Ich gebe es offen zu: Ich war nie ein großer Fan von "Vom Winde verweht". Acht OSCARs hin, Kultstatus her, der inflationsbereinigt immer noch kommerziell erfolgreichste Film aller Zeiten konnte mein Cineasten-Herz (trotz natürlich unbestrittener Stärken) nicht wirklich erobern. Ein hauptsächlicher Grund dafür ist, daß ich mit der zentralen, wechselhaften Liebesgeschichte um Scarlett O'Hara (Vivien Leigh) und Rhett Butler (Clark Gable) nicht warm wurde, weil ich beide Figuren ziemlich unsympathisch finde und es mir irgendwann im Lauf der mehr als dreieinhalb Stunden weitgehend egal war, ob sie final zueinanderfinden oder nicht. Wahrscheinlich würde mir "Vom Winde verweht" besser gefallen, stünde statt Scarlett und Rhett das zweite wichtige Paar von Margaret Mitchells Geschichte im Mittelpunkt: Melanie Hamilton (Scarletts Cousine) und Ashley Wilkes (Leslie Howard). Denn gerade die von einer gewissen Olivia de Havilland einnehmend verkörperte, gutherzige und sanfte Melanie ist jemand, mit dem ich als Zuschauer lieber mitfiebere als mit der egozentrischen, alles unnötig verkomplizierenden Scarlett. Mir ist bewußt, daß diese Ansicht wohl eher nicht mehrheitsfähig ist (meine Schwester kommentierte entsprechende Ausführungen von mir vor vielen Jahren mit einem fassungslosen bis empörten "Was, diese Langweiler?"), aber bei mir hatte Olivia de Havilland jedenfalls einen dicken Stein im Brett, seit ich sie in "Vom Winde verweht" sah, während mir Vivien Leighs weitere Karriere ziemlich egal war (abgesehen von der brillanten Theateradaption "Endstation Sehnsucht"). Am Sonntag starb Olivia de Havilland in ihrer Wahlheimat Paris im stolzen Alter von 104 Jahren als letzter großer Star aus Hollywoods "Goldener Ära" in den 1930er bis 1950er Jahren.
Die Schauspiel-Karriere der in Tokio als Tochter britischer Eltern geborenen Olivia de Havilland nahm 1933 mit der Titelrolle in einer Theateradaption von "Alice im Wunderland" ihren Anfang, ihren Durchbruch feierte sie bereits ein Jahr später, als der Teenager vom vor den Nazis in die USA geflohenen österreichischen Theater- und Filmemacher Max Reinhardt für eine Aufführung von William Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" als Hermia besetzt wurde (ursprünglich als Ersatz) und die Rolle 1935 auch in der gleichnamigen, sehr unterhaltsam anzuschauenden Verfilmung von Reinhardt und William Dieterle übernahm - in der mit dem sehr jungen Mickey Rooney (als Puck) übrigens ein weiterer späterer Star eine Hauptrolle spielte. De Havillands Leistung kam so gut an, daß ihr Warner Bros. einen Siebenjahresvertrag gab, der ihr Highlight-Rollen in heutigen Klassikern wie Michael Curtiz' "Unter Piratenflagge" (1935), Mervyn LeRoys epischem Historiendrama "Ein rastloses Leben" (1936), Curtiz' Abenteuerfilm "Der Verrat des Surat Khan" (1936), Archie Mayos Screwball-Comedy "Kavalier nach Mitternacht" (1937), dem legendären "Robin Hood, König der Vagabunden" (1938) von Curtiz und William Keighley sowie Curtiz' Kostümdrama "Günstling einer Königin" (1939; an der Seite von Bette Davis) bescherte. Schon diese Aufzählung verdeutlicht, wie wichtig der große "Casablanca"-Regisseur Michael Curtiz für de Havillands Karriere war - zehn gemeinsame Filme drehten sie, von denen man immerhin etwa der Hälfte heute Klassiker-Status zugestehen kann. Doch Curtiz war nicht der einzige regelmäßige Weggefährte von Olivia de Havilland, denn in acht Filmen (davon sieben unter der Regie von Curtiz) war Errol Flynn ihr Leinwandpartner. Der elegante, charmante und in jeder Hinsicht schlagkräftige Frauenschwarm und die selbstbewußte, energische dunkelhaarige Schönheit waren ein perfektes Leinwand-Paar, von dem das Publikum kaum genug bekommen konnte.
Den endgültigen Übergang von der vorrangig in unterhaltsamen, romantischen und generell gut gemachten, jedoch meist nicht allzu tiefgängigen Abenteuerfilmen besetzten Schauspielerin zu einer gefeierten Charakterdarstellerin markierte für de Havilland 1939 ihre Rolle in "Vom Winde verweht", die ihr ihre erste OSCAR-Nominierung (als Nebendarstellerin) brachte. In den 1940er Jahren folgten zahlreiche starke dramatische Rollen, in denen sie mit großer Ausdruckskraft glänzen konnte; so bescherte ihr Mitchell Leisens romantisches Drama "Das goldene Tor" 1942 die zweite OSCAR-Nominierung, diesmal als Hauptdarstellerin - zu ihrem großen Ärger verlor sie ausgerechnet gegen ihre ein Jahr jüngere Schwester Joan Fontaine, die für ihre Rolle in Alfred Hitchcocks "Verdacht" prämiert wurde. Das sehr wechselhafte, von vielen Streitigkeiten geprägte Verhältnis der Schwestern (die übrigens das einzige Geschwisterpaar sind, bei dem beide mit dem Academy Award ausgezeichnet wurden) ist legendär und war ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Doch de Havillands kompromißlose Haltung wirkte sich nicht nur innerfamiliär aus, sie ließ sie auch zu einer Wegbereiterin der Schauspielerrechte werden, als sie nach dem Ablauf ihres Vertrages mit Warner Bros. eine Klage gegen eine automatische Laufzeitverlängerung anstrengte und 1944 siegreich aus dem Konflikt hervorging - bis heute ist die resultierende und weiterhin gültige Regelung, die dazu führte, daß die Schauspieler nicht mehr so abhängig von den großen Studios waren, inoffiziell als "De Havilland Law" bekannt. De Havilland selbst nutzte die gewonnene Freiheit für deutlich düsterere Rollen als zuvor, etwa in Robert Siodmaks Film noir "Der schwarze Spiegel" (1946), in dem sie des Mordes verdächtige Zwillingsschwestern spielt. Diese äußerst ereignisreiche Dekade endete für Olivia de Havilland auf die wohl bestmögliche Weise: mit zwei Hauptrollen-OSCARs! Sowohl für Mitchell Leisens romantisches Drama "Mutterherz" (1946) - in dem sie um ihren unehelichen Sohn kämpft, den sie nach der Geburt abgeben mußte, um einen Skandal zu vermeiden - als auch für William Wylers dramatische Henry James-Verfilmung "Die Erbin" (1949) - als naive junge Frau aus wohlhabendem Hause, die sich in einen möglichen Mitgiftjäger verliebt - wurde de Havilland mit dem begehrten Goldjungen ausgezeichnet, zwischendurch gab es sogar noch eine zusätzliche Nominierung für Anatole Litvaks Psychiatrie-Drama "Die Schlangengrube" (1948).
Doch wie es so ist mit dem Höhepunkt einer Karriere: Von dort aus geht es eigentlich nur noch bergab. Nicht anders war es bei Olivia de Havilland, wenngleich das zumindest teilweise eine bewußte Entscheidung war, weil sie sich mehr um ihre Familie kümmern wollte, Ende der 1950er Jahre mit ihrem französischen zweiten Ehemann nach Paris zog und selbst Rollen wie die der Blanche in "Endstation Sehnsucht" (die dann an ihren "Vom Winde verweht"-Co-Star Vivien Leigh ging) ablehnte. Somit wurden die Highlights in den 1950er Jahren seltener, am bekanntesten sind noch Henry Kosters elegante Daphne du Maurier-Adaption "Meine Cousine Rachel" (1952), Michael Curtiz' Western "Der stolze Rebell" (1958) und Anthony Asquiths "Die Nacht ist mein Feind" (1959). Später nahm sie nur noch vereinzelte Angebote an, weshalb Robert Aldrichs äußerst atmosphärischer Psychothriller "Wiegenlied für eine Leiche" (1964) - ihr vierter Film an der Seite von Bette Davis - das letzte richtig gute Werk in ihrer Filmographie bleiben sollte. Dafür beehrte sie im TV-Bereich in späteren Jahren einige Hits wie "Roots - Die nächsten Generationen" (1979), "Fackeln im Sturm" (1986) und "Anastasia" (1986; hierfür gewann sie ihren zweiten Golden Globe nach "Die Erbin") als Gastdarstellerin. Letztmals stand Olivia de Havilland für den 1988 veröffentlichten TV-Film "König ihres Herzens" vor der Kamera, danach ging sie endgültig in den Ruhestand. Daß sie aber noch in hohem Alter streitbar blieb, bewies de Havilland, als sie 2017 die Macher der TV-Miniserie "Feud" (erfolglos) verklagte, weil sie sich darin (verkörpert von Susan Sarandon) falsch dargestellt fand ...
Am 26. Juli 2020 starb die 2017 noch von Queen Elizabeth II. zur Dame ernannte Olivia de Havilland im Alter von 104 Jahren in Paris eines natürlichen Todes - wenige Monate nach Kirk Douglas und als letzte OSCAR-Gewinnerin aus Hollywoods "Goldener Ära". R.I.P.
Embed from Getty Images
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen