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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 7. Februar 2017

NOCTURNAL ANIMALS (2016)

Regie und Drehbuch: Tom Ford, Musik: Abel Korzeniowski
Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Ellie Bamber, Armie Hammer, Laura Linney, Karl Glusman, Robert Aramayo, Michael Sheen, Andrea Riseborough, Jena Malone, Neil Jackson, Kristin Bauer van Straten
Nocturnal Animals
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 74% (7,0); weltweites Einspielergebnis: $32,4 Mio.
FSK: 16, Dauer: 117 Minuten.

Susan Morrow (Amy Adams, "American Hustle") ist eine Galeriebesitzerin in Los Angeles, die allerdings unzufrieden mit ihrem Leben wie auch ihrer zweiten Ehe mit Hutton (Armie Hammer, "Lone Ranger") ist. Eines Tages erhält sie ein Päckchen von ihrem Ex-Mann Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal, "Nightcrawler"), ihrer großen Liebe, die sie dennoch verließ. Nun hat Edward endlich seinen ersten, Susan gewidmeten Roman fertiggestellt; er schickt ihr das Manuskript vorab, da er das Buch ohne sie niemals hätte schreiben können. Das klingt nach einer netten, versöhnlichen Geste, der Inhalt des Romans wirkt auf Susan allerdings schnell verstörend: Der Protagonist Tony – der in ihrer Vorstellung wie Edward aussieht – ist mit seiner Frau Laura (Isla Fisher, "Die Unfaßbaren") und der Teenager-Tochter India (Ellie Bamber, "Stolz und Vorurteil & Zombies") auf der Fahrt in den Urlaub, doch irgendwo in der texanischen Wüste wird die kleine Familie von drei lokalen Rowdys, angeführt von dem brutalen Ray (Aaron Taylor-Johnson, "Kick-Ass"), attackiert, was in eine wahre Tragödie ausartet. Während Susan trotz widerstreitender Gefühle weiterliest und dem ermittelnden Detective Bobby Andes (Michael Shannon, "Zeiten des Aufruhrs") bei seinen Ermittlungen folgt, erinnert sie sich an ihre Zeit mit Edward zurück …

Kritik:
Obige Inhaltsbeschreibung klingt vermutlich etwas verwirrend, das paßt aber genau zum Film. Denn "Nocturnal Animals" ist ein buchstäblich vielschichtiger Film, bei dem der Großteil der Szenen zudem Susans Vorstellungskraft (wenn sie das Buch liest) oder Erinnerungen (wenn sie an ihre Zeit mit Edward zurückdenkt) entspringt. Eines läßt sich klar sagen: Wer von einem Film ein klar definiertes Ende erwartet, in dem zumindest die größten der zuvor aufgeworfenen Fragen beantwortet werden, der sollte um "Nocturnal Animals" einen weiten Bogen machen. Der ehemalige Modemacher Tom Ford lädt in seinem zweiten Film (nach dem meisterhaften Trauerdrama "A Single Man") das Publikum zu einem mysteriösen Verwirrspiel voller Symbole und Metaphern ein, das sich sehr vielfältig interpretieren läßt. Selbst bei der von vielen Kritikern aufgestellten Behauptung, daß Susan den Romaninhalt ob seiner Drastik, der scheinbar an sie angelehnten Frau des Protagonisten und nicht zuletzt Edwards Widmung als Drohung gegen sich empfindet, bin ich mir nicht so sicher, ob sie tatsächlich der Wahrheit entspricht – auch sonst bleiben viele Fragezeichen. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß "Nocturnal Animals" ein schlechter Film ist; zwar reicht er in meinen Augen weder stilistisch noch inhaltlich an die außerordentliche Qualität von "A Single Man" heran, weiß ein mutiges, experimentierfreudiges Arthouse-Publikum mit seinem unbedingten Stilwillen, der exzellenten Besetzung und auch mit der offensiven Rätselhaftigkeit aber definitiv zu faszinieren. Im Grunde genommen dürfte schon nach dem denkwürdigen, sehr wahrscheinlich in die Filmhistorie eingehenden Vorspann jedem Zuschauer klar sein, daß er hier keinen 08/15-Stoff vorgesetzt bekommt …

Wie bei "A Single Man" legt Ford sein primäres Augenmerk auf die vielschichtigen Charaktere und auf die betont künstlerische Inszenierung ihrer formidablen Darsteller. Mag die eigentliche Handlung auch eher bruchstück- und sprunghaft präsentiert sein (zum Beispiel die Untreue von Susans Mann), die Figuren und ihre Dilemmata faszinieren und lassen einen nicht so schnell wieder los. Zwar werden etliche Facetten nur angeschnitten, aber im Zusammenspiel bilden sie ein glaubwürdiges Psychogramm und zahlreiche vermeintliche Nebensächlichkeiten ergeben im Nachhinein großen Sinn in der Charakterisierung der Protagonisten – für das Publikum sind diese realistischerweise nicht vollständig entzifferbar, jedoch gut genug, um sich in die Figuren einzufühlen. Speziell Amy Adams zeigt als Susan nach "Arrival" bereits ihre zweite grandiose schauspielerische Leistung im Jahr 2016. Sie erweckt die distanziert wirkende Galeristin, die sich in der Öffentlichkeit nicht grundlos mit einer Frisur zeigt, die ihr halbes Gesicht versteckt, spielerisch zum Leben, die unterdrückte berufliche wie private Unsicherheit, ihre Verletzlichkeit und Einsamkeit, ihre Reue. Denn obwohl sie vorgeblich eine erfolgreiche und beliebte Galeristin in der glamourösen Stadt der Engel ist, ist Susan Morrow keine glückliche Frau. Das ist ihr selbst bewußt, doch Edwards Roman verstärkt dieses latente Gefühl der Unzufriedenheit noch, indem er sie an eine hoffnungsvollere Vergangenheit erinnert und sie mit ihren teils drastischen früheren Entscheidungen konfrontiert, die sie mit heutigem Wissen so sicherlich nicht mehr treffen würde. Ein Musterbeispiel für Adams' feinfühlige Darstellungskunst ist eine Szene, in der sie während eines Telefonats mit dem verreisten Hutton durch eine harmlose Bemerkung des Hotelpagen im Hintergrund erkennt, daß ihr Mann sie gerade mit einer anderen betrügt – wie sich das Begreifen in ihrem Gesicht widerspiegelt, dann ihr mühsames Ringen um Fassung und darum, sich nichts anmerken zu lassen (was wiederum einiges über die Person Susan Morrow aussagt), ist nicht weniger als meisterhaft!

So facettenreich wie Susan sind die übrigen Figuren nicht geraten, normales Hollywood-Niveau übertreffen sie aber immer noch. Jake Gyllenhaal steht Amy Adams schauspielerisch nicht nach, zumal er ja gleich zwei Rollen spielt – auch wenn der Romanheld Tony wohl nicht nur in Susans Vorstellung das Alter Ego des Autors Edward ist. Und so muß man auch beide Rollen zusammen betrachten, um ein klares Bild Edwards zu erhalten, der selbst lediglich in Susans Erinnerungen auftaucht. Umso wichtiger ist Tony, dessen emotionales Martyrium Susan wohl als Metapher für sein eigenes Leid im Zuge ihrer Trennung begreift – ob das nun die korrekte Interpretation ist oder Tony in Wirklichkeit einfach nur einen harten Rache-Thriller geschrieben hat und mit seiner Widmung meint, daß er das nie hätte durchziehen können, wären sie immer noch ein Paar, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen; sinnvoll ist die Theorie aber allemal. Ich will über Tonys Geschichte nicht zu viel verraten, aber Ford gelingt es vortrefflich, das Publikum mit ihm mitfühlen und -leiden zu lassen und er zwingt es im Angesicht einiger diskutabler Entscheidungen Tonys vor allem, sich selbst zu fragen, wie man sich wohl in einer ähnlichen Situation verhalten würde. Und es sind wahrlich heftige Entscheidungen, die Tony zu treffen gezwungen ist; Entscheidungen, bei denen es nicht die Wahl zwischen "richtig" und "falsch" gibt, sondern eher zwischen "falsch" und "komplett falsch" …

Während Susan und Edward/Tony im Mittelpunkt des Geschehens stehen, spielen auch zwei Nebenfiguren eine wichtige Rolle, die nur im Roman vorkommen: Detective Bobby Andes und Ray. Während Detective Andes mit seinem Zynismus und dem Hang zu trockenen Onelinern immer wieder für ein wenig (sehr schwarzhumorige) Auflockerung sorgt, ist der gewissenlose Brutalo Ray klarer Antagonist der Geschichte. Auch diese beiden Rollen wurden hervorragend besetzt – Michael Shannon erhielt eine OSCAR-Nominierung, Aaron Taylor-Johnson gewann den Golden Globe –, allerdings ist Ray für meinen Geschmack zu eindimensional geraten. Klar, er ist letztlich nur das Vehikel, das die Romanhandlung und damit auch die Charakterisierung von Tony/Edward in Gang bringt, und diese Funktion erfüllt er einwandfrei. Trotzdem: Das hätte man schon ein wenig subtiler handhaben können. Generell läßt sich doch erkennen, daß die unterschiedlichen Handlungsebenen das nicht ganz überraschende Problem mit sich bringen, aus Zeitmangel mitunter etwas gehetzt zu wirken. Vor allem auf die Romanhandlung trifft das zu, die zudem mehrere Zeitsprünge umfaßt, aber auch in Susans Erzählstrang werden einige von hochkarätigen Darstellern wie Laura Linney (als Susans Mutter), Jena Malone oder Michael Sheen porträtierte Figuren mit wenigen Szenen abgespeist. Wie elegant und künstlerisch Tom Ford und sein Kameramann Seamus McGarvey ("Anna Karenina") sowohl den Charakterdrama-Aspekt rund um Susan als auch den fiktiven schmutzigen Rache-Thriller in Szene setzen, ist dagegen sehr beeindruckend, auch die abwechslungsreiche Musik von Abel Korzeniowski (die aber nicht ganz an seinen "A Single Man"-Score heranreicht) trägt ihren wertvollen Teil zum Gesamtkunstwerk "Nocturnal Animals" bei.

Fazit: "Nocturnal Animals" ist ein kunstvolles und vielschichtiges Charakterdrama, das nicht so einen Sog entwickelt wie Tom Fords Regiedebüt "A Single Man", mit seinem künstlerischen Stil, einem herausragenden Ensemble und einer zwar bruchstückhaften, aber zum Nachdenken und Diskutieren animierenden Handlung jedoch zu faszinieren weiß und lange nachhallt.

Wertung: 7,5 Punkte.


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