Regie: Rupert Sanders, Drehbuch: Jamie Moss und William
Wheeler, Musik: Clint Mansell und Lorne Balfe
Darsteller: Scarlett Johansson, Pilou Asbæk,
"Beat" Takeshi Kitano, Peter Ferdinando, Juliette Binoche, Michael
Carmen Pitt, Chin Han, Yutaka Izumihara, Lasarus Ratuere, Danusia
Samal, Tawanda Manyimo, Anamaria Marinca, Kaori Momoi, Rila Fukushima, Daniel Henshall
Als Mira in einem fensterlosen Labor auf einer Liege
erwacht, fühlt sie sich nicht mehr wie sie selbst. Das ist kein Wunder, wurde
doch ihr Körper bei einem Terroranschlag getötet – nur ihr Gehirn konnte
gerettet und in einen ultramodernen Roboterkörper (Scarlett Johansson,
"Under the Skin") verpflanzt werden, wobei allerdings der größte Teil ihrer
Erinnerungen verlorenging. Zwar ist es in der Gesellschaft der
nicht allzu fernen Zukunft, in der wir uns wiederfinden, völlig normal, daß
Menschen künstlich verbessert und damit Cyborgs werden,
aber ein menschliches Gehirn in einem vollständig künstlichen Körper – das ist ein
sensationeller wissenschaftlicher Durchbruch, der auf das Konto von Dr. Ouélet
(Juliette Binoche, "Godzilla") geht und die Hanka Corporation unter
der Leitung von Mr. Cutter (Peter Ferdinando, "A Field in England"), für
die sie arbeitet. Während Dr. Ouélet rasch eine starke emotionale Verbindung zu Mira
aufbaut – die nun jedoch schlicht "Major" gerufen wird –, sieht
Cutter sie als eine Waffe, und so wird Mira innerhalb eines Jahres zu einer
Kampfmaschine trainiert, die einer Anti-Terror-Spezialeinheit der
Regierung zugeteilt wird. Unter der Leitung von Chief Daisuke Aramaki
("Beat" Takeshi Kitano, "Zatoichi – Der blinde Samurai")
ermittelt Mira gemeinsam mit ihrem Cyborg-Partner Batou (Pilou Asbæk, TV-Serie
"Borgen") gegen den geheimnisvollen Terroristen Kuze (Michael Pitt,
"7 Psychos"), der es offenbar auf hochrangige Hanka-Mitarbeiter
abgesehen hat …
Kritik:
Als Masamune Shirow im Jahr 1989 in Japan seinen Cyberpunk-Manga
"Ghost in the Shell" veröffentlichte, hätte er vermutlich selbst nicht
geglaubt, daß er den Grundstein für eine neue, medienübergreifende Kultreihe legt. Doch spätestens durch Mamoru Oshiis gefeierte Anime-Umsetzung von 1995 wurde "Ghost in the Shell" zu einer weltweiten Erfolgsstory, die
zahllose weitere animierte Kinofilme, TV-Serien, Videospiele und
selbstverständlich Mangas nach sich zog. Was bislang noch fehlte, war eine
Realfilm-Version. Daß die ausgerechnet aus Hollywood kommen sollte – wenngleich unter starker finanzieller Beteiligung asiatischer Studios –, sorgte unter Fans
für Skepsis. Angesichts des Resultats werden wohl weiterhin zwiespältige
Gefühle vorherrschen, denn während die Version des ehemaligen
Werbefilm-Regisseurs Rupert Sanders ("Snow White and the Huntsman")
Look und Atmosphäre des als primäre Inspirationsquelle dienenden Films
von 1995 nahezu perfekt in die reale Welt überführt, hat sein "Ghost in
the Shell" inhaltlich abseits der grundsätzlichen Thematik wohl nicht mehr
allzu viel mit der Vorlage zu tun. Diese Eigenständigkeit kann man begrüßen,
immerhin ist das "Ghost in the Shell"-Franchise sehr vielfältig und
die einzelnen Veröffentlichungen unterscheiden sich stilistisch teils
erheblich; Fans der Animes werden es wahrscheinlich trotzdem eher nicht so gut
finden. Mir persönlich ist es ziemlich gleichgültig, da mir die Animes zwar gefallen haben, ich aber nie ein ganz großer Anhänger war (und mich
inzwischen sowieso nur noch an wenige Einzelheiten erinnern kann). Ärgerlicher ist
da schon, daß die neue "Ghost in the Shell"-Handlung sich an ziemlich
vielen Genre-Klischees entlanghangelt und so trotz toller Optik und vielversprechender
inhaltlicher Ansätze nur bedingt überzeugen kann.
Wie genau der neue "Ghost in the Shell" in
Erinnerung bleiben wird, hängt voraussichtlich vor allem von einer Frage ab:
Bleibt es ein für sich stehender Film? Oder ist es der Beginn einer
Realfilm-Reihe? Als Einzelwerk würde Sanders' Film vermutlich recht schnell
in Vergessenheit geraten, da die Handlung und speziell der Bösewicht viel zu
generisch geraten sind und die interessanten technologisch-philosophischen
Fragestellungen letztlich nur aufgeworfen werden, ohne sie zu
vertiefen. Als Beginn einer Reihe hingegen würde "Ghost in the Shell"
sehr viel besser dastehen, da er die handelnden Figuren etabliert und
interessant genug präsentiert, um sich auf weitere Abenteuer mit ihnen zu
freuen und weil er die manchmal erschreckende, aber immer faszinierende
futuristische Gesellschaft eingeführt hat, die bereits so viel
erzählerisches Potential offenbart. Ein gutes Beispiel dafür ist Miras
Spezialeinheit, von deren Mitgliedern dem Zuschauer mehr als die Hälfte noch
sehr fremd bleiben, obwohl ihre wenigen Szenen durchaus neugierig auf sie
machen. Doch in diesem (ersten?) Film konzentriert sich das Drehbuch von Jamie
Moss ("Street Kings") und William Wheeler ("Queen of
Katwe") stark auf den Major und Batou, neben denen nur noch ihr Chef
Aramaki eine größere Rolle spielt.
Der Vorteil des Vorgehens ist selbstredend, daß Sanders mehr Zeit auf die Figurenzeichnung bei dem zentralen Duo verwenden kann, was
in der Tat gut funktioniert: Mira und Batou sind ein eingespieltes,
sympathisches Team, dessen Freundschaft absolut echt wirkt. Naturgemäß
ist das auch oder sogar vor allem den Schauspielern zu verdanken. Scarlett Johansson
beweist zum wiederholten Male, daß sie zu den leider immer noch ganz wenigen Frauen im
heutigen Hollywood zählt, die notfalls auch alleine einen teuren Blockbuster
tragen können – sie glänzt nicht nur in den Kampfszenen (die aber leider
weniger eindrucksvoll choreographiert sind als das, was Johansson in Luc
Bessons "Lucy" oder als Black Widow in den Marvel-Filmen zeigen
durfte), sondern verleiht ihrer Figur Tiefe. Mira, die wiederholt
von kryptischen Erinnerungsfetzen irritiert wird, ist bei aller
Kampfkraft von einer inneren, existentiellen Verlorenheit gezeichnet, die nachvollziehbar ist
(schließlich ist sie buchstäblich nicht mehr sie selbst) und schnell Mitgefühl
beim Publikum weckt. Alleine das Zusammenspiel mit Juliette Binoche, die aus
ihrer kleinen Rolle wie stets das Bestmögliche herausholt, hebt den Film schauspielerisch
auf ein anderes Niveau. Auch der dänische Mime Pilou Asbæk, der bereits in
"Lucy" (wenn auch nur kurz) an Johanssons Seite agierte, zeigt eine
starke Leistung als loyaler Hundefreund Batou, der dem Major stets
den Rücken freihält. Und selbstverständlich ist die japanische Ikone
"Beat" Takeshi Kitano – seit vielen Jahrzehnten erfolgreich als Komiker,
Gameshow-Host ("Takeshis Castle"), Schauspieler, Drehbuch-Autor und
Regisseur – auch mit 70 Jahren und einer seit einem Unfall gelähmten rechten
Gesichtshälfte noch mordsmäßig cool und hat eine Leinwand-Präsenz, die
seinesgleichen sucht. Glücklicherweise ist Regisseur Sanders schlau genug, seine
Mitwirkung nicht einfach als gegeben hinzunehmen, stattdessen schneidet er eine
längere Sequenz ganz auf ihn zu, in der Kitano zeigt, daß er es immer noch
mächtig drauf hat! Da ist es dann auch locker zu verschmerzen, daß Chief
Aramaki als einzige Figur im gesamten Film stets (deutsch untertiteltes) Japanisch
spricht, was erzählerisch nicht wirklich Sinn ergibt.
