Regie: Juan Carlos Medina, Drehbuch: Jane Goldman, Musik:
Johan Söderqvist
Darsteller:
Bill Nighy, Olivia Cooke, Daniel Mays, Sam Reid, Douglas Booth, María Valverde,
Eddie Marsan, Graham Hughes, Henry Goodman, Morgan Watkins, David Bamber, Amelia Crouch, Adam
Brown, Paul Ritter, Peter Sullivan
FSK: 16, Dauer: 109 Minuten.
Im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts wird der erfahrene Inspektor John Kildare (Bill Nighy, "Tatsächlich … Liebe") mit den Ermittlungen in Sachen "Limehouse Golem" betraut
– einem Serienmörder, der London unsicher macht und selbst vor brutalen Morden
an Frauen und Kindern nicht zurückschreckt. Es ist jedoch trotz seiner unbestrittenen
Fähigkeiten der erste Mordfall für Inspektor Kildare, den er zudem nur deshalb
übertragen bekommt, weil er im Falle des Scheiterns ein willkommener Sündenbock
wäre – immerhin hat er angesichts anhaltender Gerüchte über seine sexuelle
Orientierung sowieso keine große Karriere im Polizeidienst mehr in Aussicht. Mit der
Unterstützung von Constable George Flood (Daniel Mays, "1917")
entdeckt Kildare rasch, daß die Golem-Morde mit einem anderen Kriminalfall in
Verbindung stehen: Die beliebte Varieté-Darstellerin Elizabeth
"Lizzie" Cree (Olivia Cooke, "Ready Player One") ist des
Giftmordes an ihrem Gatten, dem Bühnenautor John Cree (Sam Reid,
"Anonymus"), angeklagt. Als sich herausstellt, daß ebenjener John Cree
zu einer Handvoll Verdächtigen als "Limehouse Golem" zählt, versucht
Kildare alles, um den Verstorbenen als Serienmörder zu überführen und so Lizzie
vor dem Galgen zu retten …
Kritik:
Es gibt möglicherweise kein (Sub-)Genre, das so dezidiert
britisch ist wie der viktorianische Horror-/Grusel-/Mysterfilm – was schon deshalb logisch ist, da sich das viktorianische Zeitalter nunmal
auf das Großbritannien des 19. Jahrhunderts zur Regierungszeit von
Königin Victoria von 1837 bis 1901 bezieht. Von einigen Hammer
Films-Produktionen über Werke wie "Die Frau in Schwarz" (wie "The Limehouse Golem" nach einem Skript von Jane Goldman), die Edgar
Allan Poe-Adaption "Stonehearst Asylum" oder auch in Großbritannien
spielende Hollywood-Filme wie "Crimson Peak", "From Hell"
oder "Sweeney Todd" bis hin zu TV-Serien wie "Penny
Dreadful" und "Ripper Street" gibt es viele gelungene
Genrebeiträge. In die Reihe viktorianischer Schauermärchen fügt sich "The
Limehouse Golem" von dem in den USA geborenen, aber seit langem in
Großbritannien arbeitenden Regisseurs Juan Carlos Medina (TV-Serie "A
Discovery of Witches") harmonisch ein, der auf Grundlage eines 1994
veröffentlichten Romans von Peter Ackroyd typische Elemente dieses Genres
für eine spannende und unterhaltsame, wenn auch teilweise überkonstruierte
Krimigeschichte über die Jagd nach einem brutalen und skrupellosen
Serienmörder vereint und dabei amüsant historische Persönlichkeiten in den
Verdächtigenkreis aufnimmt.
Als einen Horrorfilm würde ich "The Limehouse Golem"
derweil eher nicht bezeichnen, denn obgleich es speziell bei den (nur in
Rückblenden und nicht wirklich explizit gezeigten) Morden durchaus ein paar
heftigere Szenen gibt, dominieren eindeutig die Krimi- und Drama-Elemente. So
dürfte Medinas Film für manche Zuschauer auch zu bedächtig erzählt sein, denn
obwohl Inspektor Kildares Ermittlungen eigentlich ein Rennen gegen die Zeit
sind – ehe Lizzie seiner Ansicht nach zu Unrecht oder zumindest ohne Berücksichtigung sämtlicher Fakten zum Tode verurteilt wird –, läßt sich "The
Limehouse Golem" ziemlich viel Zeit beim Ausbreiten seiner Geschichte. Wer
jedoch keinen gesteigerten Wert auf Actionsequenzen oder Schockmomente legt, wird belohnt mit einem Film, der mit sehenswerten Kulissen und Kostümen
sehr stimmig das für die meisten Bürger eher wenig glorreiche viktorianische
Zeitalter zum Leben erweckt und mit vielen Verdächtigen in der Krimihandlung
die Spannung bis zum Schluß hochhält. Der Clou ist dabei das Buch voller
Notizen des Mörders, das Kildare findet, denn da sich die Anzahl der möglichen
Autoren auf etwa ein halbes Dutzend eingrenzen läßt, klappert er sie der
Reihe nach ab und läßt sie einige Zeilen der Texte aufschreiben, um die
Handschrift zu vergleichen. Das Geschriebene wird währenddessen in einer Art Rückblende
visualisiert, in der sich der jeweilige Verdächtige in der Rolle des Täters
befindet – was dadurch besonders reizvoll wird, daß sich unter diesen
Verdächtigen einige historische Persönlichkeiten befinden, darunter kein
geringerer als Karl Marx (Henry Goodman, "Avengers: Age of Ultron")!
