Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 9. März 2023

EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE (2022)

Regie und Drehbuch: Daniel Kwan und Daniel Scheinert, Musik: Son Lux
Darsteller: Michelle Yeoh, Ke Huy Quan, Stephanie Hsu, James Hong, Jamie Lee Curtis, Tallie Medel, Harry Shum Jr., Jenny Slate, Biff Wiff, Randy Newman (Stimme), Daniel Scheinert, Daniel Kwan
Everything Everywhere All at Once (2022) on IMDb Rotten Tomatoes: 93% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $143,4 Mio.
FSK: 16, Dauer: 139 Minuten.
Evelyn Wang (Michelle Yeoh, "Gunpowder Milkshake") hat es nicht leicht: Ihr Waschsalon ist kaum profitabel, in ihrer Ehe mit Waymond (Ke Huy Quan, "Die Goonies") läuft es schon lange nicht mehr rund und ihre erwachsene Tochter Joy (Stephanie Hsu, TV-Serie "The Path") ist in erster Linie genervt von ihrer Mutter. Dann sorgt auch noch Evelyns konservativer Vater (James Hong, "Tango und Cash"), der zu Besuch aus China ist, für zusätzliche Turbulenzen und die unerbittliche Finanzbeamtin Deirdre (Jamie Lee Curtis, "Halloween") droht wegen ungenügender Steuerunterlagen mit der Schließung des Waschsalons. Und als wäre all dies nicht schon chaotisch genug, taucht plötzlich eine alternative Version ihres Gatten Waymond aus einem Paralleluniversum auf und erklärt der fassungslosen Evelyn, sie sei womögllich der Schlüssel zur Rettung des Multiversums vor einer gewissen Jobu Tupaki. Nachdem Evelyn anerkennen muß, daß das kein Gag ist, zeigt "Alpha Waymond" ihr, wie sie sich die Fähigkeiten ihrer Alter Egos aus den unzähligen Paralleluniversen aneignen kann, denn nur so habe sie eine Chance, Jobu Tupaki zu stoppen ...

Kritik:
Die Karriere von Michelle Yeoh dürfte ziemlich einzigartig sein. Die gebürtige Malaysierin wurde als junge Frau (teilweise unter dem Namen Michelle Khan) im florierenden Hongkong-Kino der 1980er Jahre als Actionstar entdeckt und fand an der Seite von Martial Arts-Ikonen wie Jackie Chan ("Police Story 3"), Sammo Hung ("Powerman 2") oder Cynthia Rothrock ("Ultra Force 2") auch im Westen viele Fans. In den 1990er Jahren wechselte Yeoh verstärkt zum historischen Wuxia-Genre (also Schwerter statt Pistolen) mit Werken wie "Die Macht des Schwertes" mit Tony Chiu-Wai Leung, "Tai Chi" mit Jet Li oder "Wing Chun" neben Donnie Yen und weckte so auch das Interesse Hollywoods. Nach ihrem Auftritt im James Bond-Film "Der Morgen stirbt nie" (1997) und der Hauptrolle in Ang Lees OSCAR-prämiertem Wuxia-Meisterwerk "Tiger & Dragon" hätte man meinen können, daß ihr Weg zum echten Weltstar vorgezeichnet ist – doch stattdessen verlief ihre Karriere zunehmend zäh. Das lag einmal daran, daß viele Hollywood-Verantwortliche nicht so recht wußten, wie sie mit ihr umgehen sollten – nach ihrer Aussage hatten etliche keine Ahnung, ob sie überhaupt Englisch spricht –, zum anderen aber auch am unaufhaltsamen Niedergang des Hongkong-Kinos nach der "Wiedervereinigung" mit China im Jahr 1997. So mußte sie sich nach dem Jahrtausendwechsel mit zumeist kleineren Rollen in Filmen wie "Die Geisha", "Sunshine" oder "Die Mumie 3" begnügen. Wer weiß, ob sie selbst im mittlerweile fortgeschrittenen Ü50-Alter überhaupt noch an den ganz großen Karrieresprung glaubte – doch glücklicherweise kam der tatsächlich: 2017 wurde Michelle Yeoh zum "Star Trek"-Captain in der Serie "Discovery", hatte ein kleines, aber feines Cameo in James Gunns "Guardians of the Galaxy Vol. 2" und war Teil des Ensembles des Überraschungs-Hits "Crazy Rich". Seitdem war sie plötzlich wieder gut beschäftigt und in den verschiedensten Projekten zu sehen (etwa in Marvels "Shang-Chi" oder der Netflix-Miniserie "The Witcher: Herkunft des Blutes") – und wurde mit 62 Jahren für ihre Rolle im gefeierten Independent-Film "Everything Everywhere All at Once" erstmals für den OSCAR nominiert. Und das natürlich völlig verdient, denn in dem unkonventionellen und enorm einfallsreichen Genremix zeigt Michelle Yeoh einmal mehr, was sie schauspielerisch alles drauf hat!

