Regie: Craig Gillespie, Drehbuch: Steven Rogers, Musik:
Peter Nashel
Darsteller:
Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney, Julianne
Nicholson, Caitlin Carver, Paul Walter Hauser, Bobby Cannavale, Bojana Novakovic, Jason Davis, Cory
Chapman, Ricky Russert, Anthony Reynolds
FSK: 12, Dauer: 120 Minuten.
In den 1970er Jahren wird die gerade mal dreijährige Tonya
von ihrer wenig fürsorglichen, aber umso durchsetzungsstärkeren Mutter LaVona
(Allison Janney, "The Help") zum Eiskunstlaufen gebracht – die
Trainerin Diane (Julianne Nicholson, "Black Mass") nimmt zwar eigentlich keine so kleinen
Kinder in ihre Gruppe auf, doch als sie sieht, was Tonya bereits drauf hat, macht
sie eine Ausnahme. Und tatsächlich ist das Kind ein Naturtalent, das bereits früh Wettbewerbe gewinnt und als junge Erwachsene (Margot Robbie,
"The Wolf of Wall Street") auf dem Weg zu Olympia 1992 in Albertville
ist. Privat läuft es allerdings nicht so gut, da sie noch immer unter der Fuchtel
ihrer Mutter steht und ihre stürmische Beziehung zu Jeff (Sebastian Stan,
"Captain America") mehr Tiefen als Höhen hat. Dazu kommt noch, daß
die Eiskunstlaufrebellin Tonya – die zu rockigen Klängen anstatt zu der üblichen
klassischen Musik läuft, sich wenig damenhaft gibt und sich ihre Kostüme aus
Geldnot selbst näht – von den Jurymitgliedern klar benachteiligt wird. Auch
deshalb entwickeln irgendwann der nicht allzu helle Jeff und sein bester Freund
(und Tonyas Bodyguard) Shawn (Paul Walter Hauser, TV-Serie "Kingdom") den Plan, Tonyas größte
nationale Konkurrentin Nancy Kerrigan (Caitlin Carver, "Margos Spuren") auszuschalten …
Kritik:
Auf diese Idee muß man erst mal kommen: Einen der größten
Skandale der Sportgeschichte – erst Recht der US-Sportgeschichte – zu
verfilmen, allerdings nicht etwa aus Sicht des von allen bewunderten, später
heldenhaft zurückgekommenen Opfers, sondern aus der Perspektive der bei den
meisten verhassten Täter respektive zumindest Begünstigten. Ein Wagnis,
definitiv, bei Produktionskosten von $11 Mio. allerdings zugegebemermaßen kein
extrem großes. Trotzdem ein mutiges Projekt, das sich angesichts großen
Kritikerlobes, dreier OSCAR-Nominierungen und eines Einspielergebnisses, welches
mehr als das Vierfache des Budgets beträgt, definitiv gerechnet hat. Dafür
maßgeblich verantwortlich ist neben dem australischen Regisseur Craig Gillespie
– der bereits 2007 mit dem Indie-Hit "Lars und die Frauen" sein
untrügliches Gespür für skurrile Geschichten und Figuren bewies – das kluge
Drehbuch von Steven Rogers ("P.S. Ich liebe Dich"). Dieses erzählt
Tonya Hardings Geschichte nämlich primär auf der Grundlage höchst
widersprüchlicher Interviews mit Harding und ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly, baut
besagte Widersprüche offensiv in die Handlung ein und nutzt sie, um ein ganz anderes, dokumentarisch anmutendes und ungewöhnlich schwarzhumoriges
Sportler-Biopic zu schaffen.
Daß "I, Tonya" funktioniert, ist aber naturgemäß
ebenso der Besetzung zu verdanken. Speziell Margot Robbie glänzt in der
Titelrolle als (in ihren eigenen Worten) Proletin und unangepaßte Rebellin,
die nach außen stets selbstbewußt wirkt und damit wiederholt aneckt, in
Wirklichkeit aber bei weitem nicht so tough ist. Für beides, die äußere Stärke
und die innere Verletzlichkeit, ist maßgeblich Tonyas herrische und
gewalttätige Mutter LaVona verantwortlich – zumindest wenn man Tonyas Worten
Glauben schenkt. Denn LaVona dementiert das meiste davon, gibt aber zu, daß
Tonya hart angepackt werden mußte, um ihre beste Leistung zu bringen. Dieses
mitunter von LaVona auch über Dritte eingefädelte Piesacken beschert dem Film
kurioserweise einige seiner witzigsten Szenen, zeichnet dieses negative
Paradebeispiel der sprichwörtlichen Eiskunstlaufmutter aber selbstredend nicht
gerade in einem positiven Licht. Wieviel davon der Wahrheit entspricht, wissen
wohl höchstens Mutter und Tochter selbst; LaVonas Sichtweise kommt in "I,
Tonya" jedenfalls kaum vor, da das Filmteam sie nicht finden konnte und
daher neben Tonyas größtenteils nicht verifizierbaren Erzählungen ausschließlich
auf ein älteres und ziemlich skurriles Videointerview zur Recherche zurückgreifen
konnte (kurze Ausschnitte davon wie auch von anderen Interviews mit den realen
Protagonisten werden während des Abspanns gezeigt). Unabhängig vom
Wahrheitsgehalt wirkt die zynische und selbstgerechte Film-LaVona absolut
glaubwürdig, zumal sie von TV-Veteranin Allison Janney ("The West
Wing", "Mom") so überzeugend verkörpert wird, daß die dafür den
OSCAR für die beste Nebendarstellerin erhielt.
