Originaltitel: Sarusuberi: Miss Hokusai
Regie: Keiichi Hara, Drehbuch: Miho Maruo, Musik: Harumi
Fuki
Sprecher der deutschen Synchronfassung: Mia Diekow, Jürgen
Kluckert, Sven Gerhardt, Jan Makino, Arianne Borbach, Konrad Bösherz, Dirk
Stollberg
FSK: 6, Dauer: 90 Minuten.
Edo (das heutige Tokio), 1814: Der bekannte Maler
Meister Hokusai (Aussprache: "Hoksai"), ein schrulliger und
ziemlich chaotischer älterer Mann, lebt und arbeitet mit seiner ebenfalls sehr begabten
Tochter O-Ei und dem weniger talentierten, aber anhänglichen versoffenen
früheren Samurai Zenjirou zusammen, zudem gehört ein niedlicher Hund zum
Haushalt. O-Eis Mutter und ihre jüngere Schwester O-Nao wohnen in einem eigenen
kleinen Haus, wobei die blinde O-Nao die Tage in einem nahen Kloster verbringt. Da
Meister Hokusai seit jeher Angst vor Kranken hat (auch vor
Blinden), besucht er O-Nao nur selten, umso mehr Zeit verbringt O-Ei mit
ihrer Schwester, mit der sie am liebsten durch Edo spaziert und ihr die
Schönheit der Natur beschreibt. Gleichzeitig leidet ihre Arbeit ein wenig unter
ihrer Unbeholfenheit in Liebesdingen, denn O-Ei ist vor allem für ihre
erotischen Darstellungen bekannt, die technisch makellos sind, denen
aber das gewisse Etwas fehlt – wohl mangels praktischer Erfahrung. Immerhin gibt es zwei
Kandidaten, um das zu ändern, die ebenfalls Künstler sind: O-Ei interessiert sich für einen
anderen Schüler ihres Vaters, den freundlichen und gutaussehenden Hatsugoro,
während der jüngere Kuninao aus einer konkurrierenden Malschule O-Ei deutliche Avancen
macht …
Kritik:
Außerhalb Asiens haben Animationsfilme noch immer mit dem
Vorurteil zu kämpfen, sie seien grundsätzlich an Kinder gerichtet. Da viele
Produktionen in der Tat zumindest auch für Kinder geeignet sind (allen voran
die Studio Ghibli-Werke á la "Chihiros Reise ins Zauberland", aber natürlich auch viele Disney-, Pixar-, Laika- oder Dreamworks-Filme), ist
das ein Vorurteil, das nur schwer aus den Köpfen zu bekommen ist. Es gibt
allerdings Animationsfilme, bei denen vollkommen klar ist, daß Kinder mit ihnen
nichts anfangen können. Etwa weil sie sehr ernste Themen behandeln (wie
der israelische "Waltz with Bashir", in dem der Regisseur Ari Folman
seine Erlebnisse als Soldat während des ersten Libanonkrieges verarbeitet) oder
weil es sich um Biopics bekannter Persönlichkeiten handelt. Hayao Miyazakis letzter Film "Wie der Wind sich hebt" über den japanischen Flugzeugbau-Pionier Horikoshi war so ein Fall,
Keiichi Haras sehenswertes, auf einer Manga-Reihe basierendes Künstlerportrait
"Miss Hokusai" ebenfalls. Genau genommen handelt es sich um ein doppeltes, allerdings unkonventionell aufgebautes Künstler-Biopic, da es
um den in Japan sehr bekannten Maler Katsushika Hokusai geht, der Film jedoch
aus der Perspektive seiner ebenfalls als Künstlerin tätigen Tochter O-Ei
geschildert wird.
