Regie: David Fincher, Drehbuch: Gillian Flynn, Musik: Trent
Reznor und Atticus Ross
Darsteller:
Ben Affleck, Rosamund Pike, Kim Dickens, Carrie Coon, Tyler Perry, Neil Patrick
Harris, Patrick Fugit, Scoot McNairy, David Clennon, Lisa Banes, Missi Pyle, Boyd Holbrook, Emily Ratajkowski, Sela Ward
FSK: 16, Dauer: 150 Minuten.
Nick (Ben Affleck, "Argo") und Amy Dunne (Rosamund
Pike, "Barney's Version") haben sich in New York kennen und lieben
gelernt und schließlich geheiratet. Anfangs führten die beiden Journalisten
eine harmonische Ehe, doch als sie im Zuge der Wirtschaftskrise
nacheinander den Job verloren und dann in Nicks kleine, ländliche Heimatstadt
ziehen mußten, um sich um seine todkranke Mutter zu kümmern, änderte sich das
nach und nach. Nun steht der fünfte Hochzeitstag ins Haus, zu dem Amy wie immer
eine Schnitzeljagd für Nick vorbereitet hat, der inzwischen mit seiner
Schwester Margo (Carrie Coon, TV-Serie "The Leftovers") eine kleine
Bar betreibt. Das Problem an der Sache: Als Nick nach Hause kommt, steht die
Tür offen, im Haus gibt es Anzeichen für einen Kampf – und Amy ist spurlos
verschwunden. Sofort ruft er die Polizei, die unter der Leitung von Detective
Boney (Kim Dickens, "Blind Side") die Ermittlungen aufnimmt. Amys Eltern, zwei Psychotherapeuten, die als Buch-Autoren erfolgreich
die Kindheit ihrer Tochter ausgeschlachtet haben, reisen ebenfalls unverzüglich an und
leiten mit einer Pressekonferenz eine großangelegte Suche ein. Während die
zunächst erfolglos bleibt, gerät zunehmend Nick als Verdächtiger ins Visier von
Medien und Polizei, da er sich zwar kooperativ verhält, aber einige
Ungereimtheiten ans Licht kommen. Vor allem die Schmierenjournalistin
Ellen Abbott (Missi Pyle, "The Artist") ist fest davon überzeugt, daß
sich Nick nicht wie ein besorgter Ehemann verhält, sondern wie ein gefühlloser
Mörder – was sie in ihrer TV-Sendung vor einem Millionenpublikum wiederholt und
mit Nachdruck kundtut. Als die Polizei Amys Tagebuch findet, gerät Nick
endgültig in die Defensive und muß auf die Dienste des bekannten Anwalts Tanner
Bolt (Tyler Perry, "Alex Cross") zurückgreifen …
Kritik:
Nun gut, das wird jetzt etwas kompliziert. Für mich zumindest.
Denn normalerweise leben Rezensionen davon, daß man dem Leser die Stärken
und Schwächen eines Films nahebringt, ohne dabei zu viel über die Handlung zu
verraten. Das fällt bei David Finchers neuem Film schwer; denn "Gone Girl
– Das perfekte Opfer" ist einer jener Filme, über die der Zuschauer im
Vorfeld möglichst wenig wissen sollte, um ihn richtig genießen zu können.
Jedenfalls nicht mehr als das, was ich in obiger Inhaltsangabe beschrieben
habe. Insofern muß diese Kritik der Adaption eines in den USA extrem
erfolgreichen Romans von Gillian Flynn – den diese selbst in ein Drehbuch umgearbeitet hat – zwangsläufig eher abstrakt ausfallen. Was
besonders deshalb ärgerlich ist, da ich gerade auf die Schwächen von "Gone
Girl", die sich überwiegend in der zweiten Hälfte manifestieren, nicht
wirklich konkret eingehen kann. Und leider sind diese Schwächen nicht zu
vernachlässigen. Im Grunde genommen geht es mir mit "Gone Girl" so
wie mit fast allen Fincher-Filmen der letzten Jahre: Angesichts einer spannenden Thematik und einer vielversprechenden Besetzung harre ich gespannt
des Kinostarts, nur um dann, während der Abspann über die Leinwand flimmert,
leicht enttäuscht zu denken: Okay, ist schon gut gemacht – aber wann dreht Fincher
endlich wieder ein richtig außergewöhnliches Meisterwerk wie
"Sieben" oder "Fight Club"? So erging es mir bereits bei
"Zodiac", bei "Verblendung", erst Recht bei "Der
seltsame Fall des Benjamin Button". Und nun eben auch bei "Gone
Girl". Die einzige Ausnahme war "The Social Network", was wohl auch mit meiner deutlich niedrigeren Erwartungshaltung
zusammenhing (wer hätte denn auch ernsthaft geglaubt, daß man aus dem Thema
"Facebook" einen so starken Film würde machen können?).
