Regie und Drehbuch: Nacho Vigalondo, Musik: Bear McCreary
Darsteller: Anne Hathaway, Jason Sudeikis, Dan Stevens,
Austin Stowell, Tim Blake Nelson, Agam Darshi
FSK: 12, Dauer: 114 Minuten.
Seit Gloria (Anne Hathaway, "The Dark Knight Rises") vor einem Jahr ihren Job als Journalistin verloren hat, hängt sie meistens in der New Yorker Wohnung ihres Freundes Tim (Dan Stevens,
"The Guest") herum und schreibt gelegentlich einen Artikel für ein
Onlinemagazin – vor allem aber trinkt sie sehr viel Alkohol und feiert bis in
die Nacht hinein wilde Partys. Irgendwann reicht es Tim und da Gloria nicht
einmal einsehen will, daß sie ein Alkoholproblem hat, schmeißt er sie
kurzerhand raus. Mittellos kehrt Gloria in ihren Heimatort zurück, wo sie direkt
ihrem alten Schulfreund Oscar (Jason Sudeikis, "Wir sind die
Millers") über den Weg läuft, der ihr einen Job als Kellnerin in der Bar
anbietet, die er von seinem Vater geerbt hat. Gloria nimmt an und verbringt einige
unterhaltsame, reichlich alkoholgeschwängerte Abende mit Oscar und seinen
beiden Freunden Joel (Austin Stowell, "Bridge of Spies") und Garth (Tim
Blake Nelson, "Der unglaubliche Hulk") – beeinträchtigt nur durch die
Tatsache, daß in Seoul aus dem Nichts eine gigantische Kreatur auftaucht und
für Chaos und viele Tote sorgt. Bald entdeckt Gloria etwas Unglaubliches: Sie
scheint diese Kreatur, die jedes Mal genau zur gleichen Zeit auftaucht und nach
wenigen Minuten wieder verschwindet, unbewußt zu steuern …
Kritik:
Der spanische Filmemacher Nacho Vigalondo erhielt bereits
mit 28 Jahren seine erste OSCAR-Nominierung, für den Kurzfilm "7:35 de la
mañana". Seitdem steigerte er seine Bekanntheit konsequent mit Genrefilmen wie
dem cleveren Zeitreise-Thriller "Timecrimes – Mord ist nur eine Frage der
Zeit", dem experimentellen Social Media-Horrorfilm "Open
Windows" mit Elijah Wood und Sasha Grey und seinen Beiträgen zu den
Horror-Anthologien "The ABCs of Death" sowie "V/H/S Viral".
Für "Colossal" konnte er mit OSCAR-Gewinnerin Anne Hathaway erstmals
einen ganz großen Hollywood-Star gewinnen, mit einem Budget von $15 Mio. ist
es auch Vigalondos bislang aufwendigste Produktion – was aber noch lange nicht
heißt, daß er sich im Bemühen um einen Karrieresprung plötzlich auf einen klassischen
Mainstream-Stoff einlassen würde. Im Gegenteil, der von ihm auch geschriebene
Mix aus (Tragi-)Komödie, Monsterfilm, Thriller und Suchtdrama ist so
unkonventionell und einfallsreich geraten, wie man es sich nur wünschen kann (wenn man
Abwechslung zu schätzen weiß). Das funktioniert lange gut, entwickelt sich im
Handlungsverlauf jedoch für meinen Geschmack doch etwas zu dick aufgetragen und
tonal unausgeglichen.
In der ersten Filmhälfte macht "Colossal" sehr viel
Spaß, denn obwohl Glorias Alkoholproblem keineswegs verharmlost wird, ist es einfach
amüsant, ihr und ihren neuen beziehungsweise in Oscars Fall wiedergefundenen
Freunden beim ausgelassenen Feiern und Diskutieren und in Erinnerungen Schwelgen zuzusehen und -hören. Das ist ebenso Nacho Vigalondos spritzigen Dialogen zu verdanken
wie den gut aufgelegten Darstellern, wobei vor allem
Anne Hathaway es sichtlich genießt, mal so richtig aus sich rausgehen zu dürfen. Und
als Gloria dann noch ihre unerklärliche (und trotz einiger Rückblenden
gegen Ende auch weitgehend unerklärt bleibende) Verbindung zu der Seoul
verwüstenden Kreatur entdeckt und ihren drei Freunden demonstriert, nimmt der Grad
an unterhaltsamem, herrlich schrägen Wahnsinn sogar noch zu – ich meine, wer
wollte nicht schon immer einmal ein riesiges Monster á la "Godzilla" oder "Pacific Rim" tanzen sehen?
Ähnlich wie bei Josh Tranks stilistisch nicht unähnlichem Anti-Superhelden-Film
"Chronicle" nimmt die bis dahin – ja, trotz der (versehentlich)
tödlichen Kreatur und Glorias Alkoholismus – leichtfüßige Komödie etwa zur
Hälfte einen deutlichen Stimmungsumschwung vor hin zu einem immer ernsteren
Thriller-Drama.
Auslöser dafür gibt es zwei: Erstens entdeckt Oscar, daß er
die gleiche Fähigkeit wie Gloria hat und eine zweite Kreatur (in diesem Fall
ein Riesenroboter) ebenfalls in Seoul kontrolliert. Zweitens muß der in
Gloria verliebte Oscar erkennen, daß diese seine Gefühle nicht erwidert,
sondern nur einen Freund in ihm sieht. Diese Ablehnung nimmt Oscar gar nicht
gut auf – und da kommt der von ihm gesteuerte Riesenroboter ins Spiel ... Natürlich
will ich nicht zu viel verraten, da die Story einige interessante Wendungen nimmt,
aber von der Leichtfüßigkeit der ersten Hälfte bleibt jedenfalls kaum noch
etwas übrig, stattdessen wird es immer dramatischer – und leider zum Teil auch
unglaubwürdiger und unlogischer. Beispielsweise rächt es sich nun, daß
Vigalondo zu Beginn zwar viele wirklich amüsante Szenen geschrieben hat, dabei
aber die Figurenzeichnung etwas vernachlässigte. Einzig Gloria und Oscar wirken
authentisch, vielleicht noch ihr wankelmütiger Ex-Freund Tim (dessen Beziehung
zu Gloria aber trotzdem irgendwie merkwürdig wirkt) – Garth und Joel bleiben
hingegen am Rand, einer von ihnen verschwindet schließlich sogar vollständig von
der Bildfläche. Außerdem fragt
man sich, wie inkompetent man eigentlich sein muß, um in Seoul ein
verantwortungsvolles Amt zu ergattern, denn obwohl die Kreaturen immer zur
gleichen Zeit auftauchen, denkt man offensichtlich gar nicht daran, so etwas
wie eine Ausgangssperre für diese Zeit zu verhängen oder andere Schutzmaßnahmen
zu ergreifen. Klar, eine Millionenstadt zu evakuieren, ist nicht die beste
Lösung, aber man sollte meinen, daß sowieso viele Einwohner freiwillig
abhauen würden angesichts dieser tödlichen Bedrohung. Stattdessen sind jedes
Mal, wenn die Kreaturen erscheinen, Massen an Menschen unterwegs, die völlig
überrascht reagieren und panisch durch die Straßen laufen. Sinn ergibt das
nicht wirklich und auf Dauer ging es zumindest mir zunehmend auf die Nerven …
Noch schwerwiegender ist jedoch, daß im finalen Akt der
Geschichte auch die Handlungen der Protagonisten nur noch bedingt Sinn ergeben
und sie logische Optionen komplett ignorieren. Das macht es
allzu offensichtlich, daß die Handlung zu diesem Zeitpunkt nur noch dem von
Vigalondo intendierten Muster folgt, ob es nun Sinn ergibt oder nicht. Doch als
Zuschauer fragt man sich ständig, warum Gloria und die anderen nicht einfach
Naheliegendes probieren, um Oscar aufzuhalten – etwa ihn wegen eines Verbrechens
festnehmen zu lassen. Dafür müßte man nicht einmal etwas erfinden, er verstößt
oft genug gegen die Gesetze; natürlich wäre das nur eine vorübergehende Lösung,
aber sie würde zumindest Zeit erkaufen, um in Ruhe einen guten Plan zu
entwickeln. Stattdessen entscheidet sich Gloria nach langem Hin und Her für die
wohl extremste (und dabei unsicherste) Option, die zwar ein emotional
durchaus befriedigendes Ende ermöglicht, aber eben kaum realistisch erscheint.
Speziell im letzten Filmdrittel verspielt "Colossal" also einiges von
dem Kredit beim Publikum, den er sich zuvor hart erarbeitet hat. Dennoch will ich
auch nicht zu negativ klingen, denn allen Logik- und Glaubwürdigkeitsdefiziten
sowie der ständigen Tonänderungen zum Trotz fiebert man zweifellos mit den Figuren
mit, was auch an den starken Schauspielleistungen liegt. Hathaway habe ich ja
bereits gelobt, trotz nur geringer Charakterentwicklung verkörpert sie die
sich selbst etwas vormachende Alkoholikerin sehr überzeugend, zudem sind ihre
Reaktionen sowohl auf die Monster-Entdeckung als auch auf Oscars düstere
Wandlung ungemein nuanciert und ausdrucksstark vorgetragen. Doch die Überraschung
des Films ist der vorwiegend auf Komödien-Rollen abonnierte Jason Sudeikis, der Oscars Entwicklung vom freundlichen, wenngleich wie Gloria sehr dem
Alkohol zugeneigten Barbesitzer über leichte Stalker-Tendenzen bis hin zum vollkommenen, größenwahnsinnigen Soziopathen-Modus bemerkenswert glaubwürdig
vermittelt (was gerade im Vergleich zu der sonstigen Unglaubwürdigkeit der
Storyentwicklung auffällt). Allein die Leistungen von Hathaway und Sudeikis im
Verbund mit der sehr unterhaltsamen ersten Hälfte und der sich selbstbewußt
den Konventionen entziehenden, die Genres durchbrechenden Handlung sorgen
dafür, daß es sich lohnt, dem (wunderbar als überlanger
Anti-Alkohol-Werbespot funktionierenden) "Colossal" eine Chance zu
geben – trotz der Schwächen in der zweiten Filmhälfte.
Fazit: "Colossal" ist eine originelle,
vor allem in der spritzigen ersten Hälfte sehr unterhaltsame
Mystery-Tragikomödie mit zwei starken Hauptdarstellern – bedauerlicherweise
verwässert ein arg konstruierter und wenig glaubhaft entwickelter dritter Akt
den bis dahin guten Eindruck.
Wertung: 7 Punkte.
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