Regie: Philipp Stölzl, Drehbuch: Eldar Grigorian, Musik: Ingo
Frenzel
Darsteller: Oliver
Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Rolf Lassgård,
Samuel Finzi, Andreas Lust, Johannes Zeiler, Markus Schleinzer,
Clemens Berndorff, Joel Basman, Moritz von Treuenfels, Alexander
Khuon
FSK: 12, Dauer: 112
Minuten.
Wien, 1938: Am
Vorabend des österreichischen "Anschlusses" an
Nazi-Deutschland machen sich der renommierte Notar Josef Bartok
(Oliver Masucci, "Werk ohne Autor") und seine Frau Anna
(Birgit Minichmayr, "Nur Gott kann mich richten") relativ
wenig Sorgen – immerhin steht die Volksabstimmung über den
"Anschluß" unmittelbar bevor und Josef ist zuversichtlich, daß
der ganze Nazi-Spuk in Österreich anschließend ein Ende hat. Das Bild auf
den von stolzen Nazi-Gruppen dominierten Straßen spricht jedoch
eine andere Sprache, dennoch lassen sich die Bartoks nicht vom Besuch
einer glamourösen Veranstaltung abhalten. Dort allerdings erhält
Josef von einem gut vernetzten Freund die dringende Warnung, er und
Anna sollten noch diese Nacht das Land verlassen, denn noch vor der
Abstimmung werde der "Anschluß" vollzogen und Josef stehe
auf einer Nazi-Liste von Personen, die dringend "befragt"
werden sollen. Josef hält die Warnung seines Freundes für
übertrieben, entscheidet sich schließlich aber doch dazu, sie
zu befolgen – aber zuvor will er noch wichtige Dokumente
vernichten, die den Nazis nicht in die Hände fallen sollen. Genau
dabei wird er von der Gestapo erwischt und in einem Hotelzimmer
inhaftiert. Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch, "Die
Vermessung der Welt") will von ihm die Kontonummern reicher
Österreicher wissen, deren Vermögen Josef verwaltet und die nun des Nazis zwangsweise bei den Kriegsvorbereitungen helfen sollen – Josef widersteht der zumeist psychischen Folter allerdings lange. Seine einzige
Ablenkung in der Isolation des Hotelzimmers ist ein Büchlein mit den
Notationen berühmter Schachpartien, von denen er bald regelrecht besessen ist ...
Kritik:
Man
sollte meinen, Schach wäre nicht unbedingt eine telegene
Sportart – immerhin dauern normale Partien Stunden und alles,
was die Spieler tun, ist, ihre Figuren auf dem Schachbrett zu
bewegen. Nicht gerade aufregend, denn die gesamte "Action"
findet gewissermaßen in den Köpfen der beiden Spieler statt, in denen
sie unzählige Strategien durchgehen und möglichst viele Züge
vorausahnen müssen. Dennoch gab es über die Jahrzehnte hinweg
einige Kino- und TV-Produktionen, in denen Schach eine tragende Rolle spielt. Der wahrscheinlich berühmteste und beste "Schachfilm"
ist Ingmar Bergmans Schwarzweiß-Meisterwerk "Das
siebente Siegel" (1957), in dem Max von Sydow als desillusioniert von den
Kreuzzügen zurückgekehrter Ritter mit
dem Tod höchstpersönlich um sein Leben spielt. Nicht ganz so
existentialistisch geht es in Wolfgang Petersens "Schwarz
und weiß wie Tage und Nächte" (1979) mit Bruno Ganz als
fanatischem Schachspieler zu, während der schweizerisch-französische
Politthriller "Duell ohne Gnade" (1984) mit Michel Piccoli
die Rolle von Schach im Kalten Krieg beleuchtet.
Christopher Lambert gerät derweil im Thriller "Knight Moves"
(1992) als Schachgroßmeister in Mordverdacht und John Turturro
leidet als mental angeschlagenes Schachgenie in der Nabokov-Verfilmung
"Lushins Verteidung" (2000). Sandrine Bonnaire ist "Die
Schachspielerin" (2009), Ed Zwicks "Bauernopfer"
(2014) erzählt von der wichtigsten Partie des US-Schachweltmeisters
Bobby Fischer (Tobey Maguire) und in Mira Nairs "Queen of Katwe"
(2016) wird die wahre Geschichte eines jungen Schach-Wunderkinds aus
Uganda nacherzählt. Und dann ist da natürlich noch die vielfach preisgekrönte
Netflix-Miniserie "Das Damengambit" mit Anya Taylor-Joy,
die zu einem weltweiten Phänomen wurde und den Schachvereinen viele
neue Mitglieder einbrachte. Philipp Stölzls ("Der Medicus")
Adaption von Stefan Zweigs nach der Nazi-Machtergreifung in seiner
österreichischen Heimat im brasilianischen Exil verfaßten
"Schachnovelle" befindet sich also in guter Gesellschaft
und ist trotz Schwächen in der zweiten Hälfte eine würdige
Ergänzung.