Bei "Gone Girl" jedenfalls hat meine Ernüchterung
mit Sicherheit damit zu tun, was ich von dem Film erwartet hatte. Denn nach den
ersten, überwiegend sehr positiven Kritiken entschied ich mich, Finchers neues
Werk so unbeeinflußt und uninformiert wie nur möglich zu erleben; schließlich
wurde fast einhellig davon geschwärmt, wie unvorhersehbar die Handlung bis zum
Schluß sei. Und für mich als notorischen Vielseher gibt es kaum etwas, über das ich mich
so sehr freue wie über eine wirklich überraschende Story. Tatsächlich kann
"Gone Girl" allerdings eigentlich nur mir einer extremen Wendung zur
Filmmitte aufwarten, die noch nicht einmal völlig unerwartet daherkommt. Alles,
was nach diesem dramaturgischen Wendepunkt kommt, ist zwar keineswegs
alltäglich oder gar langweilig, für Krimikenner aber auch nicht vollkommen
unvorsehbar – und zudem, wie so oft in diesem Genre, etwas überkonstruiert. Das
empfindet offensichtlich nicht jeder so, aber wenn man es so empfindet, dann
ist es umso lästiger, daß dieser Teil der Geschichte sich ziemlich ausgewalzt
anfühlt. Eine Laufzeit von zweieinhalb Stunden ist für Fincher ja absolut nicht
ungewöhnlich, aber wie bereits bei "Benjamin Button" kann man sich
des Gefühls kaum erwehren, man hätte einige Passagen problemlos kürzen
können, ohne damit irgendeinen inhaltlichen oder atmosphärischen
Schaden anzurichten – eher im Gegenteil.
Viel besser hat mir die erste Hälfte von "Gone
Girl" gefallen. Durch die stete Ungewißheit über Amys Schicksal wird die
Spannung gekonnt hochgehalten, Rückblenden auf Grundlage ihrer Tagebuch-Einträge
sorgen zusätzlich für ein permanentes Unruhe-Gefühl, da die Entwicklung von
einer glücklichen Ehe hin zu einer zunehmend problembeladenen Beziehung
unverkennbar ist und somit Nicks mögliches Motiv für ein Verbrechen (ob nun
geplant oder im Affekt) immer klarer wird. Fincher hantiert in diesen ersten
gut 60 Minuten raffiniert mit den verschiedenen Genreelementen, denn
eigentlich ist "Gone Girl" nicht der Krimi, der er oberflächlich
betrachtet zu sein scheint, sondern ein intensives, penibel beobachtetes
Beziehungsdrama im Gewand eines ziemlich boshaften Thrillers. Mit dem Stilmittel
des unzuverlässigen Erzählers – denn als Zuschauer weiß man ja nicht, ob Amy in
ihrem Tagebuch tatsächlich die Wahrheit geschrieben oder vielleicht emotional
übertrieben oder sogar einfach nur ein bißchen herumgesponnen hat – ist
"Gone Girl" zudem erzähltechnisch deutlich anspruchsvoller als etwa
Finchers Adaption des Schweden-Krimis "Verblendung" … leider aber
gleichzeitig im inhaltlichen Kern konventioneller (wenn auch letzten Endes
keineswegs weniger abgründig).
Das heimliche Highlight des Films ist jedoch eine dritte Ebene:
die unverhohlene Medienkritik. Unabhängig davon, ob er nun etwas
angestellt hat oder nicht: Es ist schon erschreckend und gleichzeitig auf
perfide Art und Weise auch faszinierend, wie schnell Nick in den Medien vom
besorgten Ehemann zum lediglich noch nicht endgültig überführten Frauenmörder
aus niederen Motiven wird. Da reichen eine latent fanatische TV-Moderatorin und
ein paar (bewußt) aus dem Zusammenhang gerissene Bilder oder Sätze, flankiert
von den windelweichen Einschätzungen einiger öffentlichkeitsgeiler Möchtegern-Experten, die
Nicks Sprechweise, Mimik oder Gestik analysieren, um das Leben eines
komplett unbescholtenen Mannes (und seiner Familie) in den Schmutz zu ziehen.
Man könnte sich fast darüber amüsieren, wie lächerlich einseitig und manipulativ die
Vorgehensweise eines Teils der Medien ist – wenn wir nicht wieder und wieder erleben müßten, wie genau das in der Realität geschieht; wie ekelhafte
Schmierenblätter mit Millionenauflage systematisch Existenzen zerstören, weil
sie eine publikumsträchtige Titelstory wittern und darob jedes Gewissen, jede
journalistische Integrität und Sorgfalt vergessen. Das prangern Gillian Flynn
und David Fincher in "Gone Girl" offen und sehr gekonnt an, und
dieser theoretische Nebenhandlungsstrang ist es, der in der Geschichte die
größte emotionale Wucht entfaltet. Die Thematik an sich ist in Hollywood selbstverständlich nicht neu, schon im Jahr 1931 prangerte beispielsweise Mervyn LeRoys Drama
"Spätausgabe" sehr ähnliche Praktiken an; aber so gut und harmonisch
in eine Thriller- und Beziehungsdrama-Handlung eingebunden wie in "Gone
Girl" war pointierte Medienkritik vielleicht noch nie.
Nichts Neues ist es dagegen, daß ein Fincher-Film mit
starken schauspielerischen Leistungen aufwartet. Da macht "Gone Girl"
keine Ausnahme: Ben Affleck zeigt als in Verdacht geratender Ehemann eine der
besten Leistungen seiner Karriere, wahrscheinlich sogar die beste. Die
Ambivalenz seiner lange undurchschaubaren Figur, die dem Zuschauer
mindestens bis zum eingangs erwähnten Wendepunkt zumindest etwas rätselhaft bleiben muß,
verkörpert Affleck ausgezeichnet. Schließlich muß man Nick den skrupellosen
Mörder ebenso zutrauen wie den Traummann, der unverschuldet ins Visier
mißliebiger, von ihm nicht zu kontrollierender Kräfte gerät – das ist eine
hochgradig komplizierte Aufgabe, die Affleck sicherlich auch dank Finchers souveräner
Schauspielerführung gut löst. In den Schatten gestellt wird der zukünftige
Batman-Darsteller dennoch von seiner Film-Gattin. Der Karrierepfad der
hochgewachsenen Engländerin Rosamund Pike verlief seit ihrem Kinodebüt in einer Nebenrolle des
James Bond-Films "Stirb an einem anderen Tag" ziemlich konsequent nach
oben, wenn auch einigermaßen langsam. Mit knackigen Nebenrollen in Filmen wie
"Stolz und Vorurteil", "Das perfekte Verbrechen" oder
"An Education" steigerte sie ihr Renommee und ihre Bekanntheit dies-
und jenseits des Atlantiks, schließlich avancierte sie in "Barney's
Version", "Johnny English – Jetzt erst Recht" oder "Jack Reacher" zur überzeugenden (Co-)Hauptdarstellerin. "Gone
Girl" stellt ohne jeden Zweifel den vorläufigen Höhepunkt ihres
Schauspieler-Lebens dar, der ihr ihre erste
OSCAR-Nominierung einbrachte. Das war – zumindest für diejenigen, die die
Buchvorlage nicht gelesen haben – nicht unbedingt zu erwarten, schließlich
spielt sie ja eine Rolle, die von Beginn an verschwunden ist. Durch die
zahlreichen Rückblenden wird sie jedoch tatsächlich zur Nick gleichwertigen Hauptperson,
die vor allem in der zweiten Hälfte zu ganz großer Form aufläuft. Womit wir
wieder bei dem Problem wären, daß ich über diesen Teil des Films nicht viel
verraten möchte. Insofern muß ich es wohl bei der Versicherung belassen, daß
Pike wahrlich furios aufspielt und einer starken, komplexen Frauenfigur
ihr schönes Gesicht leiht. Ich prophezeie schon jetzt, daß "Gone
Girl" dereinst in Pikes Filmographie einen ähnlich bedeutenden
Status haben wird wie beispielsweise "Eine verhängnisvolle Affäre"
für Glenn Close, der der Erotik-Thriller 1987 zum weltweiten Durchbruch verhalf
(wenngleich sie zu diesem Zeitpunkt bereits drei OSCAR-Nominierungen für
Nebenrollen vorweisen konnte).
Die Nebendarsteller spielen in "Gone Girl" eindeutig die zweite Geige, dennoch füllen die eher unbekannten Carrie Coon und Kim Dickens ihre Rollen ebenso gut aus wie Missi Pyle als schreckliche TV-Moderatorin oder Tyler Perry als gerissener Anwalt, der ein klein wenig Humor in die düstere Handlung bringt. Und "How I Met Your Mother"-Star Neil Patrick Harris überzeugt in einer ungewohnt ernsten Rolle als Amys von ihr besessener Jugendfreund Desi. Somit paßt die Besetzung zu dem Gesamtbild, das "Gone Girl" abgibt: Ein handwerklich hervorragend gemachter Film, der allerdings etwas zu ausschweifend erzählt ist und dessen dramaturgische Entwicklung manchem Zuschauer einfach "too much" sein dürfte.
Die Nebendarsteller spielen in "Gone Girl" eindeutig die zweite Geige, dennoch füllen die eher unbekannten Carrie Coon und Kim Dickens ihre Rollen ebenso gut aus wie Missi Pyle als schreckliche TV-Moderatorin oder Tyler Perry als gerissener Anwalt, der ein klein wenig Humor in die düstere Handlung bringt. Und "How I Met Your Mother"-Star Neil Patrick Harris überzeugt in einer ungewohnt ernsten Rolle als Amys von ihr besessener Jugendfreund Desi. Somit paßt die Besetzung zu dem Gesamtbild, das "Gone Girl" abgibt: Ein handwerklich hervorragend gemachter Film, der allerdings etwas zu ausschweifend erzählt ist und dessen dramaturgische Entwicklung manchem Zuschauer einfach "too much" sein dürfte.
Fazit: "Gone Girl – Das perfekte Opfer" ist
ein ebenso elegant wie raffiniert inszenierter und gut gespielter Mix aus
Beziehungsdrama und Thriller, der pointierte Medienkritik übt und seine
Hauptdarstellerin Rosamund Pike endgültig zum Star macht, aber wie so viele
Vertreter dieses Genres eine etwas zu überkonstruierte und im Kern relativ
konventionell gestrickte Geschichte erzählt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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