Regie: Martin Scorsese, Drehbuch: Eric Roth und Martin Scorsese,
Musik: Robbie Robertson
Darsteller: Leonardo
DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Jillian Dion, Tantoo
Cardinal, Cara Jade Myers, Scott Shepherd, Janae
Collins, Jason Isbell, John Lithgow,
William Belleau, Brendan Fraser, Tatanka Means, Pete Yorn, Tommy Schultz, Barry
Corbin, Sturgill Simpson, Ty Mitchell, Gary Basaraba, Elden Henson, Jack White, Larry Fessenden,
Martin Scorsese
FSK: 12, Dauer: 206
Minuten.
Als Ende des 19.
Jahrhunderts auf dem Stammesgebiet der Osage große Mengen Öl
gefunden werden, schwimmen die Stammesmitglieder fortan im Reichtum –
und ziehen damit natürlich auch jede Menge Weiße an, die sich auf
die eine oder andere Weise bereichern wollen. Als der Weiße Ernest
Burkhart (Leonardo DiCaprio, "The Revenant") im Jahr 1919
aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, zieht er zu seinem Onkel
William "King" Hale (Robert De Niro, "Joker"),
der im Osage-Gebiet eine große Ranch besitzt – ohne
Ölzugang, dennoch ist Hale wohlhabend und bei den Osage wegen seiner
großzügigen Investitionen in die Gemeinschaft anerkannt und
beliebt. In Wirklichkeit geht es Hale allerdings primär darum, sich
den Reichtum der Osage auf illegale Weise anzueignen. Da kommt es
gerade recht, daß Ernest sich in die Osage Mollie (Lily Gladstone, "Certain Women")
verliebt – ermutigt von Hale heiraten sie bald und bekommen Kinder.
Um an Mollies gesamte, riesige Erbschaft zu gelangen, muß Hale
allerdings zuerst ihre Mutter und ihre Schwestern beseitigen. Hale
schreckt dafür auch vor Mord nicht zurück und spannt den
leicht beeinflußbaren Ernest und dessen Bruder Byron (Scott
Shepherd, "Jason Bourne") für sich ein. Irgendwann wird
der Staat auf die jahrelange Mordserie im Osage-Gebiet (die nicht
allein auf Hale zurückgeht) aufmerksam und schickt den Bundesagenten
Tom White (Jesse Plemons, "Game Night"), um der Sache auf
den Grund zu gehen ...
Kritik:
Nein,
man kann nicht wirklich behaupten, daß Martin Scorsese sich auf
seine alten Tage (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von "Killers of the Flower Moon" stand er kurz vor seinem 80. Geburtstag) kürzer faßt als zuvor. Eher im Gegenteil. Zwar
schuf der OSCAR-prämierte US-Filmemacher auch früher schon öfter
Filme mit einer Laufzeit von zweieinhalb bis drei Stunden ("New
York, New York", "Die letzte Versuchung Christi",
"GoodFellas", "Casino"), aber seit der
Jahrtausendwende kann er scheinbar kaum noch anders – von seinen
neun Werken seitdem blieben nur "Hugo Cabret" und (knapp)
"Shutter Island" unterhalb der 150 Minuten-Marke. Und seit
Scorsese die Streamingdienste als Finanziers für sich entdeckt hat,
geht er noch weiter: Nach der Netflix-Produktion "The
Irishman" (209 Minuten) ist der von AppleTV+ mitfinanzierte
"Killers of the Flower Moon" der zweite Film in Folge, der satte dreieinhalb Stunden dauert. Die Frage ist
natürlich, ob diese Länge berechtigt ist oder irgendwann nicht doch
zum Selbstzweck verkommt, weil heutzutage keiner mehr der Legende
Scorsese reinredet und dieser sich nicht so richtig zügeln kann?
Nunja, bei Filmen wie "The Irishman", "Silence"
oder "Aviator" ist die Laufzeit für mich berechtigt, "Gangs of
New York" hätte sogar noch länger sein müssen, um der
erzählten Geschichte vollauf gerecht zu werden. Der auf einem Sachbuch von David Grann basierende "Killers of the
Flower Moon" hingegen ist meines Erachtens zu lang
geworden, um gänzlich zu überzeugen.
Das
liegt nicht etwa daran, daß die zugrundeliegende wahre Geschichte
nicht genügend Stoff für dreieinhalb Stunden hergeben würde –
nein, Schuld ist Scorseses erzählerischer Ansatz. Denn die
vermeintlich zentrale Kriminalgeschichte spielt in Wirklichkeit eher
eine Nebenrolle, die Ermittlungen werden ziemlich kurz abgehandelt
(Plemons' Bundesagent taucht überhaupt erst nach zwei Stunden auf)
und der Gerichtsprozeß auch nicht viel ausführlicher. Stattdessen
geht es Scorsese darum, ein Sittenbild dieser Zeit und des sehr
speziellen Ortes zu zeichnen. Das gelingt ihm vortrefflich – wobei ich die Kritik einiger Indigener in den USA nachvollziehen kann,
daß mit Burkhart und Hale letztlich doch wieder zwei Weiße die
Hauptfiguren sind –, rechtfertigt für mich aber nicht die
Laufzeit von dreieinhalb Stunden, in denen letztlich gar nicht so
viel geschieht. Angesichts der Filmlänge dürfte es niemanden
überraschen, daß sich Martin Scorsese sehr viel Zeit nimmt, um dem
Publikum diese fremde Welt und Ära nahezubringen. Wir erfahren viel
über das Leben der Osage mit ihrem Reichtum und auch über die
Versuche der Weißen, daran auf legale oder illegale Weise
teilzuhaben. Dabei sticht King Hale zunächst positiv hervor, denn er
hat sich in die indigene Gemeinde integriert, spricht ihre Sprache, wird von ihr
akzeptiert und empfindet offensichtlich große Zuneigung für sie.
Umso erschreckender, aber auch faszinierender ist es, nach und nach
herauszufinden, daß Hale in Wirklichkeit ein gieriger Serienmörder
ist – auch wenn er die Morde nicht selbst begeht und
sich zudem in seiner größenwahnsinnigen Verblendung einredet, er
würde damit letztlich nur im Interesse der Osage
handeln. Wem dieser Absatz meiner Kritik arg spoilerlastig vorkommt, den kann ich übrigens beruhigen, denn fast alles Wesentliche wird (anders als in der Buchvorlage) bereits in der ersten halben Stunde offenbart.
Wie
beiläufig Scorsese uns dieses Wissen vermittelt und damit aus dem
charismatischen Hale und seinem etwas einfältigen, aber nicht
unsympathischen Neffen Ernest quasi im Vorbeigehen die Bösewichter
dieser Geschichte macht, ist definitiv beeindruckend. Natürlich
hilft es, daß die beiden Hauptfiguren von zwei der besten
Schauspieler ihrer jeweiligen Generation verkörpert werden, wobei
ich De Niros Leistung sogar noch ein klein wenig besser finde als
DiCaprios. Leider verwendet Scorsese weniger Mühe und Akribie
auf die Osage-Charaktere. Zwar spielen Mollie und ihre
Familie eine wichtige Rolle, aber letztlich kommt nur Mollie auf
einigermaßen vergleichbare Screentime wie Hale und Burkhart –, und
obwohl die für ihre Leistung vielfach ausgezeichnete Lily Gladstone
stark aufspielt, ist es selbst innerhalb der dreieinhalb Stunden
schwierig, sich Mollie wirklich nahezufühlen, weil sie die meiste
Zeit über alles stoisch erträgt und deshalb schlicht weniger
auffällt als ihre weißen Gegenparts. Problematisch ist zudem, daß trotz Überlänge gar nicht so viel geschieht in
"Killers of the Flower Moon". Wir verfolgen, wie Hale,
Ernest und ihre Kompagnons nach und nach Osage um die Ecke bringen, was aber
nicht übermäßig spannend oder aufregend inszeniert ist – wenn
auch jederzeit stilvoll –, und warten, bis irgendwann mal
irgendjemand etwas dagegen unternimmt. Auftritt Agent White, der
jedoch, wie bereits erwähnt, erheblich kürzer und unspektakulärer
ausfällt als man vermuten würde. Seine Ermittlungen gestalten sich
geradlinig und führen rasch zu einem Prozeß, der von
Scorsese ebenfalls recht beiläufig abgehandelt wird. Die Fakten des
Falls interessieren den legendären Filmemacher eben weniger als
seine teilweise abgründigen Hauptfiguren. Das ist völlig legitim und für ein
aufgeschlossenes Publikum faszinierend zu beobachten; zu einem Meisterwerk fehlt dann aber doch ein Stück, ist der ganze Film
etwas zu präzise kalkuliert und trotz einiger starker Szenen zu
wenig emotional.
Fazit:
"Killers of the Flower Moon" ist ein gut beobachtetes,
überlanges Sittenbild einer sehr speziellen Ära der US-Historie,
das sich aber etwas zu sehr auf seine Hauptfiguren konzentriert und
darob den Handlungs- und Spannungsbogen vernachlässigt.
Wertung:
7,5 Punkte.
David Grann: Killers of the Flower Moon
Killers of the Flower Moon (Soundtrack)
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