, auch
bezogen auf die Leinwand-Adaptionen (wobei die James Bond-Filme natürlich
wesentlich massentauglicher sind). Zu den populärsten le
Carré-Adaptionen zählt bis heute die allererste:
Martin Ritts ("Der Wildeste unter Tausend")
Schwarzweiß-Verfilmung von "Der Spion, der aus der Kälte kam"
hält sich recht eng an die Vorlage und erzählt eine typische le
Carré-Geschichte: dialoglastig, humorarm, mit eher drögen Figuren, aber intelligent, mit raffinierten Wendungen und fast ohne Schießereien oder Verfolgungsjagden. Das trifft nicht
jedermanns Geschmack und gerade die erste Hälfte legt für heutige
Sehgewohnheiten ein arg langsames Tempo vor – doch wer sich
auf die clever konstruierte Story und die ambivalenten Charaktere einläßt, bekommt ein phasenweise brillantes Spionage-Kammerspiel mit einem in
mehrfacher Hinsicht denkwürdigen letzten Akt geboten. Für mich ist
"Der Spion, der aus der Kälte kam" daher neben, vielleicht
sogar knapp vor "Dame, König, As, Spion" (dessen ikonische
Hauptfigur George Smiley hier übrigens in der angemessen
unglamourösen Verkörperung durch Rupert Davies aus "Der
Hexenjäger" eine kleine, aber wichtige Rolle spielt) die beste
le Carré-Adaption bislang.
Nach
einem kurzen Prolog in Berlin nimmt sich Regisseur Ritt viel Zeit, um
Leamas' Londoner Scharade glaubwürdig zu etablieren. Das nimmt mit
seiner Detailverliebtheit reichlich Tempo aus der Geschichte,
funktioniert aber trotzdem gut. Richard Burton – der für seine
Leistung eine von zwei OSCAR-Nominierungen des Films erhielt –
spielt den chronisch grantigen, dabei sichtlich frustrierten und
dem Alkohol verfallenen vermeintlichen Ex-Agenten so authentisch, daß
man ihm sofort abnimmt, er würde sein Land für ein wenig Geld und
die Gelegenheit zur Rache an seinen Vorgesetzten verraten. Allein in
der sich unerwartet entwickelnden Beziehung zu seiner netten
Kollegin Nancy – die ironischerweise eine bekennende Kommunistin ist –
taut Leamas auf und gefährdet so auch ein wenig seine Tarnung.
Dennoch weckt er wie geplant die Aufmerksamkeit der Stasi und schafft es
trotz seiner anfänglich der Glaubwürdigkeit wegen vorgespielten
ablehnenden Haltung, mehrere "Anwerber" ausreichend von
seiner mangelnden Loyalität zu seinem Heimatland zu überzeugen, um letzten Endes vom stellvertretenden Stasi-Chef Fiedler persönlich
rekrutiert zu werden.
Insgesamt
ist der Londoner Teil von "Der Spion, der aus der Kälte kam"
etwas zu ausführlich geraten, wogegen der Rest der Geschichte
nach Leamas' Anwerbung dafür etwas zu schnell vonstatten geht. Hätte
man zu Beginn ein paar Minuten eingespart, hätte man das gedankliche
Schachspiel zwischen Leamas, Fiedler und Mundt, bei dem jeder von ihnen
möglichst viele Züge im Voraus berechnet, um die beiden anderen zu
übertrumpfen, noch etwas ausführlicher würdigen können. Das ist
allerdings Kritik auf hohem Niveau, denn Ritt und seine
Drehbuch-Autoren Paul Dehn (noch ein Ex-Spion) und Guy Trosper ("Der
Gefangene von Alcatraz") geben sich viel Mühe, die
Spannungskurve immer steiler ansteigen zu lassen. Dabei helfen ebenso die
intelligenten Dialoge, die sich wie ein Katz-und-Maus-Spiel
entfalten, wie die hochkarätige Besetzung. Sowohl der mit einem Golden Globe belohnte
österreichische Star Oskar Werner als intelligenter und eloquenter, jedoch etwas zu sehr von seiner offenen Abneigung gegenüber seinem
Ex-Nazi-Chef Mundt getriebener Fiedler liefert eine starke Leistung
ab als auch "Lohn der Angst"-Akteur
Peter van Eyck als aufbrausender, skrupelloser Mundt, und die
Rededuelle der beiden mit Richard Burtons Leamas sind elektrisierend
gespielt und inszeniert. Daß "Der Spion, der aus der Kälte
kam" einem lange im Gedächtnis bleibt, liegt allerdings in
erster Linie an einem genialen Storytwist im Finale sowie am Ende
selbst, das Alec Leamas mit einem intensiven, verbittert-desillusionierten
Monolog einleitet, der in die Filmgeschichte einging.
Fazit:
"Der Spion, der aus der Kälte kam" ist ein exzellenter,
kammerspielartiger Spionage-Thriller, der nach gemächlichem Beginn
mit einer hochkarätigen Besetzung, einem intelligenten Drehbuch und einem
grandiosen Finale begeistert.
Wertung:
9 Punkte.
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