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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 23. Juli 2020

THE AUTOPSY OF JANE DOE (2016)

Regie: André Øvredal, Drehbuch: Ian Goldberg, Richard Naing, Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Darsteller: Emile Hirsch, Brian Cox, Ophelia Lovibond, Michael McElhatton, Olwen Kelly
The Autopsy of Jane Doe
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,0); weltweites Einspielergebnis: $6,2 Mio.
FSK: 16, Dauer: 90 Minuten.
In einer Kleinstadt in Virginia stößt die Polizei in einem Haus auf drei Mordopfer – und auf eine ebenfalls tote, nackte junge Frau (Olwen Kelly), die im Keller halb vergraben ist und körperlich vollkommen unversehrt erscheint. Sheriff Burke (Michael McElhatton, "Justice League") bringt die mysteriöse Leiche zum örtlichen Gerichtsmediziner Tommy Tilden (Brian Cox, "Planet der Affen: Prevolution") und bittet diesen, für die Autopsie eine Nachtschicht einzulegen, damit er am nächsten Morgen der neugierigen Presse Näheres verkünden kann. Tommys Sohn Austin (Emile Hirsch, "Once Upon a Time in … Hollywood") wollte zwar eigentlich mit seiner Freundin Emma (Ophelia Lovibond, "Rocketman") ins Kino gehen, entscheidet sich aber, seinem Vater zu helfen und Emma auf die Spätvorstellung zu vertrösten. Doch sobald Vater und Sohn Tilden mit der Obduktion beginnen, stoßen sie auf immer mehr Ungereimtheiten – manche davon sind scheinbar medizinisch unmöglich – und Merkwürdigkeiten, und als draußen ein Unwetter tobt und der Strom ausfällt, wird es richtig ungemütlich. Zumal in dem alten, seit Generationen im Familienbesitz befindlichen Gebäude wiederholt unheimliche Geräusche erklingen …

Kritik:
Der Leichenschauhaus-Horrorfilm hat sich inzwischen fast schon als eigenes Horror-Subgenre etabliert, zumindest wenn man den Begriff ein bißchen weiter faßt. Ob Ole Bornedals dänischer "Nightwatch" (1994) mitsamt dem US-Remake "Freeze – Alptraum Nachtwache" (1997), Stefan Ruzowitzkys deutscher "Anatomie" (2000) und "Anatomie 2" (2003), Marc Schölermanns US-Beitrag "Pathology – Jeder hat ein Geheimnis" (2008) oder auch Stuart Gordons Kultfilm "Re-Animator" (1985) – sie alle spielen zu einem großen Teil in einem Leichenschauhaus und/oder Obduktionen spielen eine wichtige Rolle. Ein besonderes Prachtexemplar des Subgenres ist der britisch-amerikanische "The Autopsy of Jane Doe", denn der norwegische Regisseur André Øvredal ("Scary Stories to Tell in the Dark") hat ein intensives und hochgradig atmosphärisches Kammerspiel geschaffen, das abgesehen von Prolog und ganz kurzem Epilog ausschließlich in einem Kleinstadt-Leichenschauhaus stattfindet – welches sich auch noch im Keller eines der gruseligen Stimmung zuträglichen alten und verwinkelten Gebäudes befindet. Dank ebenso konsequenter wie raffinierter Inszenierung und guter Schauspieler funktioniert das lange Zeit wunderbar, wird jedoch durch ein arg in konventionelle Horror-Gefilde abdriftendes finales Drittel leider noch etwas ausgebremst.

Obwohl die beiden einzigen nennenswerten Nebenrollen mit "Game of Thrones"-Star Michael McElhatton und Ophelia Lovibond recht prominent besetzt sind, haben sie nur zu Beginn und am Ende ein paar Szenen. Die Last der Handlung trägt hingegen das von Schauspiel-Veteran Brian Cox und Emile Hirsch gespielte Vater-Sohn-Gespann, wobei auch die Wichtigkeit der vom irischen Model Olwen Kelly verkörperten unbekannten Leiche nicht unterschätzt werden darf. Zwar ist die logischerweise reglos, doch gelingt es Øvredal und Kamermann Roman Osin ("Stolz und Vorurteil") vortrefflich, die verstorbene Schönheit durch einen Mix aus bedächtigen Kamerafahrten und häufigen Nahaufnahmen ihres Gesichts dergestalt in Szene zu setzen, daß man als Zuschauer geradezu darauf wartet, daß sie unvermittelt aufsteht oder zumindest die Augen aufschlägt oder sich sonst irgendwie bewegt – ob das irgendwann geschieht, verrate ich natürlich nicht, aber es ist eigentlich auch unerheblich, da man es eben jederzeit für möglich hält. Generell ist die erste Stunde des knapp eineinhalbstündigen Films von der Anspannung geprägt. Es geschieht letztlich gar nicht viel, außer daß Vater und Sohn immer weiter mit der Obduktion vorankommen und dabei immer mehr sowohl erschreckende als auch unerklärliche Entdeckungen machen – und dazu flackert mit zunehmender Taktfrequenz das Licht, Türen schlagen zu oder sonstige Geräusche ertönen, für die es keinerlei erkennbare Ursache gibt. Klassischer Grusel-Haunted House-Stoff also, der aber erstklassig und äußerst stimmungsvoll umgesetzt ist und von den beiden Hauptdarstellern glaubwürdig verkauft wird.

Wenn lange eine bedrohlich-atmosphärische und raffiniert ausgereizte Psychohorror-Stimmung vorherrscht, muß sich die bedeutungsschwere Anspannung irgendwann natürlich entladen – in diesem Fall relativ spät, nämlich erst in der letzten halben Stunde. Daß es so lange dauert, ist erfreulich, denn so einfallsreich sich Øvredals Inszenierung und das Drehbuch der ansonsten überwiegend bei TV-Serien wie "Terminator: S.C.C." und "Fear the Walking Dead" beschäftigten Ian Goldberg und Richard Naing bis dahin präsentiert, so konventionell fällt bedauerlicherweise das actionreichere Finale aus, das vor klischeehaften und vorhersehbaren "Überraschungen" und Jumpscares nicht zurückschreckt. Dazu kommen Logik- und Glaubwürdigkeitsprobleme, wobei zumindest die sehr klassische Horror-Frage "Warum tötet XY seine Ziele nicht einfach, sondern spielt ewig mit ihnen?" nachträglich einigermaßen schlüssig erklärt wird. Nur hilft das zu diesem Zeitpunkt natürlich nur noch bedingt. Die letztliche Auflösung des Rätsels um "Jane Doe" kommt dagegen sehr wohl überraschend und gefällt mir richtig gut – abgesehen davon, daß es auch hier einen erheblichen Plausibilitätsfehler gibt (ich will nicht spoilern, daher nur so viel: Ein Pathologe, der ansatzweise sein Handwerk versteht, hätte zumindest Hinweise auf des Rätsels Lösung finden müssen!) und das Ende etwas überstürzt wirkt. Trotzdem: Der mediokre letzte Akt verhindert zwar, daß "The Autopsy of Jane Doe" zu einem echten Klassiker des Genres wird, aber die ersten beiden Drittel sind so gut, daß dieser Film jedem Anhänger der schaurig-atmosphärischen Filmkunst zu empfehlen ist.

Fazit: "The Autopsy of Jane Doe" ist ein ungemein stimmungsvolles, dabei auch inhaltlich und schauspielerisch lange sehr überzeugendes Grusel-Kammerspiel, das erst im konventionellen Horror-Finale etwas Federn läßt.

Wertung: 7,5 Punkte.

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