Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 10. Januar 2014

AN EDUCATION (2009)

Regie: Lone Scherfig, Drehbuch: Nick Hornby, Musik: Paul Englishby
Darsteller: Carey Mulligan, Peter Sarsgaard, Rosamund Pike, Dominic Cooper, Alfred Molina, Cara Seymour, Olivia Williams, Emma Thompson, Sally Hawkins, Matthew Beard, Amanda Fairbank-Hynes, Ellie Kendrick
An Education
(2009) on IMDb Rotten Tomatoes: 93% (7,9); weltweites Einspielergebnis: $26,1 Mio.
FSK: 0, Dauer: 100 Minuten.

Eine englische Kleinstadt im Jahr 1961: Das Leben der 16-jährigen Schülerin Jenny (Carey Mulligan, "Der große Gatsby") ist scheinbar fest vorgezeichnet. Die vortreffliche Schülerin soll es bis zur Elite-Uni in Oxford schaffen und vor allem ihr strenger Vater (Alfred Molina, "Prince of Persia") plant alles genau durch, damit das auch klappt. Insofern ist es kein Wunder, daß die intelligente Jenny, die sich für moderne Kunst interessiert und französische Filme und Musik liebt, die erste sich bietende Gelegenheit nutzt, um aus diesem engen Korsett auszubrechen. Diese Gelegenheit hört auf den Namen David (Peter Sarsgaard, "Blue Jasmine"), ist etwa 15 Jahre älter als sie, kennt sich gut in der Kunstszene aus und ist so unfaßbar charmant, daß er selbst Jennys Vater problemlos um den kleinen Finger wickelt. Jenny verbringt in der Folge so viel Zeit mit dem Lebemann und dessen Freunden Danny (Dominic Cooper, "Captain America") und Helen (Rosamund Pike, "Barney's Version"), daß die Aussicht auf ein Studium in Oxford für sie zunehmend an Reiz verliert ...

Kritik:
"An Education" basiert auf den Memoiren der britischen Journalistin Lynn Barber, die von Kultautor Nick Hornby ("High Fidelity", "About a Boy") in ein Drehbuch umgesetzt wurden. Und dessen Beteiligung merkt man deutlich, denn "An Education" gelingt das Kunststück, eine nicht wirklich neue Geschichte über die Irrungen und Wirrungen der Teenager-Zeit von leichter Hand ebenso emotional berührend wie amüsant zu erzählen. So gut ausgearbeitete Charaktere wie hier sieht man heutzutage nicht mehr allzu oft in Filmen, was auch die durchweg starken Darsteller mit enormer Spielfreude belohnen: Ob Emma Thompson ("Tatsächlich ... Liebe") als strenge Schuldirektorin, Olivia Williams ("Hyde Park am Hudson") als mitfühlende Lehrerin, Alfred Molina als spießig-gestrenger Vater, Cara Seymour ("Hotel Ruanda") als warmherzige Mutter, Dominic Cooper als undurchschaubarer Danny, Rosamund Pike als sympathisches Dummchen Helen oder Matthew Beard ("Zwei an einem Tag") als Jennys schüchterner – und gegen David chancenloser – gleichaltriger Verehrer Graham: Die schauspielerischen Leistungen sind tadellos. Daß Hornby den Akteuren außergewöhnlich überzeugendes Drehbuch-Material mit höchst geistreichen Dialogen zur Verfügung gestellt hat (das mit einer OSCAR-Nominierung belohnt wurde), war dafür sicherlich sehr hilfreich.

Im Zentrum der Geschichte glänzt jedoch Carey Mulligan, die zwar fast zehn Jahre älter ist als die Rolle, die sie spielt, der man zu Beginn des Films aber ohne jeden Zweifel jenen Teenager auf der Suche nach sich selbst abnimmt, den sie verkörpert – ehe sich Jenny durch den Einfluß von David und seinen Freunden nach und nach beinahe in eine neue Audrey Hepburn verwandelt. Für ihre herausragend nuancierte und sehr einfühlsame Darbietung wurde denn auch Mulligan mit einer verdienten OSCAR-Nominierung belohnt (eine dritte gab es für "An Education" in der Königskategorie "Bester Film"), zudem bedeutete die Rolle ihren endgültigen Durchbruch in Hollywood, der ihr in den folgenden Jahren Hauptrollen in so prestigeprächtigen Produktionen wie "Wall Street: Geld schläft nicht", "Drive", "Shame" und "Inside Llewyn Davis" einbrachte. Daneben steht Peter Sarsgaard in seiner ambivalenten Schwerenöter-Rolle seinen Mann, auch wenn es ihm nicht leicht fällt, aus Mulligans großem Schatten hervorzutreten.

