Regie: Ruben Fleischer, Drehbuch: Jeff Pinkner, Scott Rosenberg, Kelly Marcel, Musik: Ludwig Göransson
Darsteller: Tom Hardy, Michelle Williams, Riz Ahmed, Reid Scott, Jenny Slate, Michelle Lee, Scott Haze, Melora Walters, Peggy Lu, Emilio Rivera, Ron Cephas Jones, Woody Harrelson, Wade Williams, Stan Lee
FSK: 12, Dauer: 113 Minuten.
Eddie Brock (Tom Hardy, "The Revenant") ist ein erfolgreicher investigativer TV-Reporter in San Francisco – bis er eine folgenschwere Fehlentscheidung trifft, die ihn Job, Ruf und sogar seine Verlobte, die Anwältin Anne (Michelle Williams, "Greatest Showman"), kostet. In den nächsten Monaten gammelt Eddie voller Selbstmitleid vor sich hin und seine beruflichen Aussichten sind schlecht bis nonexistent. Doch eines Tages tritt die Wissenschaftlerin Dr. Dora Skirth (Jenny Slate, "Hotel Artemis") an ihn heran mit erschreckenden Insider-Informationen über den reichen Unternehmer Dr. Carlton Drake (Riz Ahmed, "Rogue One"), der skrupellose Menschenversuche durchführt mit außerirdischen Symbionten, die Drakes Raumschiff von der Untersuchung eines Kometen mitbrachte. Als Eddie nachts in das Labor einbricht, um beweiskräftige Aufnahmen zu machen, dringt einer der Symbionten namens Venom in ihn ein und verleiht ihm Superkräfte. Die braucht Eddie auch, denn Drake will "sein" Alien um jeden Preis zurückhaben …
Kritik:
Normalerweise ist die Besetzung eines Films ein gutes Zeichen bezüglich der Qualität seines Drehbuches, denn Topstars wie Leonardo DiCaprio, Meryl Streep, Jennifer Lawrence oder Tom Hanks suchen sich eher keine Projekte aus, bei denen schon das Skript nicht zu überzeugen weiß. Natürlich ist das kein hundertprozentig verläßliches Indiz, denn manchmal sagen selbst die größten Stars aus anderen Gründen zu (z.B. als Gefallen für einen Freund, wegen eines schönen Drehorts, wegen eines Riesen-Gehaltsschecks oder weil sie wie Robert DeNiro nach einer langen Karriere einfach Lust auf leichtere Stoffe haben); aber ein gutes Zeichen ist die Mitwirkung von Stars trotzdem. Im Fall des "Spider-Man"-Spin-Offs "Venom" – das für Sony ein eigenes Superhelden-Filmuniversum in der Art von Disneys Marvel Cinematic Universe (an das Sony Spider-Man ausgeliehen hat) etablieren soll – konnte man allerdings spätestens während der PR-Tour Zweifel an der Hochwertigkeit des Endprodukts bekommen. Denn Hauptdarsteller Tom Hardy gab offen zu, die Rolle für seinen comicverrückten Sohn angenommen zu haben – und Michelle Williams wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, endlich mal mit Tom Hardy zu drehen ... Das Drehbuch von Jeff Pinkner, Scott Rosenberg (beide "Jumanji 2") und Kelly Marcel ("Saving Mr. Banks") haben hingegen beide nicht erwähnt und nach Ansicht des Films kann das kaum verwundern. "Venom" ist kein schlechter Film geworden, phasenweise macht er sogar richtig Spaß; dennoch wirkt er ein Stück weit aus der Zeit gefallen und so, als hätte er ein paar wichtige Entwicklungsschritte des Superhelden-Genres besonders hinsichtlich einer ambivalenten Figurenzeichnung und eines raffinierten Spannungsbogens verpaßt.
Das ist schon deshalb erstaunlich, weil Venom wie auch Eddie – in Sam Raimis "Spider-Man 3" übrigens noch einer der Antagonisten – alles andere als strahlende Helden sind und die Ambiguität gewissermaßen in ihrer (kombinierten) DNA enthalten ist. Tatsächlich gibt sich der lange Prolog sogar alle Mühe, Eddie unsympathisch erscheinen zu lassen, trifft er doch selten dämliche, egoistische Entscheidungen, deren Scheitern vorprogrammiert ist. Zwar wird Eddie nicht als Bösewicht gezeichnet, denn bei aller Egozentrik und Mißachtung der Konsequenzen seiner Entscheidungen für andere Personen handelt er doch zumindest aus einem positiven Beweggrund heraus: Er möchte die üblen Machenschaften von Drake und dessen Unternehmen aufdecken und riskiert dafür sehenden Auges seine Karriere. Eddies Problem ist also in erster Linie, daß er, sobald er ein entsprechendes Ziel anvisiert hat, einen totalen, unkontrollierbaren Tunnelblick entwickelt, der ihn offensichtlich alle Regeln und Erfahrungen vergessen läßt – was dann eben zu unfaßbar dämlichen Handlungen führt. Grundsätzlich ist das ja kein schlechter Ansatz für die Etablierung eines Anti-Helden, doch Regisser Ruben Fleischer ("Zombieland") und die drei Drehbuch-Autoren gehen dabei in etwa so subtil wie ein Dampfhammer vor, was es schwer macht, Eddie überhaupt noch ernstzunehmen. Dazu kommt, daß der inhaltliche Nutzen der überzeichneten Einführung fraglich ist, denn ich wage zu behaupten, daß der Film ebenso gut (oder schlecht) funktionieren würde, wäre anstelle des Prologs nur eine kurze "Was bisher geschah"-Texteinblendung zu sehen …
