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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 30. Januar 2019

Klassiker-Rezension: DER MANN VON DER INSEL MAN (1929)

Originaltitel: The Manxman
Regie: Alfred Hitchcock, Drehbuch: Eliot Stannard
Darsteller: Carl Brisson, Anny Ondra, Malcolm Keen, Randle Ayrton
 Der Mann von der Insel Man (1929) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (6,6); FSK: nicht geprüft; Dauer: 80 Minuten.
Fischer Pete (Carl Brisson, "Der Weltmeister") und Anwalt Philip (Malcolm Keen, "Der Mieter") sind trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft seit ihrer Kindheit beste Freunde, Brüder beinahe – bis sie sich beide in das gleiche schöne Mädchen verlieben. Die Auserwählte heißt Kate (Anny Ondra, "Erpressung"), ist Wirtin im Gasthaus ihres Vaters Caesar (Randle Ayrton, "Zeichen im Sturm") und scheint Petes Gefühle zu erwidern, der sich allerdings auch wesentlich offensiver um sie bemüht, während der zurückhaltende Philip Kate eher im Geheimen anschmachtet. Als Pete Caesar um die Hand seiner Tochter bittet, wird er von ihm aber kurzerhand rausgeworfen, denn Caesar denkt nicht daran, Kate einem armen Fischer zu überlassen. Pete entscheidet daraufhin, sein Glück in Afrika zu suchen und erst als wohlhabender Mann zurückzukehren – Kate verspricht ihm auf sein Drängen hin, auf seine Rückkehr zu warten und Philip (von dessen Gefühlen Pete nichts ahnt) soll solange auf sie aufpassen. Einige Zeit später erreicht Philip und Kate eine schlimme Nachricht aus Afrika …

Kritik:
Der britische Thriller-Spezialist Sir Alfred Hitchcock hat von den 1940er Jahren bis hinein in die 1970er Jahre in Hollywood so viele Meisterwerke gedreht, daß viele gar nicht wissen, daß er bereits vor seinen berühmtesten Werken wie "Psycho", "Der unsichtbare Dritte", "Die Vögel" oder "Das Fenster zum Hof" ungemein aktiv war. Bevor er zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nach Hollywood ging, drehte Hitchcock in seiner britischen Heimat rund zwei Dutzend Filme, davon waren mehr als die Hälfte sogar noch Stummfilme. Zugegebenermaßen gibt es Gründe dafür, daß die weit weniger bekannt sind als seine Hollywood-Arbeiten; nicht der unwichtigste davon ist, daß die meisten davon nicht außergewöhnlich gut sind. Das heißt aber noch lange nicht, daß sie deshalb schlecht wären, tatsächlich gibt es aus dieser Phase sehr sehenswerte Filme – und selbst die schwächeren sind interessant, zumal man an ihnen schön Hitchcocks Evolution vom Auftragsarbeiter zu einem wahren Künstler nachvollziehen kann. Dadurch, daß er seine Projekte zu dieser Zeit noch nicht nach Belieben selbst auswählen konnte, kommt man als Zuschauer außerdem in den Genuß, ihn auch einmal mit ungewohnteren Genres hantieren zu sehen wie in dem Abenteuerfilm "Riff-Piraten" (1939) oder dem hier besprochenen Liebes-Melodram "Der Mann von der Insel Man". Hitchcock selbst äußerte sich später eher abwertend über die Adaption eines Romans von Sir Hall Caine, die sein letzter Stummfilm sein sollte, und in der Tat hat sie ihre Schwächen (die dem Vernehmen nach jedoch hauptsächlich in der wenig bemerkenswerten literarischen Vorlage begründet liegen sollen) – der typische Hitchcock-Touch ist jedoch immer wieder phasenweise erkennbar und so gelingt es ihm, aus einer zunächst in der Tat denkbar banal und unoriginell erscheinenden Prämisse erstaunlich viel herauszuholen.

Dabei verschwendet Hitch zunächst keine Zeit und etabliert gleich in den ersten fünf Minuten erstaunlich plakativ und mit auffälligem Overacting seiner Darsteller die Handlung: Zwei höchst unterschiedliche Männer sind beste Freunde, bis sie sich in die gleiche Frau verlieben – klar, wie das weitergehen und enden wird. Oder doch nicht? Nein, die Handlung verläuft doch etwas anders, als man das anfänglich vermuten würde. Bei einem anderen jungen Regisseur würde man den erschreckenden Mangel an Subtilität zu Beginn der Unerfahrenheit zuschreiben, doch da wir nun einmal von Alfred Hitchcock reden, dürfte die Wahrscheinlichkeit höher sein, daß es sich dabei um eine ganz bewußt und ziemlich raffiniert gelegte falsche Fährte handelt. Dafür spricht auch, daß der Theatermime Malcolm Keen (spielte auch in Hitchcocks "Der Bergadler" und "Der Mieter") als Philip und der tschechisch-deutsche Stummfilmstar Anny Ondra ("Der Unwiderstehliche"; später verheiratet mit Max Schmeling) im Anschluß an diesen plakativen Auftakt wesentlich authentischer agieren – zwar aus heutiger Sicht natürlich immer noch etwas übertrieben, aber nicht mehr als es bei anderen Stummfilmen der Fall ist. Lediglich der Däne Carl Brisson (der zuvor bereits in Hitchcocks "Der Weltmeister" die Hauptrolle gespielt hatte) scheint es einfach nicht viel besser zu können, seine Schauspielerei wirkt jedenfalls bis zum Schluß künstlich und aufgesetzt – wobei seine Rolle als dauergrinsender Pete aber auch nicht allzu dankbar ist. Ondra gilt übrigens als Prototyp der sprichwörtlichen "Hitchcock-Blondine", die anschließend in so vielen seiner Werke in tragenden Rollen agieren sollte (dann verkörpert von u.a. Grace Kelly, Doris Day, Ingrid Bergman und Tippi Hedren).

Ein wenig problematisch ist, daß sich "Der Mann von der Insel Man" – Kuriosum am Rande: Hitchcock begann die Dreharbeiten vor Ort auf der Isle of Man, siedelte sie dann jedoch aufs Festland nach Cornwall über, weil ihn der auf der Insel lebende Romanautor Caine mit häufigen Verbesserungsvorschlägen nervte – ganz auf das zentrale Dreiecks-Liebesdrama konzentriert. Es gibt keine nennenswerte Nebenhandlung, die für etwas Abwechslung sorgen würde – Petes Fischerei und sein Kampf für bessere Arbeitsbedingungen wird nach dem Prolog kaum noch erwähnt, Philips Juristerei spielt immerhin in der zweiten Hälfte eine etwas größere Rolle –, und mit Kates grummeligem Vater Caesar auch nur eine bedeutende Nebenrolle. Einmal abgesehen von der thematischen Monotonie wirkt es auf diese Weise nicht, als wären die Figuren wirklich Teil der Gesellschaft, womit alles etwas arg theaterhaft rüberkommt. Davon unbelangt scheint aber immer wieder Hitchcocks inszenatorisches Genie durch, speziell in einigen faszinierenden Bildkompositionen, die etwas statisch wirken mögen, aber dafür umso kunstvoller angerichtet sind (etwa kurz vor Ende eine die buchstäbliche Sprachlosigkeit der Beteiligten illustrierende Szene in Petes Haus direkt nach der Gerichtssequenz). Gleichzeitig funktionieren einige seiner Einfälle aber nicht so richtig, wenn er beispielsweise ein schockierendes Geheimnis zunächst nur den Protagonisten enthüllt, das Publikum aber ganz gezielt (mangels Zwischentitel) für mehrere Minuten im Dunklen darüber läßt – dumm nur, daß das Geheimnis so offensichtlich ist, daß es kaum jemanden überraschen dürfte. Wobei fairerweise angemerkt werden sollte, daß besagtes schockierendes Geheimnis vor 90 Jahren weit schockierender und mutmaßlich schwerer zu erahnen war als heutzutage … Nicht unerwähnt bleiben soll auch, daß man der Geschichte schon etwas die damaligen Moralvorstellungen anmerkt; so wirkt es beispielsweise oft, als wäre Kate die Unruhestifterin, die an allem Schuld ist, während die Männer ehrenhaft handeln. Bei genauerer Betrachtung wird aber klar, daß diese Dreiecksgeschichte viel einfacher und besser verlaufen würde, würde speziell Philip Kates Mut zur Ehrlichkeit folgen – zumal sein Bestehen auf ein vermeintlich ehrenwertes, selbstloses Verhalten für ihn eindeutig leichter ist als für sie (er ist einfach nur einsam, sie muß hingegen mit einem Mann zusammenleben, den sie nicht liebt). Hitchcock verzichtet in seinem Film auf eine Bewertung der Verhaltensweisen, was ich als Indiz dafür sehe, daß ihm die Ambivalenz speziell von Philips Verhalten sehr wohl bewußt war, er jedoch das Urteil darüber dem Publikum überlassen wollte. Letztlich ein guter Schachzug, da die fehlende klare Einordnung der Geschehnisse und der wohltuende Verzicht auf eine Schwarzweißzeichnung oder auch nur einen "Bösen" in der Geschichte dafür sorgen, daß man als Zuschauer wesentlich intensiver über "falsch" und "richtig" und alles dazwischen nachdenkt oder auch darüber, wie man sich selbst in einer ähnlichen Situation verhalten hätte.

Fazit: "Der Mann von der Insel Man" ist ein inhaltlich etwas zu limitiert gestaltetes Stummfilm-Liebesdrama, das jedoch mit einigen überraschenden Volten erfreut und phasenweise bereits Hitchcocks inszenatorisches Genie erkennen läßt.

Wertung: 7 Punkte.

P.S.: Wikipedia und einige andere Internetquellen geben erheblich längere Laufzeiten an (z.B. 100 Minuten bei einer britischen restaurierten Fassung), das scheint aber nur auf ein deutlich geringeres Abspieltempo zurückzuführen zu sein. Die hier besprochene 80-minütige deutsche Fassung gilt jedenfalls als ungeschnitten.

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