Kurioserweise ist Yeoh aber nicht mal die einzige aus dem "Everything ..."-Ensemble mit einer einzigartigen Vita. So war ihr Filmgatte Ke Huy Quan Mitte der 1980er Jahre ein Kinderstar, der an der Seite von Harrison Ford in "Indiana Jones und der Tempel des Todes" sowie in dem gefeierten Coming of Age-Klassiker "Die Goonies" Hauptrollen spielte, als Erwachsener aber kaum noch Rollen bekam und deshalb nur noch gelegentlich hinter den Kulissen u.a. als Stunt-Choreograph auftrat. Mit "Everything …" feiert der gebürtige Vietnamese nun nach 20-jähriger Auszeit sein großes Comeback vor der Kamera – und wurde prompt ebenfalls für den OSCAR nominiert! Und dann wäre da noch der inzwischen 94 Jahre alte James Hong, dessen Karriere in den 1950er Jahren begann, aber lange Zeit durch den Rassismus in Hollywood ausgebremst und auf kleine, oft klischeehafte Nebenrollen limitiert wurde. Erst in hohem Alter wurde er unter Filmfans immer bekannter, auch weil sich unter den laut IMDb mehr als 450 Kinofilmen und TV-Serien, in denen er mitspielte, zahlreiche heutige Klassiker wie "Kanonenboot am Yangtse-Kiang", "Chinatown", "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug", "Blade Runner", "Big Trouble in Little China", "Wayne's World 2" oder (als Sprecher) die "Kung Fu Panda"-Reihe befinden. Der Cast von "Everything Everywhere All at Once" kann also unter dem Strich definitiv als spektakulär bezeichnet werden und rechtfertigt es, daß ich zwei lange Absätze auf ihn verwendet habe (und dabei habe ich die ebenfalls OSCAR-nominierten Jamie Lee Curtis und Stephanie Hsu noch gar nicht erwähnt).

Damit wird es aber höchste Zeit, auf den Film selbst zu sprechen zu kommen: Das Regie- und Drehbuchduo Daniel Kwan und Daniel Scheinert – das sich selbst auch "The Daniels" nennt – hat nach seinem Langfilm-Debüt "Swiss Army Man" erneut eine äußerst skurrile Geschichte ersonnen, die aber diesmal noch größer, noch temporeicher, noch einfallsreicher daherkommt und sich daher das Kritikerlob und die Auszeichnungen inklusive elf OSCAR-Nominierungen redlich verdient hat. Angesichts der Multiversum-Handlung liegt ein Vergleich mit dem Marvel Cinematic Universe nahe, in dem ein Multiversum ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Doch während das MCU-Multiversum bei allen erzählerischen Möglichkeiten den franchiseinternen Regeln unterworfen ist, können "die Daniels" bei ihrer eigenen Schöpfung viel freier vorgehen. Und diese kreative Freiheit nutzen sie weidlich aus, indem sie eine Verrücktheit und skurrile Idee an die nächste reihen. Da gibt es ein Universum, in dem alle Menschen Hotdog-Finger haben, in einem anderen wurde das "Kleiner Finger-Kung Fu" zur Meisterschaft gebracht. Für viel Gelächter im Publikum sorgt auch der Kniff, daß man etwas möglichst Unwahrscheinliches tun muß, um die Universen zu wechseln, was immer wieder zu haarsträubenden Situationen führt. Die Akteure machen alles mit großer Leidenschaft mit und die Hauptdarsteller schaffen es auch, die unterschiedlichen Varianten ihrer Figuren glaubhaft und deutlich unterscheidbar zu interpretieren. Neben Michelle Yeoh verdient sich in dieser Hinsicht besonders (und sogar noch mehr als Yeoh) Ke Huy Quan ein großes Lob – es ist schon bemerkenswert, wie scheinbar spielerisch leicht er nach seiner 20-jährigen Schauspielpause zwischen den unterschiedlichen Waymonds wechselt!

Was die Logik dieser herrlich anarchischen Multiversums-Geschichte betrifft, ist es vermutlich gut, daß der Film so temporeich und fast ohne Verschnaufpausen inszeniert ist, daß man gar nicht groß darüber nachdenken kann, wieviel Sinn die Story ergibt. Gleichzeitig ist so aber natürlich eine komplexe Figurenzeichnung relativ schwierig zu erreichen. Dennoch gelingt es den Daniels, die zentralen Protagonisten sympathisch und nachvollziehbar genug zu gestalten, daß man sie recht schnell ins Herz schließt – zumal unter all der schwarzhumorigen, mitunter surrealistisch anmutenden Skurrilität letztlich eine sehr universelle, humanistische Geschichte über eine komplizierte Familie und das Streben nach Glück, Selbstverwirklichung und dem Sinn des Lebens verborgen ist. Die übrigens auch gelungen und überraschend emotional zu Ende gebracht wird. Angesichts eines Budgets im eher niedrigen zweistelligen Millionenbereich erreichen die Spezialeffekte derweil natürlich kein Blockbuster-Niveau, das gleicht "Everything …" aber durch Kreativität, Detailverliebtheit und schlicht gute handwerkliche Arbeit locker aus. Nach "Swiss Army Man" und "Everything Everywhere All at Once" muß man gespannt sein, was sich Daniel Kwan und Daniel Scheinert für ihren nächsten Film ausdenken werden. Ich bin sicher, es etwas Ungewöhnliches sein. Und auf weitere Filme mit Ke Huy Quan freue ich mich auch schon.

Fazit: "Everything Everywhere All at Once" ist eine anarchische Actionkomödie voller skurriler Einfälle und Charaktere, zum Leben erweckt von einem wunderbaren, spielfreudigen Ensemble rund um Michelle Yeoh.

Wertung: Knapp 9 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen