Regie: Martin Scorsese, Drehbuch: Jay Cocks und Martin
Scorsese, Musik: Kathryn und Kim Allen Kluge
Darsteller: Andrew Garfield, Adam Driver, Issey Ogata,
Yosuke Kubozuka, Liam Neeson, Yoshi Oida,
Tadanobu Asano, Shin'ya Tsukamoto, Ciarán Hinds, Nana Komatsu, SABU
FSK: 12, Dauer: 162 Minuten.
Als im 16. und im frühen 17. Jahrhundert europäische Missionare
den christlichen Glauben in Japan verbreiteten, reagierte die Obrigkeit
zunächst gelassen darauf, zumal sich vorrangig die einfachen Leute bekehren
ließen. In den 1630er Jahren änderte sich das, nach einem Aufstand der
christlichen Landbevölkerung verfügte der Shogun die Abschließung Japans in
Verbindung mit einer gnadenlosen Verfolgung der Christen, die einem grausamen Tod nur
dann entgehen konnten, wenn sie ihrem Glauben öffentlich abschworen. Während zahlreiche Priester den Märtyrertod starben, geht das Gerücht um, daß der
portugiesische Jesuit Pater Ferreira (Liam Neeson, "The Grey") tatsächlich abschwor und nun
als Japaner mit Frau und Kindern lebt – Pater Ferreiras frühere Jesuiten-Schüler
Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield, "The Amazing Spider-Man") und Francisco Garupe (Adam Driver, "Star Wars Episode VII") wollen
das nicht glauben und machen sich selbst auf den beschwerlichen Weg nach Japan, um das Schicksal ihres
Mentors zu eruieren. Der in China gestrandete, trunksüchtige Fischer
Kichijiro (Yosuke Kubozuka, "Ichi – Die blinde Schwertkämpferin") bestreitet zwar heftig, ein Christ zu sein,
leitet sie jedoch mit einem Boot heimlich zu der kleinen christlichen
Küstengemeinde Tomogi, wo sie begeistert und voller religiöser Inbrunst empfangen
werden. Die Suche nach Pater Ferreira muß also erst einmal warten, da die
frommen Dorfbewohner die beiden Jesuiten mit ihren religiösen Begehren voll in
Beschlag nehmen. Dann kommt der unnachgiebige Inquisitor Inoue Masashige
(Issey Ogata, "Tony Takitani") in die Gegend und sucht auch in Tomogi mit äußerst effektiven
Methoden nach verborgenen Christen …
Kritik:
Ich kenne einige Atheisten, die möchten am liebsten auch in
Filmen und Serien so wenig wie möglich mit Religion zu tun haben. Bei mir ist
das anders: Obwohl ich überzeugter Atheist bin, hat mich der Themenkomplex
"Religion und Glaube" stets fasziniert und fand ich den Versuch
einer Dekonstruktion in einzelne Elemente ebenso spannend wie eine Analyse
der Motivation von Gläubigen und Glaubensvetretern oder der gesellschaftlichen
Auswirkungen von Religionen. Kurzum: Es ist ein sehr ergiebiges Thema, das auch oder
vielleicht sogar gerade für neugierige "Ungläubige" für mich
unzählige interessante Facetten bereithält. Martin Scorsese, einer der größten
lebenden Filmemacher, sieht das offensichtlich ähnlich (wobei er kein
Atheist, sondern gläubiger Katholik ist), denn mit "Silence" widmet
er sich nach "Die letzte Versuchung Christi" (1988) und dem Dalai
Lama-Biopic "Kundun" (1997) bereits zum dritten Mal der Thematik. Und
wenngleich er sich dieser in der Verfilmung des 1966 erschienenen Romans
"Schweigen" von Shūsaku Endō erkennbar aus der Sicht eines Gläubigen
nähert und teils andere Schwerpunkte setzt als ich sie mir
gewünscht hätte, ist der mehr als zweieinhalb Stunden lange "Silence"
fraglos ein beeindruckendes, auch ein einsichtsreiches Glaubensdrama, das sich
letztlich mit universellen menschlichen Werten beschäftigt.
Die Geschichte, die in "Silence" erzählt wird, nimmt sich
zwar erzählerische Freiheiten, basiert jedoch auf realen Vorbildern: Der
abgefallene Pater Ferreira existierte wirklich, Pater Rodrigues basiert auf dem
italienischen Jesuiten Giuseppe Chiara, wurde aber der Story dramaturgisch
angepaßt (Chiara suchte nach Ferreira, war allerdings keiner seiner Schüler), die japanische Abschottung und Christenverfolgung gab es natürlich auch.
Womit wir schon den ersten Punkt hätten, bei dem Scorsese andere
Interessen hat als ich, denn über die gesellschaftlichen und politischen
Hintergründe der Situation erfahren wir leider nur wenig. Für das Verständnis
des Films ist das nicht wirklich hinderlich, dennoch hätte ich gern mehr über
die Motivation der hier bis auf den Inquisitor arg schablonenhaft bleibenden japanischen Oberschicht erfahren, die die Missionierung
zunächst zuließ, dann aber eine radikale Kehrtwende unternahm (der in meiner
Inhaltsangabe erwähnte Landarbeiteraufstand wird im Film beispielsweise nicht
einmal erwähnt, glaube ich). Analog gilt das für die
überwiegend in den unteren gesellschaftlichen Schichten zu findenden Christen –
warum ließen sie sich so leicht bekehren, weshalb folgten so willig den Lehren
der Missionare? Und vor allem: Warum wurde ihr Glaube in vergleichsweise
kurzer Zeit so stark, daß viele von ihnen für ihn willig in den Tod
gehen? Zwar weiß ich es zu schätzen, daß Scorsese die sehr komplexe Thematik nicht
auf banale Erklärungen herunterbricht und es stattdessen bei recht subtil
eingeflochtenen Ansätzen beläßt (offensichtlich ist der Glaube an das Paradies
für die Bekehrten von extremer Bedeutung), aber ein bißchen intensiver hätte er sich
für mein Empfinden doch damit beschäftigen können.
Doch für Scorsese steht eben der Glaube selbst im
Vordergrund, verdeutlicht vor allem anhand des Protagonisten Sebastiaõ, aus
dessen Perspektive die Geschichte konsequent erzählt wird. Er und
sein anfänglicher Begleiter Francisco (später trennen sich ihre Wege) sind
interessante Figuren. Beide sind jung und idealistisch, sie glauben an ihre
Mission, Pater Ferreira zu finden und den japanischen Christen zu helfen, die
seit der Ermordung, Vertreibung oder "Bekehrung" aller christlichen
Geistlichen im Land natürlich nur noch sehr bedingt die religiösen Zeremonien
ausüben können. Sebastiaõ macht auf den ersten Blick einen etwas geerdeteren,
vernünftigen Eindruck, während Francisco eher fundamentalistisch daherkommt –
gut illustriert anhand der Ankunft des Inquisitors in Tomogi, denn während der
besorgte Sebastiaõ den vier exemplarisch ausgewählten Dorfbewohnern eindringlich
zurät, den symbolischen Forderungen des Inquisitors nachzukommen und auf ein
Jesusbild zu treten, lehnt Francisco eine solche Vorgehensweise kategorisch ab.
Andererseits drückt der eher ungeduldige, relativ leicht aufbrausende Francisco
seinem Glaubensbruder offen seine Bewunderung für dessen Standfestigkeit im
Glauben aus. Sebastiaõ und Francisco sind sicher nicht die komplexesten
Charaktere, die es je in einem Scorsese-Film gab, doch sie sind glaubwürdige,
ambivalente Persönlichkeiten, die die Story auch dank der ausdrucksstarken
Performances der Darsteller Andrew Garfield und Adam Driver problemlos tragen
können.
Interessant ausgearbeitet ist der Kontrast zwischen den
Jesuiten und den Dorfbewohnern, denn während diese sehr
leidenschaftlich, fast schon fanatisch wirken in ihrem unbedingten Glauben an
die trostverheißende christliche Lehre, erscheinen Sebastiaõ und Francisco mit
typischen Priester-Phrasen anfangs eher oberflächlich. Daß sie bei der
ersten Begegnung sehr furchtsam sind, kann man ihnen angesichts der großen Gefahr einer Entdeckung durch die "falschen" Japaner kaum verdenken, daß
vor allem Francisco beinahe angeekelt wirkt von den teilweise schmutzstarrenden
Dorfbewohnern, aber auch von deren ob der Umstände verständlicherweise primitiver Glaubensausübung, wirkt dagegen schon nicht mehr so christlich.
Andererseits liegt Francisco jedoch wohl nicht ganz falsch, wenn er die
Vermutung äußert, daß diese bekehrten Christen die Essenz der Religion
zumindest nicht vollständig begriffen und verinnerlicht haben. Wobei man da
natürlich die Frage aufwerfen kann, ob das ihre "Schuld" ist oder eher die sich
womöglich eher durch Eifer als Genauigkeit auszeichnender Missionare, von denen sie gelernt haben.
Doch bedauerlicherweise ist auch das ein Punkt, auf den Scorsese nicht näher
eingeht. Stattdessen, was wohlgemerkt keine schlechte Entscheidung ist, lenkt er das Augenmerk
auf den anfänglichen Führer der beiden Jesuiten, Kichijiro, der Sebastiaõ –
nicht zwangsläufig zu dessen uneingeschränkter Freude – bis zum Schluß begleiten
wird. Kichijiro, so erfahren wir bald, verneint deshalb so heftig, ein Christ zu
sein, weil er im Gegensatz zu vielen anderen aus seinem Heimatdorf tatsächlich vor den Augen
des Inquisitors seinem Glauben abgeschworen und deshalb überlebt hat. Wobei
"überleben" tendentiell ein Euphemismus ist, denn den klar an
Judas gemahnenden Kichijiro plagen extreme Schuldgefühle, er verflucht seine Schwäche und will ständig seine Sünden beichten, was erkennbar auch
seine geistige Gesundheit angreift.
Das könnte man sicher als Kritik an jenen interpretieren,
die ihren Glauben verleugnen, aber ich denke, Scorseses Intention ist es eher,
die brutale Effizienz der Methoden von Inquisitor Inoue zu demonstrieren – denn
wer nicht tut, was dieser will, stirbt einen grausamen Tod; wer aber nachgibt,
der überlebt zwar, kommt aber wahrscheinlich nicht ohne
seelische Schäden davon. Das muß auch Sebastiaõ erfahren, als er schließlich
mit Inoue konfrontiert wird. Der entpuppt sich als älterer Samurai, der körperlich nicht sonderlich beeindruckend daherkommt, jedoch mit wachem Geist und
scharfer Zunge ungemein gefährlich ist. Trotz aller Grausamkeiten umweht ihn
sogar ein nicht unbeträchtliches Charisma, zudem reichert Darsteller Issey
Ogata die Rolle an, indem er sie mit kleinen Schrullen und Manierismen
ausstattet sowie einem spitzen, leicht bösartigen Humor; gleichzeitig kann der
Inquisitor beinahe jovial mit seinen Opfern umgehen. Diese faszinierenden
Widersprüchlichkeiten machen die ausführlichen Diskussionen zwischen
Inoue und Sebastiaõ zu einem Höhepunkt von "Silence"; einsichtsreich
und teilweise regelrecht philosophisch debattieren sie vor allem über den christlichen, aber auch den vorherrschenden buddhistischen Glauben (einmal besuchen sie gar einen buddhistischen Tempel) und darüber, warum das
Christentum in Japan nicht verfangen kann oder eben doch (je nach
Sichtweise). Wegen mir hätten die intellektuellen Diskurse sogar noch
deutlich ausgebaut werden können, zumal vor allem Sebastiaõ einige meines
Erachtens recht offensichtliche Argumente respektive Fragen gar nicht vorbringt. Aber
auch so ist die Konfrontation zwischen Inoue und Sebastiaõ für den Zuschauer
ein wahres Vergnügen … nun gut, ein grausames Vergnügen, zugegeben, denn
zwischen ihren Debatten werden immer wieder japanische Christen befragt,
gefoltert und/oder ermordet, was – wie Inoue und sein Dolmetscher (Tadanobu
Asano, "Der Mongole") nicht müde werden zu betonen – Sebastiaõ sofort beenden könnte,
indem er einfach seinem Glauben vor aller Augen abschwört.
Denn das ist ja das besonders Perfide an Sebastiaõs Situation:
Wenn er standhaft bleibt, muß nicht in erster Linie er dafür büßen (daß es
eher kontraproduktiv ist, Priester den Märtyrertod sterben zu lassen, hat der
Inquisitor schon länger erkannt), sondern seine "Gemeinde" muß für
ihn büßen. Durch den Widerruf seines Glaubens könnte er also einer potentiell
sehr hohen Zahl von Gläubigen das Leben retten. Gleichzeitig würde er damit
allerdings in gewisser Weise den Märtyrertod derjenigen, die bereits an seiner statt
hingerichtet wurden, nachträglich entwerten, ja sogar sinnlos machen. Wobei an
dieser Stelle selbstverständlich eine Abhandlung darüber möglich wäre, ob
der Märtyrertod an sich – gleich in welcher Religion – nicht sowieso völlig
sinnlos ist, was eine Ansicht ist, die vermutlich die meisten Atheisten, mich
eingeschlossen, vertreten würden. Aber das ginge jetzt zu weit,
außerdem bin ich ja kein Theologe, sondern nur ein interessierter Laie. Dennoch
finde ich es bedenkenswert, daß die einfachen Gläubigen wohl (nicht nur) in dieser Geschichte nur deshalb einen
so grausamen Tod wählen – was Scorsese übrigens quälender Ausführlichkeit
zeigt –, weil ihnen weisgemacht wurde, daß sie nach ihrem Tod in das Paradies
kommen, wo sowieso alles viel besser ist. Kennen wir diese mindestens
problematische Denkweise nicht auch heute noch irgendwoher? Haben jene
institutionalisierten Religionen, die eine solche, über Jahrtausende hinweg
unzählige Leben fordernde Denkweise stützen und befördern (oder früher gestützt und
befördert haben), nicht eine unauslöschliche mindestens moralische Schuld auf
sich geladen? Nun, das hängt wohl wieder einmal von der Perspektive ab, und die
ist bei einem Atheisten naturgemäß gänzlich anders als bei einem frommen Gläubigen …
Jedenfalls ist Sebastiaõs Dilemma beträchtlich und so kann man es ihm nicht
verdenken, daß er mit dem (titelgebenden) Schweigen Gottes zunehmend hadert. Und man muß konstatieren (ohne natürlich irgendetwas rechtfertigen zu wollen), daß die Methodik der japanischen Obrigkeit ihren Zweck absolut erfüllt hat, denn im Gegensatz zu etlichen von der Christenheit ausgemerzten "heidnischen" Religionen – die römische, die germanische, die keltische – hat der japanische Buddhismus überlebt (wobei es natürlich Weiterentwicklungen und verschiedene Richtungen gibt).
Interessanterweise wirkt der Leidensweg von Sebastiaõ und
den weiteren gläubigen Christen übrigens weniger emotional als man vermuten
würde, "Silence" berührt mit seiner getragenen, beinahe
meditativen Erzählweise eher auf intellektueller Ebene. Der für seine
Leistung OSCAR-nominierte Kameramann Rodrigo Prieto ("Gefahr und Begierde") kleidet die oftmals grausamen
Geschehnisse in "Silence" in wunderschöne Bilder, auch die waldreichen,
oft nebelverhangenen Küstenlandschaften bringt er glänzend zur Geltung. Die fast spirituell anmutende, mit etlichen Naturgeräuschen angereicherte musikalische
Untermalung durch das sonst in verschiedensten Musikrichtungen auf der Konzertbühne heimische Ehepaar Kathryn und Kim Allen Kluge wird von Scorsese dabei sparsam
eingesetzt und ist relativ simpel gehalten, erinnert mitunter eher an einen
Klangteppich als an echte Musik (nicht grundlos heißt Track 1 auf dem
Soundtrack "Meditation"). Was die Schauspieler betrifft, so verdienen
Andrew Garfield und Issey Ogata das meiste Lob, aber auch Adam Driver und Yosuke
Kubozuka erfüllen ihre Rollen überzeugend mit Leben, während Liam Neeson seine
wenigen, dafür aber wichtigen Szenen als Pater Ferreira gewohnt eindrucksvoll
gestaltet. Ich schätze, meine Kritik ist letztlich eher eine Ansammlung von
Beobachtungen zur Filmhandlung geworden als eine klassische Rezension, weshalb
ich auch nicht sicher bin, ob sie für den geneigten Leser wirklich hilfreich bei der
Filmauswahl ist. Alleine die Tatsache, daß mich als Atheisten ein Glaubensdrama auf so vielfältige Weise zum Nachdenken und Abwägen von Argumenten gebracht
hat, dürfte allerdings Beleg dafür sein, daß Martin Scorsese einmal mehr ein
beeindruckender Film gelungen ist. Gläubige Zuschauer mögen einzelne Aspekte
ganz anders bewerten und interpretieren als Atheisten, aber "Silence"
bietet definitiv für beide Gruppen mehr als genug Anreize (was ihn z.B. von Mel Gibsons "Die Passion Christi" sehr positiv abhebt).
Fazit: "Silence" ist ein introspektives
Glaubensdrama, das die schwere Thematik von Glauben, Leiden und Menschlichkeit
in ebenso grausame wie schöne Bilder kleidet und den Zuschauern jedweder
religiöser Überzeugung viel Stoff zum Nachdenken gibt.
Wertung: 8,5 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen