Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 14. Mai 2014

HOTEL RUANDA (2004)

Originaltitel: Hotel Rwanda
Regie: Terry George, Drehbuch: Keir Pearson und Terry George, Musik: Andrea Guerra, Rupert Gregson-Williams und Afro Celt Sound System
Darsteller: Don Cheadle, Sophie Okonedo, Nick Nolte, Joaquin Phoenix, Fana Mokoena, Cara Seymour, Desmond Dube, Hakeem Kae-Kazim, Antonio Lyons, Tony Kgoroge, David O'Hara, Jean Reno
 Hotel Rwanda
(2004) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (8,0); weltweites Einspielergebnis: $33,9 Mio.
FSK: 12, Dauer: 122 Minuten.

Ruanda, Frühjahr 1994: Paul Rusesabagina (Don Cheadle, "Iron Man 3") ist der Manager eines Hotels unter belgischer Führung in der Hauptstadt Kigali. Eigentlich läuft alles ganz gut für ihn und seine Familie; zwar hetzt die Volksgruppe der Hutu gegen ihre früheren Unterdrücker, die Tutsi, aber die UNO hat soeben erfolgreich einen Friedensvertrag zwischen den beiden Parteien vermittelt. Dann wird ein Flugzeug mit dem ruandischen Staatspräsidenten Habyarimana an Bord abgeschossen, angeblich von Tutsi-Rebellen. Das nutzen die Hutu – in Form der von ihnen kontrollierten regulären Armee, vor allem aber mittels völlig unberechenbarer Milizen – zu einer groß angelegten ethnischen Säuberung. Durch seine guten Kontakte unter anderem zum Kommandeur der ruandischen Armee und zum Befehlshaber der UN-Friedenstruppen, Colonel Oliver (Nick Nolte, "Parker"), und mit Hilfe von Bestechungen gelingt es Paul – der selbst Hutu ist, unmittelbar also eigentlich nicht so viel zu befürchten hätte –, Hunderte von Flüchtlingen, ob Hutu oder Tutsi, in dem Hotel zu beherbergen und sie vor Übergriffen durch die Hutu-Milizen zu beschützen. Doch dann versagt die Weltpolitik und zieht die Blauhelm-Truppen aus Ruanda ab. Paul, seine Frau Tatiana (Sophie Okonedo, "Die Bienenhüterin"), eine Tutsi, und die Flüchtlinge sind von heute auf morgen auf sich allein gestellt ...

Kritik:
Ich war schon immer der Ansicht, daß der Völkermord von Ruanda unter den Augen der Weltöffentlichkeit der größte Skandal in der Historie der Vereinten Nationen ist, der Sündenfall der UNO gewissermaßen. Vor allem Briten und Amerikaner ließen die ruandische Bevölkerung damals im Stich eben jene Briten und Amerikaner, die sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit erfundenen "Beweisen" über die UNO hinwegsetzten, um den Irak anzugreifen, weigerten sich ein Jahrzehnt zuvor, Ruanda zu helfen. Dabei ging es nicht "nur" um Tausende oder Zehntausende Opfer wie in so vielen bewaffneten Konflikten, bei denen niemand eingreift, sondern um Hunderttausende, vielleicht sogar über eine Million Hutu und Tutsi, die in Ruanda innerhalb weniger Monate grausam abgeschlachtet wurden. Wie die Welt damals einfach wegsehen konnte, werde ich nie begreifen. Doch nicht nur Amerikaner und Briten tragen Mitschuld an den vielen Toten, auch Franzosen und Belgier, die lediglich ihre Landsleute evakuierten, die friedlichen Einwohner Ruandas jedoch im Stich ließen. Man hört das ja immer wieder: Europäer werden aus krisengeschüttelten Regionen evakuiert, meist im Nahen Osten oder in einem afrikanischen Staat. Doch was das genau bedeutet, davon erfährt man in den Nachrichten in der Regel nichts. Der nordirische Regisseur Terry George, Schöpfer der TV-Serie "The District", beleuchtet genau diesen Aspekt ausführlich in "Hotel Ruanda", einem der eindrucksvollsten, deprimierendsten und besten Filme, die ich je gesehen habe.

Im Zentrum steht jedoch die wahre (für den Film aber natürlich fiktionalisierte) Geschichte des Paul Rusesabagina, aus dessen sowohl afrikanisch als auch durch seine langjährige Führungs-Tätigkeit in einem europäisch geführten Hotel westlich geprägter Perspektive wir die Grauen dieses Völkermordes miterleben. Don Cheadle, der für die Rolle eine hochverdiente OSCAR-Nominierung erhielt und als Schauspieler seinen internationalen Durchbruch schaffte, verkörpert Paul mit einer unglaublichen Intensität und Authentizität. Er interpretiert ihn nicht ansatzweise als klischeehaften Held wider Willen, sondern als ganz normalen, aufrechten Menschen, der buchstäblich (berechtigte) Todesangst vor den blutdürstigen Milizen hat, aber doch nicht anders kann als wenigstens zu versuchen, denjenigen zu helfen, deren Leben noch stärker bedroht ist als seines. Nicht, weil er ein Held sein will; sondern, weil er es kann. Weil er mit dem von den Touristen längst verlassenen Hotel die Möglichkeit hat, viele Unschuldige vor dem gewaltsamen Tod zu bewahren – zumindest, solange das Hotel von den Blauhelmen beschützt wird.

