Originaltitel: The Hateful Eight
Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino, Musik: Ennio
Morricone
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason
Leigh, Walton Goggins, Tim Roth, Michael Madsen, Demián Bichir, Bruce Dern,
James Parks, Channing Tatum, Zoë Bell, Dana Gourrier, Gene Jones
FSK: 16, Dauer: 169 Minuten.
Die Vereinigten Staaten von Amerika
wenige Jahre nach Ende des Bürgerkrieges (also um 1870 herum): Eine Postkutsche
fährt durch die verschneite Berglandschaft von Wyoming und versucht, noch vor einem ihr bereits dicht folgenden Schneesturm "Minnies Miederwarenladen"
zu erreichen, die letzte Postkutschenstation vor dem Zielort Red Rock.
Einzige Insassen sind der berüchtigte Kopfgeldjäger John "Der Henker"
Ruth (Kurt Russell, "Miracle") und seine für den Galgen
bestimmte Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh, "Letzte Ausfahrt
Brooklyn"), eine Mörderin, auf die $10.000 Kopfgeld ausgesetzt sind.
Entsprechend ist John nicht begeistert, als die Kutsche von einem Mann
angehalten wird, der sich ebenfalls als ein Kopfgeldjäger entpuppt: der befreite
Sklave Marquis Warren (Samuel L. Jackson, "Black Snake Moan"), der im Bürgerkrieg zum Schrecken der
Südstaaten-Soldaten wurde. Da John Marquis flüchtig kennt, nimmt er ihn
trotzdem mit – ebenso wenig später den angeblichen neuen Sheriff von Red Rock,
den aus dem Süden stammenden Rassisten Chris Mannix (Walton Goggins,
"Lincoln"). Als sie Minnies Miederwarenladen endlich erreichen,
ist die Besitzerin jedoch nicht anwesend, stattdessen führt ein gewisser Bob (Demián Bichir,
"Savages") das Geschäft und auch eine weitere Kutsche mit drei
Insassen hat die Station erreicht. Dies sind der ehemalige Südstaaten-General
Sanford Smithers (Bruce Dern, "Nebraska"), der alternde Cowboy Joe Gage
(Michael Madsen, "Pulp Fiction") und der neue Henker von Red Rock,
Oswaldo Mobray (Tim Roth, "Selma"). John ist sich absolut
sicher, daß mindestens einer davon vorhat, Daisy zu befreien …
Kritik:
Wer sich schon immer gefragt hat, wie es wohl aussähe, wenn
Quentin Tarantino einen Agatha Christie-Krimi verfilmen würde, der erhält mit
"The Hateful 8" im Grunde genommen die Antwort. Klar, vordergründig
handelt es sich um Tarantinos zweiten Western hintereinander, doch die
Unterschiede zu seinem erfolgreichsten Film "Django Unchained" sind ziemlich groß. "Django Unchained" war ein
massenkompatibler, actionreicher Rache-Western mit Starbesetzung, "The
Hateful 8" dagegen ist ein sperriges, dialoglastiges Kammerspiel
zwischen Spätwestern und Whodunit-Krimi mit einer ebenfalls starken Besetzung, der
es aber an wirklich zugkräftigen Weltstars á la Leonardo DiCaprio mangelt. Ich
würde sogar behaupten, daß "The Hateful 8" stilistisch eher an
Tarantinos Debüt "Reservoir Dogs" erinnert als an seine neueren
Filme. So läßt sich auch gut erklären, warum "The Hateful 8" in den USA zu
Tarantinos kommerziell am wenigsten überzeugenden Werk seit vielen Jahren wurde,
was angesichts der überschaubaren Produktionskosten von geschätzt
$50 Mio. allerdings kein übermäßig großes Problem für den exzentrischen Filmemacher ist.
Als bekennender Filmnerd ließ es sich Tarantino nicht
nehmen, "The Hateful 8" in dem seit Jahrzehnten nicht mehr genutzten extremen
Breitwandformat Ultra Panavision 70 zu drehen – in Deutschland können dessen
Vorzüge allerdings nur wenige Zuschauer genießen, denn es gibt gerade
einmal vier Lichtspielhäuser, die noch das nötige Equipment besitzen, um diese Filmfassung
abzuspielen. Der Rest muß mit einer "normalen" Kinofassung vorlieb
nehmen, die übrigens auch um gut fünf Minuten (inhaltlich nicht wesentliche)
Handlung gekürzt ist. Auch in der Kinofassung kommen die epischen
Landschaftsaufnahmen der winterlichen Gebirgsregion vom OSCAR-nominierten
Kameramann Robert Richardson ("Hugo Cabret") aber hervorragend zur
Geltung. Tatsächlich protzt Tarantino – dem man noch nie ein Übermaß an
Bescheidenheit nachsagen konnte – sogar regelrecht damit und drückt dem
staunenden Publikum bereits während des langen Vorspanns jene zwei Elemente von "The Hateful 8" aufs Auge, auf die er offensichtlich am stolzesten ist: Eben das besondere Breitwandformat
– und die Musik von der italienischen Filmkomponisten-Ikone Ennio Morricone.
Dessen klangvolle Stücke verwendete Tarantino schon in seinen früheren Filmen immer wieder
(z.B. in "Kill Bill"), diesmal konnte er den über 80-jährigen Maestro
davon überzeugen, ihm einen kompletten Filmscore zu schreiben (oder zumindest
fast, denn ein paar ältere Morricone-Stücke finden ebenfalls Verwendung). An
die ganz großen Geniestreiche Morricones ("Für eine Handvoll Dollar",
"Spiel mir das Lied vom Tod", "Es war einmal in Amerika")
reicht die mit einem OSCAR prämierte Neukomposition zwar nicht heran, sie fügt
sich aber sehr stimmig in das Gesamtkunstwerk "The Hateful 8" ein und
hat durchaus ein paar besondere Momente zu bieten.
Besagtes Gesamtkunstwerk hat Tarantino in sechs Kapitel
unterteilt, auffälliger ist jedoch eine generelle
Zweiteilung. In der ersten, lange Zeit in der Postkutsche spielenden Hälfte des
fast dreistündigen Films gibt es (bis auf gelegentliche Prügel für die aufmüpfige
Daisy) keinerlei Actioneinlagen, stattdessen werden die acht haßerfüllten
Titelfiguren nach und nach sorgsam eingeführt und es wird vor allem geredet,
geredet und noch mehr geredet. Nun zeichnet eine gewisse Geschwätzigkeit
Tarantinos Filme seit jeher aus (mir ist übrigens durchaus bewußt, daß man das
auch über meine Filmkritiken behaupten könnte …), was aber zumindest für seine
vielen Anhänger kein Problem ist, da es kaum jemanden gibt, der so grandiose, süffisant-raffinierte
Dialoge schreibt wie Quentin Tarantino. Hier neige ich jedoch zu der Ansicht,
daß er es ein wenig übertrieben hat. Vor allem in den ersten beiden Kapiteln
gilt das, in denen wir die beiden Kopfgeldjäger und den neuen Sheriff weniger
durch Taten als durch lange Erzählungen über ihre jeweilige Vergangenheit
kennenlernen. Das wirkt nicht eben cineastisch und hätte durch ein paar
Rückblenden als Ersatz oder Ergänzung
aufgelockert werden können. Womit wir wieder bei der Zweiteilung von "The
Hateful 8" angelangt wären, denn Tarantino setzt sehr wohl auf Rückblenden
– das aber erst ab dem vierten Kapitel, ab dem (in der Originalfassung) er selbst
unvermittelt als Erzähler auf den Plan tritt. Dann finden sie um so häufiger Anwendung
(Kapitel 5 ist sogar eine einzige Rückblende), tendentiell sogar zu
häufig. Meines Erachtens wäre es besser gewesen, sie auf den gesamten Film zu
verteilen als sie anfangs komplett zu ignorieren und gegen Ende dafür ausufern
zu lassen. Es fehlt die rechte Balance.
Was noch fehlt und ob der Redseligkeit der Figuren kein
unerhebliches Problem ist, sind die denkwürdigen Momente, für die
Tarantino-Filme sonst so berühmt sind (man denke etwa an die grandiose
Tavernen-Sequenzen in "Inglourious Basterds" oder den stilvollendeten
fernöstlichen Showdown in "Kill Bill Vol. 1"). So sehr ich mich auch
bemühe, mir will einfach keine einzelne Szene oder Szenenfolge einfallen, die sich
mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt hätte. Und bei jenen, denen das noch
am ehesten gelingt, liegt es weniger an inhaltlicher Brillanz als an der ins
Extrem übersteigerten Splatter-Gewalttätigkeit. Denn das muß klar gesagt
werden: So sehr Tarantino seit jeher ins Groteske übersteigerte Brutalität in
seinen Filmen liebt, "The Hateful 8" toppt alles und manchmal fühlte
ich mich gar an eine Hommage an Peter Jacksons "Braindead" oder David
Cronenbergs "Scanners" erinnert. Daß die FSK den Film trotzdem bereits ab 16 Jahren freigab – anders als etwa den deutlich
realistischer erzählten Kannibalen-Western "Bone Tomahawk", ebenfalls
mit Kurt Russell in einer Hauptrolle – liegt daran, daß die Gewaltszenen durch
die extremen Splattereffekte vollkommen unglaubwürdig wirken. Und das war
natürlich genau so von Tarantino intendiert, der mit der Vorgehensweise den Effekt erzielt, den er sich wünscht: Er nimmt den Gewaltexzessen durch
die bewußte Übertreibung einerseits den allerletzten Biß, sorgt aber
andererseits dafür, daß ihm niemand, der ihm nicht gezielt etwas Schlechtes will, Gewaltverherrlichung unterstellen kann (obwohl das natürlich trotzdem noch
genügend Menschen tun werden) – dafür zeigt er weniger die Gewalt an sich als primär deren
unausweichliche Konsequenzen speziell in den letzten Minuten zu quälend ausführlich
und unbarmherzig.
Generell ist es eindrucksvoll, wie kunstvoll Tarantino in
diese 150 Jahre in der Vergangenheit spielende Geschichte wieder einmal Parallelen zur
heutigen Situation nicht nur, aber vor allem in den USA einarbeitet. Neben der Gewalt spiegeln sich vor allem die
Rassismus-Thematik und die gespaltene Nation in "The Hateful
8" auf geradezu erschreckende Art und Weise wider, wobei Tarantino aber
keineswegs auf eine simple Gut-Böse-Analogie setzt. Obwohl es anfangs nicht
unbedingt so wirkt, ist der Titel nämlich korrekt gewählt: Alle acht
Hauptfiguren sind voller Haß. Weiße hassen Schwarze, Südstaatler hassen Nordstaatler,
Schwarze hassen Mexikaner – und dazu kommen noch zahlreiche etwas feinere
Facetten des Hasses und der Verachtung. Nein, Helden gibt es in "The
Hateful 8" nicht, selbst nach Sympathieträgern muß man lange suchen – und wenn
man mal meint, einen gefunden zu haben, entlarvt er sich bestimmt in der nächsten
Szene selbst mit einer Haßtirade. Das trägt zur Massenkompatibilität natürlich
nur bedingt bei, für die Erreichung großer Zuschauerzahlen ist ein relativ
geradliniger Held wie der rachsüchtige Django (Jamie Foxx) in "Django
Unchained" oder auch dessen charismatischer Kopfgeldjäger-Mentor Dr. King
Schultz (Christoph Waltz) viel geeigneter. Aber das Vorgehen in "The
Hateful 8" hat dafür den Vorteil, daß durch die relativ gleichmäßig verteilten
Anteile von Sympathie und Antipathie gegenüber den samt und sonders
undurchschaubaren Figuren der Handlungsfortgang ziemlich undurchschaubar
ist. Zumindest gilt das für die sich entwickelnden (teils sehr kurzfristigen)
Allianzen und für die Reihenfolge der Toten, denn davon gibt es in der zweiten
Hälfte erwartungsgemäß viele. Da mutiert dann plötzlich Sam Jackson – der in
einem stimmigen Ensemble neben der für ihre sardonische und uneitle Darstellung Daisys zu Recht (und meines Erachtens überfällig) erstmals für den OSCAR nominierten
Jennifer Jason Leigh am stärksten aufspielt – als redseliger Marquis Warren zu
einer Art Wildwest-Poirot, der die Faktenlage klug analysiert und einen
Verdächtigen nach dem anderen ausschließt (was für die "Entlasteten"
aber nicht zwangsläufig gut enden muß …). Das ist im Detail sehr geschickt
konstruiert, klar ist aber auch: Wer Tarantino und Agatha Christie gut kennt, der
kann die große finale Enthüllung früh erahnen. Was sie allerdings kaum
weniger kurzweilig und konsequent macht. Und das gilt für den gesamten Film,
der nicht zu Tarantinos besten zählt, aber immer noch gut zu unterhalten weiß.
Fazit: "The Hateful 8" ist ein für
Tarantino-Verhältnisse recht sperriges Western-Kammerspiel mit starken
Krimi-Anleihen, das auf einem gutem Niveau unterhält, aber seine letztlich nicht
allzu raffinierte Handlung unnötig auf fast drei Stunden aufplustert. Ein
knackiger 120-Minüter hätte wahrscheinlich noch besser funktioniert.
Wertung: 7,5 Punkte.
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