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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 26. Juni 2018

FEINDE – HOSTILES (2017)

Regie und Drehbuch: Scott Cooper, Musik: Max Richter
Darsteller: Christian Bale, Rosamund Pike, Wes Studi, Rory Cochrane, Jesse Plemons, Adam Beach, Jonathan Majors, Q'orianka Kilcher, John Benjamin Hickey, Ben Foster, Ryan Bingham, Paul Anderson, Stephen Lang, Timothée Chalamet, Tanaya Beatty, Xavier Horsechief, Robyn Malcolm, Peter Mullan, Bill Camp, Scott Wilson, David Midthunder, Gray Wolf Herrera, Scott Shepherd
Feinde - Hostiles
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 71% (6,8); weltweites Einspielergebnis: $35,6 Mio.
FSK: 16, Dauer: 134 Minuten.

New Mexico, 1892: Captain Joe Blocker (Christian Bale, "The Big Short") steht kurz vor seiner Pensionierung, doch einen letzten Auftrag soll der Veteran der Indianerkriege noch erfüllen: Zu seiner großen Verärgerung soll er ausgerechnet seinen bislang inhaftierten Erzfeind, den an Krebs sterbenden Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi, "Der mit dem Wolf tanzt"), mit dessen Familie zum heiligen Stammesgebiet der Cheyenne in Montana eskortieren. Widerwillig macht er sich mit vier Soldaten auf den beschwerlichen Weg, der schon bald noch schwieriger wird – denn sie stoßen auf die traumatisierte Rosalee Quaid (Rosamund Pike, "Gone Girl"), die als einzige einen Überfall marodierender Komantschen auf die Farm ihrer Familie überlebt hat. Besagte Komantschen sind nun auch hinter Blockers Truppe her, weshalb Chief Yellow Hawk Blocker beschwört, ihn und seine Familienmitglieder zu bewaffnen; denn nur gemeinsam hätten sie eine Chance, die numerisch überlegenen Komantschen abwehren …

Kritik:
"Die amerikanische Seele ist in ihrer Essenz hart, verschlossen und mörderisch." Mit diesem wenig schmeichelhaften Zitat des britischen Schriftstellers D. H. Lawrence ("Lady Chatterleys Liebhaber") eröffnet "Feinde – Hostiles", der beste US-Western seit mehreren Jahren. Dieses uramerikanische Genre ist bekanntlich nicht mehr ansatzweise so stark in den Kinos vertreten wie es bis in die 1970er Jahre hinein der Fall war, allerdings gibt es immer noch regelmäßig neue Western – und auch gute neue Western ("Django Unchained", "Open Range", "Bone Tomahawk", "True Grit", "The Revenant"). Erfreulicherweise reiht sich "Feinde" hier ganz weit oben ein, auch wenn das Freunde klassischer Western vielleicht nicht ganz so sehen werden. Denn "Feinde" ist eher ein charakterzentriertes Westerndrama á la "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" und wird entsprechend bedächtig erzählt. Schießereien gibt es zwar auch ein paar, die Höhepunkte des Films liegen jedoch klar in den dialog- und charaktergetriebenen Szenen, was ungeduldigere Zuschauer stören könnte. Im Zusammenspiel mit einer bis in die heutige Zeit hinein relevanten Erzählung von Haß, Vorurteilen und Vergebung sowie einer bis in kleine Nebenrollen exzellenten Besetzung ergibt das ein nicht makelloses, aber sehr eindrucksvolles kleines Meisterwerk des Genres.

Wie so viele Spätwestern, die nach der Niederlage der Ureinwohner spielen, ist auch "Feinde" von einer großen Melancholie und Traurigkeit geprägt. Sämtliche Charaktere sind auf irgendeine Art und Weise beschädigt, ob es die nach der Ermordung ihrer gesamten Familie verzweifelten – oder sogar gebrochenen, wie Blockers Kamerad und bester Freund Tommy (Rory Cochrane, "Oculus") meint – Rosalee ist oder die Soldaten und Indianer, die ganz entscheidend von ihren Erlebnissen während der Indianerkriege geprägt wurden. Christian Bale spielt den haßerfüllten Joe mit einer ähnlichen brütenden Stoik wie Joaquin Phoenix den gleichnamigen, ebenfalls vom Krieg traumatisierten Protagonisten des Arthouse-Rachedramas "A Beautiful Day". Captain Joe Blocker wurde von Jahrzehnten des gnadenlosen Kampfes gegen die Ureinwohner abgestumpft, das ist ihm selbst völlig klar. Nur sein Haß gegen alles Indianische lodert noch immer und läßt ihn wütend aufbegehren, als Col. Briggs (Stephen Lang, "Don't Breathe") ihm seinen Auftrag erteilt. Das zeigt zumindest, daß ihm noch nicht alles egal ist – ganz anders ergeht es seinem langjährigen Kameraden Tommy Metz, der stets von bleierner Schwere umhüllt scheint – jene Szene, in der er seine Gemütslage dem gerade erst von der Ausbildung in der Militärakademie West Point angekommenen Lieutentant Rudy Kidder (Jesse Plemons, "Game Night") enthüllt, zählt zu den stärksten des gesamten Films.

Auf der anderen Seite sieht es bei den Ureinwohnern nicht viel besser aus. Chief Yellow Hawk und seine Familie nehmen die Geschehnisse scheinbar gelassen hin – angesichts jahrelanger Einkerkerung auch ihrer Kinder in ziemlich kleinen Käfigen (das kennen wir doch irgendwoher?) kaum verwunderlich. Wir erfahren nach und nach, daß sich Yellow Hawk und Blocker gar nicht so sehr unterscheiden – beide zählten zu den gefürchtetsten Kämpfern ihrer Seite und beide begingen unaussprechliche Verbrechen gegen die Menschheit, die sich tief in ihre verwundete Seele eingebrannt haben. Und auch die marodierenden Komantschen wurden wohl durch ihre Erfahrungen geprägt und verhärtet, Yellow Hawk meint sogar, sie hätten einfach ihren Verstand verloren. Unvorstellbar, daß es hier irgendeine Annäherung geben kann – oder? Nunja, bei den Komantschen ist das in der Tat aussichtslos, doch die Soldaten und die Cheyenne gelangen in der Tat langsam zu etwas mehr Verständnis füreinander. Mitentscheidend dafür ist Rosalee, mit wahrlich herzzerreißender Inbrunst verkörpert von Rosamund Pike in einer der besten Rollen ihrer Karriere. Auch die Cheyenne haben Mitleid mit ihrem grausamen Schicksal – und nach sehr verständlichem anfänglichen Zögern läßt Rosalee die Fürsorge speziell von Yellow Hawks Schwiegertochter Elk Woman (Q'orianka Kilcher, "The New World") und ihrem kleinen Sohn Little Bear (Xavier Horsechief) zu. Diese kleinen Momente der Menschlichkeit hinterlassen bei Blocker und seinen Männern Eindruck und zeigen, daß der Weg zu gegenseitigem Verständnis und Vergebung zwar ein sehr langer und steiniger ist, aber durchaus beschritten werden kann.

Manche Kritiker bemängeln an "Feinde" eine zu wenig konsistente Story, doch diese Meinung teile ich nicht. Zwar ist es richtig, daß es nicht den einen entscheidenden roten Faden in der Handlung gibt (mal abgesehen von der Reise an sich, die aber natürlich nur Mittel zum Zweck ist), aber gerade diese durch den ausgeprägten Roadmovie-Aspekt bedingte Themenvielfalt hat mir ausnehmend gut gefallen. Sicherlich kann der Regisseur und Drehbuch-Autor Scott Cooper ("Black Mass") dadurch nicht in jedes Thema gleich tief eindringen und ist manchmal zu etwas plakativen Szenen gezwungen, aber sein Manuskript ist intelligent und überlegt genug, um das durch besonders eindringliche Dialoge und Momente aufzuwiegen. Dazu trägt die hervorragende Arbeit des japanischen Kameramanns Masanobu Takayanagi ("The Grey") bei, der nicht nur die westerntypischen Breitwandszenerien der nordamerikanischen Wüsten- und Steppenlandschaft atmosphärisch einfängt, sondern auch immer wieder in intimeren Momenten beeindruckt – wie in jener Szene, in der Rosalee und Blocker nachts nebeneinander im Zelt liegen, während es draußen in Strömen regnet: Von Rosalee ist in der Dunkelheit nur der Kopf zu sehen, wodurch sich der Eindruck ergibt, als liege sie in einem nicht ganz zugeschaufelten Grab; eine treffende Metapher angesichts ihres Gemütszustandes. Auch die elegische, gefühlsstarke Musik des Deutsch-Briten Max Richter ("Into the Forest") trägt ihren Teil zum ausgesprochen stimmigen Gesamtbild bei. Das gilt ebenso für die Darsteller, die ihre trotz des reichhaltigen Ensembles angenehm durchdacht ausgestalteten Figuren sehr überzeugend verkörpern. Sogar noch etwas mehr als Christian Bale haben mich Rosamund Pike und Rory Cochrane beeindruckt, doch auch Wes Studi, der vielbeschäftigte frühere "Breaking Bad"-Star Jesse Plemons, Ben Foster ("Hell or High Water", als Ex-Soldat, der wegen Mordes zu seiner Hinrichtung überführt werden soll und argumentiert, er habe nichts anderes getan als Blocker und Yellow Hawk – nur eben nicht im Krieg), Kino-Debütant Jonathan Majors (als schwarzer Corporal Woodson, der lange gemeinsam mit Blocker und Tommy gedient hat), OSCAR-Nominee Timothée Chalamet ("Call Me by Your Name", als unerfahrener französischer Rekrut) und Q'orianka Kilcher erfüllen ihre Charaktere gekonnt mit Leben.

Um ehrlich zu sein, hat mich "Hostiles" zwischenzeitlich so sehr begeistert, daß ich ernsthaft darüber nachdachte, ihm die Höchstwertung zu verleihen. Dafür gibt es aber doch ein bißchen zu viele kleinere Schwächen, die zwar für sich genommen nicht groß ins Gewicht fallen, sich aber durchaus summieren. Da wäre etwa ein erstes Drittel, in dem die Story relativ schwer in Fahrt kommt und das man gewiß ein wenig hätte straffen können (der Film ist mit über zwei Stunden sowieso recht lang geraten). Auch wird die Figur der Rosalee in der zweiten Hälfte etwas zu sehr an den Rand gedrängt. Des Weiteren ist es bedauerlich, daß die indianischen Nebenfiguren weniger eindrücklich gezeichnet sind. Dafür gibt es nachvollziehbare inhaltliche Gründe – erstens weigern sich Blocker und seine Männer lange, auch nur mit den Cheyenne zu reden und zweitens gibt es die Sprachbarriere, denn die Cheyenne sprechen kaum Englisch und umgekehrt beherrschen nur Blocker und Tommy die Sprache der Cheyenne –, trotzdem ist es schade, daß in einem Film, der sich so leidenschaftlich der Fürsprache für Versöhnung und gegenseitiges Verständnis verschrieben hat, die Indianer letztlich doch nur die zweite Geige spielen (wenn auch mit einigen starken Szenen). Zudem gerät die Annäherung der anfangs so verhaßten Blocker und Yellow Hawk am Ende arg schnell vonstatten, jedoch läßt sich das in einem zweistündigen Film wohl kaum vermeiden. Ein paar Logikfehler gibt es auch (die Art des Vorgehens im Camp der Pelzjäger erscheint mir jedenfalls nicht wirklich sinnvoll) und zu guter Letzt ist mir das Finale, wiewohl fraglos sehr effektiv, doch etwas zu plakativ in seiner Aussage geraten. Insgesamt ändert das aber nichts daran, daß "Hostiles" ein sehr, sehr guter Film ist, der zum Nachdenken anregt. Und vielleicht ist die amerikanische Seele ja doch nicht ganz so hart, verschlossen und mörderisch ...

Fazit: "Feinde – Hostiles" ist ein melancholisches, aber hoffnungsvolles (und im derzeitigen politischen Klima wohl sogar besonders relevantes) Spätwestern-Drama mit gut gezeichneten und durchweg stark gespielten Charakteren sowie einer intelligenten, einfühlsamen Story, deren Botschaft lange nachhallt.

Wertung: 9 Punkte.


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