Neben Jennys recht abenteuerlichem Erwachsenwerden zeichnet "An Education" aber auch ein authentisch wirkendes Porträt der spießig-konservativen britischen Gesellschaft der frühen 1960er Jahre (also kurz vor der in zahlreichen Filmen wie "Blow Up" und "Alfie" gefeierten Zeit des "Swinging London"), begleitet von stimmungsvoller zeitgenössischer Musik (unter anderem von Juliette Gréco). Dieses Element des Films führte allerdings dazu, daß der mehrfach präsentierte latente bis offene Antisemitismus einiger handelnder Figuren (David ist Jude) von manchen Kritikern als Antisemitismus des Films (fehl)interpretiert wurde. Eine meiner Meinung nach sehr weit hergeholte Sichtweise, da der "echte" David aus Barbers Lebensgeschichte nunmal schlicht und ergreifend jüdischen Glaubens war und es zudem natürlich noch lange kein Antisemitismus ist, wenn eine etwas zwielichtige Filmfigur zufällig Jude ist – zudem eine, deren Religion in der Handlung nicht die geringste Rolle spielt ...

Fazit: "An Education" ist eine hervorragende Coming of Age-Tragikomödie (zur Abwechslung aus der weiblichen Perspektive) und britisches Schauspieler- und Autoren-Kino vom Feinsten: warmherzig, amüsant, nachdenklich, melancholisch und dabei sogar intellektuell ansprechend.

Wertung: 9 Punkte.


2 Kommentare:

  1. die figur des david, dessen jüdische religion sehr wohl mehrmals betont wird, ist durch und durch antisemitisch dargestellt. die botschaft des films: juden verführen kleine mädchen, verdienen ihr geld auf unredliche weise, sind unehrlich und feige.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nein, eben nicht: Davids Religion wird zwar erwähnt, sein Glaube aber nicht im geringsten thematisiert. Es wird ja nicht einmal klar, ob er überhaupt praktizierender Jude ist oder nicht - wie so viele Religionsangehörige, die es nur aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit sind, schließlich werden sie in die Religion hineingeboren.

      Wenn David eine antisemitische Figur wäre, nur weil er unmoralische Dinge tut (was im Film übrigens auch auf seinen nichtjüdischen Freund Danny zutrifft, wenn auch etwas weniger ausgeprägt), dann wäre der zwingende Umkehrschluß doch, daß Juden keine unmoralischen Dinge tun (können). Und das ist selbstverständlich Unsinn.

      Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, daß es diskriminierend gewesen wäre, den jüdischen David der Realität (oder zumindest der subjektiven Realität der Autorin, auf dessen Memoiren "An Education" basiert) zu einem Christen, Muslim oder Atheisten umzudeuten, nur um "politisch korrekt" zu sein, zumal es dem Film ja auch darum geht, den latenten Antisemitismus und Rassismus in der (nicht nur) britischen Gesellschaft dieser Ära zu skizzieren. Denn auch Juden dürfen unmoralische Dinge tun, sie sind natürlich nicht aufgrund ihres Glaubens zur Makellosigkeit verpflichtet.

      David ist ja auch weit davon entfernt, einfach "böse" zu sein oder dem Klischee-Juden der Nazi-Propaganda zu entsprechen: Ja, er steht auf junge Dinger - genau wie unzählige Männer jeden Glaubens, jeder Hautfarbe und jeder sozialer Herkunft -, aber seine Gefühle für Jenny scheinen durchaus echt zu sein; nur daß er zu schwach ist, sich zu ihr zu bekennen (genau wie vorher offenbar schon mehrere Male bei anderen Mädchen, was aber auch kein völlig unbekanntes Verhalten des männlichen Geschlechts ist). Und ja, David verdient Geld auf moralisch fragwürdige Weise - allerdings betrügt er nicht eindeutig, soweit das im Film präsentiert wird, vielmehr wendet er teilweise sogar die Vorurteile anderer Menschen gegen sie (wenn er etwa Immobilien günstig erwirbt, indem er gezielt schwarze Familien als Mieter sucht, weil er weiß, daß die von Vorurteilen geprägten übrigen Bewohner dann schnell ihr Heil in der Flucht suchen), was man ihm wohl nur bedingt vorwerfen kann.

      Letztlich muß natürlich jeder selbst entscheiden, was er oder sie für sich als diskrimierend oder beleidigend empfindet, aber für mich ist "An Education" alles andere als antisemitisch.

      Löschen