Deshalb zählt es auch zu den bewegendsten und aufrüttelndsten Szenen von "Hotel Ruanda", als die Europäer alle verbliebenen Weißen (überwiegend Mitglieder von Hilfsorganisationen und Journalisten) aus dem Hotel evakuieren und gleichzeitig die verzweifelten Einheimischen dem sicher scheinenden Tod überlassen. Joaquin Phoenix ("Walk the Line") als westlicher Journalist Jack spielt hier sozusagen das Gewissen der Welt. Als die Europäer im strömenden Regen die wenigen Meter vom Hotel zu den wartenden Bussen zurücklegen, halten ihnen die ruandischen Hotelangestellten sogar noch pflichtbewußt die Regenschirme über den Kopf, damit sie nicht naß werden. Jack sagt zu ihnen, daß sie das lassen sollen, er ist den Tränen nahe und seine letzten Worte, ehe er das Hotel und damit auch den Film verläßt, sind: "Ich schäme mich so." Manch einer mag diese sicher nicht gerade subtil eingesetzte Figur des Jack als etwas zu populistisch empfinden, aber wenn die Weltöffentlichkeit und die Politik schon so konsequent die Augen vor einer der größten humanitären Katastrophen der letzten Jahrzehnte verschlossen haben, dann muß man halt auch mal mit dem metaphorischen Holzhammer verdeutlichen, was hier geschehen ist. Auch wenn es, wie sich seitdem immer wieder gezeigt hat, wenig Hoffnung auf Besserung gibt.

Terry George macht es sich aber natürlich nicht so einfach, die Blauhelme als Bösewichte oder Feiglinge darzustellen. Auch sie sind in "Hotel Ruanda" letztlich Opfer, auch wenn das Wort angesichts hunderttausender Toter auf ruandischer Seite irgendwie falsch klingt. Doch sie sind hilflose Opfer der internationalen Diplomatie. Wie es Nick Nolte als desillusionierter Colonel Oliver an einer Stelle zynisch formuliert: "Wir sind hier, um den Frieden zu bewahren und nicht, um Frieden zu schaffen!" Die Blauhelme dürfen sich gemäß ihrem Auftrag nur verteidigen, ansonsten aber keine Waffen einsetzen. Deshalb müssen sie tatenlos zusehen, wie Tausende und Abertausende unschuldiger Menschen gnadenlos exekutiert werden, selbst viele Kinder. Immerhin muß man der UNO zugestehen, daß sie in der Realität nach diversem politischen Hickhack letztlich doch noch einige Tausend Menschen retten konnte.

Bei der Vermittlung der Gewalttaten findet Terry George genau den richtigen Weg: Er scheut nicht davor zurück, das Publikum mit dem ganzen Ausmaß der Greueltaten zu konfrontieren, tut dies aber vor allem verbal und mit Andeutungen, bei denen meist keine blutigen Details zu sehen sind. Das ist auch überhaupt nicht nötig, denn das, was man zu sehen bekommt (auch wenn es "nur" in der eigenen Phantasie vollendet wird), ist wahrlich schlimm genug, auch die berüchtigten Radio-Propagandasendungen, die gezielt die Gewalttaten anstachelten, sprechen für sich. Und wenn Paul sich bei einer nächtlichen Fahrt mit einem Jeep zunächst wundert, warum die Straße plötzlich so uneben ist, nur um dann, als die Dämmerung hereinbricht, festzustellen, daß er minutenlang über unzählige Leichen, die die Straße lückenlos bedecken, gefahren ist, dann ist das sowieso eine viel nachdrücklichere Szene als es die Darstellung der Tötung ebenjener Menschen je hätte sein können. Das namenlose Entsetzen, das Paul ob seiner Erkenntnis empfindet, kann man als Zuschauer jedenfalls nur zu gut nachvollziehen.

Nick Noltes furiose Darstellung des frustrierten und machtlosen Colonels ist übrigens seine beste Leistung seit Ewigkeiten und hätte durchaus ebenfalls eine OSCAR-Nominierung verdient gehabt, die neben Don Cheadle auch seine Leinwand-Ehefrau Sophie Okonedo erhielt (eine dritte gab es für das Drehbuch). Die weiteren Schauspieler spielen gleichfalls so intensiv, wie es das Thema gebietet: Jean Reno ("22 Bullets") etwa hat eine kleine, aber wichtige Nebenrolle als Präsident des belgischen Unternehmens, dem das Hotel gehört, von den eher unbekannten Darstellern überzeugen vor allem Cara Seymour ("An Education") als Mitarbeiterin des Roten Kreuzes, Desmond Dube (TV-Serie "Eine Detektivin für Botswana") als Dube (Pauls Vertrauter im Hotel), Fana Mokoena ("World War Z") als Hutu-General Bizimungu und Tony Kgoroge ("Invictus") als zwielichtiger Hotelangestellter Gregoire.

Fazit: "Hotel Ruanda" ist ein aufrüttelnder und hochdramatischer Film, der aus der persönlichen Perspektive eines aufrechten Mannes einfühlsam die Grauen eines unvorstellbaren Genozids zeigt und zugleich das Versagen der internationalen Gemeinschaft zornig aufarbeitet. Ein Film, der einen an der Menschheit verzweifeln läßt, der aber auch zeigt, zu welch todesmutigen und selbstlosen Taten einzelne Menschen fähig sein können, wenn es darauf ankommt.

Wertung: 10 Punkte.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen