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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 17. März 2022

SCHACHNOVELLE (2021)

Regie: Philipp Stölzl, Drehbuch: Eldar Grigorian, Musik: Ingo Frenzel
Darsteller: Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Rolf Lassgård, Samuel Finzi, Andreas Lust, Johannes Zeiler, Markus Schleinzer, Clemens Berndorff, Joel Basman, Moritz von Treuenfels, Alexander Khuon
Schachnovelle (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: -; weltweites Einspielergebnis: $0,8 Mio.
FSK: 12, Dauer: 112 Minuten.
Wien, 1938: Am Vorabend des österreichischen "Anschlusses" an Nazi-Deutschland machen sich der renommierte Notar Josef Bartok (Oliver Masucci, "Werk ohne Autor") und seine Frau Anna (Birgit Minichmayr, "Nur Gott kann mich richten") relativ wenig Sorgen – immerhin steht die Volksabstimmung über den "Anschluß" unmittelbar bevor und Josef ist zuversichtlich, daß der ganze Nazi-Spuk in Österreich anschließend ein Ende hat. Das Bild auf den von stolzen Nazi-Gruppen dominierten Straßen spricht jedoch eine andere Sprache, dennoch lassen sich die Bartoks nicht vom Besuch einer glamourösen Veranstaltung abhalten. Dort allerdings erhält Josef von einem gut vernetzten Freund die dringende Warnung, er und Anna sollten noch diese Nacht das Land verlassen, denn noch vor der Abstimmung werde der "Anschluß" vollzogen und Josef stehe auf einer Nazi-Liste von Personen, die dringend "befragt" werden sollen. Josef hält die Warnung seines Freundes für übertrieben, entscheidet sich schließlich aber doch dazu, sie zu befolgen – aber zuvor will er noch wichtige Dokumente vernichten, die den Nazis nicht in die Hände fallen sollen. Genau dabei wird er von der Gestapo erwischt und in einem Hotelzimmer inhaftiert. Gestapo-Mann Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch, "Die Vermessung der Welt") will von ihm die Kontonummern reicher Österreicher wissen, deren Vermögen Josef verwaltet und die nun des Nazis zwangsweise bei den Kriegsvorbereitungen helfen sollen – Josef widersteht der zumeist psychischen Folter allerdings lange. Seine einzige Ablenkung in der Isolation des Hotelzimmers ist ein Büchlein mit den Notationen berühmter Schachpartien, von denen er bald regelrecht besessen ist ...

Kritik:
Man sollte meinen, Schach wäre nicht unbedingt eine telegene Sportart – immerhin dauern normale Partien Stunden und alles, was die Spieler tun, ist, ihre Figuren auf dem Schachbrett zu bewegen. Nicht gerade aufregend, denn die gesamte "Action" findet gewissermaßen in den Köpfen der beiden Spieler statt, in denen sie unzählige Strategien durchgehen und möglichst viele Züge vorausahnen müssen. Dennoch gab es über die Jahrzehnte hinweg einige Kino- und TV-Produktionen, in denen Schach eine tragende Rolle spielt. Der wahrscheinlich berühmteste und beste "Schachfilm" ist Ingmar Bergmans Schwarzweiß-Meisterwerk "Das siebente Siegel" (1957), in dem Max von Sydow als desillusioniert von den Kreuzzügen zurückgekehrter Ritter mit dem Tod höchstpersönlich um sein Leben spielt. Nicht ganz so existentialistisch geht es in Wolfgang Petersens "Schwarz und weiß wie Tage und Nächte" (1979) mit Bruno Ganz als fanatischem Schachspieler zu, während der schweizerisch-französische Politthriller "Duell ohne Gnade" (1984) mit Michel Piccoli die Rolle von Schach im Kalten Krieg beleuchtet. Christopher Lambert gerät derweil im Thriller "Knight Moves" (1992) als Schachgroßmeister in Mordverdacht und John Turturro leidet als mental angeschlagenes Schachgenie in der Nabokov-Verfilmung "Lushins Verteidung" (2000). Sandrine Bonnaire ist "Die Schachspielerin" (2009), Ed Zwicks "Bauernopfer" (2014) erzählt von der wichtigsten Partie des US-Schachweltmeisters Bobby Fischer (Tobey Maguire) und in Mira Nairs "Queen of Katwe" (2016) wird die wahre Geschichte eines jungen Schach-Wunderkinds aus Uganda nacherzählt. Und dann ist da natürlich noch die vielfach preisgekrönte Netflix-Miniserie "Das Damengambit" mit Anya Taylor-Joy, die zu einem weltweiten Phänomen wurde und den Schachvereinen viele neue Mitglieder einbrachte. Philipp Stölzls ("Der Medicus") Adaption von Stefan Zweigs nach der Nazi-Machtergreifung in seiner österreichischen Heimat im brasilianischen Exil verfaßten "Schachnovelle" befindet sich also in guter Gesellschaft und ist trotz Schwächen in der zweiten Hälfte eine würdige Ergänzung.

Natürlich ist das Schachspiel in "Schachnovelle" in erster Linie ein Stellvertreter – es steht u.a. für das Psychoduell zwischen Josef und dem Gestapo-Mann Böhm, welcher zahlreiche Tricks anwendet, um ihn (und weitere Gefangene) zum Reden zu bringen. Und Josef, der sich Böhm gegenüber zunächst noch abfällig dem Schachspiel gegenüber äußert, muß einen Weg finden, in der wohl monatelangen Isolation (selbst die genaue Zeitspanne enthält Böhm seinem Opfer vor) irgendwie standhaft und mental halbwegs gesund zu bleiben – ein verzweifeltes Vorhaben, an dem er vermutlich scheitern würde, bekäme er nicht dieses Büchlein mit Schach-Notationen in die Hände, die er dank eines ausgezeichneten Gedächtnisses schnell auswendig lernt. Der größte Trumpf, mit dem "Schachnovelle" aufwartet, ist ohne jede Frage sein Hauptdarsteller: Oliver Masucci gelingt es ausgezeichnet, die verschiedenen Stadien, die Josef durchläuft, zu verkörpern. Spielt er den Notar aus der gehobenen Gesellschaft zunächst als charismatischen, etwas überheblichen Mann mit typischem Wiener Schmäh, transportiert er nach der Verhaftung die Furcht und die zunehmende Verzweiflung äußerst überzeugend und gibt in einer zweiten Zeitebene auch den zutiefst traumatisierten, manischen, gebrochen und kaum lebenstauglich erscheinenden Überlebenden mit voller Inbrunst (jawohl, das Publikum weiß von Anfang an, daß Josef die Haft überlebt und wieder freikommt). Dabei mag er gegen Ende dem Overacting gefährlich nahekommen, aber insgesamt liefer Oliver Masucci eine preiswürdige Leistung ab.

Besagte zweite Zeitebene wirkt derweil anfangs wie eine Rahmenhandlung, in welcher Josef nach seinem Freikommen einen Dampfer gen Amerika besteigt. Doch in der zweiten Hälfte rückt dieser Handlungsstrang immer stärker in den Vordergrund, als Josef herausfindet, daß der Schiffseigner Owen McConnor (Rolf Lassgård, "Ein Mann namens Ove") zur Unterhaltung der Passagiere den bulgarischen Schachweltmeister angeheuert hat und dieser gegen jeden antritt, der gegen ihn spielen will. Gegen Ende des Films und vor allem im Finale laufen diese beiden Zeitebenen quasi parallel, was auch mit Josefs mentalen Problemen zusammenhängt. Bedauerlicherweise funktioniert dieser Kniff in meinen Augen nicht so richtig, gerade das Duell des nur noch schwer Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden könnenden Josef gegen den (bezeichnenderweise ebenfalls von Albrecht Schuch verkörperten) Weltmeister als Klimax der Handlung fällt eher enttäuschend aus. Das hängt natürlich damit zusammen, daß es nunmal wirklich schwierig ist, ein Schachspiel in einem Film spannend darzustellen, idealerweise so, daß es sogar Nicht-Schachspieler verstehen. "Schachnovelle" versucht das – anders als etwa "Das Damengambit" – gar nicht erst und geht kaum auf die Schachzüge und Strategien ein, womit kaum Spannung aufkommt. Die soll durch das Verschwimmen der Zeitebenen generiert werden, das Josefs Schachduell mit seinem "Verhör"-Duell mit Böhm gleichsetzt, aber das ist nicht allzu überzeugend umgesetzt und droht phasenweise sogar, ins unfreiwillig Komische abzudriften. Masuccis (und auch Schuchs) Schauspielkunst verhindert das, aber zweifellos ist die zweite Hälfte von "Schachnovelle" deutlich schwächer als die erste.

In beiden Hälften begeistert die edle Hochglanzoptik der von Kameramann Thomas W. Kiennast eingefangenen Bilder und zu Beginn verfolgt man Josefs Tour de Force gespannt und mit viel Mitgefühl. Irgendwann wird aber klar, worauf alles hinausläuft, Josefs Leiden in diesem zur Gefängniszelle umfunktionierten Hotelzimmer wird repetitiv und verliert zunehmend an Wirkung. Ich habe die literarische Vorlage nicht gelesen, aber das Problem des Films dürfte ziemlich sicher daran liegen, daß sich Böhms psychologische Foltermethoden in der Gedankenwelt der handelnden Akteure im Buch viel leichter nachvollziehen läßt als in dem vorwiegend visuellen Medium Film. Der Spannung abträglich ist außerdem, daß der Gestapo-Mann Böhm bei aller Entschlossenheit und schlecht verschleierten Bösartigkeit keinen starken Bösewicht abgibt. Dieser Böhm ist eher ein Nazis jener Art, die Hannah Arendt berühmterweise zu ihrem Zitat von der "Banalität des Bösen" inspirierte, eher gewissenloser Buchhaltertyp als ein dämonischer Widersacher á la Christoph Waltz als Hans Landa in Tarantinos "Inglourious Basterds". Damit mag Böhm ein realistischer Antagonist sein, in dramaturgischer Hinsicht ist er aber einfach zu bieder. Das ist übrigens nicht die Schuld von Darsteller Albrecht Schuch, der seine Sache gut macht, sondern offensichtlich der Figur geschuldet. Bevor das aber zu negativ klingt: Philipp Stölzl ist mit "Schachnovelle" zweifellos ein guter Film gelungen, der äußerst edel aussieht und klingt und Hauptdarsteller Masucci die Gelegenheit gibt, sein ganzes Können zu zeigen – nur kann er die erzählerische Qualität nicht ganz halten und endet recht unspektakulär.

Fazit: "Schachnovelle" ist ein lange Zeit spannendes historisches psychologisches Drama mit einem starken Hauptdarsteller, läßt in der zu unfokussierten zweiten Hälfte aber zunehmend nach.

Wertung: 7,5 Punkte.
 
 
"Schachnovelle" ist am 10. März 2022 von STUDIOCANAL auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden. Als Bonusmaterial gibt es neben dem Trailer leider nur drei jeweils unter zweiminütige Mini-Featurettes. Ein Rezensionsexemplar wurde mir netterweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.

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