Auch nach dem Prolog und einem sechsmonatigen Zeitsprung nimmt "Venom" nicht wirklich Tempo auf. Zwar kommt es recht schnell zur aus Eddies Sicht unfreiwilligen Vereinigung mit dem außerirdischen Symbionten, die "Akklimatisierungsphase" der beiden wird jedoch erneut sehr in die Länge gezogen. Nur die betreffenden Szenen für sich betrachtet ist das gar nicht schlimm, denn diese Phase ist insgesamt nett gestaltet und eines ist klar: Die Zwiegespräche im Rahmen der sich langsam entwickelnden Zusammenarbeit von Eddie und Venom sind die größte Stärke von "Venom", speziell Venoms knochentrockene Sprüche und Kommentare sind meist sehr amüsant (etwa bei Stan Lees obligatorischem Cameo) und von Hardy überzeugend vorgetragen. Bis die beiden sich überhaupt richtig miteinander verständigen können, vergeht allerdings einige Zeit, was vor allem dem Bemühen geschuldet ist, Michelle Williams stärker in die Handlung einzubeziehen. Das ist natürlich mehr als nachvollziehbar, denn wozu sollte man eine so grandiose Schauspielerin wie Williams anheuern, wenn man ihr dann nicht viel zu tun gibt? Das Problem ist nur, daß man vielen ihrer Szenen genau dieses Bemühen allzu deutlich ansieht. Selbstredend macht Williams das Beste daraus und schauspielerisch läßt sie selbst Tom Hardy mitunter alt aussehen, dessen Fähigkeiten die Rolle als tapsiger und wenig mutiger Sprücheklopfer nur bedingt entgegenkommt – den grimmigen Anti-Helden kann er viel besser, weshalb seine stimmliche Performance als Venom wesentlich authentischer daherkommt als seine Eddie-Szenen (ganz davon abgesehen, daß Eddie Brock in dieser Inkarnation vermutlich der muskelbepackteste investigative Journalist aller Zeiten ist). Ich weiß nicht, wie genau das Autorentrio seine Arbeit aufgeteilt hat, aber ich mutmaße, daß eine(r) von ihnen speziell die Venom-Eddie-Zwiegespräche verantwortet, denn die heben sich qualitativ sehr deutlich von den übrigen Dialogen ab, die öfters hölzern wirken und Offensichtliches wiederholen.
Das trägt ebenso wie der völlig klischeehafte und entsprechend langweilige Bösewicht Drake (Riz Ahmed ist in dieser Rolle komplett unterfordert) zum insgesamt eher schlecht als recht funktionierenden Spannungsbogen des Films bei – "Venom" läßt sich so lange so viel Zeit mit seiner dramaturgisch ziemlich simplen Erzählung, daß es beinahe wirkt, als würde er von der Einleitung direkt in den Showdown übergehen. Der ist genretypisch ein reines Effektgewitter, handwerklich gut gemacht zwar, aber inhaltlich arg einfalls- und belanglos – was den gesamten Film ziemlich treffend beschreibt. Da Eddie den Endkampf überwiegend als Venom bestreitet, spielen die Computereffekte sogar eine noch größere Rolle als normalerweise; glücklicherweise sind die zwar vielleicht nicht OSCAR-verdächtig, aber überwiegend hochwertig, zudem sind die Symbionten respektive die Formen, die sie im Körper ihres menschlichen Wirts einnehmen, schön grausig gestaltet – auch wenn speziell die Kampfszenen gegen Drakes mit Schußwaffen ausgestattete Horden phasenweise stark an Ego-Shooter erinnern. Apropos grausig gestaltete Symbionten: Eigentlich wäre "Venom" ja prädestiniert für einen Film mit höherer Altersfreigabe ("R" in den USA, FSK 16 in Deutschland), doch zur Enttäuschung vor allem der Comicfans entschied sich Sony letztlich für ein familienfreundliches Produkt. Das ist über weite Strecken kein großes Problem, auch wenn das fehlende Blut in den vielen tödlich endenden Kämpfen auf Dauer schon auffällt – ziemlich albern wirkt es aber nur bei Venoms "Finishing Move", denn der Symbiont beißt seinen Gegnern am liebsten die Köpfe ab … Alles in allem ist "Venom" ein mittelmäßiges (Anti-)Superhelden-Abenteuer geworden, das in seinen besten Momenten sein Potential zeigt, dieses aber kaum einmal ausreizt. Verbesserungsmöglichkeiten für die schon vor dem großen kommerziellen Erfolg von "Venom" eingeplante Fortsetzung sind jedenfalls im Übermaß vorhanden, die in einer zusätzlichen Szene kurz nach Beginn des rekordverdächtig langen, anfangs von Eminems Titelsong unterlegten Abspanns bereits eingeläutet wird (und wer es bis ganz zum Schluß aushält, bekommt noch eine mehrminütige Preview auf den animierten "Spider-Man: A New Universe" zu Gesicht). Abschließend möchte ich auf ein nettes Detail der deutschen Synchronfassung aufmerksam machen: Annes neuer Freund, der Chirurg Dan (Reid Scott, "Liebe zu Besuch"), wird von Timmo Niesner gesprochen – Stammsprecher von Topher Grace, der in "Spider-Man 3" Eddie Brock bzw. Venom verkörperte!
Fazit: "Venom" ist ein mittelmäßiger Superhelden-Film, der zwar handwerklich gut gemacht ist und phasenweise Spaß macht, seinen interessanten Protagonisten jedoch in einer Klischee-Handlung ohne echten Spannungsbogen verheizt und so die hochkarätigen Darsteller sträflich unterfordert.
Wertung: 6 Punkte.
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