Originaltitel:
The VVitch: A New-England Folktale
Regie und Drehbuch: Robert Eggers, Musik: Mark Korven
Darsteller: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie,
Harvey Scrimshaw, Lucas Dawson, Ellie Grainger, Bathsheba Garnett, Julian
Richings
FSK: 16, Dauer: 103 Minuten.
Amerika im frühen 17.
Jahrhundert: Der Puritaner William (Ralph Ineson, "The Huntsman & The Ice Queen"), der in seinem Glauben so fanatisch ist, daß er sogar von
seinen Mitgläubigen aus ihrer gemeinsamen Siedlung verbannt wird, baut sich mit
seiner Frau Katherine (Kate Dickie, "Prometheus") und den fünf
Kindern ein neues, einsames Zuhause am Rand eines finsteren Waldes auf. Doch die Ernte
verfault, das jüngste Kind – noch ein Baby – verschwindet spurlos und im Wald
gehen seltsame Dinge vor sich. Während William trotzdem mit seinem ältesten
Sohn Caleb (Harvey Scrimshaw) im Wald nach Nahrung sucht, muß dessen große
Schwester, die fast erwachsene Thomasin (Anya Taylor-Joy, TV-Serie
"Atlantis"), auf die Tiere und auch auf ihre jüngeren Geschwister
aufpassen. Vor allem Letzteres ist keine leichte Aufgabe, denn die Zwillinge
Mercy und Jonas sind vorlaut und ungezogen und fabulieren die ganze Zeit von
einer Hexe sowie davon, daß die Ziege "Black Phillip" mit ihnen
spreche …
Kritik:
Jährlich werden zahllose Grusel- und Horrorfilme gedreht.
Die meisten davon werden (eventuell nach einer Tour über diverse
Genre-Festivals) direkt fürs Heimkino veröffentlicht, einige schaffen es zu
einem regulären Kinostarts. Sehr, sehr wenige werden richtige Publikumserfolge.
Eines haben jedoch die allermeisten Horrorfilme gemeinsam: miese Kritiken. Das
ist nicht weiter verwunderlich, denn zum Kritikerliebling taugt das Genre kaum.
Zu viel Blut, zu viel Gewalt, zu wenig Figurenzeichnung, zu wenig Handlung:
Selbst als Genrefan kann man kaum leugnen, daß diese Zusammenfassung auf einen
Großteil der Horrorfilme zutrifft – wobei das besagte Genrefans gar nicht mal unbedingt
stört, da sie eben ganz andere Erwartungen haben als die professionellen
Kritiker, die weit über den Genrerand hinausblicken. Doch natürlich gibt es
Ausnahmen: Filme wie – auf englischsprachige Produktionen beschränkt –
"Das Omen", "Der Exorzist" und "Alien" konnten
sogar OSCARs gewinnen (wenn auch nur in Nebenkategorien), jüngere Vertreter wie
James Wans "Conjuring", Danny Boyles "28 Days Later", die
Stephen King-Adaption "Der Nebel" oder Gore Verbinskis famoses Japan-Remake
"Ring" erreichten gute Rezensionen und mindestens ordentliche Einspielergebnisse. Die Schlüsselelemente für den Kritikererfolg dieser Werke
sind gar nicht so schwer auszumachen. Zum Teil ist das natürlich eine gewisse
Originalität, wobei die in diesem stark von wiederkehrenden Motiven
geprägten Genre vermutlich schwerer zu erreichen ist als in den meisten anderen
(Musterbeispiel dafür ist "Conjuring", dem jegliche Originalität
abgeht, der aber trotzdem gut funktioniert). Wichtiger sind ganz
altmodische Vorzüge: Starke, gut gezeichnete, authentische Protagonisten
(gerne auch charismatische Antagonisten), eine gar nicht unbedingt sehr
einfallsreiche, aber auf jeden Fall glaubwürdig und konsequent präsentierte Story und eine beklemmend-unheimliche Stimmung, die die
berühmt-berüchtigten "Jump Scares" im Idealfall vollkommen
überflüssig macht (oder sie zumindest so weit reduziert, daß sie
noch wirkungsvoll bleiben). "The Witch" hält sich ziemlich genau an dieses
Rezept, entsprechend sind die Kritiker begeistert – wobei das aber auch daran liegen
dürfte, daß es sich nur im weiteren Sinne um einen Gruselfilm handelt, in
Wirklichkeit ist es eher ein intensives Glaubens- und Familiendrama. Was dann
wiederum auch erklärt, warum Horrorfans deutlich weniger angetan zu sein
scheinen als die Kritiker …
Regisseur und Drehbuch-Autor Robert Eggers orientert sich
bei seinem Langfilmdebüt stark an Volkssagen sowie an historischen Aufzeichnungen
aus der Zeit der Hexenverfolgung. Dabei geht er in dem Bemühen um Authentizität
sogar so weit, die handelnden Figuren ihre Dialoge entsprechend der besagten Aufzeichnungen in dem damaligen Sprachgebrauch aufsagen zu lassen – ich weiß nicht, wie genau das in
der deutschen Synchronfassung gelöst wurde, in der Originalfassung jedenfalls
wimmelt es vor altertümlichen Wörtern und Aussprachen (weshalb ich sehr froh
über die deutsche Untertitelung war). Das wiederum hängt auch damit zusammen,
daß wohl mindestens die Hälfte dessen, was
gesprochen wird, aus Gebeten und Bibelversen besteht. Und damit wären wir schon bei einem
Punkt, der entscheidend dafür ist, wie gut einem "The Witch" gefallen
kann: Man muß sich vollkommen auf diese altertümliche Geschichte und ihre zutiefst religiösen Charaktere
einlassen. Das ist gar nicht so einfach, denn aus heutiger, aufgeklärter Sicht
mutet viel von dem, worum es hier geht, wie ein schlichter, hanebüchener
Aberglauben an – und zwar keineswegs nur für atheistische Betrachter.
Angesichts dessen macht die grimme Ernsthaftigkeit, mit der die unglückselige
Familie harmloseste Situationen als Indiz oder gar Beweis für böse
Mächte am Werk interpretiert, mindestens merkwürdig an, nicht selten sogar unfreiwillig
komisch. Das als gegeben und als – wenn man sich wirklich Mühe gibt, sich in die
Leute und ihre ultrareligiös geprägte Welt und Zeit
hineinzuversetzen – absolut glaubwürdiges Verhalten zu akzeptieren, ist durchaus
eine Herausforderung.
Wenn man sie jedoch meistert, wenn man sich also auf diese uns so
fremdartig erscheinende Situation einlassen kann, dann erkennt man
unweigerlich, wie gut durchdacht und mit welch großer Finesse und Konsequenz Eggers
seine kleine, aber umso dramatischere Geschichte vorantreibt. Das fängt schon
damit an, daß er sich Klischees ziemlich konsequent verweigert, vielmehr mit der
Erwartungshaltung des Publikums spielt. Denn nach dem Prolog, in dem der
polternde William von seinen Glaubensbrüdern wegen zu extremer Vorstellungen
verbannt wird, verbucht ihn vermutlich jeder erst Mal gedanklich in der
Kategorie "Fanatiker" und vermutlicher Rabenvater. Doch weit gefehlt:
William, so fundamentalistisch er in seinem Glauben auch ist, entpuppt
sich in der Verbannung schnell als in der Regel vernünftiger Mann sowie liebender und mitfühlender Vater, im Grunde
genommen als eine fast schon erschreckend "normale" Person. Stattdessen
ist es seine Frau Katherine, die nach dem Verschwinden des Babys ziemlich
überschnappt, sich kaum noch aus dem Bett herausbewegt und die Zeit fast
ausschließlich mit Beten zubringt – solange sie nicht mit der
bemitleidenswerten Thomasin schimpft, die auf den kleinen Samuel aufpassen
sollte und sich in der Tat nicht das geringste zuschulden kommen ließ (was aber
zu ihrem Pech nur der Zuschauer weiß). So verständlich Katherines Verhalten
angesichts des Verlusts eines Kindes auch ist: Mit dem Schwelgen in ihrem Elend
und dem kaum verhohlenen Haß auf Thomasin ist letztlich sie es, die den
Grundstein zu dem Unheil legt, das über die Familie nach dem Verschwinden des
Babys hereinbricht.
Wie das geschieht, zeigt Robert Eggers mit bezwingender
Konsequenz. Gekonnt reiht er eine für sich genommen eigentlich
vollkommen harmlose Szene an die nächste, von der allerdings fast jede ein
kleines, irgendwie merkwürdiges Element beinhaltet, das sich aber leicht erklären ließe. Da wären die Zwillinge, die
mit der schwarzen Ziege sprechen und behaupten, sie würde mit ihnen sprechen
(normaler Kinderquatsch); Thomasin, die (fatalerweise) behauptet, sie sei die
Hexe, von der die Zwillinge ständig faseln (eine sehr verständliche Reaktion
auf die extrem nervigen Zwillinge); Caleb, der seine ältere Schwester
mit eindeutig mehr als nur brüderlichem Interesse beobachtet (was
kein Wunder ist, wenn der Pubertierende infolge der Verbannung keinerlei
Frauen außer seiner Mutter und seinen Schwestern zu Gesicht bekommt); Katherine,
die, ganz gleich was passiert, immer Thomasin die Schuld gibt (unfair, jedoch
nachvollziehbar angesichts des verschwundenen Samuel). Obwohl es also für alles
vollkommen logische und harmlose Erklärungen gibt, wird man als Zuschauer das
Gefühl nicht los, daß sich die Situation immer weiter zuspitzt und das Ganze
eigentlich nur in einer Katastrophe enden kann. Selbst eine Begegnung mit einem
stinknormalen Hasen im Wald wirkt da wie ein extrem schlechtes Omen … Kurzum:
Die Atmosphäre wird immer bedrückender, wofür auch der sparsame, aber sehr
geschickte Einsatz der leicht dissonanten Musik von Mark Korven ("Cube") verantwortlich
zeichnet, die fast nur in Schlüsselszenen zu hören ist,
wohingegen ansonsten meist unheilvolle Stille vorherrscht.
Mit Horror hat das Ganze allerdings nur wenig zu tun – abgesehen
vielleicht von dem Horror darüber, was passieren kann, wenn man lieber fundamentale religiöse Ansichten anstelle
des gesunden Menschenverstands sein Handeln
bestimmen läßt. Auf Jump Scares verzichtet "The Witch" komplett,
auch ansonsten entspringt das Gruselfaktor nur teilweise den wenigen, aber
stimmungsvollen, unheimlichen Szenen rund um die angebliche Hexe in den Wäldern
(oder ist es doch Thomasin oder gar ein anderes Mitglied der Familie?), sondern
speist sich zuvorderst aus der angespannten, unklaren Gesamtsituation und der
(Aber-)Glaubensthematik – und eben aus der Frage, ob es überhaupt eine Hexe gibt und
falls ja, wer es ist. Daß das ziemlich gut funktioniert, ist neben dem
starken Skript und der gemächlichen, aber effektiven Inszenierung von Robert
Eggers vor allem dem überzeugenden Darsteller-Ensemble zu verdanken. Vor allem
die beiden jugendlichen Protagonisten – jeweils ohne nennenswerte vorherige
Erfahrung vor der Kamera – liefern bockstarke Leistungen ab, wobei Anya
Taylor-Joy mit einer herausragenden Darbietung als leidgeprüfte Thomasin ihren Filmbruder
Harvey Scrimshaw noch übertrifft und am Beginn einer großen Karriere stehen dürfte.
Fazit: "The Witch" ist ein nur als Horrorfilm getarntes, betont langsam erzähltes Familien- und Glaubensdrama, das von seinem
Publikum den Willen und die Fähigkeit einfordert, sich voll auf das
altertümliche Setting einzulassen, es dafür aber auch mit fein gezeichneten
Figuren, einer gut durchdachten Handlung und einer beklemmenden Atmosphäre
belohnt.
Wertung: 7,5 Punkte.
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