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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 3. April 2018

I, TONYA (2017)

Regie: Craig Gillespie, Drehbuch: Steven Rogers, Musik: Peter Nashel
Darsteller: Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney, Julianne Nicholson, Caitlin Carver, Paul Walter Hauser, Bobby Cannavale, Bojana Novakovic, Jason Davis, Cory Chapman, Ricky Russert, Anthony Reynolds
I, Tonya
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 90% (7,8); weltweites Einspielergebnis: $53,9 Mio.
FSK: 12, Dauer: 120 Minuten.

In den 1970er Jahren wird die gerade mal dreijährige Tonya von ihrer wenig fürsorglichen, aber umso durchsetzungsstärkeren Mutter LaVona (Allison Janney, "The Help") zum Eiskunstlaufen gebracht – die Trainerin Diane (Julianne Nicholson, "Black Mass") nimmt zwar eigentlich keine so kleinen Kinder in ihre Gruppe auf, doch als sie sieht, was Tonya bereits drauf hat, macht sie eine Ausnahme. Und tatsächlich ist das Kind ein Naturtalent, das bereits früh Wettbewerbe gewinnt und als junge Erwachsene (Margot Robbie, "The Wolf of Wall Street") auf dem Weg zu Olympia 1992 in Albertville ist. Privat läuft es allerdings nicht so gut, da sie noch immer unter der Fuchtel ihrer Mutter steht und ihre stürmische Beziehung zu Jeff (Sebastian Stan, "Captain America") mehr Tiefen als Höhen hat. Dazu kommt noch, daß die Eiskunstlaufrebellin Tonya – die zu rockigen Klängen anstatt zu der üblichen klassischen Musik läuft, sich wenig damenhaft gibt und sich ihre Kostüme aus Geldnot selbst näht – von den Jurymitgliedern klar benachteiligt wird. Auch deshalb entwickeln irgendwann der nicht allzu helle Jeff und sein bester Freund (und Tonyas Bodyguard) Shawn (Paul Walter Hauser, TV-Serie "Kingdom") den Plan, Tonyas größte nationale Konkurrentin Nancy Kerrigan (Caitlin Carver, "Margos Spuren") auszuschalten …

Kritik:
Auf diese Idee muß man erst mal kommen: Einen der größten Skandale der Sportgeschichte – erst Recht der US-Sportgeschichte – zu verfilmen, allerdings nicht etwa aus Sicht des von allen bewunderten, später heldenhaft zurückgekommenen Opfers, sondern aus der Perspektive der bei den meisten verhassten Täter respektive zumindest Begünstigten. Ein Wagnis, definitiv, bei Produktionskosten von $11 Mio. allerdings zugegebemermaßen kein extrem großes. Trotzdem ein mutiges Projekt, das sich angesichts großen Kritikerlobes, dreier OSCAR-Nominierungen und eines Einspielergebnisses, welches mehr als das Vierfache des Budgets beträgt, definitiv gerechnet hat. Dafür maßgeblich verantwortlich ist neben dem australischen Regisseur Craig Gillespie – der bereits 2007 mit dem Indie-Hit "Lars und die Frauen" sein untrügliches Gespür für skurrile Geschichten und Figuren bewies – das kluge Drehbuch von Steven Rogers ("P.S. Ich liebe Dich"). Dieses erzählt Tonya Hardings Geschichte nämlich primär auf der Grundlage höchst widersprüchlicher Interviews mit Harding und ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly, baut besagte Widersprüche offensiv in die Handlung ein und nutzt sie, um ein ganz anderes, dokumentarisch anmutendes und ungewöhnlich schwarzhumoriges Sportler-Biopic zu schaffen.

Daß "I, Tonya" funktioniert, ist aber naturgemäß ebenso der Besetzung zu verdanken. Speziell Margot Robbie glänzt in der Titelrolle als (in ihren eigenen Worten) Proletin und unangepaßte Rebellin, die nach außen stets selbstbewußt wirkt und damit wiederholt aneckt, in Wirklichkeit aber bei weitem nicht so tough ist. Für beides, die äußere Stärke und die innere Verletzlichkeit, ist maßgeblich Tonyas herrische und gewalttätige Mutter LaVona verantwortlich – zumindest wenn man Tonyas Worten Glauben schenkt. Denn LaVona dementiert das meiste davon, gibt aber zu, daß Tonya hart angepackt werden mußte, um ihre beste Leistung zu bringen. Dieses mitunter von LaVona auch über Dritte eingefädelte Piesacken beschert dem Film kurioserweise einige seiner witzigsten Szenen, zeichnet dieses negative Paradebeispiel der sprichwörtlichen Eiskunstlaufmutter aber selbstredend nicht gerade in einem positiven Licht. Wieviel davon der Wahrheit entspricht, wissen wohl höchstens Mutter und Tochter selbst; LaVonas Sichtweise kommt in "I, Tonya" jedenfalls kaum vor, da das Filmteam sie nicht finden konnte und daher neben Tonyas größtenteils nicht verifizierbaren Erzählungen ausschließlich auf ein älteres und ziemlich skurriles Videointerview zur Recherche zurückgreifen konnte (kurze Ausschnitte davon wie auch von anderen Interviews mit den realen Protagonisten werden während des Abspanns gezeigt). Unabhängig vom Wahrheitsgehalt wirkt die zynische und selbstgerechte Film-LaVona absolut glaubwürdig, zumal sie von TV-Veteranin Allison Janney ("The West Wing", "Mom") so überzeugend verkörpert wird, daß die dafür den OSCAR für die beste Nebendarstellerin erhielt.

Im Zentrum stehen jedoch natürlich Tonya, ihr von Sebastian Stan überzeugend schmierig und widersprüchlich interpretierter Freund/Ehemann/Ex-Mann Jeff und ihre stürmische Beziehung. Für meinen Geschmack widmet "I, Tonya" diesem Aspekt sogar etwas zu viel Aufmerksamkeit, was im Mittelteil des Films zu einigen Längen führt, da die Figuren keine große Entwicklung durchlaufen und somit einige Szenen tendentiell überflüssig wirken. An deren Stelle hätte man lieber mehr von Tonyas Leben als Sportlerin zeigen sollen, das kommt nämlich überraschend kurz. Zwar sind einige ihrer wichtigsten Auftritte zu sehen und auch ihre – im Film überspitzt dargestellte, im Kern allerdings wahre – Schwierigkeiten mit den elitären Jurymitgliedern, für die Tonya nicht elegant und damenhaft genug wirkt; ihre Konkurrentinnen kommen dagegen fast gar nicht vor. Die Einordnungen des fiktiven Sportreporters Martin Maddox (Bobby Cannavale, "Jumanji: Willkommen im Dschungel") sind zwar hilfreich und amüsant, reichen aber für mein Empfinden nicht wirklich aus, um dem Publikum die Bedeutung der Ereignisse zu verdeutlichen – speziell jenen Zuschauern, die zu jung sind, um die Affäre selbst mitbekommen zu haben oder die außerhalb der USA leben, wo die Geschichte von Nancy Kerrigan und Tonya Harding wohl noch heute jedes Kind kennt. Bedauerlich ist auf den ersten Blick ebenso, daß Kerrigan kaum vorkommt, bei näherer Betrachtung muß man allerdings zugeben, daß das wohl auch unpassend wäre – dies ist Tonya Hardings Geschichte, die von Nancy Kerrigan hat zweifellos einen eigenen Film verdient.

Trotz besagter Längen im Mittelteil ist es Regisseur Gillespie insgesamt gelungen, "I, Tonya" durchgehend unterhaltsam zu gestalten, wobei solche Stilmittel wie die immer wieder, teilweise im Splitscreen-Verfahren dazwischengeschnittenen Interview-Aussagen der älteren Tonya, Jeff, LaVona und Shawn ebenso für Abwechslung vom üblichen Biopic-Einerlei sorgen wie Szenen, in denen sich Tonya direkt an das Publikum wendet. Und die gnadenlose Art und Weise, wie die schiere Idiotie von Jeffs und Shawns amateurhaftem Attentatsplan seziert wird, holt selbst aus diesem verachtenswerten Anschlag ein erstaunliches Maß an Komik heraus. Emotional berührt "I, Tonya" jedoch am stärksten in jenen Momenten, in denen die Protagonistin alleine ist und ihre Verletzlichkeit zeigt. Das liegt auch daran, daß wir nie erfahren werden, inwieweit Tonyas von Jeff heftig dementierte Erzählungen über die ständige Gewalttätigkeit von Jeff ihr gegenüber der Wahrheit entsprechen, was es erschwert, in diesen Szenen volles Mitgefühl für sie zu empfinden. Doch wenn Tonya vor einem wichtigen Wettkampf in der Umkleidekabine vor dem Spiegel sitzt, zitternd vor Angst und Unsicherheit sowie ob des gigantischen Drucks, der auf ihr lastet, dann verdient sich Margot Robbie damit nicht nur ihre OSCAR-Nominierung, sie trifft mit diesem Moment der Wahrhaftigkeit direkt ins Herz der Zuschauer. Mehr kann man nicht verlangen – außer natürlich, daß das im Idealfall in mehr als nur einer Szene gelänge, so brillant die auch gespielt und inszeniert ist.

Fazit: "I, Tonya" schildert einen weltbekannten Sportskandal aus überraschender Perspektive und wird damit zu einem unkonventionellen, tragikomischen Biopic, das sich etwas zu sehr auf das Privatleben der Protagonistin konzentriert und zu wenig auf die Sportlerin, dafür aber mit schwarzem Humor und zwei tollen Darstellerinnen punktet.

Wertung: 7,5 Punkte.


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