Regie: André Øvredal, Drehbuch: Ian Goldberg, Richard
Naing, Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Darsteller:
Emile Hirsch, Brian Cox, Ophelia Lovibond, Michael McElhatton, Olwen Kelly
FSK: 16, Dauer: 90 Minuten.
In einer Kleinstadt in Virginia stößt die Polizei in einem
Haus auf drei Mordopfer – und auf eine ebenfalls tote, nackte junge Frau
(Olwen Kelly), die im Keller halb vergraben ist und
körperlich vollkommen unversehrt erscheint. Sheriff Burke
(Michael McElhatton, "Justice League") bringt die
mysteriöse Leiche zum örtlichen Gerichtsmediziner Tommy Tilden (Brian
Cox, "Planet der Affen: Prevolution") und bittet diesen, für die
Autopsie eine Nachtschicht einzulegen, damit er am nächsten Morgen der neugierigen Presse Näheres verkünden kann. Tommys
Sohn Austin (Emile Hirsch, "Once Upon a Time in … Hollywood")
wollte zwar eigentlich mit seiner Freundin Emma (Ophelia Lovibond,
"Rocketman") ins Kino gehen, entscheidet sich aber, seinem Vater
zu helfen und Emma auf die Spätvorstellung zu vertrösten. Doch sobald Vater und
Sohn Tilden mit der Obduktion beginnen, stoßen sie auf immer mehr
Ungereimtheiten – manche davon sind scheinbar medizinisch unmöglich – und
Merkwürdigkeiten, und als draußen ein Unwetter tobt und der Strom
ausfällt, wird es richtig ungemütlich. Zumal in dem alten, seit Generationen im
Familienbesitz befindlichen Gebäude wiederholt unheimliche Geräusche
erklingen …
Kritik:
Der Leichenschauhaus-Horrorfilm hat sich inzwischen fast schon als eigenes Horror-Subgenre etabliert, zumindest wenn man den
Begriff ein bißchen weiter faßt. Ob Ole Bornedals dänischer "Nightwatch"
(1994) mitsamt dem US-Remake "Freeze – Alptraum Nachtwache" (1997),
Stefan Ruzowitzkys deutscher "Anatomie" (2000) und "Anatomie 2"
(2003), Marc Schölermanns US-Beitrag "Pathology – Jeder hat
ein Geheimnis" (2008) oder auch Stuart Gordons Kultfilm "Re-Animator"
(1985) – sie alle spielen zu einem großen Teil in einem Leichenschauhaus und/oder
Obduktionen spielen eine wichtige Rolle. Ein besonderes Prachtexemplar des Subgenres
ist der britisch-amerikanische "The Autopsy of Jane Doe", denn der
norwegische Regisseur André Øvredal ("Scary Stories to Tell in the
Dark") hat ein intensives und hochgradig atmosphärisches Kammerspiel geschaffen, das
abgesehen von Prolog und ganz kurzem Epilog ausschließlich in einem
Kleinstadt-Leichenschauhaus stattfindet – welches sich auch noch im Keller
eines der gruseligen Stimmung zuträglichen alten und verwinkelten Gebäudes
befindet. Dank ebenso konsequenter wie raffinierter Inszenierung und guter Schauspieler
funktioniert das lange Zeit wunderbar, wird jedoch durch ein arg in konventionelle
Horror-Gefilde abdriftendes finales Drittel leider noch etwas ausgebremst.
Obwohl die beiden einzigen nennenswerten Nebenrollen mit
"Game of Thrones"-Star Michael McElhatton und Ophelia Lovibond recht prominent besetzt sind, haben sie
nur zu Beginn und am Ende ein paar Szenen. Die Last der Handlung trägt hingegen
das von Schauspiel-Veteran Brian Cox und Emile Hirsch gespielte
Vater-Sohn-Gespann, wobei auch die Wichtigkeit der vom irischen Model
Olwen Kelly verkörperten unbekannten Leiche nicht unterschätzt werden darf.
Zwar ist die logischerweise reglos, doch gelingt es Øvredal und
Kamermann Roman Osin ("Stolz und Vorurteil") vortrefflich, die verstorbene Schönheit durch einen Mix aus bedächtigen Kamerafahrten und häufigen Nahaufnahmen ihres
Gesichts dergestalt in Szene zu setzen, daß man als Zuschauer geradezu darauf
wartet, daß sie unvermittelt aufsteht oder zumindest die Augen aufschlägt oder
sich sonst irgendwie bewegt – ob das irgendwann geschieht, verrate ich
natürlich nicht, aber es ist eigentlich auch unerheblich, da man es eben
jederzeit für möglich hält. Generell ist die erste Stunde des knapp
eineinhalbstündigen Films von der Anspannung geprägt. Es geschieht letztlich
gar nicht viel, außer daß Vater und Sohn immer weiter mit der Obduktion vorankommen
und dabei immer mehr sowohl erschreckende als auch unerklärliche Entdeckungen
machen – und dazu flackert mit zunehmender Taktfrequenz das Licht, Türen schlagen zu oder sonstige Geräusche ertönen, für die es keinerlei erkennbare Ursache
gibt. Klassischer Grusel-Haunted House-Stoff also, der aber erstklassig und
äußerst stimmungsvoll umgesetzt ist und von den beiden Hauptdarstellern
glaubwürdig verkauft wird.
Wenn lange eine bedrohlich-atmosphärische und raffiniert
ausgereizte Psychohorror-Stimmung vorherrscht, muß sich die bedeutungsschwere
Anspannung irgendwann natürlich entladen – in diesem Fall relativ spät,
nämlich erst in der letzten halben Stunde. Daß es so lange dauert, ist
erfreulich, denn so einfallsreich sich Øvredals Inszenierung und das Drehbuch
der ansonsten überwiegend bei TV-Serien wie "Terminator: S.C.C."
und "Fear the Walking Dead" beschäftigten Ian Goldberg und Richard
Naing bis dahin präsentiert, so konventionell fällt bedauerlicherweise das
actionreichere Finale aus, das vor klischeehaften und vorhersehbaren
"Überraschungen" und Jumpscares nicht zurückschreckt. Dazu kommen Logik- und Glaubwürdigkeitsprobleme, wobei zumindest die sehr
klassische Horror-Frage "Warum tötet XY seine Ziele nicht einfach, sondern
spielt ewig mit ihnen?" nachträglich einigermaßen schlüssig erklärt wird.
Nur hilft das zu diesem Zeitpunkt natürlich nur noch bedingt. Die letztliche
Auflösung des Rätsels um "Jane Doe" kommt dagegen sehr wohl
überraschend und gefällt mir richtig gut – abgesehen davon, daß es auch hier
einen erheblichen Plausibilitätsfehler gibt (ich will nicht spoilern, daher nur
so viel: Ein Pathologe, der ansatzweise sein Handwerk versteht, hätte
zumindest Hinweise auf des Rätsels Lösung finden müssen!) und das Ende
etwas überstürzt wirkt. Trotzdem: Der mediokre letzte Akt verhindert
zwar, daß "The Autopsy of Jane Doe" zu einem echten Klassiker des
Genres wird, aber die ersten beiden Drittel sind so gut, daß dieser Film jedem
Anhänger der schaurig-atmosphärischen Filmkunst zu empfehlen ist.
Fazit: "The Autopsy of Jane Doe" ist ein
ungemein stimmungsvolles, dabei auch inhaltlich und schauspielerisch lange sehr
überzeugendes Grusel-Kammerspiel, das erst im konventionellen
Horror-Finale etwas Federn läßt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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