Im Zentrum stehen jedoch natürlich Tonya, ihr von Sebastian
Stan überzeugend schmierig und widersprüchlich interpretierter Freund/Ehemann/Ex-Mann Jeff und ihre stürmische Beziehung. Für meinen Geschmack
widmet "I, Tonya" diesem Aspekt sogar etwas zu viel Aufmerksamkeit,
was im Mittelteil des Films zu einigen Längen führt, da die Figuren keine
große Entwicklung durchlaufen und somit einige Szenen tendentiell
überflüssig wirken. An deren Stelle hätte man lieber mehr von Tonyas Leben als
Sportlerin zeigen sollen, das kommt nämlich überraschend kurz. Zwar sind einige
ihrer wichtigsten Auftritte zu sehen und auch ihre – im Film überspitzt
dargestellte, im Kern allerdings wahre – Schwierigkeiten mit den elitären
Jurymitgliedern, für die Tonya nicht elegant und damenhaft genug wirkt; ihre Konkurrentinnen kommen dagegen fast gar nicht vor. Die Einordnungen
des fiktiven Sportreporters Martin Maddox (Bobby Cannavale, "Jumanji: Willkommen im Dschungel") sind zwar hilfreich und amüsant, reichen aber
für mein Empfinden nicht wirklich aus, um dem Publikum die Bedeutung der
Ereignisse zu verdeutlichen – speziell jenen Zuschauern, die zu jung sind, um
die Affäre selbst mitbekommen zu haben oder die außerhalb der USA leben, wo die
Geschichte von Nancy Kerrigan und Tonya Harding wohl noch heute jedes Kind
kennt. Bedauerlich ist auf den ersten Blick ebenso, daß Kerrigan kaum vorkommt, bei näherer Betrachtung muß man allerdings zugeben, daß das wohl auch unpassend
wäre – dies ist Tonya Hardings Geschichte, die von Nancy Kerrigan hat
zweifellos einen eigenen Film verdient.
Trotz besagter Längen im Mittelteil ist es Regisseur
Gillespie insgesamt gelungen, "I, Tonya" durchgehend unterhaltsam zu
gestalten, wobei solche Stilmittel wie die immer wieder, teilweise im
Splitscreen-Verfahren dazwischengeschnittenen Interview-Aussagen der älteren
Tonya, Jeff, LaVona und Shawn ebenso für Abwechslung vom üblichen
Biopic-Einerlei sorgen wie Szenen, in denen sich Tonya direkt an das Publikum
wendet. Und die gnadenlose Art und Weise, wie die schiere Idiotie von Jeffs und
Shawns amateurhaftem Attentatsplan seziert wird, holt selbst aus diesem
verachtenswerten Anschlag ein erstaunliches Maß an Komik heraus. Emotional
berührt "I, Tonya" jedoch am stärksten in jenen Momenten, in denen
die Protagonistin alleine ist und ihre Verletzlichkeit zeigt. Das liegt auch
daran, daß wir nie erfahren werden, inwieweit Tonyas von Jeff heftig
dementierte Erzählungen über die ständige Gewalttätigkeit von Jeff ihr
gegenüber der Wahrheit entsprechen, was es erschwert, in diesen Szenen volles Mitgefühl für sie zu
empfinden. Doch wenn Tonya vor einem wichtigen Wettkampf in der
Umkleidekabine vor dem Spiegel sitzt, zitternd vor Angst und Unsicherheit sowie ob des
gigantischen Drucks, der auf ihr lastet, dann verdient sich Margot Robbie damit
nicht nur ihre OSCAR-Nominierung, sie trifft mit diesem Moment der
Wahrhaftigkeit direkt ins Herz der Zuschauer. Mehr kann man nicht verlangen –
außer natürlich, daß das im Idealfall in mehr als nur einer Szene gelänge, so brillant die
auch gespielt und inszeniert ist.
Fazit: "I, Tonya" schildert einen weltbekannten Sportskandal aus überraschender Perspektive und wird damit zu einem
unkonventionellen, tragikomischen Biopic, das sich etwas zu sehr auf das Privatleben der
Protagonistin konzentriert und zu wenig auf die Sportlerin, dafür aber mit schwarzem
Humor und zwei tollen Darstellerinnen punktet.
Wertung: 7,5 Punkte.
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