Weniger gut sieht es in Sachen Charaktertiefe für die beiden Antagonisten des Films
aus: Während es zu Kuze immerhin einige interessante Enthüllungen gibt, bleibt
Hanka-Chef Cutter von der ersten bis zur letzten Szene der stereotypische,
langweilig machtgeile und skrupellose Manager-Bösewicht, der einem kaum mehr
als ein Gähnen abringt; was auch den obligatorisch actionreichen Showdown ein
wenig der Wirkung beraubt. Aber wie bereits angedeutet zählen die
Kampfsequenzen etwas überraschend sowieso nicht zu den großen Stärken von
"Ghost in the Shell". Letztlich waren die besten entsprechenden
Szenen (in Kurzform) bereits fast alle in den Trailern enthalten, sehr viel mehr darf man nicht
erwarten – auch wenn Johansson in ihrem hautengen, grau-silbernen Kampfanzug
natürlich eine wahre Augenweide ist. Generell ist der Film weniger
actionreich ausgefallen als man das vermuten konnte. Grundsätzlich finde ich
das nicht schlecht, nur gelingt es Rupert Sanders zu selten, in den ruhigen Szenen
einen echten Erzählfluß zustandezubringen, was sogar zu einigen tendentiell
langweiligen Passagen führt. Bedauerlich ist außerdem, daß die namenlos
bleibende Zukunfts-Metropole zu wenig in das Geschehen integriert wird – sie bleibt
über weite Strecken bloße Kulisse, wenn auch zweifellos eine
wunderschöne Kulisse, die immer wieder an Sir Ridley Scotts "Blade
Runner" erinnert. Gerade des Nachts (die im Film meist herrscht) schinden
die langgezogenen Kamerafahrten über die futuristischen Hochhäuser und die
riesigen Werbe-Hologramme mächtig Eindruck und schaffen eine dichte Atmosphäre,
die durch den düster wummernden Electro-Score von Clint Mansell ("Black Swan")
und Lorne Balfe ("Terminator: Genisys") gekonnt verstärkt wird – die nachträgliche
3D-Konvertierung, obwohl solide gemacht, bleibt allerdings erkennbar
hinter dem zurück, was mit einem echten 3D-Dreh möglich gewesen wäre. Dennoch
ist es keine Frage: Ich würde gerne mehr von dieser ambivalenten Zukunft sehen;
ich würde gerne mehr über die gesellschaftlichen Auswirkungen der
künstlichen Verbesserungen erfahren, die jene, die ganz Mensch bleiben,
zunehmend zu Außenseitern machen (wie in Andrew Niccols "Gattaca"); und vor allem
würde ich gerne neue Abenteuer vom Major, Patou, Aramaki und dem restlichen
Team zu Gesicht bekommen. Kurzum: Auch wenn es an "Ghost in the
Shell" etliches zu kritisieren gibt, hoffe ich sehr auf eine Fortsetzung!
Fazit: "Ghost in the Shell" ist ein primär mit seiner exzellent umgesetzten futuristischen Optik punktender
Action-SF-Film, der zwar das erzählerische Potential seiner spannenden Prämisse
nicht viel mehr als ankratzt, aber einmal mehr eine sehr überzeugende
Actionheldin (mit Tiefe) Scarlett Johansson präsentiert und eine gute Grundlage
für mögliche Fortsetzungen legt.
Wertung: 7 Punkte als Beginn einer Reihe; 6 bis 6,5 Punkte als Einzelfilm.
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