Daß jemand, der zeit seines Lebens Menschen zum Lachen bringt, selbst nicht automatisch eine glückliche, sorglose Person sein muß, ist eine alte Binsenweisheit. Eine Binsenweisheit jedoch, deren hoher Wahrheitsgehalt sich mit der (wahrscheinlichen) Entscheidung des von Depressionen geplagten Robin Williams, seinem Leben im Alter von 63 Jahren ein vorzeitiges Ende zu setzen, wieder einmal auf eine tragische Art und Weise bestätigt hat. Als vor einigen Monaten Philip Seymour Hoffman starb, da war ich erschüttert. Allerdings vor allem als Filmfan erschüttert, der genau wußte, daß dieser außergewöhnliche Schauspieler im Normalfall noch mehrere Jahrzehnte voller grandioser darstellerischer Leistungen vor sich gehabt hätte. Dies kann man von Robin Williams nicht unbedingt behaupten. Der begnadete Komiker war zwar auch im Fast-Rentenalter noch ein vielbeschäftigter Mann, seine besten Zeiten als einer der größten, beliebtesten und bestbezahlten Stars weltweit lagen aber doch schon einige Jahre in der Vergangenheit. Bei Robin Williams ist die Erschütterung über seinen Tod viel persönlicher als bei Hoffman. Einerseits, weil Williams (anders als der als sehr schwierig bekannte Hoffman) von so ziemlich allen, die ihm jemals begegnet sind, als extrem unkompliziert und freundlich beschrieben wird, als geborener Spaßmacher, der im Gegensatz zu vielen anderen Komikern nicht nur vor der Kamera oder auf der Bühne außergewöhnlich witzig ist, sondern in fast jeder Lebenssituation; selbst über seine zwischenzeitliche Alkohol- und Drogensucht sprach er öffentlich mit viel Humor und Selbstironie. Andererseits aber auch deshalb, weil Williams der Hauptdarsteller meines absoluten Lieblingsfilms ist, der mich, seit ich ihn als Jugendlicher zum ersten Mal sah, beeindruckt, geprägt und inspiriert hat wie wohl kein anderer: "Der Club der toten Dichter".
Schon vor Peter Weirs brillanter Tragikomödie aus dem Jahr 1989 über die Bewohner eines Jungeninternats in den späten 1950er Jahren hatte Williams bewiesen, daß er weit mehr kann als "nur" Comedy. Erstmals beeindruckte er in der Hauptrolle der John Irving-Adaption "Garp und wie er die Welt sah", seine erste von vier OSCAR-Nominierungen holte er sich 1988 für seine Rolle als Radio-DJ für die amerikanischen Truppen während des Vietnam-Kriegs. Doch "Der Club der toten Dichter" ist noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Der Coming-of-age-Film über einige unangepaßte Teenager, die gegen die strengen Regeln und Moralvorschriften ihres erzkonservativen Internats rebellieren und dabei moralische Unterstützung von ihrem neuen Englischlehrer John Keating (Williams) erfahren, ist mit jeder einzelnen Faser seines Daseins ein Meisterwerk. Ob das wunderbare, tiefsinnige Drehbuch von Tom Schulman, die begnadete Kameraarbeit von John Seale, die eingängige, zu Herzen gehende Musik von Maurice Jarre oder die inspirierte Regie von Peter Weir: Hier paßt einfach alles. Und dazu zählt auch und ganz besonders das Schauspielensemble, zusammengesetzt aus damals unbekannten jungen Leuten (die heute erfolgreichsten sind Ethan Hawke aus "Boyhood" sowie die TV-Darsteller Robert Sean Leonard aus "Dr. House" und Josh Charles aus "The Good Wife"), die perfekt miteinander harmonieren, und angeführt von Robin Williams als engagierter Lehrer und Mentor, der ihnen das Motto "Carpe Diem" ("Nutze den Tag") nahebringt. Die Anzahl der unvergeßlichen Szenen, die "Der Club der toten Dichter" uns beschert hat, ist kaum zu zählen, und in vielen davon stand Robin Williams' Mr. Keating im Mittelpunkt.
Man denke nur an die wunderbare Szene im Klassenzimmer, in der Keating den beinahe krankhaft schüchternen Schüler Todd (Hawke) mit seinen Motivationskünsten dazu bringt, vor versammelter Klasse sein barbarisches "YAWP" über die Dächer der Welt herauszuschreien (inspiriert von einem Gedicht von Walt Whitman). Oder an die Lektion draußen auf dem Hof, in der er die Jungs einfach herumlaufen läßt, um ihnen zu demonstrieren, wie schnell sie von selbst in ein einheitliches, militärisches Marschmuster verfallen, fernab jeglicher Individualität. Oder daran, wie einfühlsam er sich um den von den hohen Ansprüchen seines Vaters geradezu erdrückten Neil (Leonard) kümmert, der viel lieber Schauspieler werden will als Anwalt. Und natürlich an die emotional unübertreffliche Schlußszene, in der der nach einem tragischen Unglücksfall zum Sündenbock gestempelte und gefeuerte Keating letztmals niedergeschlagen sein Klassenzimmer verläßt, nur um von einigen Schülern (daß es nicht unrealistischerweise alle sind, ist übrigens eine der vielen Kleinigkeiten, die "Der Club der toten Dichter" insgesamt so großartig machen) eine finale Würdigung seiner Arbeit zu erhalten, indem sie unter dem Zetern des Schulleiters und zu Maurice Jarres bewegender Musik auf ihre Tische steigen und den sichtlich bewegten Keating mit einem von Herzen kommenden "O Captain, My Captain" (wiederum ein Whitman-Zitat) verabschieden. Die Ausdruckskraft und die unbändige Energie, mit denen Robin Williams seine Rolle verkörpert, ist eine Wucht, gerade in den nachdenklichen oder emotional schmerzhaften Szenen. Dafür gab es Williams' zweite OSCAR-Nominierung.
Für mich war das eine Rolle, die Williams gar nicht mehr toppen konnte. Was nicht heißen soll, daß er es nicht versucht hätte, und zwar mit durchaus sehr ansehnlichem Erfolg. In Penny Marshalls Drama "Zeit des Erwachsens" (1990) überzeugte er an der Seite von Robert De Niro als Arzt, in Terry Gilliams Tragikomödie "König der Fischer" (1991) beeindruckte er als leicht verrückter Obdachloser (OSCAR-Nominierung Nr. 3), Steven Spielberg engagierte ihn für seinen Blockbuster "Captain Hook" (1991) als erwachsenen Peter Pan und in Disneys Zeichentrick-Klassiker "Aladdin" (1992) begeisterte er in der Originalfassung das Publikum als Sprecher des Dschinns. Wiederum ein Jahr später feierte Williams seinen größten kommerziellen Erfolg als Hauptdarsteller mit Chris Columbus' warmherziger Komödie "Mrs. Doubtfire", in der er einen geschiedenen Vater und Schauspieler verkörpert, der sich mit aller Kunst als Kindermädchen verkleidet, um seinen Kindern nahe zu sein. Es folgte weiterhin Hit auf Hit: 1998 gab es endlich einen OSCAR für seine Rolle als Psychiater in Gus van Sants "Good Will Hunting", im Jahr 2002 überraschte (und überzeugte) er als Serienkiller in Christopher Nolans düsterem Thriller "Insomnia" und als Stalker in Mark Romaneks Psycho-Thriller "One Hour Photo". Zwar war Williams nach der Jahrtausendwende angesichts einiger Flops (allen voran Columbus' "Der 200 Jahre Mann") nicht mehr als Hauptdarsteller in Großproduktionen gefragt, doch in Nebenrollen in Filmen wie der "Nachts im Museum"-Reihe oder als Sprecher von Animationsfilmen war er bis zum Schluß sehr beliebt, sogar sein spätes Broadway-Debüt feierte er noch. Seine mit Spannung erwartete Rückkehr zum Fernsehen, das Williams Ende der 1970er Jahre als Außerirdischer in der Comedy-Serie "Mork vom Ork" den Durchbruch beschert hatte, ging 2013 mit "The Crazy Ones", das nach einer Staffel wieder abgesetzt wurde, allerdings ziemlich daneben. An Weihnachten wird man Robin Williams noch einmal im Kino bewundern dürfen, als US-Präsident Teddy Roosevelt im dritten "Nachts im Museum"-Abenteuer. Zur erst kürzlich unerwartet angekündigten Fortsetzung von "Mrs. Doubtfire" wird es leider nicht mehr kommen.
Fest steht aber: Es kann nicht allzu viele Personen geben, die mehr Menschen zum Lachen gebracht haben als er. Goodbye, Robin Williams, O Captain, My Captain.
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