Regie: Steven Spielberg, Drehbuch: Tony Kushner, Musik: Leonard
Bernstein
Darsteller: Ansel
Elgort, Rachel Zegler, Ariana DeBose, Josh Andrés Rivera, Rita
Moreno, Mike Faist, David Alvarez, Corey Stoll, Brian d'Arcy James,
Iris Menas, Patrick Higgins, Sebastian Serra, Jess LeProtto, Paloma Garcia-Lee, Eloise
Kropp, David Aviles Morales, Kyle Allen
FSK: 12, Dauer: 157
Minuten.
New York, 1958:
Während das reichlich heruntergekommene Viertel Upper West Side in einen
gehobenen Stadtteil verwandelt wird und in der Folge die bisherigen
Einwohner – überwiegend puertoricanische Immigranten und arme
Weiße – nach und nach vertrieben werden, wird die heftige Rivalität
zwischen zwei Jugendgangs trotz der Bemühungen von Lieutenant Schrank (Corey Stoll, "Ant-Man") und Sergeant Krupke (Brian d'Arcy James, "Spotlight") immer hitziger. Die aus den Nachkommen
europäischer Einwanderer zusammengesetzten Jets um Anführer
Riff (Mike Faist, "Wildling") und die puertoricanischen Sharks um den
Amateur-Boxer Bernardo (David Alvarez, TV-Serie "American Rust") prallen immer wieder
aufeinander, ein großangelegter "Rumble" scheint
unausweichlich. Bei einem früheren dieser großen Kämpfe hätte
Riffs bester Freund und damaliger Co-Anführer der Jets, Tony (Ansel
Elgort, "Baby Driver"), beinahe einen Gegner getötet und
mußte daher für ein Jahr ins Gefängnis – seitdem arbeitet er
im Laden von Valentina (Rita Morena, "Der König und ich") und versucht, sich von den Gangs
fernzuhalten, zumal er noch auf Bewährung ist. Als Tony allerdings
bei einer Tanzveranstaltung ausgerechnet auf Bernardos jüngere Schwester
María (Rachel Zegler) trifft und die beiden sich auf den ersten
Blick ineinander verlieben, droht die Situation endgültig zu
eskalieren. Während Tony und María in ihrer verbotenen Liebe
schwelgen, wird der nächste Rumble vereinbart ...
Kritik:
Die
Anzahl der Menschen, die sich eine Neuverfilmung des 1957 am Broadway
uraufgeführten Musicals "West Side Story" wünschten,
dürfte sehr niedrig gewesen sein. Immerhin gilt Robert Wises mit
sagenhaften zehn OSCARs prämierte erste Adaption aus dem Jahr 1961
als eines der besten und beliebtesten Musicals aller Zeiten.
Dementsprechend schien eine Neufassung in etwa so sinnvoll wie, sagen
wir, ein Remake von "Ben-Hur"
oder "Psycho".
Steven Spielberg war das allerdings herzlich egal, denn er wollte
schon immer einmal ein Musical drehen und die "West Side Story"
war ein offensichtlich prägender Teil seiner Jugend – und wenn der Quasi-Erfinder des modernen Blockbusters eine neue Version der
"West Side Story" drehen will, dann dreht er eine neue Version der "West Side Story"! Jedoch: Selbst der Name Steven Spielberg garantiert heutzutage keinen
kommerziellen Erfolg mehr, und so floppte "West Side
Story" trotz eines lukrativen Starttermins zur Weihnachszeit,
starker Kritiken und immerhin sieben OSCAR-Nominierungen auf der
ganzen Linie: Bei einem Budget von etwa $100 Mio. belaufen sich die globalen Einspielergebnisse auf weniger als $80 Mio. … Verdient
ist das nicht, denn Spielbergs "West Side Story" kann sich
mit dem Original locker messen und übertrifft es qualitativ
mit seinen
behutsamen, aber effektiven Modernisierungen womöglich sogar leicht. Aber vielleicht war Spielbergs trotz der inhaltlichen Anpassungen bewußt altmodische, sich nicht an heutige Sehgewohnheiten anbiedernde Inszenierung
einfach etwas zu traditionsbewußt, um 60 Jahre nach der ersten
Verfilmung noch einmal ein großes Publikum in die Kinos zu locken.
Meine
eigenen Erwartungen an Spielbergs "West Side Story" waren wohl sogar noch ein wenig geringer als die anderer Kinofans,
denn ich war bereits nie ein großer Fan des Originals. Zum einen
holte mich die Romeo und Julia-Geschichte mit tanzenden Jugendgangs
nie richtig ab, zusätzlich traf auch die Musik der beiden Legenden
Leonard Bernstein und Stephen Sondheim nur bedingt meinen Geschmack.