Auch wenn die Arbeit dieser beiden im Vordergrund steht, ist
"Miss Hokusai" keine trockene Kunst-Abhandlung, dafür sorgen schon
die nicht unkomplizierten familiären Verhältnisse. Vor allem aber wirft der
Film einen faszinierenden Blick auf eine vergangene Epoche, wobei durch die
Aufteilung in ein knappes Dutzend Kurzgeschichten die verschiedensten Aspekte quasi
im Vorbeigehen beleuchtet werden, die sonst in Filmen aus dieser Ära eher
weniger eine Rolle spielen, weil sie schlicht zu unspektakulär sind. Es geht
hier nicht um Samurai oder Intrigen am Hof des Shoguns, sondern um die
einfachen Leute – nunja, abgesehen von den mehr oder weniger exzentrischen Künstlern
selbst, die sicher nicht dem Durchschnitt entsprechen, aber gerade für ihre
Kunst das "normale Leben" genau beobachten müssen. So erfahren wir etwas
über asiatische Mythologie, wenn Meister Hokusai den Auftrag erhält, einen
majestätischen Drachen zu malen, aber auch über die Natur, über den (Aber)-Glauben
(O-Ei soll einmal eine Darstellung der Hölle anfertigen und später eine Kurtisane
portraitieren, über die es heißt, sie verwandle sich des Nachts in einen Geist)
oder über Freudenhäuser für Frauen. Am meisten lernen wir in den meistens 5- bis
10-minütigen Episoden jedoch über die Kunst, denn Meister Hokusai erklärt
seinen Schülern sehr genau, welche Fehler sie noch begehen.
Die Optik ist die wohl größte Stärke von
"Miss Hokusai". Die Filmemacher entschieden sich für eine vergleichsweise unkonventionelle Vorgehensweise, indem sie handgezeichnete 2D-Figuren in
computergenerierte 3D-Schauplätze setzen. Das funktioniert wunderbar, da die
Hintergründe sehr detailreich ausgestaltet sind und gut mit den Figuren
harmonieren – gerade im Vergleich zu den (meist) komplett gezeichneten Studio
Ghibli-Werken fällt aufmerksamen Beobachtern aber durchaus auf, daß es hier vergleichsweise
wenig Bewegung abseits der im Zentrum des Geschehens stehenden Figuren gibt.
In technischer Hinsicht erreicht "Miss Hokusai" somit (auch aus Budgetgründen) nicht das allerhöchste Level, kompensiert das aber durch die pure Schönheit der
logischerweise stark vom Werk der Portraitierten beeinflußten Zeichnungen und
Bildkompositionen. Speziell die Episode über O-Eis "Darstellung der
Hölle" (die so glaubwürdig ausfällt, daß die Gattin des Auftraggebers
davon Alpträume bekommt) hat mich beeindruckt, aber auch immer wieder
simple, aber schöne Naturdarstellungen. Der Komponist Harumi Fuki untermalt die
einzelnen Kurzgeschichten übrigens mit melodischer, überwiegend verträumter und
leicht melancholischer Musik, die in Schlüsselszenen auch einmal in sehr
rockige Klänge (inklusive E-Gitarre) übergeht – unkonventionell, aber
interessant, so wie der ganze Film.
Fazit: "Miss Hokusai" ist ein animiertes
Künstler-Biopic, das einen spannenden Blick auf eine vergangene Epoche wirft und den
durch die anekdotenhafte Erzählweise bedingten Mangel an Tiefgang mit wunderschönen
Zeichnungen und liebenswerten Charakteren aufwiegt.
Wertung: Knapp 8 Punkte.
"Miss Hokusai" ist Ende Oktober 2016 von KAZÉ auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden, am 9. Dezember folgt die aufwendig ausgestattete "Collector's Edition" in der Holzbox mit u.a. einer Bonusdisc mit zweineinhalb Stunden Hintergrundmaterial und einem 88-seitigen Booklet. Das Rezensionsexemplar (nur der Film) wurde mir freundlicherweise von KAZÉ und der AV Visionen GmbH zur Verfügung gestellt.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
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