Originaltitel: Under sandet
Regie und Drehbuch: Martin Zandvliet, Musik: Sune Martin
Darsteller: Roland Møller, Louis Hofmann, Oskar Bökelmann, Mikkel
Boe Følsgaard, Laura Bro, Oskar Belton, Emil Belton, Joel Basman, Leon Seidel
FSK: 12, Dauer: 101 Minuten.
Mai 1945. Hitler ist tot, Nazi-Deutschland hat kapituliert,
der Zweite Weltkrieg in Europa ist zu Ende. Was geblieben ist, sind neben viel
Haß und unzähligen Witwen und Waisen auch mehr als zwei Millionen Landminen an
den Stränden Dänemarks – wo die Nazis die alliierte Invasion erwartet hatten. Zur
Entschärfung der Minen werden deutsche Kriegsgefangene angekarrt, von denen ein
Großteil noch nicht einmal volljährig ist. Ohne jegliche Hilfsmittel und mit
nur einem rudimentären Training sollen sie die Strände säubern, an vielen Tagen
bekommen sie noch nicht einmal etwas zu Essen, was die Konzentrationsfähigkeit
naturgemäß nicht eben erhöht – im Grunde genommen handelt es sich um ein
Selbstmordkommando. Einer der Trupps wird von dem dänischen
Offizier Carl Rasmussen (Roland Møller, "Zweite Chance") angeleitet,
der die Deutschen haßt und kein Mitleid mit den Kriegsgefangenen hat.
Allerdings wurde ihm vorher nicht gesagt, daß es halbe Kinder sind, die er bei
ihrer lebensgefährlichen Aufgabe bewachen soll. Und so entwickelt er nach und
nach doch eine beinahe freundschaftliche Beziehung zu den Jungs, deren
Überleben ihm nicht so egal ist, wie er es behauptet …
Kritik:
Angesichts der Tatsache, daß in den letzten 75 Jahren
Hunderte von Filmen über den Zweiten Weltkrieg gedreht wurden, sollte man
meinen, daß inzwischen wirklich alle Aspekte dieser Thematik cineastisch
ausgeleuchtet wurden. Trotzdem gibt es immer wieder Werke, die doch noch neue
Facetten des verheerendsten Konflikts in der Menschheitsgeschichte auftun. Häufig
sind das letztlich nur Variationen von bereits Bekanntem, etwa bei der Leidensgeschichte
des amerikanischen Kriegsgefangenen Louis Zamperini in Angelina Jolies
"Unbroken"; manchmal aber werden tatsächlich noch Geschichten ans Licht des Tages befördert, die weitestgehend unbekannt sind. So ist es auch bei der
gelungenen dänisch-deutschen Koproduktion "Unter dem Sand", die sich
der Minenräumung an dänischen Stränden durch überwiegend sehr junge deutsche
Kriegsgefangene unmittelbar nach Kriegsende widmet – und dabei durchaus mutig Deutsche als Quasi-Opfer zeigt und die Dänen als zumindest auf den ersten
Blick rachsüchtige Unsympathen.
Das gefällt mit Sicherheit nicht jedem Zuschauer,
schließlich ist es ja ein gerne vorgebrachter Vorwurf bei Filmen, die sich
losgelöst vom großen Kriegszusammenhang mit ganz konkreten Aspekten befassen, daß sie Täter und Opfer vertauschten.
Allerdings ist es hier aus meiner Sicht ein unangebrachter Vorwurf,
oder besser gesagt: einer, der einen Mangel an Empathie mit der Situation und
den Beteiligten offenbart. Denn wenn man sich die Situation in diesem Mai 1945
vor Augen ruft, dann ist das Verhalten der Dänen vollkommen
nachvollziehbar. Obwohl Dänemark im Vergleich zu anderen europäischen Staaten
noch relativ glimpflich davonkam und am Ende "nur" ein paar
Tausend Tote zu beklagen hatte, hatte die Bevölkerung doch stark unter der seit
1943 andauernden Besatzung durch die Nazis gelitten. Ein genereller Haß gegen
"die Deutschen" ist da eigentlich normal, ebenso die Schadenfreude
nach der Niederlage Nazi-Deutschlands. Und theoretisch klingt es auch sehr logisch, daß jene Landminen, die die deutschen Truppen an den dänischen Stränden
vergruben, von deutschen Kriegsgefangenen beseitigt werden sollen (wenngleich es ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konventionen ist). Warum
hätten diese gefährliche Aufgabe die Dänen selbst übernehmen sollen? Angesichts
der Gesamtsituation mag das Verhalten vieler Dänen in "Unter dem
Sand" also unsympathisch, ja sogar unrechtmäßig erscheinen, es ist aber emotional absolut nachvollziehbar – und außerdem eben in den Grundzügen Fakt.
Ähnlich verhält es sich mit der "Opferrolle" der
Deutschen. Es sind überwiegend Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren (warum
ausgerechnet die ausgewählt wurden – vielleicht weil man bei ihnen eine
geringere Fluchtgefahr sah als bei erwachsenen Soldaten? Oder schlicht eine
größere Geschicklichkeit bei der Entschärfung? –, wird leider nicht erklärt, es
entspricht aber der Realität), denen man die Kriegsverbrechen der Nazis sicher
nicht zur Last legen kann. Sie sind es, die nun die Verbrechen der Generation
ihrer Eltern ausbaden müssen. Ist da Mitleid erlaubt? Selbstverständlich. Daher
ist es auch vollkommen glaubwürdig, daß Rasmussen seine Vorbehalte und seinen
Haß zunehmend verliert, je länger und näher er mit den Jungs zu tun hat.
Letztlich ist die Botschaft von Regisseur und Drehbuch-Autor Martin Zandvliet
so simpel wie einleuchtend und vor allem universell: Es ist leicht, eine Feindesgruppe kollektiv zu
hassen ("die Deutschen"), aber wenn sie von einer solchen abstrakten
Gruppe zu Individuen werden, dann wird das immer schwieriger. Natürlich ist das
keine neue Erkenntnis und genau deshalb greifen ja Diktatoren und Demagogen so
stark auf das Instrument der Propaganda zurück, um ihre Untertanen respektive Anhänger möglichst
von Kindheit an so stark gegen "den Feind" aufzuhetzen, daß die gar
nicht erst auf den Gedanken kommen, sie könnten etwas Falsches tun. Tutsi gegen
Hutu in Ruanda; Palästinenser
gegen Israelis; Muslime gegen Christen im ehemaligen Jugoslawien; Sunniten gegen Schiiten; die Liste von traurigen Beispielen ist
lang und der solcherart vererbte Kreislauf des Hasses kaum zu durchbrechen.
Kunst kann daran wenig bis nichts ändern, dennoch ist es ehrenwert, wenn ein
Film wie "Unter dem Sand" genau das trotzdem versucht, indem er die sonst übliche Perspektive verändert, auf Gemeinsamkeiten statt Unterschiede hinweist
und schlicht und ergreifend die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt.
Zugegeben, nun bin ich doch ein klitzekleines bißchen abgeschweift,
daher zurück zur direkten Filmanalyse. Ein interessantes Stilmittel hat
Zandvliet beispielsweise damit gewählt, daß er die Hintergründe der Charaktere
komplett ausblendet. Einerseits ist das klug, schließlich wäre dramaturgisch
keinem gedient, wenn die grausamen Kriegserlebnisse von Rasmussen oder seinem
Vorgesetzten Jensen (Mikkel Boe Følsgaard, "Die Königin und der Leibarzt") oder auch der Bäuerin Karin (Laura
Bro, "Brothers") – die die fieseste Szene des Films für sich verbuchen darf – breitgetreten
würden. Es ist offensichtlich, daß es sie gab, da muß man gar nicht ins Detail
gehen. Andererseits wird auf diese Weise aber natürlich auch ein Stück weit die
Chance vertan, eine tiefgreifendere Bindung des Publikums zu den Figuren
aufzubauen. Man erfährt auf dänischer Weise so gut wie nichts über die
Privatpersonen, so bleiben sie eher Symbolfiguren, nur Rasmussen als zentralem
Protagonisten kommt man durch sein bloßes Verhalten und die offensichtliche,
von Roland Møller sehr überzeugend gespielte Entwicklung seiner Gefühlswelt
gegenüber den ihm Anvertrauten näher. Es ist möglich, daß das eine
bewußte Entscheidung Zandvliets war, da durch den Verzicht auf eine direkte
Relativierung durch konkrete miterlebte Gräueltaten oder verlorene
Familienmitglieder das moralische Fehlverhalten der Dänen (und in einer Szene
auch einiger britischer Soldaten) – bei allem Verständnis, das man im
Kontext dafür aufbringen muß – umso deutlicher herausgearbeitet wird. Eine
Verharmlosung eigenen Fehlverhaltens durch die Vergleiche mit noch schlimmerem
Fehlverhalten ist ja eine bequeme Strategie, die sehr viele Menschen in allen
möglichen Situationen des Lebens anwenden, die aber bei genauerer Betrachtung ziemlicher Blödsinn ist. Plakativ ausgedrückt: Wenn jemand seinen Ehepartner
verprügelt, ist das noch lange nicht deshalb weniger schlimm, weil sein Nachbar
seinen Ehepartner brutal ermordet. Und wenn dänische Soldaten jugendliche deutsche
Kriegsgefangene schikanieren, grundlos zusammenschlagen und unvorbereitet in
den ziemlich sicheren Tod schicken, ist das noch lange nicht deshalb weniger
schlimm, weil die Nazis im Krieg Millionen Menschen in Konzentrationslagern
ermordet haben. Eine solche Aufrechnung von Leid und Unrecht funktioniert
einfach nicht.
Von daher halte ich Zandvliets Entscheidung, sich ganz
konkret auf die vorliegende Situation zu konzentrieren und das Davor und Danach
weitestgehend auszublenden, für eine moralisch sehr gute. Dramaturgisch bringt
sie allerdings ihre Probleme mit sich, da die handelnden Figuren dem Zuschauer
eben doch ziemlich fremd bleiben. Bei den Deutschen ist das zwar nicht ganz so
extrem, da wir durch deren Gespräche untereinander ein bißchen etwas über ihr
Leid, ihr Heimweh, das Schwanken zwischen der aktuellen Ausweglosigkeit und zarten Hoffnungen für die Zukunft erfahren. Über allgemeine Kriegsfilm-Klischees
geht das allerdings kaum hinaus, wenn auch die jungen Schauspieler – darunter
das "Tom Sawyer"- und "Die Abenteuer des Huck Finn"-Duo Louis Hofmann und Leon Seidel – ihre Sache gut machen.
Letztlich ist es aber so, daß die sehr rudimentäre Handlung, die sich fast komplett
auf die Beziehung zwischen Rasmussen und den Jungs beschränkt, wenig Spielraum
für echte inhaltliche Spannung läßt. Viel Abwechslung läßt sich kaum
generieren, wenn sich alles um das Finden und Entschärfen von Landminen handelt
– natürlich gibt es die angesichts der Thematik unvermeidlichen und hier
wörtlich zu nehmenden Knalleffekte, die aber trotz halbherziger
"Verschleierungstaktiken" Zandvliets ebenso größtenteils vorhersehbar
sind wie die Entwicklung der Beziehung zwischen Rasmussen und den Jungs (wenn
beispielsweise Zwillinge unter den Kriegsgefangenen sind, dann kann man sich
von vornherein denken, daß die nicht beide das Filmende erleben werden …). Erst
in der letzten halben Stunde gibt es doch noch ein paar interessante
Entwicklungen, die aber auch nicht mehr wirklich etwas daran ändern können, daß
"Unter dem Sand" mehr für sein thematisches Engagement gelobt werden
muß als für seine dramaturgische Raffinesse.
Fazit: "Unter dem Sand" ist ein
Anti-Kriegsfilm, der von einem weitgehend unbekannten Aspekt des
Zweiten Weltkrieges ausgehend überzeugend und engagiert die Sinnlosigkeit von Krieg und
Haß aufdeckt, damit aber handlungstechnische Mängel und eine relativ
geringe emotionale Bindung zwischen Publikum und Figuren nicht vollends überdecken
kann.
Wertung: Knapp 7,5 Punkte.
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