Regie und Drehbuch: Tom Ford, Musik: Abel Korzeniowski
Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon,
Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Ellie Bamber, Armie Hammer, Laura Linney,
Karl Glusman, Robert Aramayo, Michael Sheen, Andrea Riseborough, Jena Malone,
Neil Jackson, Kristin Bauer van Straten
FSK: 16, Dauer: 117 Minuten.
Susan Morrow (Amy Adams, "American Hustle") ist
eine Galeriebesitzerin in Los Angeles, die allerdings unzufrieden mit ihrem
Leben wie auch ihrer zweiten Ehe mit Hutton (Armie Hammer, "Lone Ranger") ist.
Eines Tages erhält sie ein Päckchen von ihrem Ex-Mann Edward Sheffield (Jake
Gyllenhaal, "Nightcrawler"), ihrer großen Liebe, die sie dennoch
verließ. Nun hat Edward endlich seinen ersten, Susan gewidmeten Roman
fertiggestellt; er schickt ihr das Manuskript vorab, da er das Buch ohne sie
niemals hätte schreiben können. Das klingt nach einer netten, versöhnlichen Geste, der Inhalt
des Romans wirkt auf Susan allerdings schnell verstörend: Der Protagonist Tony – der in ihrer
Vorstellung wie Edward aussieht – ist mit seiner Frau Laura (Isla Fisher,
"Die Unfaßbaren") und der Teenager-Tochter India (Ellie Bamber,
"Stolz und Vorurteil & Zombies") auf der Fahrt in den Urlaub, doch
irgendwo in der texanischen Wüste wird die kleine Familie von drei lokalen Rowdys, angeführt von dem
brutalen Ray (Aaron Taylor-Johnson, "Kick-Ass"), attackiert, was in
eine wahre Tragödie ausartet. Während Susan trotz widerstreitender Gefühle
weiterliest und dem ermittelnden Detective Bobby Andes (Michael Shannon,
"Zeiten des Aufruhrs") bei seinen Ermittlungen folgt, erinnert sie
sich an ihre Zeit mit Edward zurück …
Kritik:
Obige Inhaltsbeschreibung klingt vermutlich etwas
verwirrend, das paßt aber genau zum Film. Denn "Nocturnal Animals"
ist ein buchstäblich vielschichtiger Film, bei
dem der Großteil der Szenen zudem Susans Vorstellungskraft (wenn sie das
Buch liest) oder Erinnerungen (wenn sie an ihre Zeit mit Edward zurückdenkt) entspringt. Eines läßt sich klar sagen: Wer von einem Film ein klar definiertes
Ende erwartet, in dem zumindest die größten der zuvor aufgeworfenen Fragen
beantwortet werden, der sollte um "Nocturnal Animals" einen weiten
Bogen machen. Der ehemalige Modemacher Tom Ford lädt in seinem zweiten
Film (nach dem meisterhaften Trauerdrama "A Single Man") das Publikum
zu einem mysteriösen Verwirrspiel voller Symbole und Metaphern ein, das
sich sehr vielfältig interpretieren läßt. Selbst bei der von vielen Kritikern
aufgestellten Behauptung, daß Susan den Romaninhalt ob seiner Drastik, der
scheinbar an sie angelehnten Frau des Protagonisten und nicht zuletzt Edwards Widmung
als Drohung gegen sich empfindet, bin ich mir nicht so sicher, ob sie
tatsächlich der Wahrheit entspricht – auch sonst bleiben viele Fragezeichen.
Das bedeutet jedoch keineswegs, daß "Nocturnal Animals" ein schlechter
Film ist; zwar reicht er in meinen Augen weder stilistisch noch inhaltlich an
die außerordentliche Qualität von "A Single Man" heran, weiß ein
mutiges, experimentierfreudiges Arthouse-Publikum mit seinem unbedingten
Stilwillen, der exzellenten Besetzung und auch mit der offensiven
Rätselhaftigkeit aber definitiv zu faszinieren. Im Grunde genommen dürfte schon
nach dem denkwürdigen, sehr wahrscheinlich in die Filmhistorie
eingehenden Vorspann jedem Zuschauer klar sein, daß er hier keinen 08/15-Stoff
vorgesetzt bekommt …
Wie bei "A Single Man" legt Ford sein primäres
Augenmerk auf die vielschichtigen Charaktere und auf die betont künstlerische
Inszenierung ihrer formidablen Darsteller. Mag die eigentliche Handlung auch eher
bruchstück- und sprunghaft präsentiert sein (zum Beispiel die Untreue von Susans Mann),
die Figuren und ihre Dilemmata faszinieren und lassen einen nicht so schnell
wieder los. Zwar werden etliche Facetten nur angeschnitten, aber im
Zusammenspiel bilden sie ein glaubwürdiges Psychogramm und zahlreiche vermeintliche
Nebensächlichkeiten ergeben im Nachhinein großen Sinn in der Charakterisierung
der Protagonisten – für das Publikum sind diese realistischerweise nicht
vollständig entzifferbar, jedoch gut genug, um sich in die Figuren einzufühlen.
Speziell Amy Adams zeigt als Susan nach "Arrival" bereits ihre zweite
grandiose schauspielerische Leistung im Jahr 2016. Sie erweckt die
distanziert wirkende Galeristin, die sich in der Öffentlichkeit nicht grundlos
mit einer Frisur zeigt, die ihr halbes Gesicht versteckt, spielerisch zum Leben, die unterdrückte berufliche wie private Unsicherheit, ihre Verletzlichkeit und Einsamkeit,
ihre Reue. Denn obwohl sie vorgeblich eine erfolgreiche und beliebte Galeristin
in der glamourösen Stadt der Engel ist, ist Susan Morrow keine glückliche Frau.
Das ist ihr selbst bewußt, doch Edwards Roman verstärkt dieses latente Gefühl der
Unzufriedenheit noch, indem er sie an eine hoffnungsvollere Vergangenheit erinnert und
sie mit ihren teils drastischen früheren Entscheidungen konfrontiert, die sie mit heutigem
Wissen so sicherlich nicht mehr treffen würde. Ein Musterbeispiel für Adams' feinfühlige Darstellungskunst ist eine Szene, in der sie während eines Telefonats mit dem verreisten Hutton durch eine harmlose Bemerkung des Hotelpagen im Hintergrund erkennt, daß ihr Mann sie gerade mit einer anderen betrügt – wie sich das Begreifen in ihrem Gesicht widerspiegelt, dann ihr mühsames Ringen um Fassung und darum, sich nichts anmerken zu lassen (was wiederum einiges über die Person Susan Morrow aussagt), ist nicht weniger als meisterhaft!
So facettenreich wie Susan sind die übrigen Figuren
nicht geraten, normales Hollywood-Niveau übertreffen sie aber immer noch. Jake Gyllenhaal steht Amy Adams schauspielerisch nicht nach, zumal er ja
gleich zwei Rollen spielt – auch wenn der Romanheld Tony wohl nicht nur in Susans
Vorstellung das Alter Ego des Autors Edward ist. Und so muß man auch beide
Rollen zusammen betrachten, um ein klares Bild Edwards zu erhalten, der
selbst lediglich in Susans Erinnerungen auftaucht. Umso wichtiger ist Tony,
dessen emotionales Martyrium Susan wohl als Metapher für sein
eigenes Leid im Zuge ihrer Trennung begreift – ob das nun die korrekte
Interpretation ist oder Tony in Wirklichkeit einfach nur einen harten
Rache-Thriller geschrieben hat und mit seiner Widmung meint, daß er das nie hätte
durchziehen können, wären sie immer noch ein Paar, bleibt der Phantasie des
Zuschauers überlassen; sinnvoll ist die Theorie aber allemal. Ich will über
Tonys Geschichte nicht zu viel verraten, aber Ford gelingt es vortrefflich, das
Publikum mit ihm mitfühlen und -leiden zu lassen und er zwingt es im Angesicht einiger
diskutabler Entscheidungen Tonys vor allem, sich selbst zu fragen, wie man sich
wohl in einer ähnlichen Situation verhalten würde. Und es sind wahrlich heftige
Entscheidungen, die Tony zu treffen gezwungen ist; Entscheidungen, bei denen es nicht die
Wahl zwischen "richtig" und "falsch" gibt, sondern eher
zwischen "falsch" und "komplett falsch" …
Während Susan und Edward/Tony im Mittelpunkt des Geschehens
stehen, spielen auch zwei Nebenfiguren eine wichtige Rolle, die nur im Roman
vorkommen: Detective Bobby Andes und Ray. Während Detective Andes mit seinem Zynismus und dem Hang zu trockenen Onelinern immer
wieder für ein wenig (sehr schwarzhumorige) Auflockerung sorgt, ist der
gewissenlose Brutalo Ray klarer Antagonist der Geschichte. Auch diese beiden
Rollen wurden hervorragend besetzt – Michael Shannon erhielt eine OSCAR-Nominierung,
Aaron Taylor-Johnson gewann den Golden Globe –, allerdings ist Ray für meinen
Geschmack zu eindimensional geraten. Klar, er ist letztlich nur das
Vehikel, das die Romanhandlung und damit auch die Charakterisierung von
Tony/Edward in Gang bringt, und diese Funktion erfüllt er einwandfrei.
Trotzdem: Das hätte man schon ein wenig subtiler handhaben können. Generell
läßt sich doch erkennen, daß die unterschiedlichen Handlungsebenen das nicht
ganz überraschende Problem mit sich bringen, aus Zeitmangel mitunter etwas
gehetzt zu wirken. Vor allem auf die Romanhandlung trifft das zu, die zudem mehrere Zeitsprünge umfaßt, aber auch in Susans Erzählstrang werden einige von hochkarätigen Darstellern wie Laura Linney (als Susans Mutter), Jena Malone oder Michael Sheen porträtierte Figuren mit wenigen Szenen abgespeist. Wie elegant und künstlerisch Tom Ford und sein
Kameramann Seamus McGarvey ("Anna Karenina") sowohl den
Charakterdrama-Aspekt rund um Susan als auch den fiktiven schmutzigen
Rache-Thriller in Szene setzen, ist dagegen sehr beeindruckend, auch die abwechslungsreiche Musik von Abel Korzeniowski (die aber nicht ganz an seinen "A Single Man"-Score heranreicht)
trägt ihren wertvollen Teil zum Gesamtkunstwerk "Nocturnal Animals"
bei.
Fazit: "Nocturnal Animals" ist ein
kunstvolles und vielschichtiges Charakterdrama, das nicht so einen Sog
entwickelt wie Tom Fords Regiedebüt "A Single Man", mit seinem
künstlerischen Stil, einem herausragenden Ensemble und einer zwar bruchstückhaften,
aber zum Nachdenken und Diskutieren animierenden Handlung jedoch zu faszinieren weiß
und lange nachhallt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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