Internationaler Titel: Relativity
Regie und Drehbuch: Mariko Minoguchi, Musik: Jack Ritchie
Darsteller: Saskia Rosendahl, Edin Hasanović, Julius
Feldmeier, Hanns Zischler, Emanuela von Frankenberg, Jeanette Hain, Michelle
Barthel, Martha Bauer, Stefan Konarske, Leonard Kunz
Rotten Tomatoes: -; Deutsche Kinozuschauer am Startwochenende
(inkl. Previews): 8406; FSK: 12, Dauer: 111 Minuten.
Aron (Julius Feldmeier, "Tore tanzt") ist
Physik-Doktorand in München, beschäftigt sich u.a. mit Relativitäts- und
Quantentheorie und ist überzeugt, daß alles miteinander verbunden ist. Nora
(Saskia Rosendahl, "Werk ohne Autor") war als Kind eine talentierte
Eiskunstläuferin, arbeitet nun aber als Supermarktkassiererin und glaubt eher
an Zufälle als an Vorherbestimmung. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit finden Aron
und Nora zusammen – Zufall? Schicksal? –, sind glücklich und planen ihre gemeinsame
Zukunft. Bis sie eines Tages in einen Banküberfall geraten, bei dem Aron
erschossen wird. Natan (Edin Hasanović, "Nur Gott kann mich richten")
arbeitet als Nachtwächter in einem Supermarkt und hat mit Luise (Michelle
Barthel, "Spieltrieb") eine kleine Tochter namens Ava (Martha Bauer).
Die Beziehung von Avas Eltern kriselt, doch dann stellt sich heraus, daß Ava an
Leukämie leidet und nur eine Überlebenschance von 30-50% hat. Als Natan bei der
Arbeit einen Fehler begeht, droht ihm der Verlust seines
Versicherungsschutzes, weshalb er dringend Geld für die teuren Behandlungskosten benötigt. Eines Abends trifft Natan auf die von Arons Tod
immer noch wie betäubt agierende Nora und rettet ihr das Leben. Zufall?
Schicksal?
Kritik:
Der Bruder der autodidaktischen Münchener
Filmemacherin Mariko Minoguchi ist Physiker und da weil sich mit Quanten- und
Relativitätstheorie befaßt, versuchte er, diese hochkomplexen Theorien
seiner Schwester zu erklären. Ein Resultat seiner Bemühungen hat er vermutlich
nicht unbedingt vorhergesehen: Sie inspirierten Mariko Minoguchi zu einem Film.
Und damit ist nicht einfach nur gemeint, daß eine der Hauptfiguren ein Physik-Doktorand
ist, der sich mit Quanten- und Relativitätstheorie befaßt. Nein, der gesamte,
wie ein Puzzle aus auf verschiedenen, häufig zunächst nicht klar zurechenbaren
Zeitebenen spielenden Szenen aufgebaute Film mit seinem philosophischen Unterbau mit Fragen über
Zufälle, Vorsehung, unsichtbare Verbindungen sowie Ouroboros-artig ineinander
übergehende Anfänge und Enden fußt darauf. Zumindest sagt das Mariko Minoguchi; mangels persönlicher Erfahrungen mit Quanten- oder Relativitätstheorie und einer quasi meine gesamte Schulkarriere hindurch zementierten Note 4 im Fach
Physik kann ich das beim besten Willen nicht verifizieren, sehe aber natürlich keinen Grund, die Regisseurin und Drehbuch-Autorin anzuzweifeln. Für den
Durchschnittszuschauer dürfte sowieso deutlich wichtiger sein, daß "Mein
Ende. Mein Anfang." eine stilsicher und formal mit offensichtlichem
(gerechtfertigten) Selbstvertrauen inszenierte Mischung aus Drama und
Liebesfilm (wozu auch Natans Liebe zu seiner Tochter gerechnet werden kann)
ist, die nicht nur in ihrem komplexen Aufbau an große Vorbilder wie
"Irreversibel" oder "Memento" erinnert.
Vor allem an Gaspar Noés heftig polarisierendes Rachedrama "Irreversibel" habe ich mich bei Minoguchis Langfilm-Regiedebüt des
Öfteren erinnert gefühlt, wobei ich gleich erwähnen sollte, daß "Mein
Ende. Mein Anfang." nicht einmal ansatzweise so drastische Szenen verwendet. Die
Parallelen lassen sich vielmehr in der Story, im hypnotisch-poetischen Stil und
im formalen Aufbau finden – jedoch gibt es in jedem Aspekt locker genügend
Unterschiede, damit "Mein Ende. Mein Anfang." keinesfalls als
ein bloßer Nachahmer angesehen werden kann. Das fängt damit an, daß Minoguchi ihre
Geschichte eben nicht einfach "nur" rückwärts erzählt, wie es bei
"Irreversibel" und "Memento" weitestgehend der Fall ist, sondern die
Zeitebenen munter und oft genug ohne klare Zuordnung durchgewechselt werden (für
den Schnitt gab es eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis). Das
kann vor allem zu Beginn recht anstrengend sein, solange man noch versucht,
herauszufinden, was genau eigentlich los ist (beispielsweise hielt ich es
zunächst für möglich, daß die ansonsten zusammenhanglos erscheinenden Szenen
mit Natan und seiner kleinen Tochter Rückblicke auf die Kindheit von Nora
wären, die irgendwann später ihren Namen geändert hat), die Mühe zahlt sich
später jedoch aus, wenn sich die Puzzleteile zusammenfügen. Obwohl ich zugeben
muß, daß ich bei ein paar Szenen nicht vollkommen sicher bin, daß
sie wirklich Sinn ergeben und logisch sind (um sicherzugehen, bräuchte ich
mindestens eine Zweitsichtung), aber so penibel, wie der Film insgesamt
konstruiert ist, gebe ich Mariko Minoguchi diesbezüglich einen
Vertrauensvorschuß.
Was ich allerdings nicht unerwähnt lassen kann: Die große
Enthüllung, auf die sich im Verlauf alles zuspitzt, ist für geübte Zuschauer
ziemlich leicht vorhersehbar – da können die einzelnen Szenenschnipsel noch so
hartnäckig versuchen, alles zu verwirren. Schlimm ist das nicht, aber wenn man
diese Wendung bereits mindestens erahnt, verliert sie naturgemäß einen Gutteil
der emotionalen Wucht, die eigentlich damit erreicht werden soll (womit wir
wieder bei "Irreversibel" wären, der das meines Erachtens deutlich
besser hinbekommt). Daß sie trotzdem funktioniert, ist in erster Linie der
größten Stärke von "Mein Ende. Dein Anfang." zu verdanken, nämlich
der sehr überzeugenden Figurenzeichnung (in Kombination mit einer exzellenten
Besetzung). Vor allem Nora und Natan bringt Mariko Minoguchi dem Publikum
sehr gekonnt und mit vielen gut herausgearbeiteten, schlüssigen Details näher. Beide
wirken nicht wie Filmfiguren, sondern wie echte Personen mit echten Problemen,
die man jederzeit auf den Straßen von München (oder sonstwo) treffen könnte. Lediglich
mit einer kleinen, aber fatalen Entscheidung Natans habe ich meine Probleme –
sie ist nicht komplett unrealistisch, aber in dieser speziellen Situation für
meine Begriffe dümmer, als man es Natan zutrauen würde. Somit wirkt es weniger
authentisch als vielmehr vom Drehbuch gewollt, weil der Film ohne diese Aktion nicht funktionieren würde. Erneut: Das ist nicht schlimm, aber
ein weiterer kleiner Wermutstropfen. Unabhängig davon spielen Saskia Rosendahl
und Edin Hasanović sehr überzeugend und harmonieren auch gut miteinander.
Rosendahl nimmt man die lähmende Trauer und die unter einer Maske der Apathie
lauernde Frustration ebenso locker ab wie Hasanović den etwas leichtsinnigen
Tunichtgut, der sich ehrlich bemüht, sich für seine Familie und speziell für
seine Tochter zu bessern, aber nach deren schlimmer Diagnose zunehmend
verzweifelt. Und als Gegenpol zu diesen beiden (aus guten Gründen) eher
traurigen Gestalten wirkt Julius Feldmeier, dessen Aron immer fröhlich und
freundlich auftritt und in allem das Beste zu sehen scheint – selbst in einem
Ende. Auch die Nebenrollen sind mit Jeanette
Hain ("Therapie für einen Vampir"; als Noras Mutter), Hanns Zischler ("Im Lauf der Zeit"; als Arons Vater) oder Michelle Barthel übrigens namhaft besetzt, allerdings
spielen sie buchstäblich keine größere Rolle, da sich der Film ganz auf das
zentrale Trio konzentriert. Trotz kleinerer Mängel ist "Mein Ende. Dein
Anfang." ein gutes, erstaunlich souveränes und in vielerlei Hinsicht
bemerkenswertes Langfilm-Debüt, das neugierig macht auf Mariko Minoguchis weiteren Weg.
Fazit: "Mein Ende. Dein Anfang." ist ein
poetisches, puzzleartig zusammengesetztes Drama, das ob einer
gewissen Vorhersehbarkeit nicht ganz sein emotionales Potential ausschöpft,
aber mit seinem hypnotischen Stil und gut ausgearbeiteten sowie toll gespielten
Hauptfiguren trotzdem einen starken Eindruck hinterläßt.
Wertung: 7,5 Punkte.
"Mein Ende. Dein Anfang." erscheint am 4. Juni 2020 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, als Bonus gibt es ein gut 10-minütiges Making-of und den Trailer. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
"Mein Ende. Dein Anfang." erscheint am 4. Juni 2020 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, als Bonus gibt es ein gut 10-minütiges Making-of und den Trailer. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen