Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 12. Mai 2022

REPRISAL (2019, TV-Serie)

Regie: Jonathan van Tulleken, Cherie Nowlan, Eva Sørhaug und Salli Richardson-Whitfield, Drehbuch: Josh Corbin, Justin Boyd, Nate Crocker, Elizabeth Hunter, Adam Lash, Lisa Long, Salvatore Stabile und Cori Uchida, Musik: The Haxan Cloak
Darsteller: Abigail Spencer, Mena Massoud, Rodrigo Santoro, Rory Cochrane, Rhys Wakefield, Madison Davenport, Bethany Anne Lind, Craig Tate, Wavyy Jonez, Gilbert Owuor, Lea DeLaria, David Dastmalchian, W. Earl Brown, Blake Sheldon, Shane Callahan, Scarlett Blum, Bill Sage, Tamara Austin, Blake Perlman, Renes Rivera, Happy Anderson, Ron Perlman, Ray McKinnon
Reprisal (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 53% (6,7); FSK: 18, Dauer: ca. 505 Minuten in zehn Episoden
Als Doris Quinns (Abigail Spencer, "Die fantastische Welt von Oz") Ehemann Tommy (Ray McKinnon, TV-Serie "Mayans M.C.") krankheitsbedingt verstirbt, beschließt sie, sich nun einer unerledigten Aufgabe aus ihrer Vergangenheit zu widmen. In Wirklichkeit heißt Doris nämlich Katherine Harlow und war etwa eineinhalb Jahrzehnte vorher ein Mitglied der von ihrem großen Bruder Burt (Rory Cochrane, "Oculus") angeführten kriminellen Autogang der Brawlers. Doch dann betrog Burt Katherine, hängte ihr einen Verrat an, den in Wirklichkeit er beging, und ließ ihren geschundenen, vermeintlich toten Körper achtlos zurück. Hierfür sinnt Doris / Katherine nach Rache an Burt sowie seinen engsten Vertrauten Joel (Rodrigo Santoro, "300") und Bash (Gilbert Owuor, TV-Serie "Goliath"). Zu diesem Zweck schleust Doris den jungen Ethan (Mena Massoud, "Aladdin") bei den Brawlers ein, der in dem von ihr geleiteten Restaurant gearbeitet hatte und nach einem Zwischenfall auf der Flucht vor der Polizei ist. Während Ethan sich rasch bei den Brawlers einlebt – wobei er selbst an der Seite der etablierten Matty (Rhys Wakefield, "The Purge") und Johnson (David Dastmalchian, "The Suicide Squad") zunächst ein "Phoenix" wird, quasi die Vorstufe zu den Brawlers – macht sich Doris auf die Suche nach Verstärkung und wird nicht nur unerwarteterweise bei Molly (Bethany Anne Lind, TV-Serie "Doom Patrol"), der Witwe ihres Ziehsohnes, fündig, sondern durch einen glücklichen Zufall auch bei den beiden tatkräftigen afroamerikanischen Veteranen Earl (Craig Tate, "Greyhound") und Cordell (Wavyy Jonez, TV-Serie "Dickinson"). Daß außerdem durch einen vermeintlich harmlosen Zwischenfall die Fehde zwischen den Brawlers und der rivalisierenden Bikergang der "Happiness Ghouls" wiederauflebt, kommt Doris durchaus zupaß ...


Kritik:
Ich habe dieses Blog vor rund zehn Jahren begonnen, um alle Filme ausführlich zu besprechen, die ich als eifriger Kinogänger auf der großen Leinwand gesehen habe – daher logischerweise der Name "Der Kinogänger". Hundertprozentig korrekt war der noch nie, denn um mein Blog regelmäßig befüllen zu können, habe ich neben News, TV-Tips, Berichterstattung rund um die Awards Season und Kinovorschauen auch gelegentlich über Filme geschrieben, die ich im TV gesehen habe, darunter etliche Klassikerrezensionen. In Pandemiezeiten nahmen schließlich Streaming-Filme bei meinen Kritiken überhand, da ich als vorsichtiger Mensch nur bis zu einer gewissen Corona-Inzidenzgrenze freiwillig den öffentlichen Nahverkehr nutze (auf den ich, um zum Kino zu kommen, angewiesen bin). Was bei "Der Kinogänger" keine große Rolle spielt, sind TV-Serien obwohl ich seit jeher ein großer Serienfan bin. Jedoch fand ich es nie wirklich sinnvoll, ganze Serienstaffeln in einer Kritik abzuhandeln oder alternativ jede einzelne Episode zu besprechen – daher rezensiere ich Serien fast nur dann, wenn ich ein mich interessierendes Rezensionsexemplar angeboten bekomme (z.B. "Poldark"). Die einzige Ausnahme mache ich für (Mini-)Serien, die mich richtig begeistert haben, aber größtenteils unbekannt sind und daher mehr Aufmerksamkeit verdient haben. Bislang war das genau einmal der Fall, nämlich bei der grandiosen britischen Miniserie "River" mit Stellan Skarsgård – jetzt kommt "Reprisal" dazu. Denn die von Josh Corbin (TV-Serie "Startup") ersonnene Pulp-Serie ist ziemlich einzigartig und sucht im Seriengeschäft Ihresgleichen, wiewohl aus dem Filmbereich einige Inspirationsquellen erkennbar sind: "Reprisal" wirkt wie eine abgefahrene Mischung aus "Drive" und "Bad Times at the El Royale" mit starken Tarantino-Einflüssen.

Beim US-Pay-TV-Sender Hulu floppte diese ungewöhnliche Mischung und wurde nach einer Staffel abgesetzt, was mich absolut nicht überrascht – selbst für die Verhältnisse des durchaus mutigen Hulu (zu dessen Serien u.a. "The Handmaid's Tale", "Dopesick" und "High Fidelity" zählen) ist "Reprisal" einfach zu abgedreht, um ein größeres Publikum erreichen zu können, zumal mit ziemlich mittelmäßigen Kritiken. Aber was soll ich sagen? Ich habe mich bereits nach wenigen Minuten in dieses so stylishe wie kompromißlose Pulp-Actionabenteuer verliebt und an dieser Liebe hat sich in den rund 500 Minuten der einzigen Staffel nichts geändert! Das genaue zeitliche Setting von "Reprisal" ist schwer zu identifizieren, da die Story offensichtlich nicht den Anspruch hat, fest in der Realität verankert zu sein, sondern alle möglichen Elemente kombiniert. So dürften die aufgemotzten Oldtimer der Brawlers den 1930er Jahren entstammen, während die rivalisierende Bikergang der Ghouls eher zur "Easy Rider"-Ära in den 1960er oder 1970er Jahren paßt, der generelle Look und die Musik aber an die 1950er Jahre erinnern. Dazu gibt es Klapphandys aus der Zeit um die Jahrtausendwende herum, ein Song aus der "Rocky Horror (Picture) Show" (1970er Jahre) spielt in der vorletzten Episode eine wichtige Rolle und Earl und Cordell sind Veteranen eines Krieges, der mir anhand der genannten Stichworte eher der Zweite Weltkrieg als der Vietnam-Krieg zu sein scheint. Kurzum: Es ist ein riesengroßer Mischmasch (allein der Schauplatz sollte relativ eindeutig mit "irgendwo in den US-Südstaaten" zu benennen sein), der ein außergewöhnliches, einzigartiges Gesamtbild ergibt und jedenfalls für mich bemerkenswert gut funktioniert.

"Reprisal" umfaßt zahlreiche Storystränge, die naturgemäß nicht alle gleich gut funktionieren. Den größten Raum nehmen Doris' Vorbereitung ihrer Rache und Ethans Einführung bei den Brawlers ein. Doris' Geschichte macht viel Spaß, sie erinnert ein wenig an die Braut in den "Kill Bill"-Filmen und wird von Abigail Spencer überzeugend verkörpert. Sie bringt die nötige Coolneß für eine so abgebrühte Femme fatale-Rolle mit, läßt jedoch auch immer wieder eine gewisse Verletzlichkeit durchschimmern, die sie für das Publikum trotz ihrer mitleidlosen Rachepläne zu einer guten Identifikationsfigur macht. Zugegebenermaßen wirkt auf ihrer (Anti-)Heldinnenreise nicht alles immer ganz glaubwürdig, so ist etwa nur bedingt nachvollziehbar, wie schnell sie die Loyalität von Earl und Cordell gewinnt. Wenn sich einer der beiden in sie verlieben würde, okay, aber Earl ist ziemlich glücklich verheiratet und Cordell interessiert sich eher für Molly ... Auch deren Entwicklung von der unterdrückten Hausfrau zum absoluten Badass strotzt nicht gerade vor Realitätsnähe, ist dafür aber umso unterhaltsamer und sorgt für einige Krachermomente – und seien wir ehrlich: Realitätsnähe ist sehr offensichtlich (neben Subtilität) so ziemlich das Letzte, was die Serienmacher im Sinn hatten, insofern kann man ihnen ihr Fehlen wohl kaum ernsthaft vorwerfen. Dennoch wirkt Ethans Handlungsstrang etwas runder, was allerdings damit zusammenhängt, daß er deutlich linearer vonstattengeht. Bei Ethan wird glaubwürdig erklärt, wieso das Leben bei den Brawlers nach anfänglicher Skepsis einen immer größeren Reiz auf ihn ausübt, gerade die ihm bislang unbekannte Kameradschaft mit Matty und Johnson (lässig verkörpert von David Dastmalchian, dem Spezialisten für denkwürdige Nebenrollen) gefällt ihm sehr.

Weitere, kleinere Storyfäden fallen etwas zu kurz aus, um gänzlich überzeugen zu können, fügen sich insgesamt aber trotzdem gut ins Gesamtbild ein – das gilt etwa für Burts Tochter Meredith (Madison Davenport, TV-Serie "From Dusk Till Dawn: The Series"), die gerne aus der kriminellen Welt, in der sie aufgewachsen ist, ausbrechen will und Ethans Interesse weckt; aber auch für die Geschichte von Burts sympathischem Stellvertreter Joel (Rodrigo Santoro), der in dessen Abwesenheit der eigentliche Anführer ist und damit zu kämpfen hat, das mit der Sorge um seine mit einer ausgesprochen regen Phantasie gesegneten Tochter Lyla (Scarlett Blum, TV-Serie "The Outsider") zu verbinden. Burt selbst bleibt relativ lange ein Phantom und spielt erst in der zweiten Serienhälfte eine größere Rolle. Seine Motivation für den Verrat an seiner Schwester wirkt ziemlich klischee- und alibihaft, Rory Cochrane verkörpert ihn jedoch geheimnisvoll und charismatisch genug, um als Antagonist gut zu funktionieren, wobei etliche kurze Rückblenden dem Publikum ein immer genaueres Bild dessen liefern, was seinerzeit genau vorgefallen ist. Generell zählt die Besetzung zu den vielen Stärken von "Reprisal", auch kleinere Rollen gefallen mit so prominenten und prägnanten Schauspielern wie Ron "Hellboy" Perlman (als Gangsterboß mit Verbindung zu Doris' Ehemann) oder dem "Orange is the New Black"-Star Lea DeLaria (als Teil von Burts Führungsriege). Negativ fallen ein paar Längen im Mittelteil ins Gewicht, alles in allem bleibt das Erzähltempo aber stets hoch genug. "Reprisal" war nicht von vornherein als Miniserie geplant, funktioniert als solche aber durchaus. Es bleiben einige offene Enden, aber die Hauptstory um Doris' Rache wird weitestgehend abgeschlossen. Zwar wäre es zweifellos sehr interessant zu erfahren, wie es mit den überlebenden Figuren weitergeht, doch auch so kann man "Reprisal" ein hinreichend rundes Ende attestieren.

Fazit: "Reprisal" ist eine ebenso kurzlebige wie einzigartige TV-Serie in der Art von "Kill Bill" und "Drive", die eine actionreiche und äußerst stilvolle, obgleich wenig subtile Rachegeschichte erzählt.

Wertung: 9 Punkte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen