Regie: Paul
Greengrass, Drehbuch: Billy Ray, Musik: Henry Jackman
Darsteller:
Tom Hanks, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Mahat M. Ali, Faysal Ahmed,
Michael Chernus, David Warshofsky, Yul Vazquez, Catherine Keener,
Corey Johnson, Chris Mulkey, Max Martini, Mohamed Ali, Omar Berdouni, Issak Farah Samatar
Rotten Tomatoes: 93% (8,3); weltweites Einspielergebnis:
$218,8 Mio.
FSK: 12, Dauer: 134 Minuten.
Im April 2009 soll das unter amerikanischer Flagge stehende
Containerschiff MV Maersk Alabama seine vor allem aus Lebensmitteln bestehende
Ladung vom Oman nach Kenia liefern. Die Route führt Kapitän Phillips (Tom
Hanks, "Cloud Atlas") und seine Crew am bitterarmen Somalia
vorbei. Dortige Fischer haben in den vorherigen Monaten verstärkt auf Anordnung
lokaler Warlords Frachtschiffe zu entern versucht, um Lösegeld in Millionenhöhe
zu erpressen, insofern ist die Crew gewarnt und auf die (waffenlose)
Verteidigung ihres Schiffes vorbereitet. Doch als dann tatsächlich der
Ernstfall eintritt, führt ein kleiner Fehler dazu, daß vier schwer
bewaffenete Piraten die Maersk Alabama in ihre Gewalt bringen können. Während
sich der Großteil der Mannschaft im Maschinenraum des riesigen Schiffes
versteckt, versucht Captain Phillips auf der Brücke, die Lage im direkten Dialog zu deeskalieren und zu einem
friedlichen Ende zu bringen. Doch obwohl er sehr gewissenhaft und clever
vorgeht, erreicht er sein Ziel nicht wirklich, denn auch Muse (Barkhad
Abdi), der Anführer der Piraten, erweist sich als ziemlich intelligent. Und so
entspinnt sich ein nervenzerfetzendes Katz-und-Maus-Spiel, in das irgendwann auch die US
Navy eingreift ...
Kritik:
Der britische Regisseur Paul Greengrass ist ein erklärter
Spezialist für spannungsgeladene, aber betont authentisch inszenierte Action-Thriller.
International bekannt wurde er mit den Blockbustern "Die Bourne
Verschwörung" und "Das Bourne Ultimatum", aber sein wohl bestes Werk ist der hochgradig beklemmende, herzzerreißende "Flug 93", die
quasi-dokumentarische Nacherzählung der letzten Stunden jenes Flugzeuges, das
während der Terroranschläge des 11. September 2011 von den Passagieren zum
Absturz über unbewohntem Gebiet gebracht wurde. An die Stärken dieses emotional
kaum zu ertragenden Meisterwerks knüpft Greengrass nun mit "Captain
Phillips" an. Auch dieser Film erzählt sehr authentisch eine reale
Begebenheit nach und setzt dabei auf einen dokumentarisch anmutenden, oft zur
Handkamera greifenden Inszenierungsstil, der durch die Besetzung der somalischen Piraten
mit Laienschauspielern noch intensiviert wird. Und erneut gelingt Paul Greengrass
ein höchst eindrucksvoller Beitrag zur Geschichte des Spannungskinos. Ein
Beitrag übrigens, das sei gleich erwähnt, der umso eindrucksvoller sein dürfte,
je weniger Details man von den damaligen realen Geschehnissen weiß (auch wenn
sich der Film bewußt einige dramaturgische Freiheiten nimmt).
Generell kann man sagen, daß "Captain Phillips"
trotz reichlich Action und Spannung beinahe als ein Gegenentwurf zu den großen
Sommer-Blockbustern fungiert, denn Greengrass und Drehbuch-Autor Billy
Ray ("Die Tribute von Panem") verzichten auf jeglichen Humor und
setzen dafür auf sorgfältig gezeichnete Figuren. Um das zu erreichen,
konzentriert sich der Film die meiste Zeit über auf drei Personen:
Captain Phillips, Muse und den sehr jungen Piraten Bilal (Barkhad Abdirahman).
Die vielen Nebenfiguren, etwa der tapfere erste Offizier Shane (Michael Chernus,
"Men in Black 3") oder der taffe Navy Seal Commander (Max Martini,
"Pacific Rim") bekommen in ihren wenigen Szenen erfreulicherweise
ebenfalls die Gelegenheit, Eindruck zu machen, doch das Hauptaugenmerk liegt
eindeutig auf dem zentralen Trio. Tom Hanks zeigt dabei eine absolut
herausragende Leistung, die ihm 13 Jahre nach Robert Zemeckis' "Cast Away" – in dem er
ebenfalls einen entbehrungsreichen Überlebenskampf durchlitt – endlich seine
sechste OSCAR-Nominierung einbringen sollte. Seine Verkörperung dieses Mannes
mittleren Alters, der nicht für Heldentum prädestiniert ist, sondern im Grunde genommen ein
Durchschnittsbürger mit einem relativ exotischen Job, den er ernsthaft, überlegt
und mit guter Menschenkenntnis ausübt, ist vor allem im letzten Drittel des Films
schlicht atemberaubend. Scheinbar mühelos hält er in Mimik, Gestik und Körpersprache die fragile Balance zwischen
großer Sorge um sein Leben und das seiner Männer, erzwungener, aber unverkennbar
nervöser Besonnenheit sowie später totaler körperlicher und geistiger
Erschöpfung und Todesangst. Eine Leistung, die ohne jede Frage an das anknüpft,
was er Mitte der 1990er Jahre in "Forrest Gump" und
"Philadelphia" zeigte.
Aber daß Tom Hanks zu solch einer Leistung immer noch fähig
ist, das ist ja keine allzu große Überraschung. Daß jedoch die vier als Piraten
gecasteten Laien, für die es jeweils ihr Debüt vor einer Kamera bedeutet, sich
ihm als Gegenspieler überwiegend gewachsen zeigen, das ist schon bemerkenswert.
Vor allem der mit prägnanten Gesichtszügen ausgestattete Barkhad Abdi
erweist sich in der Rolle des Muse, der sich seine Anführerstellung erst
erkämpfen muß, als würdiger Gegenspieler. Er ist kein echter Bösewicht, Gewalt
setzt er nur ein, wenn es sein muß, ansonsten versucht er, sein Ziel durch ein
überlegtes Vorgehen zu erreichen – allerdings macht er früh klar, daß er im
Zweifelsfall wenig Skrupel kennt, doch Blut zu vergießen, wenn die Amerikaner
nicht mitspielen wollen. Mit dieser Ambivalenz und seiner (realistischen)
Vergangenheit als einfacher Fischer – dessen Existenzgrundlage wie die so
vieler seiner Kollegen durch massive illegale internationale Fischerei in
somalischen Gewässern zerstört wurde – kann man ihn als Zuschauer nicht einfach
nur verurteilen, sondern man hat ein Stück weit Verständnis für den durchaus
charismatischen Mann, der immer davon geträumt hat, in die USA auszuwandern und
dort ein gutbürgerliches Leben zu führen. Mit den erpressten Millionen hofft
er, dieses Ziel zu erreichen und der bitterlichen Armut in seiner Heimat zu
entfliehen – seine Naivität und die seiner Kameraden ist mitunter
herzerweichend, gerade wenn man zu Beginn zu sehen bekommt, wie die somalischen Fischer
die Männer des Warlords in ihrer Not und Verzweiflung sogar dafür bezahlen, um bei den Überfällen mitmachen
zu dürfen. Sogar richtiggehend sympathisch wirkt der junge Bilal, der dem
gefangenen Captain Phillips hilft, wo er kann, wofür dieser sich dankbar zeigt
und zu revanchieren versucht. Wie Greengrass und Autor Ray die somalischen
Piraten skizzieren, ist insgesamt also sehr wohltuend. Es wird nichts
verharmlost (einer der vier ist ein aggressiver Brutalo), aber trotzdem dezent
auf die Ursachen der noch Jahre später trotz aller Gegenmaßnahmen anhaltenden
Piratenangriffe vor der somalischen Küste hingewiesen und damit auch auf die
Mitverantwortung der "ersten Welt", die seit vielen Jahren lieber die
Symptome der Problematik bekämpft als deren Wurzeln. Das erinnert ein wenig an
Stephen Gaghans episodischen Polit-Thriller "Syriana", der die Rekrutierung späterer Terroristen
in Arabien in einem Nebenhandlungsstrang in ähnlicher Art und Weise aufzeigt.
Wie bereits erwähnt, setzt Greengrass selbstverständlich
wieder auf ausgiebigen Gebrauch der Handkamera, wie man es von ihm
gewohnt ist. Doch keine Sorge: Da es in "Captain Phillips" keine
spektakulären Verfolgungsjagden wie in den "Bourne"-Filmen gibt,
dürften selbst die nicht wenigen strikten Wackelkamera-Gegner wenig Grund zur
Klage haben. Die Verwendung der Handkameras ist vielmehr sehr wirkungsvoll, da
sie erstens den semidokumentarischen Ansatz unterstreicht, zweitens speziell
während Muses Suche nach der versteckten Crew in den dunklen, engen
Schiffsgängen die Spannung und Intensität massiv verstärkt und drittens dem Zuschauer
das Gefühl vermittelt, mittendrin zu sein. Die im Verlauf der sich naturgemäß (vor
allem nach der Ankunft des wenig kompromißbereit erscheinenden US-Militärs) dramatisch zuspitzenden Handlung immer
nervenaufreibendere Atmosphäre wird dabei auch dank des aggressiven,
schweißtreibenden Scores von Komponist Henry Jackman ("Kick-Ass")
verlustfrei auf das Publikum übertragen. Doch die beste Szene liefert Paul
Greengrass ganz zum Schluß, und – ohne zu spoilern – sie ist eigentlich
vollkommen unspektakulär und frei von Pathos, aber dafür umso wirkungsvoller.
Fazit: "Captain Phillips" bietet ein
aufregendes, dramatisches, hochspannendes und sehr authentisch wirkendes
Überlebenskampf-Szenario mit ausgefeilten Charakteren, einer starken Besetzung, in deren Zentrum ein herausragender Tom Hanks steht, und einem ausgefeilten Spannungsbogen.
Wertung: 9 Punkte.
Wertung: 9 Punkte.
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