Regie und Drehbuch: Drew Goddard, Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Jeff Bridges, Chris Hemsworth, Dakota Johnson, Jon Hamm, Cynthia Erivo, Lewis Pullman, Cailee Spaeny, Nick Offerman, Xavier Dolan, Shea Whigham, Jim O'Heir, William B. Davis, Katharine Isabelle
FSK: 16, Dauer: 142 Minuten.
Um das Jahr 1970 herum treffen vier Fremde im Hotel El Royale aufeinander, das genau auf der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada liegt. Einstmals ein sehr erfolgreiches Hotel, in dem sogar das "Rat Pack" um Frank Sinatra und Dean Martin auftrat, ist das El Royale inzwischen aufgrund des Verlustes der Glücksspiel-Lizenz heruntergekommen und das gesamte Personal besteht aus dem begrenzt zuverlässig erscheinenden jungen Miles Miller (Lewis Pullman, "The Strangers: Opfernacht"). Dieser teilt die neuen Gäste des bis dahin völlig unbelegten Hotels in ihre Zimmer ein – es ist eine bunte Mischung: der vergeßliche alte Priester Father Daniel Flynn (Jeff Bridges, "Hell or High Water"), die afroamerikanische Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo, "Widows"), der gesprächige Staubsauger-Vertreter Seymour Sullivan (Jon Hamm, "Baby Driver") und der ruppige Hippie Emily Summerspring (Dakota Johnson, "21 Jump Street"). Doch fast alle in diesem Hotel haben ein dunkles Geheimnis zu verbergen, weshalb ihnen eine lange, verregnete Nacht voller überraschender Enthüllungen und Gewalteruptionen bevorsteht …
Kritik:
Obwohl seine satirische Horror-Dekonstruktion "The Cabin in the Woods" im Jahr 2012 für viel Aufsehen sorgte und begeisterte Kritiker-Reaktionen nach sich zog, ließ sich der vorwiegend als Drehbuch-Autor und Produzent bei TV-Serien wie "Alias", "Lost" oder "Marvel's Daredevil" sowie Filmen wie "World War Z" und "Der Marsianer" beschäftigte Drew Goddard viel Zeit für seine zweite Kino-Regiearbeit. "Bad Times at the El Royale" wurde von der ersten Ankündigung an (auch von mir) mit Quentin Tarantinos Filmen verglichen, was angesichts der hochklassigen Besetzung und vor allem der Prämisse mit einer Gruppe Fremder, die eine gewalthaltige Nacht in einem abgelegenen Hotel verbringt, naheliegend war. Rückblickend ist das ein irreführender Vergleich, denn wenngleich es schon ein paar grundlegende Ähnlichkeiten zu Tarantino-Werken wie "Reservoir Dogs", "Pulp Fiction" oder auch "The Hateful 8" gibt, entpuppt sich "Bad Times at the El Royale" als doch sehr eigenständige Produktion – die sich gleichzeitig allerdings als Hommage an vergangene Hollywood-Zeiten versteht, in denen sich Filmemacher noch viel mehr Zeit bei der Entwicklung von Handlung und Charakteren innerhalb eines Films lassen konnten. Dementsprechend ist "Bad Times at the El Royale" definitiv nichts für ungeduldige Gemüter, denn die Actionszenen sind relativ spärlich über die fast zweieinhalbstündige Laufzeit verteilt. Wer sich aber auf das gemächliche Erzähltempo mit zahlreichen Perspektivwechseln einläßt, bekommt einen der leider selten gewordenen wirklich originellen Hollywood-Filme dieser Ära zu Gesicht, der seine mit B-Movie-Elementen angereicherte Noir-Geschichte nicht nur ungemein atmosphärisch erzählt und im besten Sinne altmodisch inszeniert, sondern dabei auch noch glänzend konstruiert ist.
Das vom nordirischen Kameramann Seamus McGarvey ("Nocturnal Animals") jederzeit äußerst stimmungsvoll eingefangene heruntergekommene frühere Erfolgshotel symbolisiert sehr treffend die melancholische Stimmung, die auch bei den Gästen (und dem einzigen Angestellten) des El Royale vorherrscht. Ich will keine Einzelheiten verraten, da Goddard die Hintergründe seiner Protagonisten sich konsequent entwickeln läßt und wir auf diese Weise das zentrale Quintett immer besser kennenlernen. Dabei geht Goddard nicht einfach chronologisch vor, stattdessen springt er immer wieder zwischen den Personen hin und her und spielt wie Akira Kurosawas Meisterwerk "Rashomon" mit der Wahrnehmung, indem er Schlüsselszenen nacheinander aus den subjektiven Perspektiven der einzelnen Beteiligten schildert und dem Publikum so immer neue Details offenbart – manche entscheidend, andere "nur" interessante Kleinigkeiten. Keine Person, die diese passenderweise sturmumtoste Nacht im El Royale verbringt, ist ein normaler Bürger – noch nicht einmal der Vertreter Seymour –, vielmehr sind sie alle durch eine bewegte Vergangenheit mit mehr oder weniger dunklen Geheimnissen geprägt, was ihre Reaktionen auf ihre Mitmenschen bestimmt. Mißtrauen ist die vorherrschende Gefühlsregung, was man aber keinem übelnehmen kann, wenn der nette Priester durch übermäßigen Alkoholgenuß auffällt, das Hippie-Mädchen durch eine schroffe, abweisende Haltung, der weltoffene Vertreter durch latent rassistisches Verhalten gegenüber Darlene und Concierge Miles durch auffällig häufige (körperliche wie geistige) Abwesenheit ...
