Nun ist es endgültig: Das Jahr 2014 wird als Legendentöter in die Filmgeschichte eingehen: Maximilian Schell, Philip Seymour Hoffman, Harold Ramis, Mickey Rooney, Bob Hoskins, Eli Wallach, James Garner, Robin Williams. Nun auch noch Lauren Bacall. Und wir haben gerade erst August. Lauren Bacall starb gestern, am 12. August (und damit genau einen Tag nach Robin Williams), in ihrer Geburtsstadt New York im Alter von 89 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.
Es gibt ja zwei beliebte Rollen-Klischees über Blondinen: das blonde Dummchen und die kühle Blonde. Lauren Bacall war geradezu der Inbegriff der kühlen (Dunkel-)Blonden, was vor allem ihrer Rolle als einer der größten Stars des Film noir geschuldet ist. In den 1940er und 1950er Jahren gab sie regelmäßig die für dieses Genre so obligatorische Femme fatale, verrucht, undurchsichtig, wunderschön. Mit ihrem geheimnisvollen Auftreten faszinierte sie nicht nur das Publikum, sondern auch ihre Co-Stars: der 25 Jahre ältere Humphrey Bogart wurde sogar ihr Ehemann. Wie erstaunlich die Schauspielerin Lauren Bacall war, beweist bereits die Tatsache, daß ihr allererster Auftritt vor einer Kamera gleich eine Hauptrolle war. Und nicht irgendeine Hauptrolle, sondern eine Hauptrolle in einem heutigen Klassiker der Filmgeschichte: In Howard Hawks' eleganter Hemingway-Verfilmung "Haben und Nichthaben" beeindruckte, wie scheinbar spielerisch und mühelos diese unerfahrene 19-Jährige der Leinwand-Legende Humphrey Bogart die Stirn bot, mit ihrer ungewöhnlich tiefen, stets etwas heiser klingenden Stimme sowie einer lässigen, aber nie bösartigen Arroganz, die beinahe zu einer Art Markenzeichen für sie wurde. Die unterkühlte, aber knisternde Erotik, die der jungen Frau mit den ebenmäßigen, scharf geschnittenen Gesichtszügen aus jeder Pore zu strömen schien, sorgte zusammen mit einer nahezu unheimlichen Harmonie mit ihrem Leinwandpartner Bogart dafür, daß das Publikum in Scharen in die Kinos strömte. Gleichzeitig etablierte sie in ihrer Rolle der Marie Browning eine ganz spezielle Haltung, indem sie in ihrer ersten Szene mit Bogart das Kinn beinahe bis auf die Brust senkte, um so aus ihren schönen grünen Augen zu dem mehrere Zentimeter kleineren Bogart aufblicken zu können (Bacall war stattliche 1,75 m groß), während sie ihn um Feuer für ihre Zigarette bittet. Was auf alle wirkte wie ein genau kalkuliertes, fast schon abgebrühtes schauspielerisches Mittel, das mit diesem geheimnisvoll-verführerischen Blick voller Intensität die Faszination der Figur noch verstärkte, war nach Angaben der Aktrice eigentlich ein Zeichen ihrer großen Nervosität – nur mit dieser Haltung konnte sie ihren Kopf ruhig halten. Tja, so können ikonische Gesten oder Bewegungen eben auch geboren werden: durch puren Zufall.
Diese erste Rolle sollte Bacalls Karriere und Leben (angesichts der bereits angesprochenen Liebesbeziehung zu Bogart) in den nächsten Jahren prägen. Bacall, die 1995 vom Empire Magazine auf Platz 6 der "sexiest filmstars" aller Zeiten gewählt wurde, gab die Femme fatale in zahlreichen weiteren Film noirs und stieg zu einer (Stil-)Ikone des Goldenen Zeitalters von Hollywood auf. "Jagd im Nebel", "Tote schlafen fest", "Die schwarze Natter", "Gangster in Key Largo": In zahlreichen Klassikern dieser Ära wirkte Lauren Bacall mit und wußte stets zu überzeugen, häufig an der Seite Bogarts. Denn daß die Leinwand-Chemie dieses ungleichen Paares von keiner anderen Konstellation dieser Zeit zu übertreffen war, das merkten Publikum und Studiochefs sehr schnell. Bacall war allerdings im wahren Leben ähnlich selbstbewußt wie vor der Kamera, und so wehrte sie sich erfolgreich gegen dauerhaftes Typecasting. In den 1950er Jahren spielte sie in Abenteuerfilmen ("Der gelbe Strom" mit John Wayne, "Brennendes Indien"), Komödien ("Wie angelt man sich einen Millionär", an der Seite von Marilyn Monroe) und Melodramen ("In den Wind geschrieben" mit Rock Hudson), doch nach Bogarts Tod 1957 und einer zweiten Heirat einige Jahre später mit Schauspieler Jason Robards zog sie sich zunehmend aus dem Filmgeschäft zurück und widmete sich stärker dem Broadway, wo sie natürlich ebenfalls überzeugte und mit mehren Tony Awards ausgezeichnet wurde.
Ihre wenigen Filmrollen wählte Lauren Bacall nun sehr bedacht aus: Sie agierte neben Paul Newman in dem Thriller "Ein Fall für Harper" (1966), zählte zum Starensemble der Agatha Christie-Verfilmung "Mord im Orient-Express" (1974), erwies John Wayne in dessen letztem Film "Der letzte Scharfschütze" (1976) noch einmal die Ehre und spielte um 1980 herum mehrfach an der Seite von James Garner (darunter in zwei Episoden der TV-Serie "Detektiv Rockford"). Erst in den 1990ern bekam Lauren Bacall wieder richtig Lust auf Kino und zeigte in Rob Reiners Stephen King-Verfilmung "Misery" (1990), Robert Altmans Modesatire "Prêt-à-Porter" oder der Komödie "'Ein Präsident für alle Fälle" (1996) mit Jack Lemmon und erneut James Garner, daß sie es immer noch drauf hatte. Mehr noch: Für ihre Rolle als Barbra Streisands Mutter in der Romanze "Liebe hat zwei Gesichter" erhielt sie 1997 sogar einen Golden Globe sowie ihre erste und einzige OSCAR-Nominierung (im Jahr 2010 folgte ein Ehren-OSCAR). Zu den bemerkenswertesten Stationen der langen Karriere von Lauren Bacall zählt sicherlich auch ihre zweimalige Zusammenarbeit mit dem dänischen Regie-Enfant terrible Lars von Trier. In "Dogville" (2003) und "Manderlay" (2005), den hochgradig unkonventionellen, allegorischen, minimalistisch inszenierten (es gab kaum Kulissen, Häuser wurden etwa durch Kreidemarkierungen auf dem Boden repräsentiert) ersten beiden Teilen seiner (bis heute nicht vollendenten) "Amerika-Trilogie" blühte sie mit 80 Jahren noch einmal auf und ließ auch in einigen sehr Hollywood-kritischen Interviews deutlich erkennen, daß sie ihr Selbstbewußtsein und ihren teilweise gefürchteten Hang zu klaren Worten nie verloren hat. Lauren Bacalls letzter Film war 2012 das wenig beachtete Drama "Farben der Liebe", letztmals zu hören war sie noch im März 2014 in einer Episode der amerikanischen Zeichentrickserie "Family Guy".
Ruhe in Frieden, Lauren Bacall.
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