OSCAR-News: Vor einigen Tagen hat mit Venedig und dem US-amerikanischen Telluride die jährliche Herbstfestival-Saison begonnen, in der viele OSCAR-Hoffnungen ihre Premiere feiern. Ich will mal ein paar der bisherigen Kritikerreaktionen zusammenfassen:
Für den größten Wirbel hat zweifellos Todd Phillips' "Joker" gesorgt, der in Venedig Standing Ovations erhielt und von den meisten Kritikern gefeiert wird. Titeldarsteller Joaquin Phoenix wird fast ausnahmslos eine weitere Weltklasseleistung attestiert, er dürfte somit den Weg seines Rollenvorgängers Heath Ledger ("The Dark Knight") gehen und sich mindestens eine OSCAR-Nominierung sichern. Inwiefern die tonal mit den Frühwerken von Martin Scorsese - allen voran "Taxi Driver", aber auch "The King of Comedy" - verglichene Neuinterpretation der Herkunft von Batmans ikonischstem Gegenspieler generell OSCAR-tauglich ist, muß sich angesichts der generellen Comicskepsis der Academy zeigen, auch wenn dieser "Joker" offensichtlich nur sehr, sehr wenig mit sonstigen Superhelden-Filmen zu tun hat und daher das Multiplex-Kino deutlich stärker spalten sollte als die professionellen Kritiker. Ich will allerdings auch nicht verheimlich, daß vereinzelte Kritiker die Art und Weise, wie die Evolution des Jokers gezeigt und begründet wird, für tendentiell fragwürdig halten. In Deutschland soll "Joker" jedenfalls am 10. Oktober die Leinwände erobern.
Auf ganz andere Art und Weise ist Noah Baumbachs "Marriage Story" in Venedig zu einem heißen Gesprächsthema geworden, denn das Scheidungsdrama soll dermaßen herzzerreißend realistisch und emotional sein, daß es sich zahlreichen Rezensenten tief ins Bewußtsein eingegraben hat. Die Hauptdarsteller Scarlett Johansson und Adam Driver sollten ebenso wie Regisseur und Autor Baumbach ganz weit vorne im OSCAR-Rennen liegen (für Johansson wäre es die überfällige erste Nominierung!), zudem hat Laura Dern glänzende Aussichten auf eine Nominierung als Nebendarstellerin. Großer Wermutstropfen für deutsche Kinofans: "Marriage Story" ist eine Netflix-Produktion, die außerhalb der USA größtenteils gar nicht (regulär) auf die große Leinwand kommt, in Deutschland ist der Start beim Streaming-Dienst am 6. Dezember geplant - aber vielleicht läuft es ja wie dieses Jahr bei "Roma" und es gibt spätestens zur OSCAR-Verleihung hin doch ein paar Kinovorstellungen ...
Definitiv ins Kino kommen (und zwar bereits am 19. September) wird glücklicherweise James Grays SciFi-Drama "Ad Astra - Zu den Sternen", in dem sich Brad Pitt als einzelgängerischer NASA-Ingenieur auf die Suche nach seinem vor 20 Jahren auf einer Raummission zum Neptun spurlos verschwundenen Vater (Tommy Lee Jones) macht. Die Kritiken sind gut bis sehr gut ausgefallen, aber doch nicht gut genug, um eine ganz große Rolle bei den OSCARs (abseits der technischen Kategorien und vielleicht Pitt als Hauptdarsteller) zu erwarten.
Gar keine Rolle in der Awards Season dürfte trotz viel Lob für Hauptdarstellerin Kristen Stewart das Thriller-Drama "Against All Enemies" (Originaltitel: "Seberg") spielen, denn die Kritiken für das unkonventionelle Biopic über die als Teil der Nouvelle Vague in der 1960er Jahren berühmt gewordene und mit 40 Jahren unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen verstorbene US-Schauspielerin Jean Seberg fielen eher mittelmäßig aus; in Deutschland müssen wir uns bis zum 26. März 2020 gedulden. Ähnlich sieht es mit Roman Polanskis Historiendrama "An Officer and a Spy" mit Jean Dujardin und Emmanuelle Seigner aus, der die Ende des 19. Jahrhunderts stattfindende französische "Dreyfus-Affäre" aufarbeitet und nach meinem Eindruck bei europäischen Kritikern deutlich besser ankommt als bei amerikanischen. Einen deutschen Starttermin gibt es noch nicht.
Apropos Biopics: In Telluride beeindruckte Renée Zellweger als "Die Zauberin von Oz"-Star Judy Garland in "Judy" (soll am 2. Januar 2020 in Deutschland anlaufen), in dem die wenig glamourösen letzten Jahre der US-Schauspielerin im Mittelpunkt stehen. Eine weitere OSCAR-Nominierung für Zellweger gilt als ziemlich sicher, der Film an sich ist jedoch wohl etwas zu konventionell geraten für Nennungen in weiteren Hauptkategorien der Academy Awards. Das könnte bei "Le Mans 66 - Gegen jede Chance" (Originaltitel: "Ford v Ferrari", der deutsche Kinostart ist am 14. November) anders aussehen, denn James Mangolds ("Logan") hochkarätig besetztes Rennfahrerdrama über die Rivalität zwischen den Motorsport-Rennställen Ford und Ferrari kam in Telluride glänzend an, die beiden Hauptdarsteller Christian Bale und Matt Damon dürften wenig überraschend ebenfalls ins OSCAR-Rennen eingreifen (auch wenn Ron Howards "Rush" vor ein paar Jahren zeigte, daß selbst qualitativ hochwertige Rennfahrerfilme es bei der Academy schwer haben). Das könnte deutlich unerwarteter auch dem Brachial-Komiker Adam Sandler gelingen, der ja immer wieder einmal zeigt, daß er sehr wohl auch in ernsten Filmen seinen Mann stehen kann (z.B. in "Die Liebe in mir" und "The Meyerowitz Stories") - das tut er in dem tragikomischen Thriller-Drama "Uncut Gems" von den Safdie-Brüdern ("Good Time") als spielsüchtiger Juwelier dem Vernehmen nach sogar noch überzeugender als zuvor. Vielleicht schafft Sandler nach unzähligen Goldenen Himbeeren also tatsächlich noch die erste OSCAR-Nominierung ... Einen deutschen Starttermin gibt es bisher nicht.
Beide Festivals laufen noch ein paar Tage, eventuell werde ich noch irgendwann ein Update geben respektive eine abschließende Bilanz ziehen - es kann aber auch sein, daß ich nur auf einzelne Filme bei Twitter hinweise.
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