Regie und Drehbuch: Mike Leigh, Musik: Gary Yershon
Darsteller: Timothy Spall, Dorothy Atkinson, Paul Jesson,
Marion Bailey, Martin Savage, Karl Johnson, Lesley Manville, Mark Stanley,
Jamie Thomas King, Niall Buggy, Joshua McGuire, Stuart McQuarrie, Sylvestra Le
Touzel, Fenella Woolgar, David Horovitch, Patrick Godfrey, Leo Bill, Fred
Pearson, Richard Bremmer, Sinead Matthews, Tom Wlaschiha, Lee Ingleby
FSK: 6, Dauer: 150 Minuten.
London, um 1825: Der romantische Landschaftsmaler William
Turner (Timothy Spall, "The King's Speech"), Sohn eines Barbiers, ist
bereits um die 50 Jahre alt und hat sich mit seiner Kunst durchaus etabliert.
Er ist Mitglied der Royal Academy, verkauft seine Gemälde für gutes Geld und
ist ein gerne gesehener Gast bei den reichen und/oder adligen Gönnern der Szene.
Dabei ist Turner nicht gerade für perfekte Manieren bekannt – zwar gibt er sich
meist höflich und sogar freundlich, allerdings hält er Schnaufen und Grunzen
für gesellschaftlich anerkannte Mittel der Kommunikation. Außerdem ist er
schnell genervt von nichtssagendem Small Talk und eitler Selbstbeweihräucherung,
weshalb er entsprechende Unterhaltungen häufig mit einer bissigen Bemerkung
abwürgt, sobald es ihm endgültig zu viel wird. Überhaupt widmet sich Turner
eigentlich viel lieber der Natur als den Menschen, weshalb es ihn immer wieder
in die kleine Küstenstadt Margate verschlägt, wo er sich Inspiration für
seine Meeresgemälde holt. Als sein Vater William Sr. (Paul Jesson, "Coriolanus"),
der ihm stets eine verläßliche Stütze bei der Ausübung der Malerei war und
gemeinsam mit Haushälterin Hannah (Dorothy Atkinson) alles für ihn
organisierte, stirbt, verfällt Turner jedoch in Depressionen …
Kritik:
Wie bei einem Film des britischen Altmeisters Mike Leigh
("Lügen und Geheimnisse") nicht anders zu erwarten, erwartet den
Zuschauer mit "Mr. Turner – Meister des Lichts" keineswegs ein konventionelles
Biopic á la Hollywood, in dem in hohem Tempo anekdotenhaft wichtige Lebensstationen der zentralen Figur abgearbeitet werden. Das wäre bei William Turner
auch relativ schwierig, denn sein Leben verlief nicht sonderlich spektakulär.
Turner litt nicht an einer seltenen Krankheit, er war nicht bettelarm und
verkannt, er soff auch nicht (übermäßig) und nahm keine Drogen, er hatte keine
Feinde … ja, noch nicht einmal erbitterte Rivalen. Turner schnitt sich kein Ohr
ab wie van Gogh (der wohl jener Maler ist, dessen Leben am häufigsten verfilmt
wurde, am bekanntesten 1956 von Vincente Minnelli unter dem Titel "Vincent van Gogh – Ein
Leben in Leidenschaft", mit Kirk Douglas in der Titelrolle) und verkehrte auch nicht mit russischen Revolutionären wie die Surrealistin Frida Kahlo (die
meinen persönlichen Lieblings-Malerfilm "Frida" mit der grandiosen
Hauptdarstellerin Salma Hayek inspirierte). Joseph Mallord William Turner war
relativ normal – wenn man einmal davon absieht, daß er (zur anhaltenden
Belustigung seiner Kollegen und der interessierten Öffentlichkeit) seine
Gemälde oft anspuckte, um teilweise noch in der Galerie letzte
Detail-Veränderungen durchzuführen. Dennoch ist es Leigh, der auch das Drehbuch
schrieb, gelungen, mit "Mr. Turner" einen Film zu schaffen, der von
den Kritikern bejubelt wird und in der Tat viele Stärken hat.
Dabei ist Leighs Vorgehensweise nicht nur stilistisch
ungewöhnlich. Man könnte meinen, daß er sich angesichts des vergleichsweise
unspektakulären Lebens von William Turner einfach ganz auf seine überragende
Kunst konzentrieren würde; doch das ist nicht wirklich der Fall. Mike Leigh
skizziert noch nicht einmal Turners Aufstieg zum erfolgreichen Maler – denn im
Gegensatz zu vielen erst nach ihrem Tod berühmt gewordenen Malern (oder dem im Film als Gegenbeispiel
präsentierten Sturkopf Benjamin Robert Haydon) verdiente Turner eben bereits
früh gut an seinen Gemälden, und es wäre sicher interessant gewesen zu
erfahren, wie Turner seine Kunst erlernte und dann an den Mann brachte. Aber das
spielt hier absolut keine Rolle, stattdessen setzt "Mr. Turner" erst
ein, als Turner bereits etwa 50 Jahre alt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist er ein
weithin respektiertes und bewundertes Mitglied der Royal Academy, auch wenn
manche seiner Künstlerkollegen skeptisch bis spöttisch auf seine
unkonventionelle Art in der Kunst wie im Leben blicken. Meiner Ansicht nach
liegt hierin die vielleicht größte inhaltliche Schwäche von "Mr.
Turner": Es wird zu wenig auf seine Malerei eingangen. Zwar wird in von
Kameramann Dick Pope ("Dark City", "Happy-Go-Lucky")
traumhaft schön gefilmten, wortlosen Aufnahmen, die gekonnt den Stil von
Turners Landschaftsgemälden nachahmen, eingefangen, wie und wo sich der
"Meister des Lichts" die Inspiration für seine Werke holte; auch darf
man Turner immer mal wieder kurz beim Malen zusehen, wobei sich Leigh hierbei
etwas zu sehr auf sein Gespucke konzentriert. Aber im Grunde genommen erfährt
man nur sehr wenig über den Maler William Turner, über seine Techniken oder
seine kunsthistorische Bedeutung. Dabei sind die wenigen Male, in denen
das doch einmal ansatzweise geschieht, besonders eindrucksvoll. Allen voran
gilt das für jene Szene, in der William Turner kurz vor Eröffnung einer Ausstellung
kurzerhand und zum Entsetzen seine Maler-Kollegen einen völlig unpassenden,
dicken roten Klecks auf sein Gemälde einer Küstenlandschaft setzt – nur um
wenig später bei ebenjenen Kollegen wie auch dem Publikum einen beträchtlichen Aha-Effekt
hervorzurufen, als er aus dem dicken roten Klecks in wenigen Schritten eine
sich harmonisch in das Gesamtbild einfügende Boje gestaltet …
Zumindest ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn "Mr.
Turner" mehr solcher direkt auf Turners Kunst bezogene Szenen zu bieten
hätte – doch Mike Leigh war offenbar primär an einem genau beobachteten
Künstlerporträt gelegen, weshalb sich sein Fokus über weite Phasen auf Turners
Privatleben richtet. Dabei gibt es selbst darin keine Katastrophen – wenn man
einmal davon absieht, daß der niemals verheiratete Turner selbst offensichtlich eine Katastrophe als Vater zweier unehelicher Töchter ist. Und so konzentriert
sich Mike Leigh fast gänzlich darauf, das Porträt eines begnadeten,
exzentrischen und sogar wegweisenden Künstlers – er gilt als Vorläufer des
Impressionismus – zu zeichnen, vermischt mit einem leicht spöttischen
Sittenbild des 19. Jahrhunderts. Das ist dank Timothy Spall stets interessant
und amüsant, denn der nicht gerade bildschöne ewige Nebendarsteller (am besten
bekannt als Peter Pettigrew alias Wurmschwanz in den "Harry
Potter"-Filmen) nutzt die Gelegenheit seines Lebens weidlich aus und zeigt
eine imposante Vorstellung, die ihm eigentlich seine
erste OSCAR-Nominierung hätte bescheren sollen (stattdessen gab es für "Mr. Turner" immerhin vier in technischen Kategorien). Zwei Jahre lang hat sich Timothy Spall auf diese
Rolle vorbereitet, sich dabei intensiv im Malen unterrichten lassen, vor
allem aber viel Zeit auf die Charakterisierung des wenig vornehmen,
ebenso bärbeißigen wie im Kern freundlichen und gefühlvollen Künstlers
verwendet. Turner weiß zwar stets clevere Bonmots zu setzen, beinahe noch mehr
kommuniziert er allerdings durch Grummeln, Knurren und vor allem Grunzen, was
Spall einfach perfekt umsetzt. Er beherrscht den Film mit seiner
schauspielerischen und körperlichen Präsenz, weshalb die Nebendarsteller
einen schweren Stand haben. Die sind zwar zahlreich, doch haben wenige
genügend Szenen, um nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Die einzige echte Ausnahme
ist die vor allem als Theater-Schauspielerin tätige Dorothy Atkinson mit
ihrer ebenso amüsanten wie bewegenden Verkörperung der hingebungsvollen
Haushälterin Hannah.
Insgesamt ist "Mr. Turner" erstaunlich humorvoll
geraten, vor allem der Blick auf die (höhere) Gesellschaft erinnert in seinem
spöttischen Unterton beinahe an Jane Austen – speziell wenn Leigh immer wieder
in nahezu epischer Breite den selbstgefälligen Small Talk der adligen Gönner
seziert, der meistens erst durch eine treffend spitze Bemerkung Turners zum
Erliegen gebracht wird. Wobei diese leise, subtile Form des Humors viele
Betrachter offenbar gar nicht erst bemerken, denn im Internet kann man
zahlreiche Zuschauerkritiken lesen, die sich über das angeblich weitgehende
Fehlen von Humor beschweren – mir ist das absolut unverständlich, aber Humor
ist und bleibt nunmal Geschmackssache. Kritisch einwenden kann man allerdings
sehr wohl, daß für diesen relativ eng gefaßten Ausschnitt aus einem wenig
aufregenden Leben eine Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden ziemlich viel ist.
Tatsächlich zieht sich "Mr. Turner" in der zweiten Hälfte etwas, wenn
man den Maler und seine Marotten bereits kennengelernt hat und Leigh
leider nicht mehr allzu viel Neues zu bieten hat – zumal die sehr
gemächliche Erzählweise sowieso eine gute Portion Geduld beim Zuschauer
einfordert.
Fazit: "Mr. Turner – Meister des Lichts"
ist ein kunstvoll gefilmtes und präzise beobachtetes Porträt eines genialen Künstlers, der sich zwar
ordentlich in die höhere Gesellschaft einfügt, mit seiner Arbeiter-Herkunft und
seinem exzentrischen Verhalten aber dennoch klar daraus hervorsticht – neben der Thematik sorgt auch das langsame Erzähltempo dafür, daß es sich eindeutig um
einen an das Arthouse-Publikum gewandten Film handelt, der aber etwas mehr
Augenmerk auf Turners Kunst und etwas weniger auf sein Privatleben hätte legen dürfen.
Wertung: 7,5 Punkte.
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