Regie: Armando Iannucci, Drehbuch: David Schneider, Ian
Martin, Armando Iannucci, Musik: Christopher Willis
Darsteller: Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Jeffrey
Tambor, Michael Palin, Jason Isaacs, Adrian McLoughlin, Olga Kurylenko, Paul
Chahidi, Dermot Crowley, Paul Whitehouse, Andrea Riseborough,
Rupert Friend, David Crow, Paddy Considine, Sylvestra Le Touzel, Roger Ashton-Griffiths, Diana Quick
FSK: 12, Dauer: 108 Minuten.
Sowjetunion, 1953: Als Generalsekretär des Zentralkomitees
der Kommunistischen Partei hat Josef Stalin (Adrian McLoughlin) das Riesenreich
fest in seinem Griff, alle auch nur potentiellen Gefahren für seine Macht werden
schnellstmöglich in diktatorischer Manier entsorgt – die von seinem skrupellosen
Geheimdienstchef Beria (Simon Russell Beale, "My Week with Marilyn") erstellten Listen umfassen über
die Jahre hinweg Millionen von Bürgern, die ohne Prozeß ins Gefängnis geworfen oder
gleich exekutiert werden. Als Stalin einen Schlaganfall erleidet und im
Sterben liegt, beginnt unverzüglich der Machtkampf um seine Nachfolge. Die neun
verbliebenen Mitglieder des Politbüros bringen sich in Stellung und
intrigieren, was das Zeug hält, wobei neben Beria sowie Stalins eitlem
Stellvertreter und designierten Nachfolger Malenkow (Jeffrey Tambor, "Hellboy") vor allem der
ehrgeizige Erste Sekretär des Zentralkomitees Chruschtschow (Steve Buscemi, "The Big Lebowski") und
der zuletzt bei Stalin in Ungnade gefallene frühere Außenminister Molotow
(Monty Python-Legende Michael Palin) gute Aussichten haben. Zudem muß
nach Stalins Tod eine angemessen pompöse Trauerfeier bereitet werden und mit
Stalins Kindern Svetlana (Andrea Riseborough, "Birdman") und Wassili (Rupert Friend, "Stolz und Vorurteil") sowie
dem Armeechef und Kriegshelden Schukow (Jason Isaacs, "Herz aus Stahl") kommen weitere Akteure ins Spiel …
Kritik:
Wenn man mal seine Nische gefunden hat, dann sollte man sie
auch konsequent besetzen. An diese Devise hält sich offensichtlich der
britische Komiker und Filmemacher Armando Iannucci, der in seiner Heimat
Kultstatus besitzt, international aber nie richtig den Durchbruch schaffte.
Das liegt vermutlich daran, daß sein thematisches Steckenpferd die Politik ist
und weil sich seine frühen, vielfach preisgekrönten Werke – von der
TV-Nachrichten-Parodie "The Day Today" mit Steve Coogan in der Rolle des
notorisch überforderten Moderators Alan Partridge bis zur Mockumentary
"The Thick of It" mit Peter Capaldi samt Kino-Sequel im Geiste
"Kabinett außer Kontrolle" – speziell an der britischen Politik orientieren,
sind einige Gags und Anspielungen für nicht-britische Zuschauer einfach zu
speziell. Dabei sind die Funktionsweisen der Politik, die Iannucci seit jeher
zielsicher aufs Korn nimmt, grundsätzlich ziemlich universell, wie zunächst
seine erfolgreiche HBO-Show "Veep" (über eine fiktive
US-Vizepräsidentin) und nun "The Death of Stalin" vortrefflich
demonstrieren. Eine gewisse Sonderstellung hat "The Death of Stalin"
aber natürlich schon inne, da die beißende Politsatire im Kern auf realen
Geschehnissen basiert, die Sowjetunion als Schauplatz hat und die Adaption
einer französischen Graphic Novel von Fabien Nury ist. Bemerkenswert sind außerdem die
überragenden weltweiten Kritiken und das sehr kurzfristige Verbot des Films in
Russland.
Das wiederum kann niemanden überraschen, findet doch in
Putins Russland schon seit Jahren eine mehr oder weniger schleichende
Rehabilitierung des brutalen Diktators Josef Stalin statt, dessen
"politischen Säuberungen" viele Millionen Sowjetbürger zum Opfer fielen –
und daß Stalin und sein engster Führungskreis in "The Death of
Stalin" sonderlich gut wegkämen, kann man beim besten Willen nicht
behaupten. Daß es Iannucci ziemlich leicht erkennbar gar nicht so sehr
konkret um die handelnden Figuren geht, sondern eher um die generelle
Demaskierung von weltweiter Tyrannei, Machtgier und Korruption am Beispiel des
Machtkampfes um Stalins Nachfolge, wurde von den russischen Zensoren entweder
nicht verstanden oder es war für sie von untergeordneter Bedeutung. Schade für
die aufgeschlossenen russischen Kinogänger, die somit einen richtig guten Film
verpassen, aber immerhin hätte sich Iannucci kaum eine bessere Publicity für
sein bis dahin den exzellenten Kritiken zum Trotz weitgehend unter dem Radar der
Öffentlichkeit hindurchfliegendes Werk wünschen können. Der begrenzte
Mainstream-Appeal wiederum dürfte primär daran liegen, daß Iannucci
auf eine insofern ziemlich unkonventionelle Erzählweise setzt, als zwar die
historischen Eckpunkte eine gewisse Realitätsnähe sichern, die
Figuren allerdings ausnahmslos als machtgierige, kindische und überwiegend
inkompetente Stümper gezeichnet werden. Durch die Konsequenz, mit der Iannucci
diese Überzeichnung durchzieht (bis hin zu Christopher Willis' exzellenter, von klassischen russischen Komponisten wie Schostakowitsch inspirierten, aber noch dramatischeren Musik), büßt dieses Stilmittel im Lauf der etwas über
100 Minuten zwar ein wenig an Effizienz ein – die grundsätzliche Aussage, wonach
sich wenige korrupte und egoistische Personen auf Kosten der
Bevölkerung (inklusive eines komplett unnötigen Massakers an
einfachen Bürgern in Folge der Konkurrenz zwischen Armee und Geheimpolizei) wie
unreife Kinder gebärden, ist aber klar und in Zeiten von Trump, Erdogan und Co.
leider nur allzu zeitlos. Und das Deprimierendste daran ist, daß man sich bei
aller offensichtlichen Übertreibung problemlos vorstellen an, daß es nach
Stalins Tod (oder in Trumps Weißem Haus) gar nicht so unähnlich zuging,
wenngleich es in der Realität hoffentlich zumindest noch ein paar seriöse
Gestalten in entsprechenden Regierungen gibt ...
Den Schauspielern geben gerade die hemmungslosen
Überzeichnungen reichlich Spielraum, um sich richtig auszutoben
– was die hochkarätige Besetzung weidlich ausnutzt. Gerade Steve Buscemi spielt
als Nikita Chruschtschow die Absurditäten des Skripts genüßlich aus, ob es
nun um seine Konkurrenz zu dem intrigengewohnten Geheimdienstchef Beria geht, um
seine Manipulation des leicht überforderten designierten Stalin-Nachfolgers
Malenkow oder um sein Werben um den von Jason Isaacs wunderbar selbstherrlich
und unflätig verkörperten Armeechef Schukow. Als riesiger Monty Python-Fan hat
es mich zudem besonders gefreut, endlich einmal wieder Michael Palin ("Ein
Fisch namens Wanda") in einer starken Rolle zu sehen, nachdem er sich
in den letzten zwei Jahrzehnten überwiegend auf Reisedokus für das britische
Fernsehen konzentriert hatte. Als Molotow zeigt er, daß er immer noch
vortrefflich mit Skurrilitäten jeder Art zurechtkommt, wobei der Ex-Außenminister in der schrillen Führungsriege ironischerweise noch am
ehesten seriös wirkt (was mutmaßlich der Grund ist, warum er bei Stalin in
Ungnade fiel). Und Skurrilitäten und Absurditäten hat "The Death of
Stalin" überreichlich zu bieten, was schon der köstliche Prolog aufzeigt,
in dem nach einem live im Radio übertragenen klassischen Konzert Theaterleiter Andreyev (Paddy Considine, "Macbeth") einen Anruf von Stalin persönlich erhält, der die sofortige Zusendung einer Aufzeichnung des Konzerts wünscht. Klitzekleines Problemchen: Das Konzert wurde nicht
aufgezeichnet! Logische Lösung: Man spielt es einfach noch mal, zeichnet es nun
auf und hofft, daß Stalin nichts bemerkt … So schlicht beschrieben, dürfte das
einigermaßen amüsant klingen, aber ich kann versprechen, daß es im Film noch
viel witziger ist, da Andreyev in bester Slapstick-Manier einige
Schwierigkeiten zu überwinden hat, die ich nicht spoilern möchte.