Obwohl selbst 140 Minuten Laufzeit nicht ausreichen, um einem Ensemble von ungefähr einem halben Dutzend Figuren (im Laufe der Nacht gibt es zwei wichtige Zugänge) im Sinne eines Charakterdramas gerecht zu werden, ist die Figurenzeichnung viel liebevoller und detailreicher als man das von den allermeisten Genrevertretern gewohnt ist. Jede Person erhält irgendwann eine kurze, aber aussagekräftige Rückblende in ihre Vergangenheit, durch die man mehr über sie und ihre Beweggründe erfährt, vor allem aber werden sie durch ihre Taten in dieser Nacht im El Royale definiert. Nicht jede der Geschichten ist spektakulär, aber alle sind interessant und gut erzählt, was es der hochklassigen Besetzung leicht macht, ihren Rollen Profil zu verleihen. Da das charismatische und einnehmende Spiel von Jeff Bridges niemanden mehr überraschen wird, möchte ich stärker auf seine Kollegen eingehen. Vor allem Cynthia Erivo begeistert als die leidgeprüfte Soulsängerin Darlene, was auf den ersten Blick überraschend ist angesichts der Tatsache, daß es das Leinwanddebüt der mir bis dahin völlig unbekannten 31-jährigen Britin ist – aber deutlich weniger überraschend, wenn man erfährt, daß Erivo ein gefeierter Broadway-Star ist, der für die Hauptrolle in der Bühnenadaption von Spielbergs "Die Farbe Lila" bereits einen Tony und einen Grammy gewann. Das werden sicher nicht ihre einzigen Auszeichnungen bleiben, denn als Darlene entwickelt sie sich mit einer beeindruckenden Ausstrahlung sowie großer Ausdruckskraft rasch zum emotionalen Zentrum des Films, speziell in ihren Szenen mit Jeff Bridges und Chris Hemsworth. Nicht zuletzt wegen Erivo respektive Darlene spielt übrigens Musik eine große Rolle in "Bad Times at the El Royale", wobei Michael Giacchinos klangvolle Melodien gut mit den vielen zeitgenössischen Songklassikern harmonieren, die von Frankie Vallis "Can't Take My Eyes Off You" über "Unchained Melody" von den Righteous Brothers und "The Letter" von The Box Tops bis hin zu Deep Purples "Hush" reichen – wobei manche der Songs in der Originalfassung zu hören sind, während andere innerhalb der Handlung hörenswert von Cynthia Erivo interpretiert werden.
Aber zurück zur Besetzung: Jon Hamm, der mich (als jemand, der bis heute leider nicht dazu kam, "Mad Men" anzuschauen, jene Serie, die ihn berühmt machte) bereits in "Baby Driver" begeisterte, beweist als wortgewandter und neugieriger Verkäufer Seymour einmal mehr, daß er auch in kleineren Rollen die Handlung spielerisch an sich reißen kann. Und auch das U30-Trio Dakota Johnson (die mit ihrer intelligenten Filmauswahl mit "Black Mass", "A Bigger Splash" und "Suspiria" beweist, daß ihre Karriere keineswegs für immer von ihrer freizügigen Hauptrolle in der kontroversen "50 Shades of Grey"-Reihe überschattet werden muß), Cailee Spaeny (die "Pacific Rim: Uprising"-Aktrice stößt als Emilys jüngere Schwester dazu) und ganz besonders Lewis Pullman – dessen Hintergrundgeschichte vermutlich die bewegendste ist – machen ihre Sache gut. Zudem spielt Chris "Thor" Hemsworth, der zweite spätere Zugang im El Royale, als selbstverliebter Sektenführer Billy Lee gekonnt gegen sein Image an. In den Rückblenden sind noch einige weitere bekannte Gesichter wie die des kanadischen Filmemacher-Wunderkinds Xavier Dolan ("I Killed My Mother"), seiner genreerfahrenen Kollegin Katharine Isabelle ("Ginger Snaps") oder des vor allem aus der TV-Serie "Parks and Recreation" bekannten US-Komikers Nick Offerman in Kleinstrollen zu entdecken. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Drew Goddard sich bei all dieser von gut geschriebenen Dialogen vorangetriebenen Charakterarbeit, die zu einem schön explosiven, sehenswert choreographierten Showdown führt, nicht vielleicht trotzdem etwas kürzer hätte fassen und ein zügigeres Erzähltempo hätte anschlagen können – aber das bleibt letztlich Geschmackssache. Für heutige Sehgewohnheiten ist "Bad Times at the El Royale" durchaus eine Herausforderung, aber gerade deshalb hat er mir ausnehmend gut gefallen und ich hoffe inständig, daß Drew Goddard sich weiterhin treu bleiben und sein Ding durchziehen wird (auch wenn sich der kommerzielle Erfolg seiner Regiearbeiten bislang leider in Grenzen hält).
Fazit: "Bad Times at the El Royale" ist ein betont altmodisch in Szene gesetzter Noir-Thriller mit limitiertem Setting, der sich viel Zeit läßt mit Figurenzeichnung und Storyentwicklung, was dank eines intelligenten Drehbuchs und einer hochklassigen Besetzung sehr gut funktioniert – sofern man als Zuschauer etwas Geduld aufbringt.
Wertung: Gut 8,5 Punkte.
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