Originaltitel: Logan
Regie: James Mangold, Drehbuch: Scott Frank, Michael Green
und James Mangold, Musik: Marco Beltrami
Darsteller: Hugh Jackman, Sir Patrick Stewart, Dafne Keen,
Boyd Holbrook, Richard E. Grant, Stephen Merchant, Eriq La Salle, Elise Neal,
Quincy Fouse, Elizabeth Rodriguez, Krzysztof Soszynski, Stephen Dunlevy, Jason
Genao, James Handy
FSK: 16, Dauer: 138 Minuten.
Im Jahr 2029 ist die Welt weitestgehend frei von Mutanten. Neue
werden aus unerfindlichen Gründen nicht mehr geboren, der größte Teil der alten
ist tot – wobei mutmaßlich die wenigsten eines friedlichen oder natürlichen Todes
starben. Logan (Hugh Jackman, "Les Misérables") alias Wolverine ist noch am Leben, jedoch
lassen seine Selbstheilungskräfte so deutlich nach, daß er inzwischen selbst
beim Kampf mit einigen Gangmitgliedern ernsthafte Schwierigkeiten bekommt. Daß er
generell ziemlich heruntergekommen ist und auch gern zum Alkohol greift, ist
naturgemäß nicht hilfreich. Gäbe es da nicht noch seinen alten Freund und
Mentor Charles Xavier (Sir Patrick Stewart, "Green Room") alias Professor X, hätte Logan sich wohl schon mit der Adamantium-Patrone, die er seit vielen Jahren mit sich
herumträgt (er erhielt sie in "X-Men Origins: Wolverine"),
erschossen. Der inzwischen 90 Jahre alte Charles leidet an Alzheimer und kann seine Kräfte nicht mehr
völlig kontrollieren, von Homeland Security wird sein Gehirn deshalb als
Massenvernichtungswaffe eingestuft! Gemeinsam mit dem Albino-Mutanten
Caliban (Stephen Merchant, "Lügen macht erfinderisch") kümmert sich Logan in der amerikanisch-mexikanischen
Grenzregion – interessanterweise noch immer ohne Mauer … – um Charles, was im
Grunde genommen bedeutet, daß sie ihn permanent betäubt halten mit
Medikamenten, für deren Bezahlung Logan als Chauffeur Geld verdient. Als eines Tages eine
Frau die 11-jährige Laura (Dafne Keen) bei Logan ablädt und ihn
anfleht, sie vor ihren Verfolgern in Sicherheit zu bringen, lehnt er brüsk ab.
Doch Lauras Häscher, eine aus Cyborgs bestehende Spezialtruppe, die vom
sinistren Wissenschaftler Dr. Rice (Richard E. Grant, "Jackie") ausgesandt wurde und von
Donald Pierce (Boyd Holbrook, "Gone Girl") angeführt wird, sind nah, und so machen
sich Logan, Charles und Laura notgedrungen gemeinsam auf die Flucht …
Kritik:
Als der damals außerhalb seiner Heimat Australien noch relativ unbekannte Hugh Jackman im Jahr 2000 in "X-Men" erstmals den mit spektakulären Selbstheilungskräften ausgestatteten und
damit quasi unsterblichen Mutanten Wolverine spielte, war er 31 Jahre alt.
Jetzt ist er 48 und in der Zwischenzeit war Wolverine als einzige Figur Teil eines jeden Films der
"X-Men"-Reihe: in der ursprünglichen Trilogie spielte
er eine zentrale Rolle, danach erhielt er mit "X-Men Origins:
Wolverine" und "Wolverine – Weg des Kriegers" als erster und bis
heute einziger des großen "X-Men"-Ensembles zwei eigene Solofilme
und selbst nach dem Prequel-Reboot der Reihe mit "Erste Entscheidung", "Zukunft ist Vergangenheit" und
"Apocalypse" war Wolverine stets dabei (wenn auch nur im mittleren Film als Hauptdarsteller). Doch während
der Mutant nicht altert, tut das Hugh Jackman leider schon; und so wollte der
Publikumsliebling jener Figur, die ihn zu einem Weltstar machte, auf jeden Fall einen würdigen Abgang bescheren, solange er sie noch glaubwürdig
verkörpern konnte. Zu diesem Zweck ließen sich Regisseur James Mangold (der
bereits "Weg des Kriegers" inszeniert hatte – leider erfahren wir
übrigens nicht, was aus der von Rila Fukushima verkörperten Yukio wurde, die am
Ende von "Weg des Kriegers" als Logans Bodyguard bei ihm bleibt) und
seine beiden Co-Autoren von der klassischen Comic-Story "Old Man
Logan" inspirieren, in der Wolverine in der näheren Zukunft dann eben doch
gealtert ist. Somit hat Mangold eine Art "Erbarmungslos" der
Superhelden-Filme geschaffen – so wie 1992 Clint Eastwood einen meisterhaften
Western-Abgesang schuf, in dem ein alter Revolverheld gegen seinen Willen
zu einem letzten großen Kampf gezwungen wird, zeigt auch "Logan" auf
beklemmend intensive Art und Weise und mit deutlichen Film noir-Anleihen, wie aus den einst so vitalen (Super-)Helden
alte, desillusionierte Männer wurden, die eigentlich nur noch auf ihren Tod
warten.
Bei "Erbarmungslos" war das schon bemerkenswert,
doch sind Westernhelden natürlich immer normale Menschen. In
"Logan" sehen wir aber erstmals in einer Großproduktion, daß selbst
Superhelden vor Alter und Krankheiten nicht gefeit sind. Und speziell Wolverines Verletzlichkeit erleben wir umso ausführlicher, da Mangold nach dem gewaltigen kommerziellen Erfolg des
brutalen X-Men-Spin-Offs "Deadpool" Jackmans Abschied
sogar für eine höhere Altersfreigabe konzipieren durfte, womit ein lange
gehegter Traum der Comic-Fans wahr wurde: Endlich darf Wolverine seinem Namen
("Vielfraß") wirklich gerecht werden und blutig unter seinen Feinden
wüten. Ein kleines Problem an der Sache ist: Nachdem uns die Filme des
X-Men-Universums 17 Jahre lang erfolgreich darauf konditioniert haben, von
Wolverine und seinen Kollegen zwar gelegentlich durchaus brutale, aber in
letzter Konsequenz immer familienfreundliche, blutarme Kampfsequenzen zu
erwarten, ist es regelrecht irritierend, wenn nun das Blut literweise
fließt und die abgeschlagenen Gliedmaßen im Dutzend durch die Gegend fliegen, als wären wir bei einem Tarantino-Film.
Da muß man selbst die deutsche FSK 16-Freigabe (die auch schon den
harmloseren "X-Men Origins: Wolverine" traf) als großzügig werten, denn eine
18er-Einstufung wäre absolut möglich gewesen – schon weil Kinder direkt in die Kämpfe involviert sind. Doch letztlich ist das eine Frage der Gewöhnung und
spätestens in der zweiten Filmhälfte sollte man den neuen Härtegrad akzeptiert haben, zumal
die Handlung die Gemetzel locker rechtfertigt.
Das liegt primär an Lauras Häschern, den Reavern. Diese
Spezialeinheit künstlich verbesserter Cyborgs (Anführer Pierce hat
beispielsweise eine nützliche Roboterhand) kennt keine Skrupel und geht bei
der Hetzjagd auf Laura ultrabrutal zu Werke. Sie folgt den Befehlen des
sinistren Dr. Rice, der im Biotech-Unternehmen Alkali-Transigen daran
arbeitet, Mutanten als perfekte Soldaten heranzuzüchten. Da die Reaver stets
klar in der Überzahl und zudem aufgrund ihrer "Verbesserungen" sehr
schwer zu besiegen sind, ist es nur logisch, daß Logan und auch Laura zu drastischen
Mitteln in den Kämpfen greifen müssen; da kann der Gegner noch so hartnäckig
sein, ohne Kopf kämpft es sich nunmal schlecht … Allzu ausgefeilt kommt die
Story zwar, wie so häufig bei Superhelden-Filmen, nicht daher, doch wie es sich
für das X-Men-Filmuniversum gehört, rührt sie durchaus an tiefergehende
gesellschaftliche Fragen und liefert zudem allemal genügend Stoff für ein Roadmovie,
das einen denkwürdigen Abschied von zwei der beliebtesten Superhelden überhaupt
ermöglicht (in der aktuellen Inkarnation). Die Interaktion zwischen den langjährigen Freunden Logan und
Charles auf der einen Seite und der wortkargen Laura auf der anderen (anfangs
ist auch noch der leidgeprüfte Caliban involviert) ist dabei sehr einfühlsam in
Szene gesetzt. Charles ist gewissermaßen der Mediator, er ist freundlich zu
Laura und schubst mit seiner typischen Hartnäckigkeit auch Logan immer wieder
in die richtige Richtung – denn Laura, die ähnliche Fähigkeiten hat wie
Logan, braucht einen Beschützer, und dafür kommt in dieser gar nicht so schönen
neuen Welt nunmal einzig der griesgrämige Logan noch in Frage.
Ein wenig erinnert der mittlere Akt von "Logan"
an "Iron Man 3", wo Tony Stark ja eine Zeitlang auf sich
alleingestellt und ohne seine Superhelden-Fähigkeiten mitten in der Provinz
bestehen muß. Etwas ärgerlich ist es zwar schon, daß das Trio während seiner
Flucht eine Art Ausflug unternimmt, obwohl es Charles und Logan ebenso klar
sein muß wie dem Publikum, daß das angesichts der Verfolger nicht gut enden
kann; aber zugegeben, für sich genommen funktioniert die Episode sehr gut, sie
sorgt für eine wohltuende dramaturgische Ruhepause und verstärkt gleichzeitig
die emotionale Wirkung des unweigerlich Folgenden. Und außerdem können die
Darsteller in dieser kurzen Ruhephase schauspielerisch glänzen, wobei vor allem
Jackman mit einer noch einmal höheren Intensität beeindruckt als man sie
von ihm in dieser Rolle ohnehin gewohnt ist – und Newcomerin Dafne Keen liefert als
Laura ein beeindruckendes Kinodebüt ab, das darauf hoffen läßt, in Zukunft noch
viel von ihr zu sehen. Die Western-Einflüsse von "Logan" sind derweil
unverkennbar, nicht nur "Erbarmungslos" drängt sich als
Inspirationsquelle auf, sondern auch andere Klassiker des Genres – einen davon, "Mein großer Freund Shane" aus dem Jahr 1953, sehen sich
Charles und Laura sogar gemeinsam in ihrem Hotelzimmer an. Stimmungsmäßig wird
"Logan" naheliegenderweise von Melancholie dominiert. Das betrifft
die Charaktere selbst, wenn Logan an lange zurückliegende Heldentaten oder
verlorene Freunde denkt und Charles von seiner Alzheimer-Erkrankung geplagt
wird; aber auch für den Zuschauer ist es nicht so einfach, die Helden, die man
jahrelang bei ihren Abenteuern begleitet hat, so zu erleben. Nein, als
"X-Men" in die Kinos kam, hätte wohl niemand gedacht, daß wir
dereinst mitansehen würden, wie Wolverine den theoretisch nahezu allmächtigen Professor X
wäscht und auf die Toilette bringt … Doch ein wenig Hoffnung, ein kleines
bißchen Optimismus gibt es durch Laura und einige ihrer ebenfalls aus dem Labor
von Dr. Rice entflohenen Freunde, zudem verzichtet "Logan" bei aller Wehmut
dankenswerterweise nicht auf einen Schuß Humor und läßt neben einem netten Seitenhieb gegen die Eigenheiten der amerikanischen Altersfreigabe-Praxis beispielsweise Logan
leidenschaftlich über die X-Men-Comics schimpfen, die Laura mit sich führt und
in denen höchstens ein Viertel der Wahrheit entspreche ...
Etwas, das die X-Men-Filme für meinen Geschmack nie so
richtig hinbekommen haben, ist das Ende, der Showdown, die finale
Konfrontation. Dabei setzten die Filmemacher
stets auf einen möglichst spektakulären, aufwendig und sehr teuer in Szene gesetzten
Endkampf um häufig nicht weniger als die Rettung der Menschheit, der zwar in
der Regel unterhaltsam daherkam, es aber definitiv an Innovationen missen
ließ und eigentlich immer ähnlich ablief. "Logan" macht das
dankenswerterweise besser. Angesichts der begrenzten Anzahl an
involvierten Charakteren versucht man gar nicht erst, im Showdown für neue Genre-Superlative zu sorgen, stattdessen liefert man einen sehr persönlichen und vergleichsweise
bodenständigen, jedoch erstklassig choreographierten und elegant gefilmten Kampf zwischen zwei
Gegnergruppen, deren Stärken höchst ungleich verteilt sind. So eindeutig in der
Außenseiterposition wie im Finale von "Logan" waren die X-Men noch
nie – oder zumindest gelingt es Mangold, daß es sich für den Zuschauer so anfühlt (in der Theorie waren die Kämpfe gegen die Sentinels in "Zukunft ist Vergangenheit" oder gegen den gottgleichen Apocalypse sicher noch aussichtsloser); umso befriedigender ist es dann, wenn sie doch einen weiteren
Reaver zur Strecke gebracht haben. Natürlich verrate ich keine Details und
schon gar nicht, wie genau alles endet, aber eines kann ich bedenkenlos
verraten: Die letzten Szenen von Hugh Jackman als Logan und Sir Patrick
Stewart als Charles (denn nach Ansicht des fertigen Films entschied Stewart, es Jackman
gleichzutun und den Mutantenhut sehr wahrscheinlich an den Nagel zu hängen)
sind ebenso kraftvoll wie emotional und in der jeweiligen Figurenkonstellation
regelrecht poetisch. Ein mehr als würdiger Abschied im in meinen Augen neben
"X-Men 2" besten Film des X-Men-Kinouniversums, der durch den wehmütigen, von Bibel-Referenzen durchzogenen Abspannsong "The Man Comes Around" von Johnny Cash perfekt abgerundet wird (eine Szene nach dem Abspann gibt es diesmal übrigens nicht).
Fazit: "Logan – The Wolverine" ist ein blutiger, aber intelligenter und einfühlsamer Abgesang auf eine
Ära, der dem
Publikum einen exzellenten Abschied von zwei der populärsten Superhelden bietet.
Wertung: 9 Punkte.
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