Dieser Prolog setzt jedenfalls den Ton für eine absurde
Situation nach der anderen, die häufig voll bitterer Ironie ausgespielt werden,
wenn etwa Stalin nach seiner Hirnblutung nur deshalb erst nach Stunden gefunden
wird, weil sich die beiden Wachsoldaten nicht trauen, ins Zimmer zu gehen,
nachdem sie darin ein von Stalins Sturz ausgehendes Poltern gehört haben – oder
wenn die verbliebenen Politbüro-Mitglieder nach seinem Auffinden (und
Anfällen demonstrativer Bestürzung, in deren Ausmaß einer den anderen übertreffen will) ratlos
diskutieren, welchen Arzt sie denn jetzt holen sollen, denn alle fähigen Ärzte wurden
von Stalin und Beria längst in den Gulag geschickt oder exekutiert! Somit ist
es hier in einem Akt ausgleichender kosmischer Gerechtigkeit
ausgerechnet jene furchteinflößende Tyrannei, die so lange und effektiv Stalins Macht
zementiert hatte, die ihn letztlich das Leben kostet … Ein bißchen störend für
jene, die sich ein wenig mit der sowjetischen Geschichte auskennen, ist
derweil, daß man weiß oder zumindest erahnt, für wen der Film gut
ausgehen wird und für wen nicht so sehr – denn selbst ohne Geschichtsstudium
kennt man einige Namen bis heute, während man andere eventuell nie zuvor gehört
hat. Das sehr stattliche Ensemble umfaßt von beiden Kategorien so viele
handelnde Personen, daß leider zwangsläufig einige etwas kurz kommen. Stalins
Kinder zum Beispiel bleiben eher Randfiguren (wenn auch mit einigen sehr amüsanten
Szenen), ebenso die selbstbewußte Pianistin Marija Judina (Olga Kurylenko,
"Oblivion"), die alles andere als ein Fan von Stalin ist. Trotzdem gelingt es Iannucci und seinen
Mitautoren, den zentralen Politikern auch als Folge gelegentlicher ernster Zwischentöne wie bei
der Geschichte rund um Molotows totgeglaubte Ehefrau Polina (Diana Quick, "Nostradamus") genügend
Tiefe zu verleihen, daß sie trotz ihres kindischen Verhaltens keine kompletten
Karikaturen sind. Es muß aber auch gesagt werden, daß man sich bei aller
Schwarzhumorigkeit und satirischen Schärfe manchmal nicht ganz des Eindrucks
erwehren kann, daß der Film über die mörderische Brutalität und die unfaßbaren
Gräueltaten von Stalins Schreckensherrschaft und Berias mächtiger
Geheimpolizei etwas zu nonchalant hinweggeht – zugegeben, bei Beria sorgt gerade die Beiläufigkeit, mit der seine Grausamkeiten und Perversitäten angeschnitten werden, für Beklemmung, im größeren Maßstab funktioniert das jedoch nicht immer wie gewünscht. Allerdings locker gut genug, um diesem unbedingt sehenswerten Film ingesamt nicht allzu sehr zu schaden.
Fazit: "The Death of Stalin" ist eine
scharfsinnige, einsichtsreiche und bitterböse Politsatire, die den makabren Machtkampf
um die Nachfolge des Sowjet-Diktators Stalin mit viel Ironie als schmutzige
Schlammschlacht unter sehr böswilligen und egozentrischen kindischen Gemütern darstellt.
Wertung: 8,5 Punkte.
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