Regie und
Drehbuch: John Carney, Musik: Gary Clark, John Carney und andere
Darsteller:
Ferdia Walsh-Peelo, Lucy Boynton, Jack Reynor, Maria Doyle Kennedy, Aidan
Gillen, Kelly Thornton, Ben Carolan, Mark McKenna, Percy Chamburuka, Conor
Hamilton, Karl Rice, Don Wycherley, Ian Kenny, Lydia McGuinness
FSK: 6, Dauer: 106 Minuten.
Dublin, 1985: Die irische Wirtschaft liegt am Boden, junge
Leute wandern scharenweise auf gut Glück nach Großbritannien aus, da sie in
ihrer Heimat einfach keine Perspektive besitzen. Wer zurückbleibt, hat mit
heftigen finanziellen Problemen zu kämpfen, so auch Familie Lalor. Vater
Robert (Aidan Gillen, TV-Serie "Game of Thrones") bekommt als
Architekt seit Monaten keine neuen Aufträge mehr, Mutter Pennys (Maria Doyle
Kennedy, "Jupiter Ascending") Arbeitszeit wurde stark reduziert.
Der sich zuspitzende finanzielle Engpaß belastet nicht nur zunehmend ihre Ehe,
sondern auch das Leben ihrer drei Kinder, vor allem das des jüngsten Sohns
Conor (Ferdia Walsh-Peelo), der von der angesehenen Jesuitenschule zur
gebührenfreien öffentlichen Schule der "Christian Brothers" wechseln
muß. Dort gerät der 14-Jährige sogleich in das Visier des Schulrowdys Barry (Ian
Kenny), dem strengen Schulleiter Brother Baxter (Don Wycherley, "Die Journalistin") fällt er
negativ auf, weil er nicht wie vorgeschrieben in schwarzen Schuhen in den
Unterricht kommt (daß sich seine Eltern keine neuen Schuhe
leisten können, kümmert ihn nicht). Ein Hoffnungsschimmer ist lediglich die
ein Jahr ältere Raphina (Lucy Boynton), die Tag für Tag in einem Hauseingang
gegenüber der Schule steht und angeblich als Model arbeitet. Um sie zu
beeindrucken, fragt Conor sie, ob sie in einem Musikvideo seiner Band mitspielen
würde; nach kurzem Zögern sagt sie zu. Das Problem an der Sache: Conor muß nun erst mal
eine Band gründen …
Kritik:
Es ist nicht so, als ob der irische Regisseur und
Drehbuch-Autor John Carney nur Musikfilme machen würde. Er drehte
das Drama "Random – Nichts ist wie es scheint" (2001) mit Cillian
Murphy, die Komödie "Zonad" (2009) und auch den Mysteryfilm "The
Rafters" (2012). Die hohe Wahrscheinlichkeit, daß 99% der Leser dieser
Rezension noch nie von einem dieser Filme gehört haben, dürfte ausreichend
erklären, warum Carney zwar nicht nur, aber immer wieder Musikfilme dreht – weil
er mit denen regelmäßig internationale Erfolge feiert! "Once" war 2007 sein
Durchbruch, die zarte (inhaltlich aber recht simple) Tragikomödie über eine
osteuropäische Immigrantin und einen irischen Straßenmusiker in Dublin, die
sich über ihre Liebe zur Musik näherkommen, gewann sogar einen OSCAR für den
besten Filmsong ("Falling Slowly"). Sechs Jahre später folgte mit
"Can a Song Save Your Life?" ein schon deutlich größer aufgezogener
Musikfilm mit Starbesetzung (Keira Knightley, Mark Ruffalo und Maroon
5-Frontmann Adam Levine) und massentauglichen Songs, der zwar nicht ganz so
grandiose Kritiken erhielt, dafür aber Carneys mit Abstand größter
kommerzieller Erfolg wurde. Und nun "Sing Street", wieder eine Nummer
kleiner und ohne große Stars in Irland gedreht, dafür von den Kritikern
gefeiert. John Carney und Musik – ja, das paßt einfach. Auch wenn die
stilistischen Parallelen speziell zwischen "Can a Song Save Your
Life?" und "Sing Street" teilweise doch unübersehbar sind, ist auch
die Coming of Age-Tragikomödie ein schöner Wohlfühlfilm, der aus seinem
tristen, von Zukunftsängsten geprägten Wirtschaftskrisen-Setting in
den 1980er Jahren eine bemerkenswert optimistische Stimmung herausholt.
Inhaltlich finde ich "Can a Song …" etwas überzeugender und
tiefgängiger, dafür hat "Sing Street" für mich die noch bessere Musik
zu bieten.
Letzteres ist aber logischerweise in erster Linie eine Frage des
persönlichen Geschmacks. Ich mochte die moderne, poprockige Musik in "Can
a Song …" genügend, um mir den Soundtrack zu kaufen, jedoch gefielen mir
die intimeren, sparsam produzierten Songs deutlich besser als die pompös
aufgezogenen Tracks. In "Sing Street" fehlen letztere komplett, dafür
gibt es neben 1980er Jahre-New Wave-Klassikern von Duran Duran oder The Cure
ein gutes halbes Dutzend Neukompositionen von hervorragender Qualität.
Verantwortlich dafür zeichnen gleich mehrere Songwriter, allen voran Carney
selbst und Gary Clark – Mitte der 1980er Jahre vor allem in Großbritannien bekannt
als Frontmann der Band Danny Wilson (größter Hit: "Mary's Prayer"),
später Songwriter u.a. für Natalie Imbruglia und Demi Lovato –, aber auch
"Once"-Star Glen Hansard und Adam Levine steuern ein Stück bei. Die Lieder sind dabei vor
allem zu Beginn von Conors "Musikkarriere" merklich vom
Musikgeschmack seines älteren Bruders Brendan (Jack Reynor, "A Royal Night") inspiriert, der ihn überhaupt erst mit den heißesten Acts jener
Zeit bekannt macht. So ist "The Riddle of the Model", Conors erster
mit seinem Bandkollegen und musikalischen Multitalent Eamon (Mark
McKenna) geschriebener Song als Frontmann seiner Band "Sing Street"
(benannt nach der Synge Street, in der ihre Schule beheimatet ist), eine
wunderbare Duran Duran-Hommage, die zugleich liebevoll einige der aus heutiger
Sicht in der Tat recht putzigen Eigenheiten der Band aufs Korn nimmt. Das gilt
speziell für das zugehörige Musikvideo, mit Handkamera gedreht und vorrangig
ob der herrlich albernen Kostümierung der Band erinnerungswürdig. Weitere Songs
sind klar von The Cure oder Hall & Oates beeinflußt, später wird Conor
selbstbewußter und schreibt eigenständigere Nummern wie die Ballade "To
Find You". Highlight in musikalischer wie auch filmischer Hinsicht ist
allerdings "Drive It Like You Stole It", in Conors Phantasie
präsentiert mit einer aufwendigen Massenchoreographie (inklusive "West
Side Story"- bzw. "Grease"-Referenz und radschlagendem Brother Baxter) in einem
klassischen US-Highschool-Prom-Setting.
Es ist sehr offensichtlich, daß die Musik im Mittelpunkt von
"Sing Street" steht, darunter leidet notgedrungen ein wenig die
Handlung. Zwar bemüht sich Carney, das Irland jener Zeit nicht zu verharmlosen,
weshalb die wirtschaftliche Not des Landes und speziell die
Perspektivlosigkeit der Jugend immer wieder thematisiert werden. So richtig
überzeugend kommt das allerdings nicht rüber, es sind Behauptungen, die man
akzeptieren muß (was natürlich nicht so schwer fällt, da es nunmal historische
Realitäten sind), ohne sie in dem Gezeigten wirklich fühlen zu können. Die
Krise der Familie Lalor ist einfühlsam in Szene gesetzt und der ernsthafteste
Teil des Films, dabei letztlich aber ziemlich universell. Die generelle Armut
oder Brother Baxters Sadismus verkommen derweil weitgehend zur Randnotiz, die
entsprechenden Szenen wirken eher alibihaft eingestreut, kein Vergleich mit anderen Coming of Age-Filmen der letzten Jahre wie "Vielleicht lieber morgen" oder "Wie ein weißer Vogel im Schneesturm". Es ist eben nur
der Rahmen für die Musik und die sich holprig entwickelnde Beziehung
zwischen den beiden zentralen Protagonisten Conor und Raphina, beide vereint
durch ihre großen Träume von einer besseren, selbstbestimmten Zukunft. Obwohl
wie bei einer romantischen Komödie eigentlich jederzeit klar ist, daß sie am
Ende doch zusammenfinden werden, geht Carney sehr behutsam und einfühlsam vor
bei Conors Versuchen, Raphinas Herz zu gewinnen. So erscheint dieser von
dem überzeugenden, charismatischen Schauspieldebütanten Ferdia Walsh-Peelo und der gut mit ihm
harmonierenden, schon deutlich erfahreneren Lucy Boynton ("Die zauberhafte
Welt der Beatrix Potter") getragene Handlungsstrang einerseits sehr
glaubwürdig, hat andererseits aber gleichzeitig immer ein bißchen etwas Märchenhaftes an
sich. Und das trifft auf den gesamten Film zu.
Fazit: "Sing Street" ist ein im Irland der
1980er Jahre spielender Coming of Age-Musikfilm, der zwar kein erzählerisches
Meisterwerk ist, dafür aber ein echtes Feelgood-Movie mit viel Humor und toller
Musik.
Wertung: Knapp 8 Punkte.
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