Und Karl Marx, Autor des Kommunistischen Manifests, als brutalen Mörder zu
sehen, ist nun wahrlich ein ebenso seltenes wie – trotz der Umstände –
hochgradig amüsantes Vergnügen!
Zugegebenermaßen gehen diese Rückblenden mit wechselnden
Hauptfiguren mit einem nicht ganz unerheblichen logischen Manko einher: Sie
funktionieren eigentlich nur, solange Kildare die Aufzeichnungen des Killers
nicht vorher gelesen hat, sondern erst, als die Verdächtigen sie aufschreiben.
Hätte Kildare sie nämlich bereits gelesen – und es gibt keine gute Begründung dafür, warum er das nicht hätte tun sollen –, dann hätte
er sich einige Wege sparen können, da es sonnenklar ist, daß ein paar der
theoretisch Verdächtigen als Mörder überhaupt keinen Sinn ergeben. Für einen
Krimi ist das ein recht ärgerlicher Fehler, der stark an der Glaubwürdigkeit
der Story und vor allem des angeblich so fähigen Inspektors zweifeln läßt. Gleichzeitig
wäre das Publikum ohne diesen Fehler um das Vergnügen der wechselnden
Rückblenden gebracht worden, weshalb ich mit dieser Lösung trotz allem leben
kann, zumal sich das Drehbuch der von mir sehr geschätzten Jane Goldman
("Der Sternwanderer") ansonsten wenig Blößen gibt und auch
gesellschaftliche Mißstände jener Zeit wie die sexuelle Ausbeutung und
generelle Diskriminierung von Frauen thematisiert. Bezüglich der Figurenzeichnung
entpuppt sich Lizzie als eine faszinierende, ambivalente Person,
die dank des Gerichtsprozesses recht ausführlich und über weite Strecken
glaubwürdig gezeichnet ist und von Olivia Cooke mit einer passenden Kombination
aus Verletzlichkeit und Selbstbewußtsein interpretiert wird. Die übrigen Figuren bleiben deutlich oberflächlicher, was sich angesichts der
Fülle an Verdächtigen wohl kaum vermeiden ließ. Zumindest sind die Personen aus
Lizzies engstem Umfeld, zu denen neben dem janusköpfigen John Cree vor allem ihr
Varieté-Mentor Dan Leno (Douglas Booth, "Jupiter Ascending") – wie Marx eine historische Persönlichkeit –, ihre eifersüchtige Kollegin
Aveline (María Valverde, "Exodus") und der Theaterbesitzer
"Onkel" (Eddie Marsan, "The Gentlemen") zählen, interessant
und markant gestaltet, sodaß sie auch als wahre Täter in Frage kommen.
Enttäuschend ist hingegen, daß wir von Inspektor Kildare kaum mehr erfahren als
die Sache mit den Gerüchten über seine Sexualität. Zwar lernen wir ihn
durch seine Ermittlungsmethoden und durch seinen Einsatz für Lizzie trotzdem
etwas besser kennen und Bill Nighy verkörpert diesen Polizei-Außenseiter (der gerade deshalb eine Verbindung zu Lizzie zu spüren scheint) gewohnt
charismatisch; doch dafür, daß er eigentlich die zentrale Figur von "The
Limehouse Golem" ist, bleibt Inspektor Kildare überraschend
blaß. Wenngleich das zweifellos bedauerlich ist, funktioniert diese atmosphärisch gestaltete
viktorianische Schauermär insgesamt dennoch gut und sollte bei Anhängern des
Genres viele Freunde finden.
Fazit: "The Limehouse Golem" ist ein düsteres, gut ausgestattetes und besetztes historisches
Krimidrama mit Horror-Elementen, das trotz einer phasenweise arg
auffällig konstruierten und eher gemächlich erzählten Handlung durchgehend gut unterhält.
Wertung: 7,5 Punkte.
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