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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 19. April 2012

BARNEY'S VERSION (2010)

Regie: Richard J. Lewis, Drehbuch: Michael Konyves, Musik: Pasquale Catalano
Darsteller: Paul Giamatti, Rosamund Pike, Dustin Hoffman, Minnie Driver, Scott Speedman, Bruce Greenwood, Mark Addy, Saul Rubinek, Rachelle Levevre, Maury Chaykin, Clé Bennett, Atom Egoyan, David Cronenberg, Denys Arcand, Ted Kotcheff, Paul Gross
 Barney's Version
(2010) on IMDb Rotten Tomatoes: 79% (6,7); weltweites Einspielergebnis: $12,1 Mio.
FSK: 12, Dauer: 134 Minuten.
Barney Panofsky (Golden Globe-Nominierung für Paul Giamatti aus "Das Mädchen aus dem Wasser") ist ein ziemlicher Durchschnittstyp mit Tendenz zum Loser: Er sieht nicht sonderlich gut aus, berufsmäßig läuft es als Produzent einer banalen TV-Seifenoper immerhin halbwegs ordentlich, aber dafür nutzen ihn seine Freunde nach allen Regeln der Kunst aus und seine Traumfrau trifft er auf einer Hochzeit – ungünstigerweise seiner eigenen! Das hält ihn jedoch keineswegs davon ab, Miriam (Rosamund Pike, "Jack Reacher", "Zorn der Titanen") hartnäckig nachzustellen ...

Kritik:
"Barney's Version" ist die Adaption eines erfolgreichen kanadischen Romans von Mordecai Richler. Ob es sich um eine gute Verfilmung handelt, kann ich mangels Kenntnis der Vorlage (auch auf Deutsch unter dem Titel "Wie Barney es sieht" erhältlich) nicht beurteilen. Ein sehr guter Film ist "Barney's Version" aber auf jeden Fall, tatsächlich sogar mein Lieblingsfilm des Kinojahres 2011. Wie wahrhaftig und bewegend, mit welch tiefem Mitgefühl und leisem Humor Regisseur Richard J. Lewis (bisher fast nur bei Fernsehserien tätig) in Rückblicken das an dramatischen Ereignissen reichhaltige Leben Barneys inszeniert, ist einfach eine Wohltat. Beim ersten Kinobesuch hatte ich den Eindruck, man hätte das Erzähltempo des gut 130-minütigen Films phasenweise etwas straffen können, aber bei der Zweitsichtung fand ich es genau richtig. Generell ist gerade diese Unaufgeregtheit, in der einem Barney nähergebracht wird, dieser so authentisch wirkende Mann mit den vielen offensichtlichen Schwächen und den großteils erst bei genauerem Hinsehen erkennbaren Vorzügen, die große Stärke von "Barney's Version".

Natürlich kann das nicht funktionieren ohne einen herausragenden Hauptdarsteller, dem man diese vielfältige Figur auch abnimmt. Paul Giamatti, jener scheinbar geborene Nebendarsteller, der erst mit der Independent-Tragikomödie "Sideways" richtig den hochverdienten Durchbruch geschafft hat und seitdem gelegentlich auch Hauptrollen wie diese ergattert, erfüllt seine Rolle auf herausragende Art und Weise mit Leben. Sowohl die charakterliche Wandlung Barneys über all die Jahre hinweg als auch die körperlichen Veränderungen und die als Klammer der Handlung dienende Alzheimer-Erkrankung (Barney erzählt in Rückblenden aus seinem Leben, wobei jedoch offenbleibt, wie wahrheitsgetreu sein Bericht angesichts der Erkrankung ist) transportiert er höchst authentisch auf die Leinwand. Es ist allein seiner Leistung zu verdanken, daß man als Zuschauer diesen auf den ersten Blick nicht einmal sonderlich sympathischen Barney so richtig lieb gewinnt. Dazu gesellt sich ein tolles Schauspielerensemble selbst für kleinste Nebenrollen, darunter der herrlich bärbeißige Dustin Hoffman ("Die Unbestechlichen") als Barneys Vater, Minnie Driver ("Das Phantom der Oper") als seine überdrehte zweite Frau und Scott Speedman ("Underworld") als sein leichtlebiger bester Freund Boogie. Und allen voran natürlich die zauberhafte Rosamund Pike, die Barneys Besessenheit mit der von ihr verkörperten Miriam absolut nachvollziehbar macht. Außerdem haben einige der bekanntesten kanadischen Filmregisseure schöne Cameos im Film (z.B. David Cronenberg, Atom Egoyan und Denys Arcand, aber auch Richard J. Lewis selbst), was aber außerhalb Kanadas kaum jemand bemerken dürfte ...

Natürlich ist bei aller (berechtigten) Schwärmerei auch "Barney's Version" kein perfekter Film. Manchem Zuschauer ist das Erzähltempo gar zu gemächlich, andere werden trotz Giamattis Schauspielkunst nicht richtig warm mit Barney und/oder finden es (vermutlich genau deshalb) unglaubwürdig, wie viele Frauen sich in ihn verlieben. Das sind subjektive Eindrücke, die ich durchaus nachvollziehen kann – ohne sie jedoch zu teilen (zumal Barneys Anziehungskraft auf die Frauen auch mit der Subjektivität seiner durch die Alzheimer-Erkrankung beeinflussten Erzählungen erklärt werden könnte). Der einzige Kritikpunkt, den ich habe und der dem Film die absolute Höchstwertung versagt, ist, daß Regisseur Lewis in zwei oder drei entscheidenden Momenten den Fehler begeht, zu viel zu erklären. Gerade ein Werk wie "Barney's Version", das sich mit seiner ganzen Machart und der Geschichte, die es erzählt, eher an ein Arthouse-Publikum wendet, sollte einfach den Mut haben, es bei dezenten Hinweisen zu belassen und ansonsten sowohl auf die Aussagekraft des Gezeigten als auch auf die Intelligenz der Zuschauer zu vertrauen. Daß Lewis dies nicht wagt, ist in meinen Augen ein kleiner Makel.

Die einzige OSCAR-Nominierung für "Barney's Version" ging übrigens überraschenderweise nicht an Paul Giamatti, sondern an die Makeup-Abteilung. Wobei das so überraschend dann doch wieder nicht ist, denn so grandios Giamatti auch spielt, das Makeup kann da locker mithalten. Normalerweise stehen die Makeup-Artisten auch im Filmjournalismus nur einmal pro Jahr ein bißchen im Blickpunkt, eben zur OSCAR-Verleihung. Bei "Barney's Version" kann man aber selbst als ganz normaler Zuschauer ins Schwärmen geraten, denn speziell Giamattis Alters-Makeup ist schlicht und ergreifend das beste, das ich je in einem Film zu sehen bekam (das von Pike ist nicht ganz so überragend, aber ebenfalls sehr überzeugend).

Fazit: "Barney's Version" ist ein gemächlicher, ein anspruchsvoller Film, der nacheinander und gleichzeitig zum Mitfühlen, zum Träumen und zum Nachdenken anregt. Ein Film, der von einem großartigen Paul Giamatti, von einer betörenden Rosamund Pike und von ihrer beider sehr guten Schauspielkollegen lebt. Ebenso aber natürlich von den intelligenten, einfühlsamen Dialogen, von dramatischen Szenen wie auch von unzähligen kleinen, magischen Momenten. Ein Film zum Lachen und zum Weinen und ein Film, der gleich dreimal die unvergeßliche Musik des kanadischen Songpoeten Leonard Cohen verwendet. Kurzum: "Barney's Version" ist einfach schön.

Wertung: 9,5 Punkte (8,5 Punkte bei der Erstsichtung).

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