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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 25. August 2021

JOJO RABBIT (2019)

Regie und Drehbuch: Taika Waititi, Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Sam Rockwell, Taika Waititi, Archie Yates, Rebel Wilson, Stephen Merchant, Alfie Allen
Jojo Rabbit (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 80% (7,6); weltweites Einspielergebnis: $90,3 Mio.
FSK: 12, Dauer: 108 Minuten.
Deutschland im Jahr 1945: In der Kleinstadt Falkenheim lebt der 10-jährige Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), genannt Jojo, mit seiner Mutter Rosie (Scarlett Johansson, "Marriage Story"). Jojo und sein bester Freund Yorki (Archie Yates) sind begeisterte Nazis, die es gar nicht abwarten können, ihrem Land im Krieg zu dienen – bei Jojo geht die Begeisterung so weit, daß Adolf Hitler (Taika Waititi) höchstpersönlich sein imaginärer Freund und emotionaler Cheerleader ist. Aufgrund eines Zwischenfalls bei einem von dem kriegsversehrten Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell, "Three Billboards ...") und Fräulein Rahm (Rebel Wilson, "Pitch Perfect") geleiteten paramilitärischen Jugendlager gerät Jojos Kriegslaufbahn allerdings schnell ins Stocken und anstatt Soldat zu spielen, soll er zunächst für Klenzendorf Botengänge und Ähnliches erledigen. Unterdessen findet Jojo heraus, daß seine Mutter auf dem Dachboden die Jüdin Elsa (Thomas McKenzie, "The King") versteckt, die ein paar Jahre älter ist als er. Nach dem ersten Schreck beschließt Jojo zum Unwillen des imaginären Hitler, Elsa nicht zu verraten – immerhin wirkt sie gar nicht so furchterregend wie in der Nazi-Propaganda – und sie vielmehr besser kennenzulernen …
 
Kritik:
Die Anzahl neuseeländischer Filmemacher von Weltrang ist überschaubar. Klar, es gibt Peter Jackson ("Der Herr der Ringe"), Jane Campion ("Das Piano"), Andrew Niccol ("Gattaca"), Niki Caro ("Mulan"), Roger Donaldson ("Thirteen Days") und Martin Campbell ("Casino Royale"), aber dann wird es schon eng. Wenn es um neuseeländische Regisseure mit Maori-Wurzeln geht, bleibt eigentlich nur noch Lee Tamahori ("Stirb an einem anderen Tag") übrig – und Taika Waititi. Dessen Karriere entwickelte sich relativ langsam, jedoch bilderbuchmäßig in kleinen Schritten. Er begann in den 1990er Jahren als Comedian, ging dann um die Jahrtausendwende herum zum Film, wo er sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent tätig war. Außerhalb seiner Heimat nahmen davon wenige Notiz, doch das änderte sich mit ersten kleinen Indie-Erfolgen wie dem OSCAR-nominierten Kurzfilm "Two Cars, One Night" (2005), der von ihm inszenierten und geschriebenen skurrilen Komödie "Eagle vs. Shark – Liebe auf Neuseeländisch" (2007) und vor allem der musikalischen HBO-Serie "Flight of the Conchords", die im englischsprachigen Raum schnell Kultstatus entwickelte. Von hier an ging es immer steiler bergauf für Taika Waititi, der sich mit einer größeren Rolle im von seinem Landsmann Martin Campbell gedrehten Superhelden-Flop "Green Lantern" (2011) in Hollywood anmeldete und sich in seiner Heimat als Regisseur und Autor mit der gefeierten (und später zur TV-Serie umgearbeiteten) Vampir-Mockumentary "5 Zimmer Küche Sarg" (2014) und der höchst erfolgreichen Romanverfilmung "Wo die wilden Menschen jagen" (2016) endgültig zum Star entwickelte. Es schloß sich 2017 mit der Regie und einer Motion-Capture-Nebenrolle bei "Thor: Tag der Entscheidung" der Eintritt in den Olymp des kommerziellen Hollywood an, auf den zwei Jahre später mit der gewagten Zweiter Weltkriegs-Satire "Jojo Rabbit" sein erster OSCAR (für das Drehbuch) folgte. Rückschläge? Bislang Fehlanzeige! Und das ist auch gut so, denn mit seinem exzentrischen Humor sorgt Taika Waititi immer wieder für willkommene Abwechslung, so auch bei "Jojo Rabbit" – der konnte zwar nicht jeden Kritiker voll überzeugen, er kam beim Publikum jedoch hervorragend an und ist in der Tat eine sehr unterhaltsame schwarzhumorige Tragikomödie.
 
Dabei soll gleich betont werden, daß die Humorkomponente von "Jojo Rabbit" weniger stark ausgesprägt ist als das Prämisse, Trailer und Filmemacher vermuten ließen. Die witzigsten Szenen sind größtenteils bereits im Trailer enthalten, der Rest ist eher von einem lakonisch-absurden tragikomischen Tonfall geprägt – was angesichts des Kriegssettings sicherlich nicht das schlechteste ist. Aber man sollte eben keine "richtige" Komödie erwarten, ansonsten droht eine Enttäuschung. Für die Comedy-Elemente sorgen in erster Linie der imaginäre Hitler und Jojos etwas exzentrischer bester Freund Yorki (der aber primär im ersten Akt des Films eine Rolle spielt, der ein bißchen wie eine Nazi-Variante von Wes Andersons "Moonrise Kingdom" wirkt, wenn auch weniger skurril und einfallsreich). Hitler-Darstellungen sind ja immer heikel, aber hier ist schon durch seine Existenz als bloßes Phantasieprodukt klar, daß er wenig mit dem realen Vorbild zu tun hat – was sich bei weitem nicht nur darauf beschränkt, daß Jojos Hitler angesichts seines Darstellers nunmal aussieht wie ein Maori … Taika Waititi läßt wenig Zweifel daran, daß "sein" Hitler eine Witzfigur ist, er spielt den mörderischen Diktator wie eine schräge Mischung aus dem echten Hitler und Charles Chaplins Anton Hynkel aus "Der große Diktator" – das Resultat fällt manchmal vielleicht etwas zu klamaukig aus, ist aber durchaus lustig und wartet gerade gegen Ende mit einigen starken Szenen auf (die dann aber gar nicht mehr lustig sind). Reale Nazis von Belang für die Story gibt es natürlich auch, wobei Gestapo-Mann Deertz (Stephen Merchant, "Fighting with My Family") eher ein Klischee-Bösewicht ist – wobei es vermutlich schwer ist, Gestapo-Leute anders darzustellen, ohne sie zu verharmlosen –, wohingegen Sam Rockwells Hauptmann Klenzendorf ambivalent daherkommt. Der genervt-fatalistische Offizier ist definitiv kein "guter Nazi", aber bei weitem nicht so schlimm wie der fanatische Deertz. So wird im Film nie ganz klar, ob Klenzendorf überhaupt die Nazi-Ideologie teilt oder "nur" ein überzeugter Soldat ist, der bis zum Schluß kämpfen will. Den Judenhaß der Nazis scheint er jedenfalls nicht zu teilen und gerade im Umgang mit Jojo und seiner Mutter zeigt sich Klenzendorf durchaus empathisch und hilfsbereit, umgeht notfalls auch die Regeln. Eine interessante Figur, die man gerne noch etwas ausbauen hätte können, zumal es sich für Sam Rockwell um eine ziemliche Paraderolle handelt.
 
Klenzendorf ist auch maßgeblich an einer der (im besten Sinne) albernsten Szenen beteiligt, welche gekonnt das penetrante "Heil Hitler"n aller beteiligten Figuren auf die Spitze treibt; ich halte es jedenfalls für sehr realistisch, daß "Jojo Rabbit" der Film mit den meisten "Heil Hitler"s der Kinogeschichte sein könnte … Durch diese regelrechten "Heil Hitler"-Orgien werden die Nazis und ihre Führerhörigkeit so ganz nebenbei effektiv lächerlich gemacht. Im Zentrum des Geschehens steht allerdings naturgemäß Jojo, dessen Wandlung spannend und glaubwürdig gestaltet ist. Selbst seinem Freund Yorki ist offenbar, daß der 10-jährige den Krieg zu Beginn enthusiastisch als großes Abenteuer ansieht und – wie Elsa später korrekt anmerkt – einfach dazugehören will. Die Tragik dieses Krieges und der Judenverfolgung wird Jojo erst nach und nach klar, in gewisser Weise funktioniert "Jojo Rabbit" somit auch als Coming of Age-Film. Vor allem aus den Gesprächen mit der sehr direkten Elsa, die Jojo keine schmerzhafte Wahrheit erspart, lernt der Junge viel; doch auch seine Mutter spielt keine unbedeutende Rolle, indem sie Jojos anfänglichem blinden Fanatismus beharrlich Menschlichkeit und mütterliche Weisheit entgegensetzt. Es ist keine große Rolle für einen Superstar wie Scarlett Johansson, aber eine gute, die sie anrührend und einfühlsam verkörpert. Interessant ist übrigens die Songauswahl, die nicht auf Musik der damaligen Zeit setzt, sondern einen interessanten Mix aus klassischen Stücken, auf Deutsch gesungenen Liedern von Weltstars ("Komm, gib mir deine Hand" von The Beatles, "Mama" von Roy Orbison, "Helden" von David Bowie) sowie Tom Waits' eine amüsante Jugendlager-Montage passend untermalendem "I Don't Want to Grow Up". Insgesamt hätte der auf einem Roman der neuseeländisch-belgischen Autorin Christine Leunen basierende "Jojo Rabbit" gerne noch etwas tiefer in Sachen Figurenzeichnung und Handlung gehen dürfen und zudem ein wenig witziger sein können, aber Taika Waititi ist zweifellos eine sehenswerte und originelle Tragikomödie gelungen, die mit sechs OSCAR-Nominierungen und dem Goldjungen für das Drehbuch belohnt wurde.
 
Fazit: Taika Waititis "Jojo Rabbit" ist eine schwarzhumorige, tragikomische Kriegssatire aus der Perspektive eines Kindes, das schon bald lernen muß, daß Krieg kein Abenteuer ist.
 
Wertung: 8 Punkte.
 
 
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