Natürlich sind die Welthits "Maria" und "Somewhere"
schöne Balladen und "America" ist ein echter Gassenhauer; doch
im Vergleich zu meinen Lieblings-Musicals wie "Les Misérables",
"Heut' gehen wir bummeln", "Singin' in the
Rain","Hello Dolly!", "Anatevka" oder
"Chicago" läßt mich die Musik der "West Side Story"
doch relativ kalt. Das ändert sich naturgemäß auch
in Spielbergs Version nicht, in der lediglich die Reihenfolge der Songs
leicht variiert wird. Begeisternd ist hingegen die
aufwendige und gewollt an die großen Musicals der
1950er und 1960er Jahre erinnernde Choreographie der
Massen-Tanzszenen, die dabei nur bedingt zur eigentlich sehr
ernsten Handlung passen wollen. Auch dies war bereits bei Robert
Wises Film ein Problem, dort sogar noch ausgeprägter. Spielberg
war sich dessen offensichtlich bewußt und verzichtet deshalb etwa
auf die alles andere als geschmackssicheren Tanzschritte bei
einer Beinahe-Vergewaltigung, auch der große "Rumble"
zwischen Sharks und Jets ist realistischer gefilmt. Es
ist generell der größte Unterschied zwischen beiden Versionen der
"West Side Story": Spielbergs Fassung wirkt erheblich
lebensechter, indem sie die gar nicht so wenigen düsteren Szenen nicht verharmlost, sondern möglichst lebensecht zeigt, vom
alltäglichen Rassismus und der Thematik der Gentrifizierung bis zur wirklich beklemmenden, ja abstoßenden
Beinahe-Vergewaltigungsszene. Durch diese stärkere Einbindung in die
Realität ist Spielbergs "West Side Story" naturgemäß
weniger Eskapismus als das Original, aber das ist in dieser Hinsicht
nunmal eindeutig schlecht gealtert, weshalb Spielbergs Ansatz – in
dem Jets und Sharks weitgehend gleichberechtigt behandelt werden,
während bei Robert Wise der Fokus klar auf den Jets lag –
eindeutig eine Verbesserung darstellt. Alle – jedenfalls für mich
– problematischen Stellen konnte man jedoch nicht ausmerzen, ohne das
Ausgangsmaterial zu verfälschen, und so bleibt es dabei, daß der
Handlungsverlauf und das Verhalten der Figuren mitunter befremdet. Nennt mich einen Spießer, aber mit dem Mann die
Nacht zu verbringen, der wenige Stunden zuvor meinen geliebten Bruder
ermordet hat, halte ich beispielsweise für minimal unpassend ...
Spaß
macht die neue "West Side Story" zumindest bis zum großen
Rumble natürlich trotzdem mit den – persönlicher Geschmack hin
oder her – schmissigen Songs und einer detaillierten, liebevollen
und farbenfrohen Rekronstruktion des New York der späten 1950er
Jahre, die vom erfahrenen Kameramann Janusz Kamiński ("Schindlers Liste")
farblich am Stil der damaligen Musical-Ära ausgerichtet wurde.
Und auch die Besetzung sorgt für viel Freude, wobei vor allem die
Frauen großen Eindruck hinterlassen. Da wäre zunächst die
bezaubernde Hauptdarstellerin Rachel Zegler, die in ihrem
Leinwanddebüt (im Alter von 18 Jahren) ebenso selbstbewußt wie
talentiert auftritt und die zentrale Liebesgeschichte zwischen María
und Tony mit ganz viel Herz erfüllt, zudem sehr gut singt.
Dafür gab es einen verdienten Golden Globe, auch wenn sie bei den
OSCAR-Nominierungen etwas überraschend leer ausging. Hier
triumphierte dafür als beste Nebendarstellerin Ariana DeBose
(TV-Serie "Westworld"), die als Bernardos temperamentvolle
Freundin Anita immer wieder zum Scenestealer avanciert. Und dann ist
da auch noch die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 87-jährige
puertoricanische Legende Rita Moreno (eine von,
Stand 2022, 17 EGOT-Gewinnern, die also Emmy, Grammy, OSCAR und Tony
erhielten), die in der Original-"West Side Story" die Anita
spielte und dafür einen OSCAR bekam. Spielberg schuf für die
rüstige Dame eigens die neue Figur der verwitweten Valentina, die
mit einem Weißen verheiratet war, jetzt Tonys mitfühlende
Arbeitgeberin ist, als eine Art von allen respektierte
Vermittlerin zwischen Jets und Sharks fungiert und gerade gegen Ende in einigen emotionalen Szenen und mit dem Song "Somewhere" bewegt. Auch die Männer im
"West Side Story"-Cast machen ihre Sache gut, ohne so sehr glänzen zu können wie ihre weiblichen Gegenstücke. Am
überzeugendsten fällt die Leistung von Debütant Josh Andrés Rivera als
Bernardos sanfter und kluger Freund und Marías Verehrer Chino aus.
Diese Rolle wurde im Vergleich zum Original deutlich aufgewertet und
Rivera interpretiert sie in ihrer Ambivalenz ganz vorzüglich. Mike
Faist überzeugt als aufbrausender Jets-Anführer Riff ebenfalls,
auch wenn die Figur eher klischeehaft wirkt. Vergleichsweise
blaß bleibt dagegen David Alvarez als Sharks-Anführer Bernardo. Und
Hauptdarsteller Ansel Elgort? Der "Baby Driver"-Star spielt
und singt gut und hat einige starke Szenen, so richtig mitreißen
kann er aber nur selten und die Chemie zwischen ihm und Rachel Zegler
hätte gerne noch ein wenig stärker ausgeprägt sein dürfen. Letztlich
ist Steven Spielberg eine richtig gute Neuverfilmung eines
Musical-Klassikers gelungen, der man die Leidenschaft des Regisseurs
für den Stoff und das Genre jederzeit anmerkt und die schauspielerisch und handwerklich nur wenige Wünsche offenläßt – die Handlung
selbst ist und bleibt jedoch trotz kluger Anpassungen durch Spielberg
und Drehbuch-Autor Tony Kushner ("Lincoln") zumindest in
Teilen Geschmackssache ...
Fazit:
Spielbergs "West Side Story" ist eine betont altmodisch
inszenierte, inhaltlich nur leicht, aber klug modernisierte Hommage
ans Musical-Kino der 1960er Jahre mit einer guten, spiel- und
sangesfreudigen Besetzung.
Wertung:
7,5 Punkte.
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