Natürlich
ist das Schachspiel in "Schachnovelle" in erster Linie ein
Stellvertreter – es steht u.a. für das Psychoduell
zwischen Josef und dem Gestapo-Mann Böhm, welcher zahlreiche Tricks
anwendet, um ihn (und weitere Gefangene) zum Reden zu bringen. Und
Josef, der sich Böhm gegenüber zunächst noch abfällig dem
Schachspiel gegenüber äußert, muß einen Weg finden, in der wohl
monatelangen Isolation (selbst die genaue Zeitspanne enthält Böhm
seinem Opfer vor) irgendwie standhaft und mental halbwegs gesund
zu bleiben – ein verzweifeltes Vorhaben, an dem er vermutlich
scheitern würde, bekäme er nicht dieses Büchlein mit
Schach-Notationen in die Hände, die er dank eines ausgezeichneten
Gedächtnisses schnell auswendig lernt. Der größte Trumpf, mit dem
"Schachnovelle" aufwartet, ist ohne jede Frage sein
Hauptdarsteller: Oliver Masucci gelingt es ausgezeichnet, die
verschiedenen Stadien, die Josef durchläuft, zu verkörpern. Spielt
er den Notar aus der gehobenen Gesellschaft zunächst als
charismatischen, etwas überheblichen Mann mit typischem Wiener
Schmäh, transportiert er nach der Verhaftung die Furcht und die
zunehmende Verzweiflung äußerst überzeugend und gibt in einer
zweiten Zeitebene auch den zutiefst traumatisierten, manischen, gebrochen und
kaum lebenstauglich erscheinenden Überlebenden mit voller
Inbrunst (jawohl, das Publikum weiß von Anfang an, daß Josef die Haft überlebt und wieder freikommt). Dabei mag er gegen Ende dem Overacting gefährlich
nahekommen, aber insgesamt liefer Oliver Masucci eine preiswürdige Leistung ab.
Besagte
zweite Zeitebene wirkt derweil anfangs wie eine Rahmenhandlung, in
welcher Josef nach seinem Freikommen einen Dampfer gen Amerika besteigt. Doch in der zweiten Hälfte rückt
dieser Handlungsstrang immer stärker in den Vordergrund, als Josef
herausfindet, daß der Schiffseigner Owen McConnor (Rolf Lassgård,
"Ein Mann namens Ove") zur Unterhaltung der Passagiere den
bulgarischen Schachweltmeister angeheuert hat und dieser gegen jeden
antritt, der gegen ihn spielen will. Gegen Ende des Films und vor
allem im Finale laufen diese beiden Zeitebenen quasi parallel, was
auch mit Josefs mentalen Problemen zusammenhängt. Bedauerlicherweise
funktioniert dieser Kniff in meinen Augen nicht so richtig, gerade
das Duell des nur noch schwer Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden
könnenden Josef gegen den (bezeichnenderweise ebenfalls von Albrecht
Schuch verkörperten) Weltmeister als Klimax der Handlung fällt eher
enttäuschend aus. Das hängt natürlich damit zusammen, daß es
nunmal wirklich schwierig ist, ein Schachspiel in einem Film spannend
darzustellen, idealerweise so, daß es sogar Nicht-Schachspieler
verstehen. "Schachnovelle" versucht das – anders als etwa
"Das Damengambit" – gar nicht erst und geht kaum auf die
Schachzüge und Strategien ein, womit kaum Spannung aufkommt. Die
soll durch das Verschwimmen der Zeitebenen generiert werden, das
Josefs Schachduell mit seinem "Verhör"-Duell mit Böhm
gleichsetzt, aber das ist nicht allzu überzeugend umgesetzt und
droht phasenweise sogar, ins unfreiwillig Komische abzudriften. Masuccis
(und auch Schuchs) Schauspielkunst verhindert das, aber zweifellos
ist die zweite Hälfte von "Schachnovelle" deutlich
schwächer als die erste.
In beiden Hälften begeistert die edle Hochglanzoptik der von
Kameramann Thomas W. Kiennast eingefangenen Bilder und zu Beginn verfolgt man
Josefs Tour de Force gespannt und mit viel Mitgefühl. Irgendwann
wird aber klar, worauf alles hinausläuft, Josefs Leiden in diesem
zur Gefängniszelle umfunktionierten Hotelzimmer wird repetitiv und
verliert zunehmend an Wirkung. Ich habe die literarische
Vorlage nicht gelesen, aber das Problem des Films dürfte ziemlich
sicher daran liegen, daß sich Böhms psychologische
Foltermethoden in der Gedankenwelt der handelnden Akteure im Buch
viel leichter nachvollziehen läßt als in dem vorwiegend visuellen
Medium Film. Der Spannung abträglich ist außerdem, daß
der Gestapo-Mann Böhm bei aller Entschlossenheit und schlecht
verschleierten Bösartigkeit keinen starken Bösewicht abgibt. Dieser
Böhm ist eher ein Nazis jener Art, die Hannah Arendt berühmterweise
zu ihrem Zitat von der "Banalität des Bösen" inspirierte,
eher gewissenloser Buchhaltertyp als ein dämonischer Widersacher
á la Christoph Waltz als Hans Landa in Tarantinos "Inglourious
Basterds". Damit mag Böhm ein realistischer Antagonist sein, in
dramaturgischer Hinsicht ist er aber einfach zu bieder. Das ist
übrigens nicht die Schuld von Darsteller Albrecht Schuch, der seine
Sache gut macht, sondern offensichtlich der Figur geschuldet. Bevor
das aber zu negativ klingt: Philipp Stölzl ist mit "Schachnovelle"
zweifellos ein guter Film gelungen, der äußerst edel aussieht und
klingt und Hauptdarsteller Masucci die Gelegenheit gibt, sein ganzes
Können zu zeigen – nur kann er die erzählerische Qualität nicht
ganz halten und endet recht unspektakulär.
Fazit:
"Schachnovelle" ist ein lange Zeit spannendes historisches
psychologisches Drama mit einem starken Hauptdarsteller, läßt in der
zu unfokussierten zweiten Hälfte aber zunehmend nach.
Wertung:
7,5 Punkte.
"Schachnovelle" ist am 10. März 2022 von STUDIOCANAL auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden. Als Bonusmaterial gibt es neben dem Trailer leider nur drei jeweils unter zweiminütige Mini-Featurettes. Ein Rezensionsexemplar wurde mir netterweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
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